Das Betriebs-Finanzamt der Mitunternehmerschaft hat über die Einstellung des Veräußerungsgewinns in eine sonderbilanzielle Rücklage nach § 6b EStG zu entscheiden, auch wenn ein Mitunternehmer seinen gesamten Mitunternehmeranteil veräußert hat. Über die später wegen des Ablaufs der Reinvestitionsfrist erforderliche Auflösung einer solchen Rücklage ist nicht im Gewinnfeststellungsverfahren der Mitunternehmerschaft, sondern im Einkommensteuerverfahren des früheren Mitunternehmers zu entscheiden.

Wenn die Rücklage nach § 6b EStG im Gewinnfeststellungsverfahren der Mitunternehmerschaft erst aufgrund eines Rechtsbehelfs des Steuerpflichtigen berücksichtigt wird, ermöglicht § 174 Abs. 4 der Abgabenordnung für den Veranlagungszeitraum des Ablaufs der Reinvestitionsfrist die Änderung eines bestandskräftigen Einkommensteuerbescheids des früheren Mitunternehmers, um den Gewinn aus der Auflösung der Rücklage zu erfassen.
Ist der Gewinn aus der Veräußerung des gesamten Mitunternehmeranteils in eine Rücklage nach § 6b EStG eingestellt worden und ist diese Rücklage nicht bis zum Ablauf der Reinvestitionsfrist von den Anschaffungs- oder Herstellungskosten hierfür geeigneter Wirtschaftsgüter abgezogen worden, muss die Gewinnerhöhung, die sich aus der Auflösung der Rücklage ergibt, unmittelbar im Einkommensteuerverfahren des in diesem Veranlagungszeitraum weder an der Mitunternehmerschaft noch an deren Gewinnfeststellungsverfahren beteiligten ehemaligen Gesellschafters berücksichtigt werden.
Nach § 6b Abs. 1 EStG kann der Gewinn aus der Veräußerung unter anderem von Grund und Boden sowie Gebäuden im Wirtschaftsjahr der Veräußerung von den Anschaffungs- oder Herstellungskosten bestimmter Wirtschaftsgüter gewinnneutral abgezogen werden. Statt eines solchen Abzugs können Steuerpflichtige im Wirtschaftsjahr der Veräußerung eine den steuerlichen Gewinn mindernde Rücklage bilden (§ 6b Abs. 3 Satz 1 EStG). Bis zur Höhe dieser Rücklage können sie von den Anschaffungs- oder Herstellungskosten bestimmter Wirtschaftsgüter, die in den folgenden -grundsätzlich- vier Wirtschaftsjahren angeschafft oder hergestellt werden, im Wirtschaftsjahr ihrer Anschaffung oder Herstellung einen Betrag abziehen; zugleich ist die Rücklage in Höhe des abgezogenen Betrags gewinnerhöhend aufzulösen (§ 6b Abs. 3 Satz 2 und 4 EStG). Ist eine Rücklage am Schluss des vierten auf ihre Bildung folgenden Wirtschaftsjahres noch vorhanden, ist sie -soweit nicht ein Abzug von den Herstellungskosten von Gebäuden in Betracht kommt, mit deren Herstellung bis zu diesem Zeitpunkt begonnen worden ist- in diesem Zeitpunkt gewinnerhöhend aufzulösen (§ 6b Abs. 3 Satz 5 EStG). In diesem Fall ist der Gewinn des Wirtschaftsjahres, in dem die Rücklage aufgelöst wird, für jedes volle Wirtschaftsjahr, in dem die Rücklage bestanden hat, um 6 % des aufgelösten Rücklagenbetrags zu erhöhen (§ 6b Abs. 7 EStG).
Aus § 34 Abs. 1 Satz 4 EStG folgt, dass eine Rücklage nach § 6b EStG -wie im Streitfall- auch für den Gewinn aus der Veräußerung eines Mitunternehmeranteils gebildet werden kann1. Ungeachtet dessen, dass die Entscheidung über die Bildung der Rücklage in einem solchen Fall nur für die Besteuerung des ausscheidenden Gesellschafters Bedeutung hat, ist sie gemäß § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO im Gewinnfeststellungsverfahren der Personengesellschaft zu treffen, aus der der Gesellschafter ausgeschieden ist. Dies ist damit begründet worden, dass die Voraussetzungen für die Rücklagenbildung vorrangig in den Wissens- und Beurteilungsbereich des Betriebs-Finanzamt der Personengesellschaft fallen2.
