Außenprüfung – und die nur ein Prüfungsjahr betreffenden Prüfungshandlungen

Auch sog. qualifizierte Prüfungshandlungen, die nur ein Prüfungsjahr betreffen, führen dazu, dass die Außenprüfung insgesamt -also auch bezogen auf andere Prüfungsjahre- als nicht unmittelbar nach dem Prüfungsbeginn unterbrochen i.S. des § 171 Abs. 4 Satz 2 AO gilt.

Außenprüfung – und die nur ein Prüfungsjahr betreffenden Prüfungshandlungen

Die Entgegennahme von Buchführungsdaten am Prüfungsort ist eine vom Prüfer veranlasste und damit für den Steuerpflichtigen erkennbar auf die Ermittlung des Steuerfalls gerichtete Handlung, die dem von der Rechtsprechung als qualifizierte Prüfungshandlung anerkannten Verlangen nach der Übergabe von Belegen und Unterlagen gleichsteht.

Wurden Buchführungsdaten vor ihrem Ausdruck zunächst in ein Programm eingelesen und dann programmseitig einer Plausibilitätskontrolle unterzogen, liegt eine dem Prüfer zuzurechnende qualifizierte Prüfungshandlung vor.

Nach § 169 Abs. 1 Satz 1 AO ist der Erlass eines Steuerbescheides nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist. Die Festsetzungsfrist endete gemäß § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO nach vier Jahren, sofern ihr Ablauf nicht nach § 171 Abs. 4 Satz 1 AO durch den Beginn der Außenprüfung, die sich auf die steuerlichen Verhältnisse der Streitjahre erstreckte, gehemmt war. Die Ablaufhemmung tritt indessen nicht ein, wenn die Außenprüfung unmittelbar nach ihrem Beginn aus Gründen, die die Finanzbehörde zu vertreten hat, für die Dauer von mehr als sechs Monaten unterbrochen wird (§ 171 Abs. 4 Satz 2 AO).

Der Ablauf der für die Streitjahre jeweils maßgeblichen Festsetzungsfrist war im hier entschiedenen Fall nach § 171 Abs. 4 Satz 1 AO durch den noch in 2006 anzunehmenden Beginn der Außenprüfung gehemmt.

In der Rechtsprechung ist geklärt, dass der Umfang einer Ablaufhemmung dadurch bestimmt wird, welche Steuerarten und Besteuerungszeiträume die jeweilige Prüfungsanordnung erfasst und hinsichtlich welcher tatsächlich Prüfungshandlungen vorgenommen worden sind1. Der Beginn der Außenprüfung setzt deshalb voraus, dass eine förmliche Prüfungsanordnung erlassen wurde und -wenn auch nur stichprobenweise- tatsächlich Prüfungshandlungen für die in der Prüfungsanordnung genannten Steuerarten und Besteuerungszeiträume vorgenommen wurden2. Die Außenprüfung ist ein formalisiertes, den besonderen Bestimmungen der §§ 193 ff. AO unterliegendes Verfahren, das auf eine umfassende und zusammenhängende Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen angelegt ist (§ 194 Abs. 1, § 199 Abs. 1 AO). Es kann daher unter dem Begriff der Außenprüfung nicht jede, sondern nur eine sog. qualifizierte Ermittlungshandlung des Finanzamt verstanden werden, die für den Steuerpflichtigen erkennbar darauf gerichtet ist, den für die richtige Anwendung der Steuergesetze wesentlichen Sachverhalt zu ermitteln oder zu überprüfen3. Dabei muss es sich um Maßnahmen handeln, die für den Steuerpflichtigen i.S. der §§ 193 ff. AO als Prüfungshandlungen erkennbar sind und geeignet erscheinen, sein Vertrauen in den Ablauf der Verjährungsfrist zu beseitigen4.

