Die nachträglich festgestellte vGA – und die Besteuerung nach dem Teileinkünfteverfahren

Der Antrag auf Besteuerung der Kapitaleinkünfte aus einer unternehmerischen Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft nach der tariflichen Einkommensteuer unter Anwendung des Teileinkünfteverfahrens ist spätestens zusammen mit der Einkommensteuererklärung für den jeweiligen Veranlagungszeitraum zu stellen (§ 32d Abs. 2 Nr. 3 Satz 4 EStG). Ein entsprechender Antrag kann auch vorsorglich gestellt werden1.

Die nachträglich festgestellte vGA – und die Besteuerung nach dem Teileinkünfteverfahren

Die Antragsfrist des § 32d Abs. 2 Nr. 3 Satz 4 EStG gilt auch, wenn Kapitalerträge in Gestalt verdeckter Gewinnausschüttungen aus einer unternehmerischen Beteiligung erst durch die Außenprüfung festgestellt werden und der Steuerpflichtige in der unzutreffenden Annahme, keine Kapitalerträge aus der Beteiligung erzielt zu haben, in seiner Einkommensteuererklärung keinen Antrag gemäß § 32d Abs. 2 Nr. 3 EStG gestellt hat.

Kennt der Steuerpflichtige das Antragsrecht gemäß § 32d Abs. 2 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a EStG, stellt aber gleichwohl keinen entsprechenden Antrag, weil er wegen eines Irrtums über die zutreffende Qualifikation seiner Einkünfte annimmt, keine Kapitalerträge in Gestalt verdeckter Gewinnausschüttungen aus der Beteiligung zu erzielen, liegt darin kein Fall höherer Gewalt i.S. von § 110 Abs. 3 AO.

Allein der erfolgreiche Antrag auf Günstigerprüfung führt nicht zu einer anteiligen Steuerbefreiung der Einkünfte des Gesellschafters aus der A-GmbH gemäß § 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. d EStG. Die Günstigerprüfung bewirkt nur, dass gemäß § 32d Abs. 6 Satz 1 EStG die Kapitalerträge einschließlich der Beteiligungserträge des Gesellschafters den regelbesteuerten Einkünften hinzuzurechnen sind. Für die hinzugerechneten Beteiligungserträge kann die anteilige Steuerbefreiung des § 3 Nr. 40 Satz 1 Buchst. d EStG nicht in Anspruch genommen werden, da es sich um Beteiligungseinkünfte im Privatvermögen handelt (§ 3 Nr. 40 Satz 2 EStG). Erst ein Antrag gemäß § 32d Abs. 2 Nr. 3 EStG eröffnet für diese die anteilige Steuerfreistellung, da § 32d Abs. 2 Nr. 3 Satz 2 EStG für diesen Fall bestimmt, dass § 3 Nr. 40 Satz 2 EStG keine Anwendung findet2.

Nach § 32d Abs. 2 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a EStG gilt der gesonderte Tarif des § 32d Abs. 1 EStG auf Antrag nicht für Kapitalerträge i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 und 2 EStG aus einer Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft, wenn der Steuerpflichtige im Veranlagungszeitraum, für den der Antrag erstmals gestellt wird, unmittelbar oder mittelbar zu mindestens 25 % an der Kapitalgesellschaft beteiligt war. In diesem Fall unterliegen die Kapitalerträge der tariflichen Steuer (§ 32a EStG) und das sog. Teileinkünfteverfahren findet Anwendung (§ 32d Abs. 2 Nr. 3 Satz 2 EStG).

Eine vGA im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG liegt im Grundsatz vor, wenn eine Kapitalgesellschaft ihrem Gesellschafter außerhalb der gesellschaftsrechtlichen Gewinnverteilung einen Vermögensvorteil zuwendet, diese Zuwendung ihren Anlass im Gesellschaftsverhältnis hat und der Vermögensvorteil dem Gesellschafter zugeflossen ist3. Eine vGA kann auch ohne tatsächlichen Zufluss beim Gesellschafter gegeben sein, wenn der Vorteil dem Gesellschafter mittelbar in der Weise zugewendet wird, dass eine ihm nahestehende Person aus der Vermögensverlagerung Nutzen zieht4. Diese Voraussetzungen können auch Leistungen erfüllen, die eine Kapitalgesellschaft an einen Gesellschafter ihres eigenen Gesellschafters5 erbringt6, Kommentar zum KStG und EStG, § 8 Abs. 3 KStG, Teil C, Rz 816 ff.)).