Da die Rücklage in einem solchen Fall nicht Bestandteil der Gesamthandsbilanz der Mitunternehmerschaft ist, bleibt bilanztechnisch nur die Möglichkeit, sie in eine Sonderbilanz des ausscheidenden Gesellschafters einzustellen3.
Die spätere Auflösung einer solchen Rücklage führt zu nachträglichen gewerblichen Einkünften des ehemaligen Gesellschafters im Sinne des § 24 Nr. 2 EStG4.
Die durch § 6b EStG ermöglichte Übertragung stiller Reserven ist -mit Ausnahme von Gewinnen, die durch Veräußerungen in den Jahren 1999 bis 2001 entstanden sind- gesellschafterbezogen und daher rechtsträgerübergreifend. So kann ein dem Gesellschafter zuzurechnender Veräußerungsgewinn nicht nur im veräußernden Betrieb, sondern auch von den Anschaffungs- oder Herstellungskosten von Wirtschaftsgütern eines Einzelbetriebsvermögens des Gesellschafters, seines Sonderbetriebsvermögens in einer anderen Mitunternehmerschaft oder -bis zur Höhe seines ideellen Anteils- von Wirtschaftsgütern des Gesamthandsvermögens einer anderen Personengesellschaft, an der er beteiligt ist (im Folgenden: investierender Betrieb), abgezogen werden5.
Der BFH hat sich schon mehrfach mit der Frage befasst, in welchem Besteuerungsverfahren über eine solche rechtsträgerübergreifende Übertragung der in der Rücklage verkörperten stillen Reserven zu entscheiden ist.
- Dem Urteil vom 12.07.19906 lag zugrunde, dass der Ehemann sein Einzelunternehmen veräußert und den Gewinn in eine Rücklage nach § 6b EStG eingestellt hatte. Diese zog er von den (gesamten) Herstellungskosten eines neu hergestellten Wirtschaftsguts des Gesamthandsvermögens einer Mitunternehmerschaft ab, an der er und seine Ehefrau jeweils zur Hälfte beteiligt waren. Im Gewinnfeststellungsverfahren wurde dies vom Betriebs-Finanzamt der Mitunternehmerschaft beanstandet, das die Übertragung der Rücklage auf die hälftige Beteiligung des Ehemanns an den Herstellungskosten des Investitionsobjekts begrenzte und die Rücklage im Übrigen -im Wege der Erhöhung des Gewinns der investierenden Mitunternehmerschaft- auflöste. Der IV. Bundesfinanzhof des Bundesfinanzhofs führte hierzu aus, über die Höhe des Gewinns aus der Veräußerung und dessen Versteuerung sei im Verfahren des veräußernden Betriebs zu entscheiden, über den Umfang der Übertragungsmöglichkeit hingegen im Verfahren des investierenden Betriebs7. Es sei jedenfalls nicht zulässig, den im veräußernden Einzelunternehmen entstandenen Gewinn in das Gewinnfeststellungsverfahren der investierenden Mitunternehmerschaft einzubeziehen und den Gewinn, der sich aus der -mangels rechtzeitiger Investition erforderlichen- Auflösung der Rücklage ergebe, dort anzusetzen.
- In ausdrücklicher Anknüpfung an diese Entscheidung hat der IV. Bundesfinanzhof des Bundesfinanzhofs im Beschluss vom 09.09.20058 ausgeführt, ein Mitunternehmer, der die Übertragung eines Rücklagenbetrags auf die Anschaffungs- oder Herstellungskosten eines Reinvestitionsguts eines anderen Betriebs begehre, müsse im investierenden Betrieb die Feststellung eines höheren Gewinns -als Auswirkung der durch die Minderung der Anschaffungs- oder Herstellungskosten verringerten Absetzung für Abnutzung- beantragen. Hingegen könne im veräußernden Betrieb nicht über den Umfang der Übertragung einer Rücklage entschieden werden, da dies außer Acht ließe, dass es sich bei dem Reinvestitionsobjekt um ein Wirtschaftsgut des Gesamthandsvermögens der investierenden Mitunternehmerschaft handele, das zwingend Gegenstand des entsprechenden Gewinnfeststellungsverfahrens sei.