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Nach diesen Grundsätzen sind auch die Maßnahmen zu beurteilen, die den Beginn der Außenprüfung bewirken sollen. Mit einer Außenprüfung ist tatsächlich noch nicht begonnen, wenn der Prüfer erscheint und die Prüfungsanordnung übergibt, sondern erst dann, wenn er nach der Übergabe oder Übersendung der Prüfungsanordnung Handlungen zur Ermittlung des Steuerfalls vornimmt. Im Allgemeinen kann davon ausgegangen werden, dass die Handlungen, die der Prüfer am Prüfungsort vornimmt, solche zur Ermittlung des Steuerfalls sind, und zwar auch dann, wenn sie nur auf die Vorlage von Aufzeichnungen, Büchern, Geschäftspapieren u.ä. gerichtet sind5. Als Prüfungshandlungen kommen insoweit das informative Gespräch, das Verlangen nach Belegen und Unterlagen oder Auskünften, ggf. auch von Dritten, in Betracht6. Der Prüfer muss nur ernsthaft mit der Prüfung begonnen haben, auch wenn die Prüfungshandlungen für den Steuerpflichtigen nicht als solche evident sind7.

Nach den vorstehenden Maßstäben hat die Prüferin die Außenprüfung im Streitfall am 13.12 2006 durch ihr Erscheinen am Prüfungsort und die -nach entsprechender Aufforderung erfolgte- Entgegennahme einer CD mit beide Prüfungsjahre betreffenden Buchführungsdaten der Unternehmerin begonnen. In der Entgegennahme von Buchführungsdaten am Prüfungsort ist eine von der Prüferin veranlasste und für den Steuerpflichtigen erkennbar auf die Ermittlung des Steuerfalls gerichtete Handlung zu sehen, die dem von der Rechtsprechung als qualifizierte Prüfungshandlung anerkannten Verlangen nach der Übergabe von Belegen und Unterlagen gleichsteht. Bei der Anforderung und Entgegennahme der Daten-CD handelt es sich auch nicht um eine rein interne Maßnahme des Finanzamt; vielmehr ist sie ohne Weiteres geeignet, das Vertrauen der Unternehmerin in den Ablauf der Verjährungsfrist zu beseitigen.

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Die eingetretene Ablaufhemmung ist nicht deshalb rückwirkend nach § 171 Abs. 4 Satz 2 AO entfallen, weil die Außenprüfung unmittelbar nach ihrem Beginn aus Gründen, die die Finanzverwaltung zu vertreten hat, länger als sechs Monate unterbrochen worden wäre.

Die Frage, ob eine Außenprüfung unmittelbar nach ihrem Beginn unterbrochen worden ist, ist grundsätzlich nach den Verhältnissen im Einzelfall zu beurteilen. Dabei sind neben dem zeitlichen Umfang der bereits durchgeführten Prüfungsmaßnahmen alle Umstände zu berücksichtigen, die Aufschluss über die Gewichtigkeit der Prüfungshandlungen vor der Unterbrechung geben. Unabhängig vom Zeitaufwand ist eine Unterbrechung unmittelbar nach Beginn der Prüfung dann anzunehmen, wenn der Prüfer über Vorbereitungshandlungen, allgemeine Informationen über die betrieblichen Verhältnisse, das Rechnungswesen und die Buchführung und/oder die Sichtung der Unterlagen des zu prüfenden Steuerfalls bzw. ein allgemeines Aktenstudium nicht hinausgekommen ist8. Eine Außenprüfung ist danach nicht mehr unmittelbar nach Beginn unterbrochen, wenn die Prüfungshandlungen von Umfang und Zeitaufwand gemessen an dem gesamten Prüfungsstoff erhebliches Gewicht erreicht oder erste verwertbare Ergebnisse gezeitigt haben9. Letzteres bedeutet allerdings nicht, dass die ermittelten Ergebnisse geeignet sein müssen, unmittelbar als Besteuerungsgrundlage Eingang in einen Steuer- oder Feststellungsbescheid zu finden; ausreichend ist vielmehr, dass Ermittlungsergebnisse vorliegen, an die bei der Wiederaufnahme der Prüfung angeknüpft werden kann10. Für die Beendigung einer Prüfungsunterbrechung hat der BFH es insoweit als Nachweis ausreichen lassen, dass der Prüfer seine Erkenntnisse in seiner Arbeitsakte festhält, so dass im Falle eines Streites durch die Vorlage der Handakte des Prüfers beim Finanzgericht die Prüfungstätigkeit nachvollzogen werden kann6. Auch hinreichend dokumentierte interne -d.h. nach außen nicht offen gelegte- Prüfungshandlungen des Finanzamt sind insoweit geeignet, das Vertrauen des Steuerpflichtigen in den Ablauf der Verjährungsfrist zu beseitigen11.

