Nach § 17 Abs. 4 i.V.m. Abs. 1 EStG gehört zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb -unter bestimmten Voraussetzungen- auch der Gewinn aus der Auflösung von Kapitalgesellschaften. Auflösungsgewinn i.S. des § 17 Abs. 1, 2 und 4 EStG ist der Betrag, um den der gemeine Wert des dem Steuerpflichtigen zugeteilten oder zurückgezahlten Vermögens der Kapitalgesellschaft die im Zusammenhang mit der Auflösung der Gesellschaft vom Steuerpflichtigen persönlich getragenen Kosten sowie seine Anschaffungskosten übersteigt1.

Das dem Gesellschafter zugeteilte oder zurückgezahlte Vermögen erfasst alle dem Gesellschafter im Rahmen der Auflösung zugeteilten materiellen und immateriellen Wirtschaftsgüter aus dem Vermögen der Gesellschaft2, soweit die Auskehrungen nicht nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 EStG zu den Einnahmen aus Kapitalvermögen gehören (§ 17 Abs. 4 Satz 3 EStG). Gegenstand des zugeteilten oder zurückgezahlten Vermögens kann auch die Befreiung des Gesellschafters von einer gegenüber der Gesellschaft bestehenden Verbindlichkeit sein. Dies setzt jedoch voraus, dass der Gesellschafter zivilrechtlich tatsächlich von der Verbindlichkeit frei geworden ist. Besteht die Forderung der Gesellschaft gegen den Gesellschafter hingegen zivilrechtlich fort, ist dem Gesellschafter insoweit kein Wirtschaftsgut aus dem Vermögen der Gesellschaft zugeteilt worden.
Zivilrechtlich hat die rechtskräftige Ablehnung des Insolvenzantrags mangels Masse die Auflösung der Gesellschaft zur Folge (§ 60 Abs. 1 Nr. 5 GmbHG). Die Gesellschaft ist abzuwickeln und bei Vermögenslosigkeit im Handelsregister zu löschen3. Die Gesellschaft behält jedoch ihre Rechts- und Parteifähigkeit4. Weder die Auflösung noch die sich wegen Vermögenslosigkeit anschließende Löschung der GmbH führen zivilrechtlich zur Befreiung des Gesellschafters von einer gegenüber der Gesellschaft bestehenden Verbindlichkeit und damit zur Zuteilung oder Zurückzahlung von Vermögen der Gesellschaft. Etwaige Forderungen der Gesellschaft gegenüber ihren Gesellschaftern bleiben materiell-rechtlich grundsätzlich weiterhin bestehen. Stellt sich nach der Löschung der Gesellschaft nachträglich verteilungsfähiges Vermögen der Gesellschaft heraus, das bei der Liquidation übersehen worden ist, kommt eine Nachtragsliquidation in Betracht5. Ein solches Vermögen kann insbesondere darin bestehen, dass die Gesellschaft noch geldwerte Ansprüche gegen ihre Gesellschafter hat, z.B. weil sich der zuvor vermögenslose Schuldner wieder als zahlungsfähig erweist6.
Alleine in dem Umstand, dass der Gesellschafter angesichts der Auflösung und der sich im Folgejahr anschließenden Löschung der GmbH mit einer Inanspruchnahme aus der aus dem Verrechnungskonto resultierenden Forderung nicht mehr zu rechnen brauchte, kann kein Vermögensvorteil gesehen werden, der wie ein dem Gesellschafter im Rahmen der Liquidation zugeteiltes Vermögen zu behandeln und in den Veräußerungspreis i.S. des § 17 Abs. 4 Satz 2 EStG einzubeziehen ist. Ob die gegen den Gesellschafter bestehende Forderung der GmbH im Rahmen der Auflösung aus anderen Gründen -wie beispielsweise durch Erlass oder Aufrechnung- zivilrechtlich erloschen ist, wurde im vorliegenden Fall nicht geprüft. Der bloße wirtschaftliche Wegfall der Verbindlichkeit führt indes nicht dazu, dass dem Gesellschafter ein Wirtschaftsgut aus dem Vermögen der Gesellschaft zugeteilt wurde.