- Davon zumindest in einigen tragenden Formulierungen abweichend hat der IV. Bundesfinanzhof des Bundesfinanzhofs im Urteil vom 19.12.20129 entschieden, auch das Wahlrecht auf Übertragung der Rücklage auf Reinvestitionsgüter anderer Betriebe sei in der Bilanz des veräußernden Betriebs auszuüben. Hierfür spreche schon § 6b Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 EStG, wonach die Bildung und Auflösung der Rücklage in der Buchführung verfolgt werden können müsse. Wenn die Rücklage im veräußernden Betrieb zu einem bestimmten Bilanzstichtag fortgeführt worden sei und die Voraussetzungen für eine Bilanzänderung (§ 4 Abs. 2 Satz 2 EStG) nicht erfüllt seien, sei eine Übertragung der Rücklage auf in diesem Veranlagungszeitraum angeschaffte oder hergestellte Reinvestitionsgüter eines anderen Betriebs verfahrensrechtlich nicht mehr möglich.
- In seinem Urteil vom 16.12.202110 hat der IV. Bundesfinanzhof dann ausdrücklich offengelassen, ob an den beiden vorstehend zitierten Entscheidungen11 noch festgehalten werden könne. Denn die Bindungswirkung eines Bescheids für ein anderes Verwaltungsverfahren könne nur dann angenommen werden, wenn es dafür eine gesetzliche Grundlage gebe. Es bestünden aber erhebliche Zweifel, ob der Norm des § 6b EStG eine derartige Anordnung eines gestuften Verwaltungsverfahrens mit Bindungswirkung für andere Bescheide zu entnehmen sei.
- Als gesichert kann jedenfalls gelten, dass eine Rücklage als solche -ohne gleichzeitigen Abzug von den Anschaffungs- oder Herstellungskosten eines Reinvestitionsguts- nicht in einen anderen Betrieb übertragen und in der dortigen Bilanz fortgeführt werden kann12. Sie ist vielmehr bis zum tatsächlichen Abzug von den Anschaffungs- oder Herstellungskosten eines Reinvestitionsguts oder bis zur zwangsweisen Auflösung wegen des Ablaufs der Reinvestitionsfrist in der Bilanz beziehungsweise Sonderbilanz des veräußernden Betriebs fortzuführen.
Eine Fallgestaltung wie die hier zu beurteilende ist -in Bezug auf § 6b EStG- von der höchstrichterlichen Rechtsprechung bisher nicht entschieden worden, weshalb auch der Anregung der Mitunternehmer, das in § 11 FGO vorgesehene Verfahren einzuleiten, nicht nachzukommen ist. Der Streitfall ist -im Gegensatz zu den Sachverhalten, die sämtlichen vorstehend unter d erwähnten Entscheidungen zugrunde lagen- dadurch gekennzeichnet, dass der Steuerpflichtige an der Mitunternehmerschaft, in der der Veräußerungsgewinn entstanden und in eine sonderbilanzielle Rücklage nach § 6b EStG eingestellt worden war, im Zeitpunkt des Ablaufs der Reinvestitionsfrist nicht mehr beteiligt war.
In einem solchen Fall kommt eine Auflösung der Rücklage im Rahmen des Gewinnfeststellungsverfahrens der Mitunternehmerschaft nicht in Betracht. Denn nach § 179 Abs. 2, § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO sind einkommensteuerpflichtige Einkünfte und mit ihnen im Zusammenhang stehende andere Besteuerungsgrundlagen -nur dann- gesondert und einheitlich festzustellen, wenn an den Einkünften mehrere Personen beteiligt sind und die Einkünfte diesen Personen steuerlich zuzurechnen sind. Beide Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn der frühere Gesellschafter aufgrund der Veräußerung seines gesamten Mitunternehmeranteils aus der Mitunternehmerschaft ausgeschieden ist. Er verliert mit seinem Ausscheiden nicht nur seine gesellschaftsrechtliche Beteiligung an den Einkünften der Gesellschaft; ihm sind auch -aufgrund des Wegfalls seiner Mitunternehmerstellung und damit des Merkmals der gemeinschaftlichen Einkünfteerzielung- ab dem Beginn des folgenden Wirtschaftsjahres die Einkünfte der Mitunternehmerschaft steuerlich nicht mehr zuzurechnen.