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Nach diesen Grundsätzen ist die Prüfung der Unternehmerin bezogen auf das Streitjahr 2001 nicht unmittelbar nach ihrem Beginn unterbrochen worden und lässt eine spätere Unterbrechung der Prüfung die eingetretene Ablaufhemmung unberührt6.

Ausweislich der Handakten der Prüferin ist die Prüfung nach ihrer Aufnahme am 13.12 2006 zeitnah fortgesetzt worden. So ergibt sich aus den vorhandenen, allerdings lediglich das Streitjahr 2001 betreffenden Datenausdrucken, dass die Prüferin am 20. und 21.12 2006 und sodann wieder am 16.01.2007 das Jahr 2001 betreffende Ausdrucke vorgenommen und einzelne Positionen mit amtsinternen Daten abgeglichen hat. Da es sich um Datenausdrucke unter dem Verfahren IDEA handelt, ist insoweit davon auszugehen, dass die Prüferin die Buchführungsdaten der Unternehmerin vor dem Ausdruck zunächst in dieses Programm eingelesen und sodann einer vom Programm vorgesehenen Plausibilitätskontrolle unterzogen hat. Bereits insoweit handelt es sich um eine qualifizierte Prüfungshandlung, die der Prüferin als derjenigen Person, die die Plausibilitätskontrolle und den nachfolgenden Datenausdruck veranlasst hat, zuzurechnen ist.

Aus dem von der Unternehmerin hinsichtlich der Richtigkeit der Eintragungen nicht angezweifelten Beschäftigungstagebuch ergibt sich insoweit, dass die Prüferin nach der Prüfungsvorbereitung am 30. Oktober, 1. und 2.11.2006 und der Entgegennahme der Daten-CD am 13.12 2006 sowohl in der Zeit vom 20. bis 22.12 2006 als auch vom 15. bis 17.01.2007 und am 22.01.2007 inhaltliche Prüfungen vorgenommen hat. In ihrer Zeugenaussage vor dem Finanzgericht hat die Prüferin dazu bekundet, dass sie die Anwachsungsvorgänge aus dem Jahr 2001 nachvollzogen, in der Sache aber keinen Grund für Beanstandungen gefunden habe.

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Die so dokumentierte Überprüfung der angesprochenen Anwachsungsvorgänge geht über das Stadium von Vorbereitungshandlungen, der Einholung allgemeiner Informationen über die betrieblichen Verhältnisse, das Rechnungswesen und die Buchführung sowie die bloße Sichtung der Unterlagen des zu prüfenden Steuerfalls oder ein allgemeines Aktenstudium hinaus; die Prüfung führte zu ersten auswertbaren Ergebnissen, an die bei der Wiederaufnahme der Prüfung angeknüpft werden konnte (hier: ordnungsgemäße Erfassung der Anwachsungen in den Büchern der Unternehmerin).

Der Bundesfinanzhof kann offen lassen, ob im Streitfall auch für das Streitjahr 2002 qualifizierte Prüfungshandlungen (hier: durch Einlesen der entsprechenden Buchführungsdaten und eine Plausibilitätskontrolle) vorgelegen haben, denn die das Prüfungsjahr 2001 betreffenden qualifizierten Prüfungshandlungen haben zur Folge, dass die Außenprüfung insgesamt -also auch bezogen auf das Streitjahr 2002- als nicht unmittelbar nach dem Prüfungsbeginn unterbrochen gilt.

