Die unterbliebene Terminsverlegung

Wird der „in letzter Minute“ gestellte Verlegungsantrag mit einer Erkrankung begründet, obliegt es nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs dem Beteiligten, die Gründe für die Verhinderung so darzulegen und zu untermauern, dass das Gericht die Frage, ob die betreffende Person verhandlungs- und reiseunfähig ist oder nicht, selbst beurteilen kann.

Die unterbliebene Terminsverlegung

Der Anspruch auf ein faires Verfahren als „allgemeines Prozessgrundrecht“ gewährleistet, dass das Finanzgericht das Verfahren so gestaltet, wie die Beteiligten es von ihm erwarten dürfen, insbesondere darf das Finanzgericht sich nicht widersprüchlich verhalten, darf aus eigenen oder ihm zuzurechnenden Fehlern oder Versäumnissen keine Verfahrensnachteile für die Beteiligten ableiten und ist allgemein zur Rücksichtnahme gegenüber den Verfahrensbeteiligten in ihrer konkreten Situation verpflichtet.

Nach § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 227 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) kann das Gericht „aus erheblichen Gründen“ auf Antrag oder von Amts wegen einen Termin aufheben oder verlegen. Liegen erhebliche Gründe im Sinne von § 227 Abs. 1 ZPO vor, verdichtet sich die in dieser Vorschrift eingeräumte Ermessensfreiheit zu einer Rechtspflicht. In diesem Fall muss der Termin zur mündlichen Verhandlung zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs verlegt werden, selbst wenn das Gericht die Sache für entscheidungsreif hält und die Erledigung des Rechtsstreits durch die Verlegung verzögert würde1. Die erheblichen Gründe sind auf Verlangen des Vorsitzenden, für eine Vertagung auf Verlangen des Gerichts glaubhaft zu machen (§ 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 227 Abs. 2 ZPO).

In einer plötzlichen Erkrankung eines nicht fachkundig vertretenen Beteiligten, die dessen Erscheinen zum Verhandlungstermin entgegensteht, kann ein erheblicher Grund für eine Terminsverschiebung liegen. Ob im Einzelfall eine Terminsaufhebung und -verlegung gerechtfertigt ist, muss das Finanzgericht (FG) anhand der ihm bekannten Umstände beurteilen. Dazu muss es in der Lage sein, sich über das Vorliegen eines Verlegungsgrundes ein eigenes Urteil zu bilden. Die Voraussetzungen hierfür zu schaffen ist Aufgabe desjenigen, der die Verlegung beantragt2.

Wird ein Antrag auf Terminsverlegung „in letzter Minute“ gestellt, muss der Beteiligte von sich aus den Verlegungsgrund glaubhaft machen3. Wird der „in letzter Minute“ gestellte Verlegungsantrag mit einer Erkrankung begründet, obliegt es nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs dem Beteiligten, die Gründe für die Verhinderung so darzulegen und zu untermauern, dass das Finanzgericht die Frage, ob die betreffende Person verhandlungs- und reiseunfähig ist oder nicht, selbst beurteilen kann. Ein zu diesem Zweck vorgelegtes ärztliches Attest muss deshalb die Verhandlungsunfähigkeit eindeutig und nachvollziehbar beschreiben und sich zur Art und Schwere der Erkrankung äußern4. Wird das Gericht bereits vor Einreichung eines ärztlichen Attests über eine schwerwiegende Erkrankung des Beteiligten informiert, reicht ein Attest aus, in dem lediglich bescheinigt wird, der Beteiligte sei nicht in der Lage, einen Gerichtstermin wahrzunehmen5.

Nach diesen Maßstäben lagen im hier vom Bundesfinanzhof beurteilten Streitfall die Voraussetzungen für eine Terminsverlegung nicht vor. Da der Antrag auf Verlegung in dem der mündlichen Verhandlung vorangehenden Termin im Verfahren 10 K 3107/18 F gestellt wurde, sind die oben genannten Grundsätze für „in letzter Minute“ gestellte Anträge anzuwenden. Der Vertreter der Klägerin (Klägervertreter) hatte jedoch seine Verhandlungsunfähigkeit nicht hinreichend dargelegt.