Wendet die B-GmbH einen Vorteil (hier in Form von überhöhten Gehältern, Tantiemen bzw. Honorarzahlungen) unmittelbar ihrem mittelbaren Anteilseigner zu, ist der normale Weg der Gewinnausschüttung, der über die A-GmbH führen würde, abgekürzt. Insoweit bedient sich die A-GmbH ihrer Tochtergesellschaft, der B-GmbH, um Gewinne an den Gesellschafter verdeckt auszuschütten7. Die unmittelbare Zuwendung der B-GmbH an den Gesellschafter stellt danach eine über die A-GmbH an den Gesellschafter „durchgeleitete“ vGA dar8.

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Jedoch hat der Gesellschafter im hier entschiedenen Streitfall den Antrag auf eine Besteuerung nach dem Teileinkünfteverfahren nicht fristgerecht gestellt. § 32d Abs. 2 Nr. 3 Satz 4 EStG sieht vor, dass der Antrag spätestens zusammen mit der Einkommensteuererklärung für den jeweiligen Veranlagungszeitraum zu stellen ist9. Der Gesetzgeber hat durch die Verwendung des Wortes „spätestens“ eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass die Ausübung des Wahlrechts zeitlich durch die Abgabe der Einkommensteuererklärung befristet ist10. Mit der Abgabe der Einkommensteuererklärung ist die Frist zur Ausübung des Antragsrechts nach § 32d Abs. 2 Nr. 3 Satz 4 EStG auch dann abgelaufen, wenn die Erklärung unrichtig und nach § 153 AO zu korrigieren ist11.

Der Gesellschafter hat (ausdrückliche) Anträge nach § 32d Abs. 2 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a EStG erst im Dezember 2014 -und damit jeweils nach der Abgabe der Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre- gestellt. Diese Anträge waren somit verfristet, und zwar selbst dann, wenn der Gesellschafter im Dezember 2014 (zugleich) eine Berichtigung seiner Einkommensteuererklärungen gemäß § 153 AO vorgenommen hätte.

Die im Dezember 2014 erfolgte Wahlrechtsausübung stellt keine Berichtigung der Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre gemäß § 153 AO durch den Gesellschafter dar, denn die Nichtausübung eines Wahlrechts führt nicht dazu, dass die Steuerklärung unrichtig oder unvollständig und daher gemäß § 153 AO zu berichtigen ist12.

Ob der Gesellschafter im Dezember 2014 eine Berichtigung seiner Einkommensteuererklärungen i.S. des § 153 AO vorgenommen hat, indem er erstmals Kapitaleinkünfte aus seiner unternehmerischen Beteiligung erklärt hat oder ob es an einer Berichtigung i.S. des § 153 AO fehlt, weil nicht er selbst, sondern das Finanzamt im Rahmen der durchgeführten Außenprüfung die Unrichtigkeit der Einkommensteuererklärungen erkannt und in der weiteren Folge entsprechende Einkommensteueränderungsbescheide für die Streitjahre erlassen hat13, kann dahinstehen. Denn selbst wenn der Gesellschafter seine Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre im Dezember 2014 berichtigt hätte, ergäbe sich hieraus kein fristgerechter Antrag auf Anwendung des Teileinkünfteverfahrens. Die zusammen mit den „berichtigten Erklärungen“ im Dezember 2014 gestellten Anträge auf Anwendung des Teileinkünfteverfahrens sind -auch wenn die „berichtigten Erklärungen“ erstmals Kapitaleinkünfte aus einer unternehmerischen Beteiligung enthalten- keine zusammen mit der Einkommensteuererklärung gestellten Anträge gemäß § 32d Abs. 2 Nr. 3 Satz 4 EStG. Die in diesem Sinne „berichtigte Erklärung“ ist -entgegen der Auffassung des Gesellschafters- keine „Einkommensteuererklärung“.

Das gesetzliche Merkmal der „Einkommensteuererklärung“ ist durch die Rechtsprechung des BFH geklärt. Danach ist eine Steuererklärung eine formalisierte, innerhalb einer bestimmten Frist abzugebende Auskunft des Steuerpflichtigen oder seines Vertreters, die dem Finanzamt die Festsetzung der Steuer oder die Feststellung von Besteuerungsgrundlagen ermöglicht und in der Regel zum Erlass eines Steuerbescheides führt14. Hiervon ist die Berichtigung einer inhaltlich unzutreffenden Einkommensteuerklärung, zu der der Steuerpflichtige gemäß § 153 AO verpflichtet ist, zu unterscheiden. Die Abgabe der Steuererklärung ist losgelöst von ihrer inhaltlichen Richtigkeit und Vollständigkeit zu beurteilen. Dies folgt im Umkehrschluss aus § 153 AO, denn die dort vorgeschriebene Berichtigung einer Steuererklärung setzt voraus, dass eine unrichtige Erklärung vorliegt15.

