Abschnittsbesteuerung vs. Vertrauensschutz

Der Grundsatz der Abschnittsbesteuerung schließt die Bildung eines Vertrauenstatbestands aus, der über die im Steuerbescheid für ein Veranlagungsjahr zugrunde gelegte Entscheidung hinausgeht1. Die Würdigung eines Sachverhalts durch das Finanzamtes in früheren Veranlagungszeiträumen kann nach dem Grundsatz der Abschnittsbesteuerung stets nur auf diese Zeiträume bezogen werden; die aus einer solchen Würdigung für die Zukunft gezogenen Schlüsse –auch hinsichtlich der Notwendigkeit einer Beweisvorsorge für künftige Veranlagungszeiträume– sind grundsätzlich allein der Verantwortungssphäre des Steuerpflichtigen zuzurechnen2.

Abschnittsbesteuerung vs. Vertrauensschutz

Die Zuordnung zum gewillkürten Betriebsvermögen ist nicht schon aufgrund der Bestandskraft der Vorjahresveranlagungen oder aus Gründen des Vertrauensschutzes mit Wirkung für die Streitjahre anzunehmen.

Die Bestandskraft der Vorjahresveranlagungen betrifft nur den verfügenden Teil der Steuerbescheide. Demgegenüber bilden die für die Steuerfestsetzung maßgeblichen Besteuerungsgrundlagen –vom Fall ihrer gesonderten Feststellung abgesehen– einen nicht selbständig anfechtbaren Teil der Bescheide3.

Infolgedessen müssen die Finanzbehörden bei der Festsetzung der Einkommensteuer für einen bestimmten Veranlagungszeitraum die Besteuerungsgrundlagen –wie hier die Zugehörigkeit von Wirtschaftsgütern zum Betriebsvermögen– selbständig und ohne Bindung an ihren Ansatz in anderen Steuerbescheiden ermitteln und berücksichtigen4.

Entsprechendes gilt für den geltend gemachten Anspruch auf Vertrauensschutz in die Fortführung der Zuordnung des PKW Audi A3 zum Betriebsvermögen in den Streitjahren entsprechend den Einkommensteuerveranlagungen der Vorjahre.

Nach dem Grundsatz der Abschnittsbesteuerung (§ 25 Abs. 1 EStG) hat das Finanzamt in jedem Veranlagungszeitraum die einschlägigen Besteuerungsgrundlagen erneut zu prüfen und rechtlich zu würdigen5.

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Eine als falsch erkannte Rechtsauffassung muss es zum frühest möglichen Zeitpunkt aufgeben, auch wenn der Steuerpflichtige auf diese Rechtsauffassung vertraut und entsprechend disponiert haben sollte6. Dies gilt selbst dann, wenn die Finanzbehörde über eine längere Zeitspanne eine rechtsirrige Auffassung vertreten hat7, es sei denn, das Finanzamt hat eine entsprechende Behandlung in den Folgejahren zugesagt8.

Der Grundsatz der Abschnittsbesteuerung schließt danach die Bildung eines Vertrauenstatbestands aus, der über die im Steuerbescheid für ein Veranlagungsjahr zugrunde gelegte Entscheidung hinausgeht9.

Auf dieser Grundlage kann die Nichtbeanstandung einer steuerrechtlich fehlerhaften Handhabung –wie hier die möglicherweise unrichtige ungeprüfte Übernahme der Zuordnung des PKW Audi A3 zum gewillkürten Betriebsvermögen des Klägers in den Vorjahren– keinen schutzwürdigen Vertrauenstatbestand schaffen10.