elbst wenn unterstellt werden könnte, dass der Gesellschafter im Rahmen der Auflösung der GmbH von seiner Verbindlichkeit aus dem Verrechnungskonto befreit worden ist, führt dies nicht dazu, dass bei der Ermittlung des möglichen Auflösungsgewinns die Forderung mit ihrem Nennbetrag anzusetzen ist.
Der Veräußerungs- bzw. Auflösungsgewinn i.S. von § 17 Abs. 1 und 4 EStG ist in dem Zeitpunkt zu ermitteln, in dem er entstanden ist. Dies ist auch der maßgebliche Zeitpunkt für die Bewertung des Veräußerungspreises bzw. die Ermittlung des gemeinen Werts des dem Steuerpflichtigen zugeteilten oder zurückgezahlten Vermögens der Kapitalgesellschaft i.S. des § 17 Abs. 4 Satz 2 EStG7.
Maßgebender Zeitpunkt der Gewinn- oder Verlustrealisierung ist derjenige, zu dem bei einer Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich gemäß § 4 Abs. 1, § 5 EStG nach handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung der Gewinn oder Verlust realisiert wäre8. Der Zeitpunkt der Gewinn- oder Verlustrealisierung kann ausnahmsweise schon vor dem Abschluss der Liquidation liegen, wenn mit Zuteilungen und Rückzahlungen von Vermögen der Gesellschaft i.S. des § 17 Abs. 4 Satz 2 EStG und damit mit einer wesentlichen Änderung des bereits feststehenden Gewinns oder Verlusts nicht mehr zu rechnen ist. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt worden ist9 und mit einer Zuteilung und Rückzahlung von Vermögen der Gesellschaft nicht mehr zu rechnen ist.
Entscheidend für den fiktiven Ansatz des Veräußerungspreises ist der gemeine Wert des zugeteilten Vermögens zu diesem Zeitpunkt. Handelt es sich bei dem zugeteilten Vermögen um eine Kapitalforderung, ist diese grundsätzlich mit ihrem Nennwert anzusetzen, soweit nicht besondere Umstände einen höheren oder geringeren Wert begründen (vgl. § 12 Abs. 1 Satz 1 des Bewertungsgesetzes -BewG-). Besondere Umstände, die eine vom Nennwert abweichende niedrigere Bewertung in diesem Sinne begründen, liegen beispielsweise vor, wenn die Realisierbarkeit einer Forderung nach den Verhältnissen am Bewertungsstichtag aus Sicht der Gesellschaft unsicher erscheint, weil es infolge der wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners zweifelhaft ist, ob diese Forderung in voller Höhe beigetrieben werden kann10. Ist die Forderung wegen Vermögenslosigkeit des Schuldners uneinbringlich, bleibt sie außer Ansatz (§ 12 Abs. 2 BewG). Dabei kommt es nicht darauf an, ob es sich hierbei um eine Forderung der Gesellschaft gegen ihren Gesellschafter oder gegen einen Dritten handelt. Entscheidend ist, ob und in welcher Höhe sich die Forderung aus Sicht der Gesellschaft realisieren lässt, da die Forderung Bestandteil ihres zuzuteilenden oder zurückzuzahlenden Vermögens ist.
Dies entspricht dem Sinn und Zweck des § 17 Abs. 4 EStG, der darin besteht, Auflösung und Liquidation eines Anteils an einer Kapitalgesellschaft in derselben Weise zu besteuern wie Veräußerungsvorgänge11 und die in den übergehenden bzw. untergehenden Wirtschaftsgütern enthaltenen stillen Reserven zu realisieren12. Ist die zum Vermögen der Kapitalgesellschaft gehörende Forderung aber wegen Vermögenslosigkeit des Schuldners objektiv wertlos, werden durch die Auflösung der Gesellschaft insoweit keine stillen Reserven realisiert.
