Die Finanzverwaltung und das Ende der „finalen Entnahme“

Der Bun­des­fi­nanz­hof hat mit einem Ur­teil vom Juli 2008 seine Recht­spre­chung zur sogenannten Theo­rie der fi­na­len Ent­nah­me auf­ge­ge­ben1. Nun zieht die Finanzverwaltung hieraus ihre Konsequenzen, überwiegend in Form eines Nichtanwendungserlasses:

Die Finanzverwaltung und das Ende der „finalen Entnahme“

Sacheinlage auch bei teilweiser Einbuchung in eine Kapitalrücklage als Veräußerungsgeschäft

Die Rechtsauffassung des Bundesfinanzhofs, wonach ein vollentgeltlicher Vorgang anzunehmen ist, wenn die Sacheinlage zum Teil auf dem Kapitalkonto und zum Teil auf einem gesamthänderisch gebundenen Rücklagenkonto gebucht wird, ist in allen offenen Fällen anzuwenden. Sofern die Rechtsauffassung des BFH für den Steuerpflichtigen zu einer Verschärfung gegenüber der bisher geltenden Auffassung der Finanzverwaltung führt, kann auf Antrag die bisherige Verwaltungsauffassung2 für Übertragungsvorgänge bis zum 30. Juni 2009 weiterhin angewendet werden.

Voraussetzung hierfür ist, dass der das Wirtschaftsgut Übertragende und der Übernehmer des Wirtschaftsguts einheitlich verfahren und dass der Antragssteller damit einverstanden ist, dass die Anwendung der Übergangsregelung z. B. die Rechtsfolge des § 23 Abs. 1 Satz 5 Nr. 1 EStG auslöst. Bei Anwendung der Übergangsregelung liegt, soweit eine Gegenbuchung teilweise auch auf einem gesamthänderisch gebundenen Rücklagenkonto erfolgt, ein unentgeltlicher Vorgang (verdeckte Einlage) vor; ein entgeltlicher Vorgang liegt insoweit vor, als die Gegenbuchung auf dem Kapitalkonto erfolgt.

100%ige Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft ist kein Teilbetrieb im Sinne von § 24 Abs. 1 UmwStG 1995

Die Rechtsauffassung des BFH ist im Vorgriff auf eine gesetzliche Regelung zur Wiederherstellung der bisherigen Verwaltungsauffassung zum UmwStG 1995 (also Behandlung einer 100 %igen Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft als Teilbetrieb i. S. d. § 24 UmwStG 1995) sowie im zeitlichen Anwendungsbereich des SEStEG nicht anzuwenden. Bis zu dieser gesetzlichen Regelung ist eine 100 %ige Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft als Teilbetrieb i. S. d. § 24 UmwStG 1995 bzw. des UmwStG i. d. F. des SEStEG zu behandeln.

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Aufgabe der finalen Entnahmetheorie

Die Grundsätze des BFH-Urteils sind, so das Bundesfinanzministerium in seinem neuen Erlass, über den entschiedenen Einzelfall nicht anzuwenden.

Der BFH hat, so das BMF in seiner Begründung zur Nichtanwendung der BFH-Entscheidung, die jahrzehntelang von Rechtsprechung und Verwaltung angewendete sog. Theorie der finalen Entnahme ausdrücklich aufgegeben. Er begründet seine geänderte Rechtsauffassung im Ergebnis mit einer geänderten Auslegung des Abkommensrechts, wonach die Überführung eines Wirtschaftsguts aus dem Inland in eine ausländische Betriebsstätte nicht (mehr) zu einem Verlust des Besteuerungsrechts an den im Inland entstandenen stillen Reserven führen soll. Deshalb bestehe kein Bedürfnis, den Vorgang als Gewinnrealisierungstatbestand anzusehen und es fehle an einer Rechtsgrundlage (während nach der früheren Rechtsprechung offenbar § 4 Abs. 1 EStG als ausreichend angesehen wurde).

Der Gesetzgeber geht hingegen mit der Aufnahme der gesetzlichen Entstrickungsregelungen im SEStEG3 von einer anderen Auslegung des Abkommensrechts aus. § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG i. d. F. des SEStEG beinhaltet – ausweislich der Gesetzesbegründung – „eine Klarstellung zum geltenden Recht. Der bisher bereits bestehende höchstrichterlich entwickelte und von der Finanzverwaltung angewandte Entstrickungstatbestand der Aufdeckung der stillen Reserven bei Wegfall des deutschen Besteuerungsrechts auf Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens wird nunmehr gesetzlich geregelt und in das bestehende
Ertragsteuersystem eingepasst.“4. Mit der Anknüpfung der Entstrickung an den Verlust oder die Beschränkung des abkommensrechtlichen Besteuerungsrechts wird insbesondere der Fall der Überführung eines Wirtschaftsgutes von einem inländischen Betrieb in eine ausländische (DBA-)Betriebsstätte umfasst. Diese Auslegung des Abkommensrechts entspricht nicht nur den OECD-Grundsätzen5, sondern auch der internationalen Verwaltungspraxis.

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Verlustvortrag bei Verschmelzung

Im Vorgriff auf mögliche gesetzliche Regelungen sind für Überführungen und Übertragungen von Wirtschaftsgütern vor Anwendung der Entstrickungsregelungen im SEStEG die Grundsätze des BFH-Urteils über den entschiedenen Einzelfall hinaus nicht anzuwenden. Die gesetzlichen Entstrickungsregelungen des SEStEG6 werden von den Urteilsgrundsätzen nicht berührt.

Bundesministerium der Finanzen, Schreiben vom 20. Mai 2009 – IV C 6 – S 2134/07/10005 [2009/0300414]

  1. Bun­des­fi­nanz­hof, Ur­teil vom 17. Juli 2008 – I R 77/06[]
  2. Tz. 2b des BMF-Schreibens vom 26. November 2004, BStBl I S. 1190[]
  3. Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften (SEStEG) vom 7. Dezember 2006, BGBl. I S. 2782[]
  4. BT-Drs. 16/2710 S. 28[]
  5. Kommentar zu Art. 7 OECD-MA 2005, Tz. 15[]
  6. u. a. § 4 Abs. 1 Satz 3 EStG und § 12 Abs. 1 KStG[]