Aus diesem Grund entspricht es ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung, dass persönliche nachträgliche gewerbliche Einkünfte eines bereits in einem früheren Wirtschaftsjahr aus einer Mitunternehmerschaft ausgeschiedenen Steuerpflichtigen nicht mehr in das Gewinnfeststellungsverfahren der Mitunternehmerschaft einzubeziehen sind13. Dies gilt auch für den -insoweit vergleichbar gelagerten- Fall, dass in einem Veranlagungszeitraum, der zeitlich nach der Aufgabe des Betriebs einer Mitunternehmerschaft liegt, nachträgliche Sonderbetriebsausgaben eines Gesellschafters anfallen14, sowie für nachträgliche Einkünfte eines ausgeschiedenen Gesellschafters einer Personengesellschaft, die Überschusseinkünfte erzielt15. Da die vorgenannte ständige BFH-Rechtsprechung mit Wortlaut und Zweck des § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO in Einklang steht, sieht der Bundesfinanzhof zu einer -von den Mitunternehmern im Ergebnis begehrten- Abweichung von diesen Grundsätzen keinen Anlass.
Die Vermeidung der Durchführung eines Gewinnfeststellungsverfahrens dient in einem solchen Fall auch dem Schutz des ausgeschiedenen Gesellschafters, da eine Sonderbilanz für ausgeschiedene Gesellschafter ebenfalls von der Mitunternehmerschaft aufzustellen ist16. In vielen Fällen werden sich aber nach dem Ausscheiden eines Gesellschafters Interessengegensätze gebildet oder verfestigt haben. Dies zeigt auch der Streitfall, in dem die Mitunternehmer selbst durchgehend auf tiefgreifende Meinungsverschiedenheiten mit den neuen Gesellschaftern und dem neuen Steuerberater der KG verwiesen haben. In einer solchen, nicht nur in Ausnahmefällen bestehenden Situation wäre es nicht sinnvoll, den längst ausgeschiedenen Gesellschafter in eine verfahrensrechtliche Abhängigkeit von den Entscheidungen der Vertreter einer Mitunternehmerschaft zu zwingen, auf die er keinen unmittelbaren Einfluss mehr hat.
Zwar stellt diese rechtliche Beurteilung die Finanzverwaltung vor die Notwendigkeit, einen Informationsfluss vom Betriebs-Finanzamt der Mitunternehmerschaft, in der der ausgeschiedene Gesellschafter die Rücklage gebildet hatte, zum Wohnsitz-Finanzamt des ausgeschiedenen Gesellschafters zu gewährleisten. Da die Finanzverwaltung aber ebenfalls die dargestellte; vom Bundesfinanzhof für zutreffend gehaltene Auslegung des § 6b EStG und des § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO vertritt, ist davon auszugehen, dass sie die Sicherstellung eines solchen Informationsflusses für möglich hält.
Im Streitfall ist auch kein gesondertes Feststellungsverfahren gemäß § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b AO durchzuführen. Danach werden unter anderem Einkünfte aus Gewerbebetrieb gesondert festgestellt, wenn nach den Verhältnissen zum Schluss des Gewinnermittlungszeitraums das für die gesonderte Feststellung zuständige Finanzamt nicht auch für die Steuern vom Einkommen zuständig ist. Würde man in der gegebenen Konstellation die Notwendigkeit einer gesonderten Feststellung bejahen, müsste das Betriebs-Finanzamt der Mitunternehmerschaft neben der einheitlichen und gesonderten Feststellung für diejenigen Personen, die im Feststellungszeitraum der Auflösung der Rücklage Mitunternehmer der Gesellschaft sind -zu denen der ausgeschiedene Gesellschafter nicht gehört, eine zusätzliche gesonderte Feststellung allein für den ausgeschiedenen Mitunternehmer durchführen.