Nach diesen Maßstäben kann nicht om Nennwert der sich aus dem Verrechnungskonto ergebenden Forderung als Veräußerungspreis ausgegangen werden. Vorliegend war die GmbH bereits im Zeitpunkt der rechtskräftigen Ablehnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse vermögenslos, so dass mit Zuteilungen und Rückzahlungen aus ihrem Vermögen bereits im Streitjahr nicht mehr zu rechnen war. Zu diesem Zeitpunkt war deshalb auch die Forderung der GmbH wegen der Vermögenslosigkeit des Gesellschafters objektiv wertlos und damit wegen Uneinbringlichkeit nicht anzusetzen.
Nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG gehören zu den Einkünften aus Kapitalvermögen als sonstige Bezüge aus Anteilen an einer GmbH auch vGA. Eine vGA im Sinne dieser Vorschrift liegt nach ständiger Rechtsprechung des BFH vor, wenn die Kapitalgesellschaft ihrem Gesellschafter außerhalb der gesellschaftsrechtlichen Gewinnverteilung einen Vorteil zuwendet und diese Zuwendung ihren Anlass im Gesellschaftsverhältnis hat. Das ist in der Regel der Fall, wenn ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsführer diesen Vorteil einem Nichtgesellschafter nicht zugewendet hätte13. Im Verhältnis zwischen der Kapitalgesellschaft und einem beherrschenden Gesellschafter kann die Ursächlichkeit des Gesellschaftsverhältnisses bereits dann angenommen werden, wenn es für die Leistung der Kapitalgesellschaft an einer im Voraus getroffenen klaren und eindeutigen Vereinbarung fehlt14. Die vGA ist beim Gesellschafter zu erfassen, wenn ihm der Vermögensvorteil zufließt15.
An einer für die Annahme einer vGA erforderlichen Vorteilszuwendung fehlt es in der Regel, wenn die Kapitalgesellschaft an ihren Gesellschafter etwas leistet und dabei von vornherein feststeht, dass es sich um eine Kreditgewährung seitens der Kapitalgesellschaft handelt, sofern eine Rückzahlungsverpflichtung ernsthaft vereinbart und -beispielsweise durch eine Verbuchung auf dem Gesellschafterverrechnungskonto- ausreichend abgesichert worden ist16.
Etwas anderes gilt aber dann, wenn bereits bei Darlehensauszahlung aufgrund der wirtschaftlichen Situation des Gesellschafters mit einer Rückzahlung der Darlehensbeträge nicht gerechnet werden kann, da in diesem Fall der Darlehensgewährung von vornherein kein Gegenwert gegenübersteht und davon auszugehen ist, dass eine Rückzahlungsverpflichtung nicht begründet werden sollte. Mangels Ernsthaftigkeit der Darlehensvereinbarung ist in einem solchen Fall bereits die Hingabe der Darlehensvaluta als vGA i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG zugunsten des Gesellschafters zu erfassen. Entsprechend diesen Grundsätzen kann eine vGA auch dann im Zeitpunkt der Darlehensgewährung anzunehmen sein, wenn eine behauptete Darlehensvereinbarung zwischen der Kapitalgesellschaft und dem Gesellschafter mangels Fremdüblichkeit nicht anzuerkennen ist, weil der Darlehensvertrag von Anfang an mangels nennenswerter Tilgungsleistungen und Zinszahlungen seitens des Gesellschafters nicht ernsthaft durchgeführt worden ist17.
