Im steuerlichen Vollstreckungsverfahren hat der Vollstreckungsschuldner der Vollstreckungsbehörde nach § 284 Abs. 1 Nr. 3 AO auf Verlangen ein Verzeichnis seines Vermögens vorzulegen und für seine Forderungen den Grund und die Beweismittel zu bezeichnen, wenn der Vollstreckungsschuldner die Durchsuchung (§ 287 AO) verweigert hat. Nach § 284 Abs. 3 AO hat der Vollstreckungsschuldner zu Protokoll an Eides statt zu versichern, dass er die von ihm verlangten Angaben über seine Vermögensverhältnisse nach bestem Wissen und Gewissen richtig und vollständig gemacht hat. Die Anordnung eines hierzu bestimmten Termins kann mit der Anordnung eines Termins zur Vorlage eines Vermögensverzeichnisses nach § 284 Abs. 1 AO verbunden werden1.

Die Anordnungsbefugnis nach § 284 Abs. 1 Nr. 3 AO für den Fall verweigerter Durchsuchung wurde durch das Zweite Gesetz zur Änderung zwangsvollstreckungsrechtlicher Vorschriften vom 17. Dezember 19972 mit Wirkung ab 1. Januar 1999 in die AO eingefügt. Dabei sah der Gesetzesentwurf zunächst nur die Einführung einer entsprechenden Erweitung der Anordnungsbefugnis in § 807 Abs.1 ZPO, der Parallelenorm für das Vollstreckungsverfahren nach der ZPO, vor. Eine entsprechende Erweiterung des § 284 Abs. 1 AO fand erst aufgrund einer Stellungsnahme der Bundesregierung Eingang in das Gesetzgebungsverfahren3.
Das Finanzgericht Niedersachsen hat in einem jetzt veröffentlichten Urteil Zweifel daran geäußert, ob § 284 Abs. 1 Nr. 3 AO den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 13 Abs. 2 Grundgesetz (GG) genügt, wonach die Durchsuchung einer Wohnung grundsätzlich der Anordnung eines Richters bedarf. Fraglich ist dabei insbesondere, ob die Wahrnehmung eines verfassungsrechtlich garantierten Rechtes, nämlich die Verweigerung einer Durchsuchung ohne richterlichen Durchsuchungsbeschluss, ohne weitere Voraussetzungen die Anordnung zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung, eines wegen der nachfolgenden Eintragung in das Schuldnerverzeichnis besonders intensiven vollstreckungsrechtlichen Eingriffs, ermöglichen darf.
Zweifelhaft erscheint dem FG auch, ob die im Gesetzgebungsverfahren angestellten Überlegungen zur Rechtfertigung des Eingriffs im Hinblick auf die Beschleunigung des mitunter langwierigen und vom Schuldner bisweilen verzögerten Vollstreckungsverfahrens nach der ZPO ohne weiteres auf das Vollstreckungsverfahren nach der AO übertragen werden können. So kann die Finanzverwaltung im Gegensatz zu privaten Gläubigern die Vollstreckung mit ihren eigenen Vollziehungsbeamten unter Einsatz eigener Vollstreckungstitel betreiben und ihr stehen dabei weitreichende Informationen auch aus den Steuerakten zur Verfügung4. Müller-Eiselt5, Kruse6, Dumke7 und Geist8 halten für die Anwendung des § 284 Abs. 1 Nr. 3 AO wegen verfassungsrechtlicher Bedenken eine vorherige richterliche Durchsuchungsanordnung im Sinne des § 287 Abs. 4 Satz 1 AO für erforderlich. Im Streitfall kann es dahin stehen, ob § 284 Abs.1 Nr. 3 AO verfassungsgemäß ist. Denn die angefochtene Anordnung war bereits deshalb aufzuheben, weil der Beklagte jedenfalls von seinem Ermessen nicht in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat.
