Der Streit um die Kirchensteuer – und die unterlassene Beiladung der Kirche

Wird eine nach § 160 FGO i.V.m. § 3 AGFGO BW gesetzlich angeordnete Beiladung im finanzgerichtlichen Verfahren unterlassen, liegt eine von Amts wegen zu beachtende Verletzung der Grundordnung des Verfahrens vor. Dieser Verfahrensfehler kann im Revisionsverfahren nicht nach § 123 Abs. 1 Satz 2 FGO geheilt werden.

Der Streit um die Kirchensteuer – und die unterlassene Beiladung der Kirche

Im hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall trat der Kläger am 22.12.2014 auf Grund einer Erklärung gegenüber dem Standesamt der Gemeinde – X (Inland) aus der evangelischen Kirche aus. Die Meldebehörde teilte dies gemäß § 39e Abs. 2 Satz 2 EStG dem Bundeszentralamt für Steuern am 23.12.2014 mit Wirkung zum 01.01.2015 elektronisch mit. Im Streitjahr 2017 erzielte der Kläger gewerbliche Einkünfte und gab hierfür eine von seinem Steuerberater erstellte und elektronisch eingereichte Einkommensteuererklärung ab. In dieser erklärte er, wie in den Vorjahren, dass er Mitglied der evangelischen Kirche sei. Das Finanzamt setzte in der Folge gegenüber dem Kläger evangelische Kirchensteuer für das Streitjahr 2017 fest. Der an den Steuerberater des Klägers bekanntgegebene Bescheid wurde bestandskräftig. Die festgesetzte Höhe der Kirchensteuer änderte sich auch nicht durch zwei in der Folgezeit ergangene geänderte Steuerbescheide.

Der Kläger beantragte im Jahr 2020, die Kirchensteuerfestsetzung gemäß § 175b AO aufzuheben; dies lehnte das Finanzamt ab. Der hiergegen eingelegte Einspruch und die Klage blieben erfolglos. Das Finanzgericht Baden-Württemberg hat die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage als unbegründet abgewiesen1. Die hiergegen erhobene Revision des Klägers führte vor dem Bundesfinanzhof zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Finanzgericht zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO). Das Finanzgericht hat es verfahrensfehlerhaft unterlassen, die evangelische Kirche beizuladen. Eine unterbliebene notwendige Beiladung stellt einen vom Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfenden Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens dar2.

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Wird eine Abgabe für einen anderen Abgabenberechtigten verwaltet, kann dieser nicht deshalb beigeladen werden, weil seine Interessen als Abgabenberechtigter durch die Entscheidung berührt werden (§ 60 Abs. 2 FGO). Abweichend davon kann gemäß § 160 FGO die Beiladung durch Gesetz geregelt werden, soweit der Finanzrechtsweg auf Grund des § 33 Abs. 1 Nr. 4 FGO eröffnet ist. Auch ein Landesgesetz ist als ein solches Gesetz anzusehen3.

In Baden-Württemberg ist der Finanzrechtsweg in Kirchensteuerangelegenheiten gemäß § 33 Abs. 1 Nr. 4 FGO i.V.m. § 4 des Gesetzes zur Ausführung der Finanzgerichtsordnung vom 29.03.19664 eröffnet5. § 3 dieses Ausführungsgesetzes enthält eine Beiladungsregelung i.S. des § 160 FGO6. Danach lädt das Finanzgericht in kirchenrechtlichen Abgabenangelegenheiten diejenige Religionsgemeinschaft bei, deren rechtliche Interessen durch die Entscheidung als Abgabenberechtigter unmittelbar berührt werden7. Die Vorschrift stellt nach ihrem Wortlaut die Beiladung nicht in das Ermessen des Gerichts; vielmehr hat es die jeweils betroffene Religionsgemeinschaft zwingend, d.h. „notwendig“, beizuladen.

