Die vertagte mündliche Verhandlung – und der gesetzliche Richter

Wurde eine mündliche Verhandlung nicht nur unterbrochen, sondern vertagt, hat das Gericht in der für die letzte mündliche Verhandlung maßgebenden Besetzung zu entscheiden.

Die vertagte mündliche Verhandlung – und der gesetzliche Richter

Gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG darf niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden. Nach § 119 Nr. 1 FGO ist ein Urteil stets als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen, wenn das Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war. Das Urteil kann gemäß § 103 FGO nur von den Richtern und ehrenamtlichen Richtern gefällt werden, die an der dem Urteil zugrunde liegenden Verhandlung teilgenommen haben.

Die Besetzung ist auch nicht deshalb unvorschriftsmäßig, weil sie von der Besetzung des ersten Termins abweicht. Das in § 103 FGO enthaltene Tatbestandsmerkmal „dem Urteil zugrunde liegenden Verhandlung“ bezieht sich nur auf die letzte mündliche Verhandlung, aufgrund derer das Urteil ergangen ist. Ein Richterwechsel nach Vertagung einer mündlichen Verhandlung ist unschädlich, selbst wenn in dem früheren Termin eine Beweisaufnahme stattgefunden hat. Etwas anderes gilt in der Regel bei einer bloßen Unterbrechung der mündlichen Verhandlung, wenn sich ein und dieselbe mündliche Verhandlung über mehrere Verhandlungstage (Sitzungstage) hinzieht1.

Im hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Streitfall hatte das Finanzgericht die Verhandlung im Sinne dieser Rechtsprechung nicht nur unterbrochen, sondern vertagt. Es hatte nicht etwa die Fortsetzung des ersten Termins bestimmt, sondern die mündliche Verhandlung beendet und später einen neuen Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt2. Es konnte dabei für den Bundesfinanzhof dahinstehen, inwieweit von einer Unterbrechung überhaupt noch gesprochen werden könnte, wenn zum oder nach dem Schluss der ersten Verhandlung nicht gleichzeitig ein neuer Termin anberaumt wird. Liegen aber zwischen dem Tag der mündlichen Verhandlung und einem späteren Termin zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung mehr als neun Wochen, handelt es sich um einen neuen Termin, der die Heranziehung der ehrenamtlichen Richter nach Maßgabe der für den neuen Termin geltenden Liste verlangt3. Diese Zeitspanne ist im vorliegenden Streitfall mit zehn Wochen überschritten.

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Überlange Verfahrensdauer und zwischenzeitliche Rechtsprechungsänderung

Bundesfinanzhof, Beschluss vom 22. März 2023 – II B 26/22

  1. BFH, Beschlüsse vom 01.10.1998 – VII R 1/98, BFH/NV 1999, 933; vom 22.10.2003 – I B 39/03, BFH/NV 2004, 350; und vom 03.12.2010 – V B 57/10, BFH/NV 2011, 615, Rz 5[]
  2. vgl. BFH, Beschluss in BFH/NV 1999, 933[]
  3. BFH, Urteil vom 11.12.1968 – I R 138/67, BFHE 95, 24, BStBl II 1969, 297[]