Hierfür spricht zunächst der Wortlaut des § 171 Abs. 4 Satz 2 AO, der insoweit von demjenigen des Satzes 1 der Vorschrift abweicht. § 171 Abs. 4 Satz 1 AO legt für den Beginn einer Außenprüfung vor Ablauf der Festsetzungsfrist fest, dass die Festsetzungsfrist für die Steuern, auf die sich die Außenprüfung erstreckt, nicht abläuft, bevor die auf Grund der Außenprüfung zu erlassenden Steuerbescheide unanfechtbar geworden sind oder nach Bekanntgabe der Mitteilung nach § 202 Abs. 1 Satz 3 drei Monate verstrichen sind. Nach Satz 2 der Vorschrift gilt dies hingegen nicht, wenn eine Außenprüfung unmittelbar nach ihrem Beginn für die Dauer von mehr als sechs Monaten aus Gründen unterbrochen wird, die die Finanzbehörde zu vertreten hat. Der Satz 2 stellt mithin auf die Unterbrechung der Außenprüfung ab. Da aber die Außenprüfung i.S. der Abgabenordnung gemäß § 194 Abs. 1 Satz 2 AO mehrere Steuerarten und Besteuerungszeiträume umfassen kann und hierauf abgestimmt der Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 4 Satz 1 AO die Steuern unterworfen sind, auf die sich die Außenprüfung erstreckt oder erstrecken soll, ist dieses Verständnis der einheitlichen Außenprüfung -mangels einer anderslautenden gesetzlichen Regelung- auch der Bestimmung des § 171 Abs. 4 Satz 2 AO zugrunde zu legen.

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Dem vorgenannten Normverständnis kann kein schützenswertes Vertrauen des Steuerpflichtigen in den Ablauf der Verjährungsfrist entgegengehalten werden. Denn ein solches Vertrauen kann sich, nachdem dem Steuerpflichtigen der Beginn der Außenprüfung bekannt geworden ist und der Prüfungsumfang nach der Prüfungsanordnung feststeht, nur auf die Unterbrechung der Außenprüfung als solche, nicht hingegen auf den Inhalt der Prüfung beziehen. Ein hierauf gerichtetes Vertrauen wird aber bereits durch die Dokumentation qualifizierter Prüfungshandlungen erschüttert.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 26. April 2017 – I R 76/15

  1. BFH, Urteile vom 11.08.1993 – II R 34/90, BFHE 172, 393, BStBl II 1994, 375; vom 17.06.1998 – IX R 65/95, BFHE 186, 485, BStBl II 1999, 4; vom 19.03.2009 – IV R 26/08, BFH/NV 2009, 1405; BFH, Urteil vom 30.03.2011 – I R 41/10, BFH/NV 2011, 1285[]
  2. ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH, Urteil vom 02.02.1994 – I R 57/93, BFHE 173, 487, BStBl II 1994, 377, m.w.N.; BFH, Urteile vom 24.04.2003 – VII R 3/02, BFHE 202, 32, BStBl II 2003, 739; vom 16.06.2015 – IX R 51/14, BFHE 251, 98, BStBl II 2016, 13[]
  3. ständige Rechtsprechung, vgl. BFH, Urteil in BFHE 202, 32, BStBl II 2003, 739, m.w.N.[]
  4. BFH, Urteile vom 15.12 1989 – VI R 151/86, BFHE 159, 296, BStBl II 1990, 526, m.w.N.; in BFHE 202, 32, BStBl II 2003, 739[]
  5. BFH, Urteile in BFH/NV 2009, 1405; vom 19.03.2009 – IV R 27/08[]
  6. BFH, Urteil in BFHE 202, 32, BStBl II 2003, 739[][][]
  7. vgl. BFH, Urteile vom 17.08.1980 – II R 119/77, BFHE 131, 437, BStBl II 1981, 409; in BFHE 202, 32, BStBl II 2003, 739[]
  8. BFH, Urteile in BFHE 202, 32, BStBl II 2003, 739; vom 18.02.2009 – V R 82/07, BFHE 225, 198, BStBl II 2009, 876, m.w.N.; vom 26.06.2014 – IV R 51/11, BFH/NV 2014, 1716[]
  9. BFH, Urteile in BFHE 202, 32, BStBl II 2003, 739; in BFH/NV 2014, 1716[]
  10. BFH, Beschluss vom 31.08.2011 – I B 9/11, BFH/NV 2011, 2011, m.w.N.[]
  11. so bereits BFH, Urteil vom 11.10.1983 – VIII R 11/82, BFHE 139, 496, BStBl II 1984, 125[]
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