Die Voraussetzungen des § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b AO, der unter anderem auf § 18 Abs. 1 Nr. 2 AO verweist, sind im Streitfall allerdings nicht erfüllt, weil die letztgenannte Vorschrift das Bestehen eines „gewerblichen Betriebs“ erfordert, der neben dem Gewerbebetrieb der Mitunternehmerschaft existiert. Ein solcher eigener Gewerbebetrieb wird von dem ausgeschiedenen Gesellschafter aber nicht allein deshalb unterhalten, weil er noch eine Rücklage nach § 6b EStG fortführt17.
Die vom Bundesfinanzhof für zutreffend gehaltene Gesetzesauslegung wird auch in der Literatur überwiegend vertreten18.
Die von den Mitunternehmern vorgebrachten Einwendungen stehen dieser Auslegung nicht entgegen.
Erstmals in der Revisionsbegründung vertreten die Mitunternehmer unter Hinweis auf das BFH-Urteil vom 27.05.202019 die Auffassung, das bereits vom Finanzgericht gefundene Ergebnis verletze § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG sowie die Grundsätze für die Aufstellung einer geänderten Steuerbilanz (§ 4 Abs. 2 Satz 2 EStG) oder Überleitungsrechnung (§ 60 Abs. 2 Satz 1 EStDV).
Indes sind die von den Mitunternehmern angeführten gesetzlichen Regelungen und die zitierte BFH, Entscheidung im Streitfall schon deshalb nicht anwendbar, weil es hier nicht um eine Bilanzänderung oder die Änderung einer Überleitungsrechnung im Sinne der Ersetzung eines zulässigen Bilanzansatzes durch einen anderen zulässigen Bilanzansatz geht, sondern um den erstmaligen Ansatz eines steuerpflichtigen, von den Mitunternehmern aber nicht erklärten Gewinns beziehungsweise um die zwingende gesetzliche Folge einer in einem früheren Veranlagungszeitraum vom Mitunternehmer zu seinen Gunsten vorgenommenen Wahlrechtsausübung.
Dass § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG „den Gewerbetreibenden“ verpflichtet, die Bilanz (hier: der KG) aufzustellen, ist unbestritten. Davon zu trennen ist aber die -hier entscheidungserhebliche und zu verneinende- Frage, ob die Regelungen des § 6b EStG und des § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO dazu verpflichten, persönliche Auflösungsbeträge eines längst ausgeschiedenen Mitunternehmers noch in ein Gewinnfeststellungsverfahren einzubeziehen.
Zwar verweisen die Mitunternehmer im Ausgangspunkt zutreffend auf den Wortlaut des § 6b Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 EStG, wonach der Abzug nach § 6b Abs. 1 EStG und die Auflösung der Rücklage nach § 6b Abs. 3 EStG in der Buchführung verfolgt werden können müssen. Im Streitfall besteht jedoch ein Normwiderspruch zwischen der gesetzlichen Anordnung in § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO, wonach die Durchführung eines Feststellungsverfahrens die Beteiligung mehrerer Personen an den Einkünften und die steuerliche Zurechnung der Einkünfte an diese Personen voraussetzt, sodass nachträgliche Einkünfte ausgeschiedener Gesellschafter nicht mehr in das Feststellungsverfahren einzubeziehen sind, und der Vorgabe der Verfolgbarkeit in der Buchführung. Dieser Normwiderspruch ist vom Bundesfinanzhof -in Ausübung seiner Kompetenz zur Rechtsfortbildung- dahingehend aufgelöst worden, dass der Anordnung in § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO der Vorrang gegeben wird und die Verfolgbarkeit in der Buchführung -die es für einen bereits in einem Vorjahr ausgeschiedenen ehemaligen Gesellschafter ohnehin nicht mehr gibt- zurücktreten muss.
Die von den Mitunternehmern angeführten Entscheidungen, aus denen sich ihrer Auffassung nach die weitere Zuständigkeit des Betriebs-Finanzamt auch für ausgeschiedene Mitunternehmer ergeben soll20, betreffen allesamt lediglich den Veranlagungszeitraum des Ausscheidens, nicht aber -wie hier- einen Veranlagungszeitraum, der vier Jahre nach dem Ausscheiden liegt.
