Das Finanzgericht ist nicht verpflichtet, den Inhalt der ihm vorliegenden Akten, die es zur Aufklärung des Sachverhalts berücksichtigen will, in der mündlichen Verhandlung zu verlesen oder sonst (ausdrücklich) zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung zu machen. Ehrenamtliche Richterinnen und Richter haben ein Recht auf umfassende Information über den Prozessstoff. Diesem Informationsanspruch wird regelmäßig durch den Sachvortrag in der mündlichen Verhandlung und dem Gespräch während der Beratung Genüge getan.

Ein Verstoß der Vorinstanz gegen § 81 Abs. 1 Satz 1 FGO liegt zunächst nicht deshalb vor, weil das Finanzgericht den Inhalt der ihm vorgelegten Behördenakten berücksichtigt hat, ohne „diese Akten oder deren Inhalt verlesen oder sonst zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht“ zu haben. Das Finanzgericht ist vielmehr nach § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO und § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO verpflichtet, den Inhalt der ihm vorliegenden Akten vollständig und einwandfrei zu berücksichtigen1. Die Akten müssen hierzu weder verlesen noch sonst (ausdrücklich) zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht werden. Nach § 92 Abs. 2 FGO muss (nur) der wesentliche Inhalt der Akten in der mündlichen Verhandlung vorgetragen werden. Der Vortrag des wesentlichen Inhalts der Akten gemäß § 92 Abs. 2 FGO ist eine gedrängte Darstellung des Sachverhalts2, die naturgemäß nicht jedes Detail enthält, das im Urteil aufgeführt ist3. Im Übrigen sind die Kläger über die Beiziehung der Einkommensteuerakte, der Rechtsbehelfsheftung, der Ermittlungsakte sowie der Beihefte – I bis – VI vom Finanzgericht durch die Übersendung des Schriftsatzes des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt) vom 19.08.2020 unterrichtet worden4. Die Kläger mussten deshalb davon ausgehen, dass das Finanzgericht den Inhalt der ihm vorgelegten Behördenakten bei seiner Entscheidung berücksichtigen würde.
Hinsichtlich der von den Klägern in diesem Zusammenhang des Weiteren angesprochenen Information der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter weist der Bundesfinanzhof darauf hin, dass diese nach § 16 FGO bei der mündlichen Verhandlung mit gleichen Rechten wie die (Berufs-)Richter mitwirken. Daraus folgt zwar ein Recht der ehrenamtlichen Richter auf umfassende Information über den Prozessstoff5. Es ist aber Sache des Einzelfalls, wie diesem Informationsanspruch Genüge getan wird. Die Finanzgerichtsordnung schreibt insoweit eine Einsichtnahme der ehrenamtlichen Richter in die Prozessakten vor Eintritt in die mündliche Verhandlung jedenfalls nicht vor. Im Regelfall ist der Sachvortrag in der mündlichen Verhandlung (§ 92 Abs. 2 FGO) und das Gespräch während der Beratung ausreichende Grundlage für die Sachinformation der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter6.
Bundesfinanzhof, Beschluss vom 5. August 2022 – VI B 65/21
- ständige Rechtsprechung, z.B. BFH, Beschlüsse vom 09.07.2012 – III B 66/11, Rz 18, m.w.N.; und vom 16.07.2019 – X B 114/18, Rz 21[↩]
- dazu Schallmoser in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 92 FGO Rz 39; Gräber/Herbert, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 92 Rz 6[↩]
- BFH, Beschluss vom 26.07.2012 – IX B 164/11, Rz 4[↩]
- s. dazu BFH, Beschluss vom 26.07.2012 – IX B 164/11, Rz 3, m.w.N.[↩]
- Gräber/Herbert, a.a.O., § 16 Rz 1[↩]
- BFH, Beschluss vom 27.10.2003 – VII B 196/03, BFH/NV 2004, 232[↩]