Dies gilt nach der Rechtsprechung gleichermaßen für die Anforderungen an die Darlegungs- und Nachweispflichten des Steuerpflichtigen in den Folgejahren. Insbesondere kann die Würdigung eines Sachverhalts durch das Finanzamt in früheren Veranlagungszeiträumen nach dem Grundsatz der Abschnittsbesteuerung stets nur auf diese Zeiträume bezogen werden, so dass die aus einer solchen Würdigung für die Zukunft gezogenen Schlüsse –ggf. auch hinsichtlich der Notwendigkeit einer Beweisvorsorge in künftigen Veranlagungszeiträumen– grundsätzlich allein der Verantwortungssphäre des Steuerpflichtigen zuzurechnen sind11.

Nur wenn die frühere tatsächliche Sachverhaltswürdigung möglich war, ist eine bei späterer Aufgabe dieser Würdigung entstehende Beweisnot des Steuerpflichtigen durch angemessene Abmilderung der Regeln für die strenge richterliche Überzeugungsbildung nach § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO zu berücksichtigen12.

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Bundesfinanzhof, Urteil vom 21. August 2012 – VIII R 11/11

  1. Anschluss an BVerfG, Beschluss vom 28.06.1993 – 1 BvR 1346/89, HFR 1993, 544; und BFH, Urteil vom 14.10.2009 – X R 37/07, BFH/NV 2010, 406[]
  2. Anschluss an BFH, Beschlüsse vom 02.08.2004 – IX B 41/04, BFH/NV 2005, 68; und vom 08.06.2006 – IX B 121/05, BFH/NV 2006, 1655[]
  3. BFH, Beschluss vom 17.07.1967 – GrS 1/66, BFHE 91, 393, BStBl II 1968, 344[]
  4. BFH, Urteile vom 09.12.1987 – I R 1/85, BFHE 151, 554, BStBl II 1988, 463; vom 27.09.1988 – VIII R 432/83, BFHE 155, 83, BStBl II 1989, 225; vom 06.12.1990 – IV R 129/89, BFHE 163, 130, BStBl II 1991, 356; vom 14.11.2007 – XI R 37/06, BFH/NV 2008, 365; zur Korrektur fehlerhafter Bilanzansätze nach den Grundsätzen des formellen Bilanzenzusammenhangs siehe BFH, Urteil vom 28.04.1998 – VIII R 46/96, BFHE 185, 492, BStBl II 1998, 443[]
  5. vgl. BFH, Urteile vom 17.10.1990 – I R 182/87, BFHE 162, 307, BStBl II 1991, 136, und vom 12.12.1990 – I R 176/87, BFH/NV 1991, 820[]
  6. BFH, Urteile vom 23.05.1989 – X R 17/85, BFHE 157, 516, BStBl II 1989, 879; vom 05.09.1990 – X R 100/89, BFH/NV 1991, 217; vom 15.04.2004 – IV R 51/02, BFH/NV 2004, 1393, und vom 29.04.2008 – VIII R 75/05, BFHE 221, 136, BStBl II 2008, 817[]
  7. BFH, Urteil vom 22.06.1971 – VIII 23/65, BFHE 103, 77, BStBl II 1971, 749[]
  8. vgl. BFH, Urteile vom 13.12.1989 – X R 208/87, BFHE 159, 114, BStBl II 1990, 274; in BFH/NV 1991, 217, sowie zu zusageähnlichen Vereinbarungen BFH, Urteil vom 11.02.1966 – VI 229/63, BFHE 85, 409, BStBl III 1966, 486[]
  9. BVerfG, Beschluss vom 28.06.1993 – 1 BvR 1346/89, HFR 1993, 544; BFH, Beschluss vom 09.12.2002 – I B 7/02, BFH/NV 2003, 630; BFH, Urteil vom 14.10.2009 – X R 37/07, BFH/NV 2010, 406[]
  10. BFH, Urteil in BFH/NV 1991, 217[]
  11. vgl. BFH, Beschlüsse vom 02.08.2004 – IX B 41/04, BFH/NV 2005, 68; vom 08.06.2006 – IX B 121/05, BFH/NV 2006, 1655[]
  12. vgl. BFH, Beschluss in BFH/NV 2005, 68[]
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