Ebenso wenig folgt der Bundesfinanzhof dem weiteren Einwand der Mitunternehmer, wonach die Ausübung des Wahlrechts nach § 6b EStG unmittelbare Auswirkungen auf die Höhe der Gewerbesteuer der Mitunternehmerschaft habe, so dass die Entscheidung zwingend im dortigen Gewinnfeststellungsverfahren zu treffen sei.
Der Gewinn aus der Veräußerung des Mitunternehmeranteils des Mitunternehmers als natürlicher Person unterlag nicht der Gewerbesteuer (§ 7 Satz 2 GewStG). Daher hatte die vom Mitunternehmer getroffene und von der Mitunternehmerschaft sonderbilanziell umzusetzende Entscheidung zur Bildung der Rücklage im Jahr 2006 keinen Einfluss auf die Höhe der Gewerbesteuer der KG.
Eine Entscheidung des ausgeschiedenen Gesellschafters, die in seiner Sonderbilanz bei der KG gebildete Rücklage von den Anschaffungs- und Herstellungskosten eines ihm zuzurechnenden Wirtschaftsguts eines anderen Betriebs abzuziehen, wäre für die KG gewinnneutral und würde die Bemessungsgrundlage der Gewerbesteuer daher ebenfalls nicht beeinflussen.
Dass der Gewinn aus der -durch den Ablauf der Reinvestitionsfrist erzwungenen- Auflösung einer Rücklage auch dann der Gewerbesteuer unterliegt, wenn diese Rücklage für einen nicht gewerbesteuerbaren Veräußerungsgewinn gebildet worden ist, wird -soweit ersichtlich- von niemandem vertreten. Auch die Mitunternehmer haben zu dieser Rechtsauffassung keinen Nachweis aus Rechtsprechung, Verwaltungsauffassung oder Literatur angeführt.
Wie bereits dargelegt, führt die Auflösung einer aus einem Veräußerungsgewinn gebildeten Rücklage zu nachträglichen gewerblichen Einkünften im Sinne des § 24 Nr. 2 EStG. Nachträgliche gewerbliche Einkünfte unterliegen aber nicht mehr der Gewerbesteuer, da es -in Ermangelung eines werbenden Betriebs- an einem tauglichen Steuergegenstand fehlt21. Für diese Auffassung spricht auch das BFH-Urteil vom 30.08.201222, wonach die in § 6b Abs. 4 Satz 2 EStG enthaltene Einschränkung, die der Sicherung des Gewerbesteueraufkommens dienen soll, nicht anzuwenden ist, wenn der in die Rücklage eingestellte Gewinn aus einem nicht gewerbesteuerbaren Veräußerungs- oder Aufgabevorgang stammt.
Zwar unterliegt unter anderem der Gewinn aus der Veräußerung eines Mitunternehmeranteils der Gewerbesteuer, soweit er nicht auf eine natürliche Person als unmittelbar beteiligtem Mitunternehmer entfällt (§ 7 Satz 2 GewStG). Über die ertragsteuerrechtliche und verfahrensrechtliche Behandlung eines solchen Falles in Bezug auf § 6b EStG ist aber im vorliegenden Verfahren nicht zu entscheiden. Gleichwohl weist der Bundesfinanzhof darauf hin, dass Verschiebungen von Teilen der Gewerbesteuerbelastung zwischen verschiedenen Steuerobjekten der Gewerbesteuer der Norm des § 6b EStG aufgrund ihrer gesellschafterbezogenen -und damit gegebenenfalls rechtsträgerübergreifenden- Auslegung immanent sind23.
Das Finanzamt war in verfahrensrechtlicher Hinsicht gemäß § 174 Abs. 4 AO zum Erlass des geänderten Einkommensteuerbescheids 2010 berechtigt.