So hat die Vollstreckungsbehörde bei Erlass von (grundsätzlich in ihr Ermessen gestellten) Vollstreckungsmaßnahmen – wie der angefochtenen Anordnung – den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachten9. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist mit Verfassungsrang ausgestattet und bei der Auslegung und Anwendung der Normen des einfachen Rechts stets zu beachten10. Der Grundsatz besagt, dass das eingesetzte Mittel geeignet und erforderlich sein muss, um den erstrebten Zweck zu erreichen. Das Mittel ist geeignet, wenn mit seiner Hilfe der gewünschte Erfolg gefördert werden kann; es ist erforderlich, wenn nicht ein anderes, gleich wirksames, aber weniger fühlbar einschränkendes Mittel hätte gewählt werden können11.
Gemessen daran hätte das Finanzamt sein Ermessen im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung nach Auffassung des erkennenden Senates nur dahingehend pflichtgemäß ausüben können, dass es sich zuvor unter Verwendung des zeitgleich mit der Anordnung beantragten und am 30. Juni 2008 erteilten Durchsuchungsbeschlusses im Rahmen einer Durchsuchung davon überzeugt hätte, dass eine Vollstreckung in das bewegliche Vermögen endgültig keinen Erfolg hat oder voraussichtlich keinen Erfolg haben wird. Dieses Vorgehen der Finanzbehörde hätte weniger einschneidende Wirkung für den Vollstreckungsschuldner zur Folge gehabt. Es hätte dem gesetzlichen Zweck des § 284 AO Rechnung getragen, dass sich nämlich die Finanzbehörde regelmäßig vor Erlass einer Anordnung zur Vorlage des Vermögensverzeichnisses und zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung unter Ausschöpfung der zur Verfügung stehenden Mittel davon überzeugt, dass vollstreckbares bewegliches Vermögen zur Beitreibung sämtlicher Vollstreckungsrückstände nicht zur Verfügung steht. Dabei darf nicht außer Acht bleiben, dass sich der Kläger bei der Weigerung der Durchsuchung seiner Wohnräume am 29. Mai 2008 ohne Durchsuchungsbeschluss auf sein in Art. 13 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich garantiertes Recht berufen hat und dass eine Durchsuchung unter Verwendung des am 30. Juni 2009 ergangenen Durchsuchungsbeschlusses weder den Fortgang des Verfahrens nach § 284 AO unnötig verzögert hätte, noch hierdurch erhebliche zusätzliche sächliche und personelle Mittel von der Vollstreckungsbehörde hatten aufgewandt werden müssen.
Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 24. Feburar 2009 – 15 K 366/08
- vgl. BFH Beschlüsse vom 7. Dezember 2000 VII B 206/00, BFH/NV 2001, 577; und vom 12. Dezember 2001 VII B 318/00, BFH/NV 2002, 617[↩]
- BGBl I 1997, 3039[↩]
- vgl. BT-Drucksache 13/341 S. 59[↩]
- Müller-Eiselt in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur AO, § 284 Rn. 32 – 39, 199. Lieferung aus 2008; a.A. Verwaltungsgericht Freiburg Beschluss vom 20. Januar 2009, 1 K 1416/08, in juris[↩]
- a.a.O.[↩]
- in Tipke/Kruse, Kommentar zur AO, § 284 Rz. 4[↩]
- in Schwarz, Kommentar zur AO, § 284 Rn. 5a[↩]
- in Beermann/Gosch, Kommentar zur AO, § 284 Rn. 12[↩]
- vgl. u.a. Entscheidungen des BFH vom 24. September 1991 VII R 34/90, BFHE 165, 477, BStBl II 1992, 57, und vom 11. Dezember 1990 VII B 94/90, BFH/NV 1991, 787[↩]
- vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts -BVerfG- vom 9.November 1976 2 BvL 1/76, BVerfGE 43, 101, 106[↩]
- vgl. Beschluss des BVerfG vom 16.März 1971 1 BvR 52, 665, 754/66, BVerfGE 30, 292, 316; vgl. auch BFH Beschluss vom 13.August 1985 VII R 28/82, BFHE 144, 316[↩]