Ein fristgerechter konkludenter Antrag gemäß § 32d Abs. 2 Nr. 3 EStG ergibt sich -anders als der Gesellschafter meint- nicht aus der bereits in den Einkommensteuererklärungen für die Jahre 2010 und 2011 beantragten Günstigerprüfung16.

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Dabei kann dahinstehen, ob der Gesellschafter als Volljurist und Rechtsanwalt einem fachkundig beratenen Steuerpflichtigen gleichzustellen und bereits aus diesem Grunde nicht ohne weitere konkrete Anhaltspunkte davon auszugehen ist, dass mit der Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 EStG konkludent auch der für die nächsten vier Jahre bindende Antrag nach § 32d Abs. 2 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a EStG gestellt wird12. Denn selbst wenn der Gesellschafter wie ein nicht fachkundig beratener Steuerpflichtiger zu behandeln wäre, wäre der Antrag auf Günstigerprüfung nicht als konkludenter Antrag gemäß § 32d Abs. 2 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a EStG anzusehen. Es fehlt nicht nur an den notwendigen tatsächlichen Angaben, die für die materiell-rechtlichen Voraussetzungen eines solchen Antrags erforderlich sind17. Die Annahme eines konkludenten Antrags scheitert auch daran, dass der Gesellschafter sein Antragsrecht gemäß § 32d Abs. 2 Nr. 3 EStG kannte, aber -da er das von der B-GmbH bezogene Gehalt und die Tantieme irrtümlich als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit und die Honorarzahlungen irrtümlich als Einkünfte aus selbständiger Arbeit ansah- weder Anlass für die Erklärung von Kapitaleinkünften aus der Beteiligung an der A-GmbH noch für eine Antragstellung gemäß § 32d Abs. 2 Nr. 3 EStG sah. In einer solchen Situation kann der Antrag auf Günstigerprüfung nicht als konkludenter Antrag gemäß § 32d Abs. 2 Nr. 3 EStG verstanden werden.

Entgegen der Auffassung des Finanzgerichts München18 kommt eine teleologische Reduktion des § 32d Abs. 2 Nr. 3 Satz 4 EStG dahin, dass die Frist nicht anzuwenden ist, wenn dem Steuerpflichtigen aus der betreffenden Beteiligung ausschließlich vGA zugeflossen sind, die er in seiner Einkommensteuererklärung entsprechend den zugrunde liegenden zivilrechtlichen Rechtsverhältnissen als Einnahmen bei anderen Einkunftsarten als den Kapitaleinkünften erklärt hat und die vom Finanzamt erst nach einer Außenprüfung zutreffend als Kapitalerträge in Form von vGA besteuert werden, nicht in Betracht.

Eine teleologische Reduktion zielt darauf, den Geltungsbereich einer Norm mit Rücksicht auf ihren Gesetzeszweck gegenüber dem zu weit gefassten Wortlaut einzuschränken. Sie ist nicht bereits dann gerechtfertigt, wenn die vom Gesetzgeber getroffene Entscheidung rechtspolitisch fehlerhaft erscheint. Ihre Aufgabe ist es daher nicht, das Gesetz zu verbessern, obwohl es sich -gemessen an seinem Zweck- noch nicht als planwidrig unvollständig oder zu weitgehend erweist. Vielmehr muss die auf den Wortlaut abstellende Auslegung zu einem sinnwidrigen Ergebnis führen19.

§ 32d Abs. 2 Nr. 3 Satz 4 EStG erweist sich jedoch auch für die Fälle, in denen der Steuerpflichtige -wie im Streitfall- von ihm erzielte Einkünfte zunächst rechtsirrig nicht den Einkünften aus Kapitalvermögen zuordnet und aus diesem Grunde keinen Anlass für eine Antragstellung sieht, nicht als planwidrig unvollständig.