Das erstinstanzlich mit dem hier entschiedenen Fall befasste Finanzgericht München hat zutreffend dargelegt, dass der ursprüngliche Gewinnfeststellungsbescheid 2006 für die KG, in dem die Rücklage noch nicht berücksichtigt war, insoweit aufgrund irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts -hier: der Berechtigung des Mitunternehmers, den Gewinn aus der Veräußerung seines Mitunternehmeranteils in eine Rücklage nach § 6b EStG einzustellen- ergangen und anschließend aufgrund des Einspruchs des Mitunternehmers zu dessen Gunsten geändert worden ist24. Nach § 174 Abs. 4 Satz 1 AO können in einem solchen Fall aus dem Sachverhalt nachträglich durch Änderung eines Steuerbescheids -hier: des Einkommensteuerbescheids der Mitunternehmer für das Jahr 2010 als dem Jahr des Ablaufs der vierjährigen Reinvestitionsfrist- die richtigen steuerlichen Folgerungen gezogen werden. Dabei ist der Ablauf der Festsetzungsfrist unbeachtlich, wenn die steuerlichen Folgerungen innerhalb eines Jahres nach der Änderung des fehlerhaften Steuerbescheids gezogen werden (§ 174 Abs. 4 Satz 3 AO), was hier geschehen ist. Es handelt sich -anders als das Finanzamt in der Einspruchsentscheidung meint- nicht etwa um eine analoge, sondern bereits um eine unmittelbare Anwendung des § 174 Abs. 4 AO.
Die Auffassung der Mitunternehmer, das Finanzgericht hätte hier nach den Grundsätzen über die Feststellungslast entscheiden müssen, sodass das Finanzamt das Risiko der Nichtaufklärbarkeit der Wirksamkeit zu tragen habe, überzeugt den Bundesfinanzhof nicht. Denn eine Entscheidung nach der Feststellungslast kommt als „ultima ratio“ nur in Betracht, wenn alle gebotenen Bemühungen, den Sachverhalt zu ermitteln und festzustellen, erfolglos geblieben sind, und auch eine Minderung des Beweismaßes im Hinblick auf die Verletzung von Mitwirkungspflichten eines Beteiligten nicht zu einer tatrichterlichen Überzeugungsbildung führt25. Vorliegend hat das Finanzgericht aber die volle Überzeugung (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) von denjenigen Tatsachen gewinnen können, die für die Beurteilung der Wirksamkeit des Gewinnfeststellungsbescheids erheblich sind. In einem solchen Fall kommt es auf die Feststellungslast nicht an.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 12. Juli 2023 – X R 14/21
- BFH, Urteil vom 25.07.1979 – I R 175/76, BFHE 129, 17, BStBl II 1980, 43, unter 2.[↩]
- zum Ganzen BFH, Urteil vom 25.07.1979 – I R 175/76, BFHE 129, 17, BStBl II 1980, 43, unter 3.; anderer Ansicht Finanzministerium des Landes Schleswig-Holstein, Kurzinformation vom 02.09.2014, Deutsches Steuerrecht -DStR- 2014, 2180: schon das Wahlrecht zur Bildung der Rücklage sei in der Einkommensteuererklärung auszuüben[↩]
- ebenso zum -etwas anders gelagerten- Fall des Gewinns aus der Veräußerung von Sonderbetriebsvermögen im Rahmen der Veräußerung des Mitunternehmeranteils auch BFH, Entscheidungen vom 07.03.1996 – IV R 34/95, BFHE 180, 305, BStBl II 1996, 568, unter 1.; und vom 25.01.2006 – IV R 14/04, BFHE 212, 231, BStBl II 2006, 418, unter 2.a[↩]
- BFH, Urteil vom 04.02.1982 – IV R 150/78, BFHE 135, 202, BStBl II 1982, 348, unter II. 2.[↩]