Das Finanzgericht hat im Streitfall die Beiladung der evangelischen Landeskirche unterlassen. Eine Nachholung der notwendigen Beiladung im Revisionsverfahren ist nicht möglich. Zwar lässt § 123 Abs. 1 Satz 2 FGO eine Nachholung unter bestimmten Voraussetzungen zu. Jedoch setzt die Regelung eine notwendige Beiladung i.S. des § 60 Abs. 3 Satz 1 FGO voraus, woran es im Streitfall fehlt. Denn die Religionsgemeinschaft ist lediglich in ihrer Stellung als Abgabenberechtigter wegen des Auseinanderfallens von Verwaltungs- und Ertragshoheit vom vorliegenden Rechtsstreit betroffen. § 60 Abs. 2 FGO enthält für diese spezielle Konstellation eine gegenüber § 60 Abs. 3 Satz 1 FGO vorrangige Sonderregelung, die jegliche Form der Beiladung ausschließt, solange es lediglich um das Interesse der die Ertragshoheit innehabenden Körperschaft als Abgabenberechtigter geht8. Dass § 60 Abs. 2 FGO wiederum wegen einer gesetzlichen Ausnahmebestimmung (§ 160 FGO i.V.m. § 3 AGFGO BW) im Streitfall suspendiert wird, ändert an der grundsätzlichen Verdrängung des in § 60 Abs. 3 Satz 1 FGO geregelten Beiladungstatbestands nichts. Vor diesem Hintergrund kann auch dahinstehen, ob die die Ertragshoheit innehabende Religionsgemeinschaft überhaupt als Dritter i.S. des § 60 Abs. 3 Satz 1 FGO angesehen werden kann9.

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Für das weitere Verfahren weist der Bundesfinanzhof aus Gründen der Prozessökonomie darauf hin, dass die Aufhebung der streitigen Kirchensteuerfestsetzung gemäß § 175b AO an der zeitlichen Anwendungsbestimmung scheitert.

Gemäß Art. 97 § 27 Abs. 2 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung i.d.F. des Gesetzes zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens vom 18.07.201610 ist § 175b AO erstmals anzuwenden, wenn steuerliche Daten eines Steuerpflichtigen für Besteuerungszeiträume nach 2016 oder Besteuerungszeitpunkte nach dem 31.12.2016 auf Grund gesetzlicher Vorschriften von einem Dritten als mitteilungspflichtiger Stelle elektronisch an Finanzbehörden zu übermitteln sind.

Für die zeitliche Anwendbarkeit der Korrekturnorm reicht es nach dem Wortlaut der Übergangsregelung nicht aus, dass irgendeine behördliche Datenübermittlung vorliegt, die in einem Steuerbescheid für Besteuerungszeiträume nach dem Jahr 2016 ausgewertet wird. Vielmehr stellt die Regelung auf eine Übermittlungspflicht ab („zu übermitteln sind“), die den Zeitraum nach 2016 betrifft. Selbst wenn man zugunsten der Revision davon ausginge, dass gemäß § 39e Abs. 2 Satz 2 EStG übermittelte Daten solche i.S. der §§ 93c, 175b AO darstellen, hatte die Meldebehörde im Streitfall ihrer Übermittlungspflicht aus § 39e Abs. 2 Satz 2 EStG für den Zeitraum ab 01.01.2015 endgültig und pflichtbeendend bereits am 23.12.2014 genügt. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass der Gesetzgeber des Gesetzes zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens „Alt-Übermittlungspflichten“, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes von den Übermittlungspflichtigen erfüllt worden waren, in den Anwendungsbereich des neu geschaffenen Korrekturtatbestands des § 175b AO einbeziehen wollte.

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Bundesfinanzhof, Urteil vom 24. November 2021 – I R 6/21

  1. FG Baden-Würrtemberg, Gerichtsbescheid vom 05.01.2021 – 10 K 1662/20, EFG 2021, 1689[]
  2. vgl. BFH, Urteil vom 27.09.2017 – I R 62/15, BFH/NV 2018, 620, m.w.N.[]
  3. Schwarz in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 160 FGO Rz 5 und 16; Wendl in Gosch, FGO § 160 Rz 5[]
  4. AGFGO BW, Gesetz- und Verordnungsblatt Baden-Württemberg 1966, 49[]
  5. BFH, Urteile vom 15.10.1997 – I R 33/97, BFHE 184, 167, BStBl II 1998, 126; vom 01.07.2009 – I R 76/08, BFHE 225, 566, BStBl II 2010, 1061[]
  6. vgl. Leipold in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 60 FGO Rz 41[]
  7. zur Beiladung der evangelischen Kirche vgl. z.B. Finanzgericht Baden-Württemberg, Urteile vom 18.06.2012 – 10 K 3864/11 Rz 38; und vom 22.07.2008 – 3 K 148/05, EFG 2008, 1908, Rz 17[]
  8. BFH, Beschluss vom 25.07.1995 – VII B 1/95, BFH/NV 1996, 155[]
  9. vgl. BFH, Beschluss in BFH/NV 1996, 155[]
  10. BGBl I 2016, 1679, BStBl I 2016, 694[]

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