Seitens des Finanzgericht ließ sich aus dem mündlichen Vortrag des Klägervertreters weder Art und Schwere der Erkrankung entnehmen noch hat dieser mitgeteilt, ob es sich um eine plötzlich und unerwartet aufgetretene Krankheit oder um eine bereits seit längerem bestehende Krankheit handelte. Ebenso wenig lässt sich den Ausführungen des Klägervertreters im Parallelverfahren entnehmen, ob und gegebenenfalls inwieweit die Krankheit Einfluss auf die Fähigkeit, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen, hatte. Keinen Verlegungsgrund bildet der Umstand, dass der Klägervertreter subjektiv von seiner Verhandlungsunfähigkeit am Terminstag überzeugt war. Denn das liefe darauf hinaus, dass ein Beteiligter kurzfristig die Aufhebung jedes Gerichtstermins erreichen könnte, ohne nähere Angaben zu den genauen Auswirkungen der Erkrankung am fraglichen Tag zu machen und dem Gericht auch nur die Möglichkeit einer Überprüfung zu geben.

Das vom Klägervertreter am Folgetag eingeholte und eingereichte Attest kommt nicht als Mittel der Glaubhaftmachung der Verhandlungsunfähigkeit in Betracht. Unabhängig davon, ob es Ausführungen zur Art und Schwere der Krankheit enthält, bezieht es sich ausdrücklich nicht auf die Frage der Verhandlungsfähigkeit am Terminstag.

Ebenso wenig liegt wegen der Nichtverlegung des Termins eine Verletzung des Anspruchs auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 GG) vor.

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) leitet in ständiger Rechtsprechung aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip und dem Gebot effektiven Rechtsschutzes den Anspruch auf ein faires Verfahren als „allgemeines Prozessgrundrecht“ ab. Danach muss der Richter das Verfahren so gestalten, wie die Beteiligten es von ihm erwarten dürfen. Er darf sich nicht widersprüchlich verhalten, insbesondere aber darf er aus eigenen oder ihm zuzurechnenden Fehlern oder Versäumnissen keine Verfahrensnachteile für die Beteiligten ableiten und ist allgemein zur Rücksichtnahme gegenüber den Verfahrensbeteiligten in ihrer konkreten Situation verpflichtet6.

Eine solche Rechtsverletzung liegt im Streitfall nicht vor. Es ist nicht erkennbar, dass sich das Finanzgericht verfahrensfehlerhaft oder widersprüchlich verhalten hat. Vielmehr hat es die von der Prozessordnung zur Verfügung gestellten Mittel genutzt, um dem Verfahren Fortgang zu geben und es einer Entscheidung zuzuführen. Dass diese Entscheidung zu Lasten der Klägerin ausgefallen ist, stellt keine Verletzung des Anspruchs auf ein faires Verfahren dar.

Bundesfinanzhof, Beschluss vom 7. Juni 2023 – IX B 11/23

  1. ständige Rechtsprechung, vgl. u.a. BFH, Beschlüsse vom 08.11.2016 – I B 137/15, BFH/NV 2017, 433, Rz 11; und vom 05.05.2020 – III B 158/19, BFH/NV 2020, 905, Rz 8, m.w.N.[]
  2. vgl. BFH, Beschlüsse vom 19.11.2009 – IX B 160/09, BFH/NV 2010, 454, Rz 4; und vom 08.11.2016 – I B 137/15, BFH/NV 2017, 433, Rz 12[]
  3. z.B. BFH, Beschluss vom 05.05.2020 – III B 158/19, BFH/NV 2020, 905, Rz 8, m.w.N.; Schallmoser in Hübschmann/Hepp/Spitaler -HHSp-, § 91 FGO Rz 133[]
  4. vgl. u.a. BFH, Beschlüsse vom 19.11.2009 – IX B 160/09, BFH/NV 2010, 454, Rz 4; vom 25.10.2012 – X B 130/12, BFH/NV 2013, 228, Rz 5; vom 08.11.2016 – I B 137/15, BFH/NV 2017, 433, Rz 12; und vom 04.11.2019 – X B 70/19, BFH/NV 2020, 226, Rz 10[]
  5. vgl. BFH, Beschluss vom 25.10.2012 – X B 130/12, BFH/NV 2013, 228, Rz 5[]
  6. vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 06.04.1998 – 1 BvR 2194/97, Neue Juristische Wochenschrift -NJW- 1998, 2044, unter III. 2., m.w.N.; vom 18.07.2013 – 1 BvR 1623/11, NJW 2014, 205, Rz 20, m.w.N.; BFH, Beschlüsse vom 04.03.2020 – XI B 30/19, BFH/NV 2020, 611, Rz 20; und vom 05.05.2020 – III B 158/19, BFH/NV 2020, 905, Rz 16; Lange in HHSp, § 115 FGO Rz 243[]