Im Übrigen kann in einem späteren ausdrücklichen oder stillschweigenden Verzicht auf Rückzahlung der Darlehensvaluta eine vGA zu sehen sein18. Wird das Darlehen nach seiner Hingabe uneinbringlich und hat es die Gesellschaft unterlassen, rechtzeitig die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um das Darlehen zu sichern und zurückzuerhalten, kann dies einem Verzicht auf Rückzahlung gleichkommen19. Ist die Darlehensgewährung nicht aus dem Gesellschaftsverhältnis veranlasst, führt ein später eintretender teilweiser oder vollständiger wirtschaftlicher Wegfall der Darlehensforderung wegen Vermögenslosigkeit des Gesellschafters alleine aber nicht zu einer vGA beim Gesellschafter20.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 16. Juni 2015 – IX R 28/14
- BFH, Urteil vom 03.06.1993 – VIII R 23/92, BFH/NV 1994, 459[↩]
- Eilers/R. Schmidt in Herrmann/Heuer/Raupach, § 17 EStG Rz 330; Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 34. Aufl., § 17 Rz 221; Gosch in Kirchhof, EStG, 14. Aufl., § 17 Rz 129; Schneider, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 17 Rz E 70[↩]
- Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 18. Aufl., § 60 Rz 9[↩]
- vgl. z.B. BGH, Urteile vom 29.09.1967 – V ZR 40/66, BGHZ 48, 303; vom 18.01.1994 – XI ZR 95/93, NJW-RR 1994, 542; und vom 03.04.2003 – IX ZR 287/99, NJW 2003, 2231; Haas in Baumbach/Hueck, GmbHG, 20. Aufl., § 60 Rz 67[↩]
- MünchKommGmbHG/Berner, § 60 Rz 291[↩]
- BayObLG, Beschluss vom 30.10.1984 – BReg 3 Z 204/84, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht und Insolvenzpraxis 1985, 33; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, a.a.O., § 74 Rz 19[↩]
- BFH, Urteil vom 24.01.2012 – IX R 62/10, BFHE 236, 362, BStBl II 2012, 564[↩]
- vgl. z.B. BFH, Urteil vom 01.07.2014 – IX R 47/13, BFHE 246, 188, BStBl II 2014, 786, m.w.N.[↩]
- vgl. u.a. BFH, Urteile vom 03.06.1993 – VIII R 81/91, BFHE 172, 407, BStBl II 1994, 162, und in BFH/NV 1994, 459, sowie BFH, Beschluss vom 03.12 2014 – IX B 90/14, BFH/NV 2015, 493[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 22.09.2010 – II R 62/08, BFH/NV 2011, 7[↩]
- BFH, Urteil vom 06.05.2014 – IX R 19/13, BFHE 245, 225, BStBl II 2014, 682[↩]
- BFH, Urteil vom 22.02.1989 – I R 11/85, BFHE 156, 170, BStBl II 1989, 794[↩]
- z.B. BFH, Urteil vom 24.06.2014 – VIII R 54/10, BFH/NV 2014, 1501[↩]
- BFH, Urteil vom 23.06.1983 – VIII R 102/80, BFHE 134, 541, BStBl II 1982, 245[↩]
- BFH, Urteil vom 02.12 2014 – VIII R 45/11, BFH/NV 2015, 683[↩]
- vgl. BFH, Urteile in BFHE 134, 541, BStBl II 1982, 245; und vom 08.10.1985 – VIII R 284/83, BFHE 146, 108, BStBl II 1986, 481, sowie BFH, Beschluss vom 22.03.2010 – VIII B 204/09, BFH/NV 2010, 1112[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 21.10.2014 – VIII R 32/12, Finanz-Rundschau 2015, 607[↩]
- BFH, Urteil in BFHE 146, 108, BStBl II 1986, 481[↩]
- vgl. BFH, Urteile in BFHE 146, 108, BStBl II 1986, 481; vom 14.03.1990 – I R 6/89, BFHE 160, 459, BStBl II 1990, 795; und vom 07.03.2007 – I R 45/06, BFH/NV 2007, 1710[↩]
- vgl. auch Jansen in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 20 Rz 354 f.[↩]