- zusammenfassend BFH, Urteil vom 16.12.2021 – IV R 7/19, BFHE 275, 179, BStBl II 2023, 378, Rz 40, m.w.N.; R 6b.2 Abs. 6 der Einkommensteuer-Richtlinien 2012[↩]
- BFH, Urteil vom 12.07.1990 – IV R 44/89, BFH/NV 1991, 599[↩]
- BFH, Urteil vom 12.07.1990 – IV R 44/89, BFH/NV 1991, 599, unter 1.[↩]
- BFH, Beschluss vom 09.09.2005 – IV B 6/04, BFH/NV 2006, 22, unter 1.a[↩]
- BFH, Urteil vom 19.12.2012 – IV R 41/09, BFHE 240, 73, BStBl II 2013, 313, Rz 35; daran anknüpfend BFH, Urteil vom 22.11.2018 – VI R 50/16, BFHE 263, 44, BStBl II 2019, 313, Rz 27[↩]
- BFH, Urteil vom 16.12.202 – IV R 7/19, BFHE 275, 179, BStBl II 2023, 378, Rz 62 i.V.m. Rz 54[↩]
- BFH, Entscheidungen vom 12.07.1990 – IV R 44/89, BFH/NV 1991, 599; und vom 09.09.2005 – IV B 6/04, BFH/NV 2006, 22[↩]
- BFH, Urteile vom 07.03.1996 – IV R 34/95, BFHE 180, 305, BStBl II 1996, 568, unter 1.; und vom 22.11.2018 – VI R 50/16, BFHE 263, 44, BStBl II 2019, 313, Rz 21, 24 ff.[↩]
- BFH, Urteil vom 14.05.2002 – VIII R 8/01, BFHE 199, 198, BStBl II 2002, 532, unter II. 1.a, m.w.N.: von der Höhe des aktuellen Gewinns der Mitunternehmerschaft abhängige jährlich gezahlte Teilbeträge des Kaufpreises für die Veräußerung des Mitunternehmeranteils; BFH, Urteil vom 08.11.2010 – I R 106/09, BFHE 231, 206, BStBl II 2014, 759, Rz 10: Ruhegeldzahlungen, die der frühere Kommanditist einer KG nach Veräußerung seines Mitunternehmeranteils von der Komplementär-GmbH dieser KG bezieht[↩]
- BFH, Urteil vom 22.01.2003 – X R 60/99, BFH/NV 2003, 900, unter II. 1.a, b[↩]
- BFH, Urteil vom 27.07.2004 – IX R 44/01, BFH/NV 2005, 188[↩]
- BFH, Beschluss vom 25.01.2006 – IV R 14/04, BFHE 212, 231, BStBl II 2006, 418, unter 2.a, m.w.N.[↩]
- vgl. auch Finanzgericht Hamburg, Urteil vom 27.05.1991 – VI 47/89, EFG 1992, 174, rechtskräftig, und Finanzgericht Münster, Urteil vom 20.07.2018 – 4 K 333/16 E, EFG 2018, 1620, unter 1., Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig verworfen durch BFH, Beschluss vom 15.01.2019 – X B 116/18, nicht veröffentlicht[↩]
- ausführlich Neu/Hamacher, GmbH-Rundschau -GmbHR- 2016, 1; Carlé/Strahl in Korn, § 6b EStG Rz 30.2; zustimmend Schmidt/Loschelder, EStG, 42. Aufl., § 6b Rz 58; a.A. Bolk, DStR 2015, 1355; wohl ebenso Schießl in Brandis/Heuermann, § 6b EStG Rz 291[↩]
- BFH, Urteil vom 27.05.2020 – XI R 12/18, BFHE 269, 130, BStBl II 2020, 779[↩]
- BFH, Urteil vom 25.01.2006 – IV R 14/04, BFHE 212, 231, BStBl II 2006, 418; FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 30.03.2021 – 5 K 2442/17, EFG 2021, 1199, Rev. – IV R 9/21; FG Münster, Urteil vom 15.07.2021 – 2 K 29/19, Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst 2022, 657, rechtskräftig[↩]
- Neu/Hamacher, GmbHR 2016, 1, 2, 6; Carlé/Strahl in Korn, § 6b EStG Rz 30.2; Selder in Glanegger/Güroff, GewStG, 10. Aufl., § 7 Rz 94[↩]
- BFH, Urteil vom 30.08.2012 – IV R 28/09, BFHE 239, 53, BStBl II 2012, 877[↩]
- ausführlich zu den gewerbesteuerrechtlichen Aspekten des § 6b EStG Neu/Hamacher, GmbHR 2016, 1, 5 ff.[↩]
- FG München, Urteil vom 10.06.2021 – 13 K 1825/19, EFG 2022, 1601[↩]
- BFH, Urteile vom 23.03.2011 – X R 44/09, BFHE 233, 297, BStBl II 2011, 884, Rz 17 ff.; und vom 02.07.2019 – IX R 13/18, BFHE 265, 333, BStBl II 2020, 89, Rz 18[↩]