Austausch der Schätzungsmethode – und die Hinweispflicht des Finanzgerichts

Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs gebietet einen vorherigen gerichtlichen Hinweis gemäß § 76 Abs. 2 FGO, wenn das Finanzgericht eine Schätzungsmethode anwenden will, die den bereits erörterten Schätzungsmethoden nicht mehr ähnlich ist oder die Einführung neuen Tatsachenstoffs erforderlich wird. Dies ist u.a. dann der Fall, wenn das Finanzgericht beabsichtigt, anstelle einer Schätzung anhand eines äußeren Betriebsvergleichs (Richtsatzschätzung) eine griffweise Hinzuschätzung in Gestalt eines -an die betrieblichen Daten des Steuerpflichtigen anknüpfenden- Sicherheitszuschlags vorzunehmen.

Austausch der Schätzungsmethode – und die Hinweispflicht des Finanzgerichts

Indem das Finanzgericht die vom Finanzamt im vorliegenden Fall für sachgerecht gehaltene Schätzung anhand eines äußeren Betriebsvergleichs (Richtsatzschätzung) durch eine anderweitige Schätzungsmethode ersetzt hat, hat es seine Hinweispflicht aus § 76 Abs. 2 FGO nicht beachtet und verfahrensfehlerhaft eine Überraschungsentscheidung getroffen, durch die der Anspruch der Kläger auf Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes i.V.m. § 96 Abs. 2 FGO verletzt wurde.

Eine Überraschungsentscheidung in diesem Sinne liegt vor, wenn das Gericht dem Rechtsstreit eine Wendung gegeben hat, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht rechnen musste. Auf rechtliche Umstände, die ein Beteiligter selbst hätte sehen können und müssen, muss er dagegen nicht hingewiesen werden1.

Es entspricht gefestigten Grundsätzen höchstrichterlicher Rechtsprechung, dass ein Finanzgericht im Rahmen der gebotenen Gewährung rechtlichen Gehörs zwar grundsätzlich nicht gehalten ist, die Beteiligten darauf hinzuweisen, dass es -wie im Streitfall- von seiner eigenen gesetzlichen Schätzungsbefugnis nach § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 FGO i.V.m. § 162 AO Gebrauch machen will. So wie aber die überraschende Einführung neuer rechtlicher Gesichtspunkte durch das Finanzgericht eine Verletzung rechtlichen Gehörs darstellen kann, gilt dies ebenso für die Anwendung bisher nicht erörterter Schätzungsmethoden, die in ihrer Qualität einem nicht erkennbaren neuen rechtlichen Gesichtspunkt vergleichbar sind. Hieraus folgt indes noch nicht, dass das Finanzgericht jede Änderung oder Abwandlung der Schätzungsmethode vorweg offenlegen müsste, wenn und soweit die betreffenden Schätzungsmethoden einander ähnlich oder voneinander abgeleitet sind2. Allerdings ist nach diesen Maßstäben ein Hinweis nach § 76 Abs. 2 FGO geboten, wenn das Finanzgericht eine Schätzungsmethode anwenden will, die den bereits erörterten Schätzungsmethoden nicht mehr ähnlich ist oder die Einführung neuen Tatsachenstoffs erforderlich wird3.

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Diesen Grundsätzen entspricht die hier angefochtene Entscheidung des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz4 nicht. Das Finanzgericht hat die vom Finanzamt zugrunde gelegte Schätzungsmethode verworfen, da sich keine Begründung dafür habe finden lassen, weshalb von dem per Richtsatzschätzung ermittelten Mehrumsatz ein Sicherheitsabschlag von gerade 30 % in Abzug gebracht worden sei. Den Finanzgericht-Akten kann nicht entnommen werden, dass das Finanzgericht entweder vorab schriftlich oder in der mündlichen Verhandlung die Beteiligten darauf hingewiesen hat, es sei beabsichtigt, anstelle einer Richtsatzschätzung auf eine andere -als „pauschaler Sicherheitszuschlag“ bezeichnete- Schätzungsmethode zurückzugreifen. Zwar führen die Kläger in ihrer Beschwerde -vom Finanzamt auch nicht in Abrede gestellt- selbst an, im Zuge des Rechtsgesprächs habe das Finanzgericht Mängel der Schätzung des Finanzamtes benannt.  Hieraus lässt sich für den Bundesfinanzhof allerdings nicht ableiten, das Finanzgericht habe den Beteiligten auch rechtliches Gehör zu den einzelnen Umständen der von ihm alternativ erwogenen Schätzungsmethode gewährt. Dies wäre allerdings geboten gewesen, da nicht nur die Höhe der vom Finanzgericht für sachgerecht erachteten Hinzuschätzungen, sondern insbesondere auch die Methode, die -anders als eine Richtsatzschätzung- ausschließlich einzelne vom Kläger selbst erklärte Erlöse als Schätzungsparameter zugrunde legt, erheblich von der Schätzung des Finanzamtes abweicht. Diese Vorgehensweise des Finanzgericht kommt in seiner Qualität einem nicht erkennbaren neuen rechtlichen Gesichtspunkt gleich.

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Diesen Verfahrensfehler haben die Kläger auch ausdrücklich gerügt. Sie haben ferner dargelegt, dass die Entscheidung des Finanzgericht auf dem gerügten Verstoß gegen die gerichtliche Hinweispflicht i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO beruhen kann. Denn die Kläger haben im Einzelnen ausgeführt, aus welchen Gründen sie die vom Finanzgericht angewandte -ihnen zuvor nicht offenbarte- Schätzungsmethode als rechtlich unzutreffend ansehen.

Welche (Hinzu-)Schätzungsmethode sachgerecht erscheint, obliegt allein der Entscheidung der Tatsacheninstanz. Der Steuerpflichtige hat grundsätzlich keinen Anspruch auf die Anwendung einer bestimmten Methode5. Allerdings muss sich das Finanzgericht einer Methode bedienen, die geeignet ist, ein vernünftiges und der Wirklichkeit entsprechendes Ergebnis abzubilden6

Bundesfinanzhof, Beschluss vom 21. August 2019 – X B 120/18

  1. vgl. u.a. BFH, Beschluss vom 10.03.2016 – X B 198/15, BFH/NV 2016, 1042, Rz 13, m.w.N.[]
  2. vgl. BFH, Urteil vom 02.02.1982 – VIII R 65/80, BFHE 135, 158, BStBl II 1982, 409[]
  3. BFH, Entscheidungen vom 10.09.2013 – XI B 114/12, BFH/NV 2013, 1947, Rz 12; vom 19.01.2018 – X B 60/17, BFH/NV 2018, 530, Rz 17; in BFHE 135, 158, BStBl II 1982, 409[]
  4. FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 14.08.2018 – 3 K 1432/17[]
  5. BFH, Urteil in BFHE 249, 390, BStBl II 2015, 743, Rz 61[]
  6. BFH, Beschluss in BFH/NV 2019, 1, Rz 12, m.w.N.[]
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