Ein Auskunftsersuchen der Finanzbehörde gemäß § 93 Abs. 1 Satz 3 AO ist bereits möglich, wenn es aufgrund konkreter Umstände angezeigt ist, weitere Auskünfte auch bei Dritten einzuholen1.

Die Art und der Umfang der Ermittlungen der Finanzbehörden richten sich gemäß § 88 Abs. 2 Satz 1 AO nach den Umständen des Einzelfalls sowie nach den Grundsätzen der Gleichmäßigkeit, Gesetzmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit; an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten ist sie nicht gebunden.
Aus diesem Grunde hindert die bloße Behauptung der Klägerin, die Zahlungen der Rezeptabrechnungsstelle seien vollständig erfasst, die Finanzbehörde nicht, eine Kalkulation vorzunehmen und sich (daneben) insbesondere sämtliche Zahlungen bescheinigen zu lassen. Denn schon aufgrund des verfassungsrechtlich gebotenen Verifikationsprinzips2 müssen die Finanzbehörden in der Lage sein, Angaben des Steuerpflichtigen effektiv auf ihre Richtigkeit überprüfen zu können3. Der Steuerpflichtige hat gemäß § 93 Abs. 1 Satz 1 AO die für die Kalkulation aus Sicht der Finanzbehörde notwendigen Auskünfte zu erteilen. Diese Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen ergibt sich im Rahmen der Außenprüfung aus § 200 Abs. 1 Satz 2 AO.
Das Finanzamt durfte im Streitfall im Rahmen seiner Außenprüfung zu der Einschätzung gelangen, die Auskünfte könnten zur Aufdeckung steuererheblicher Tatsachen führen. Es reicht aus, dass steuerlich erhebliche Tatsachen betroffen sind, die die finanzbehördlichen Entscheidungen in einem steuerrechtlichen Verwaltungsverfahren beeinflussen können4. Die in diesem Sinne erheblichen, mitzuteilenden „Tatsachen“ müssen lediglich im Rahmen einer Prognoseentscheidung der Finanzbehörde möglich sein5. Davon zu unterscheiden sind Einwendungen des Steuerpflichtigen gegen die Schätzung. Sie lassen das Recht des Finanzamt, nach § 93 Abs. 1 Satz 3 AO weitere Auskünfte auch bei Dritten einzuholen, unberührt.
Vorliegend ergibt sich bereits aus den vom Finanzamt im Rahmen der Prüfung festgestellten Kalkulationsdifferenzen, dass die Daten zu den einzelnen Rezepten einer weitergehenden Überprüfung bedurften. Soweit die Klägerin behauptet, diese Daten hätten dem Finanzamt während der Außenprüfung in anderer Form bereits vorgelegen, ist sie -unabhängig davon, ob sich bereits deshalb die Vorlage der angeforderten Rezeptdaten erübrigt hätte- einen Nachweis für die Richtigkeit dieser Behauptung schuldig geblieben.
Ein hinreichender Anlass für ein solches Auskunftsersuchen liegt auch -anders als es die Klägerin annimmt- nicht erst vor, wenn ein begründeter Verdacht dafür besteht, dass steuerrechtliche Unregelmäßigkeiten gegeben sind. Es genügt vielmehr, wenn anhand konkreter Umstände -hier die Ungenauigkeiten der Ergebnisse der bisherigen Verprobung, die auf dem lediglich geschätzten Verhältnis zwischen rezept- und nichtrezeptpflichtigen Medikamenten beruhte- ein Auskunftsersuchen angezeigt ist. Abzustellen ist insoweit allein auf den Zeitpunkt des Auskunftsersuchens. Sollte sich, wie von der Klägerin lediglich behauptet, im weiteren Verfahren herausgestellt haben, dass die Rezeptdaten die Ungenauigkeiten des Verprobungsergebnisses nicht aufgeklärt hätten, ist dies deshalb im vorliegenden Verfahren ohne Bedeutung.
Da die Klägerin sich weigerte, dem Finanzamt die geforderten Daten zur Verfügung zu stellen, obwohl sie dazu gemäß § 93 Abs. 1 AO i.V.m. § 200 Abs. 1 Satz 2 AO verpflichtet gewesen ist, durfte sich das Finanzamt gemäß § 93 Abs. 1 Satz 3 AO an die Rezeptabrechnungsstelle als Dritte wenden.
Die fehlende Mitwirkung der Klägerin ist im hier entschiedenen Fall vom Finanzgericht festgestellt worden6. Da die Klägerin dies nicht mit Verfahrensrügen angegriffen hat, ist der Bundesfinanzhof gemäß § 118 Abs. 2 FGO an diese Feststellung gebunden.
Wegen der fehlenden Mitwirkung der Klägerin war das Finanzamt berechtigt, sich gemäß § 93 Abs. 1 Satz 3 AO an die Rezeptabrechnungsstelle als andere Person zu wenden. Dies unterscheidet den vorliegenden Sachverhalt von demjenigen, der dem BFH-Urteil vom 28.10.20207 zugrunde lag. Dort hatte sich das Finanzamt ohne vorherige Sachverhaltsaufklärung beim Steuerpflichtigen unmittelbar an die andere Person gewandt. Ob insoweit die Voraussetzungen des § 93 Abs. 1 Satz 3 AO beachtet worden waren, hatte der Bundesfinanzhof mangels geeigneter Feststellungen des Finanzgericht nicht überprüfen können.
Die von der Klägerin erhobene Verfahrensrüge, das Finanzgericht habe seine Sachaufklärungspflicht gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO verletzt, da es die von ihr benannten Zeugen nicht vernommen habe, hat der Bundesfinanzhof geprüft. Sie ist jedenfalls mangels Erheblichkeit einer solchen Zeugeneinvernahme für die Beurteilung der Richtigkeit des Auskunftsersuchens unbegründet. Der Bundesfinanzhof sieht insoweit von einer weitergehenden Begründung ab (§ 126 Abs. 6 Satz 1 FGO).
Bundesfinanzhof, Urteil vom 14. April 2021 – X R 25/19
- BFH, Urteil in BFHE 251, 112, BStBl II 2016, 135, Rz 38 ff.[↩]
- BVerfG, Urteil vom 27.06.1991 – 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239, unter C.I. 2.[↩]
- BFH, Beschluss vom 20.06.2011 – X B 234/10, BFH/NV 2011, 1829, Rz 6[↩]
- vgl. Schuster in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 93 AO Rz 10[↩]
- BFH, Urteil vom 29.10.1986 – VII R 82/85, BFHE 148, 108, BStBl II 1988, 359, unter II. 3.a, ständige Rechtsprechung[↩]
- FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 14.03.2019 – 9 K 9069/18, EFG 2019, 1430[↩]
- BFH, Urteil vom 28.10.2020 – X R 37/18, BFHE 271, 28, BFH/NV 2021, 365[↩]