Der Gesetzgeber verfolgt mit § 32d Abs. 2 Nr. 3 EStG das Ziel, Erträge aus einer unternehmerischen Beteiligung gegenüber solchen aus einer Beteiligung zu privilegieren, die sich als lediglich private Vermögensverwaltung darstellen20. Für die Fälle einer typischerweise unternehmerischen Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft hat er daher die Möglichkeit geschaffen, die aus der Beteiligung erzielten Kapitalerträge i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 und 2 EStG, zu denen auch vGA gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG gehören, -vergleichbar einer Beteiligung im Betriebsvermögen- dem progressiven Einkommensteuertarif unter Anwendung des Teileinkünfteverfahrens zu unterwerfen. Hierfür hat der Gesetzgeber ein formalisiertes Verfahren zur Antragstellung sowie zum Widerruf des Antrages umfassend geregelt (§ 32d Abs. 2 Nr. 3 Sätze 3 bis 6 EStG). Dabei hat er unter anderem ausdrücklich bestimmt, dass das Wahlrecht zeitlich durch die Abgabe der Einkommensteuererklärung begrenzt ist12. Zur Vermeidung von auf Steueroptimierungen gerichteten ständigen Wechseln des Besteuerungsregimes sowie zur Vereinfachung hat er sich bewusst dafür entschieden, dass der Antrag grundsätzlich als für fünf Veranlagungszeiträume gestellt gilt21 und für die Anteile an der jeweiligen Beteiligung nur einheitlich gestellt werden kann21. Die zeitliche Begrenzung dient demnach insbesondere auch der Erleichterung der Administration der Wahlrechtsausübung12.

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Das Gesetz gewährt dem Steuerpflichtigen danach in Bezug auf die aus einer unternehmerischen Beteiligung erzielbaren Kapitalerträge i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 EStG ein fristgebundenes, formalisiertes Antragsrecht. Dabei ist die Privilegierung der unternehmerischen Beteiligung zeitlich ausdrücklich mit der Abgabe der Steuererklärung verknüpft. Dies führt auch in den Fällen, in denen der unternehmerisch Beteiligte von ihm erzielte Einkünfte aus einer vGA in seiner Einkommensteuererklärung zunächst rechtsirrig anderen Einkünften zuordnet und die vorliegende vGA erst durch eine später durchgeführte Außenprüfung aufgedeckt wird, nicht zu sinnwidrigen Ergebnissen. Zwar ist in diesen Fällen eine Nachholung des Antrags gemäß § 32d Abs. 2 Nr. 3 EStG nur in den engen Grenzen des § 110 AO möglich. Jedoch steht es dem unternehmerisch beteiligten Steuerpflichtigen frei, einen entsprechenden Antrag (auch) in Anbetracht einer häufig rechtlich problematischen oder zweifelhaften Qualifizierung von Einkünften vorsorglich zu stellen22.

Ein solch vorsorglicher Antrag ist -anders als ein bedingter Antrag- zulässig. Dies zeigt sich auch darin, dass der Gesetzgeber das Antragsrecht nicht davon abhängig gemacht hat, dass im Streitjahr tatsächlich (bereits) Kapitalerträge erzielt werden. Ausreichend ist die abstrakte Möglichkeit, Kapitalerträge aus der jeweiligen unternehmerischen Beteiligung zu erzielen23, wobei hier nicht allein vGA erfasst sind.

Hieraus folgt zugleich, dass der unternehmerisch Beteiligte, der die Privilegierung durch § 32d Abs. 2 Nr. 3 EStG in Anspruch nehmen will, über die Ausübung des ihm zustehenden Wahlrechts grundsätzlich unabhängig vom tatsächlichen Bezug entsprechender Kapitalerträge aus der Beteiligung im Jahr der Antragstellung entscheiden kann. Will der unternehmerisch Beteiligte in Bezug auf die Einhaltung der Antragsfrist sicher sein, muss er spätestens in bzw. mit der Einkommensteuererklärung einen vorsorglichen Antrag stellen. Verzichtet er auf einen vorsorglichen Antrag, trägt er das Risiko einer unzutreffenden Qualifizierung von Einkünften im Rahmen seiner Steuererklärung. Dies erscheint -da er ein solches Risiko unter Berücksichtigung von ihm geschlossener Vereinbarungen bzw. gewählter Gestaltungen einschätzen kann- sachgerecht, zumal das Gesetz auch -abhängig von den konkreten Umständen des Einzelfalls- die Möglichkeit der Wiedereinsetzung gemäß § 110 AO vorsieht.

Aus den dargelegten Gründen kann auch der Umstand, dass die (verspätete erstmalige) Ausübung des Wahlrechts im Streitfall keinem auf Steueroptimierung gerichteten ständigen Wechsel des Besteuerungsregimes dient, nicht zu einem vom Wortlaut des § 32d Abs. 2 Nr. 3 EStG abweichenden Ergebnis führen.

Die Entscheidung des Finanzgericht erweist sich auch nicht etwa deshalb als im Ergebnis zutreffend, weil dem Gesellschafter eine Wiedereinsetzung gemäß § 110 AO in die Frist des § 32d Abs. 2 Nr. 3 Satz 4 EStG zu gewähren ist.

War jemand ohne Verschulden verhindert, eine gesetzliche Frist einzuhalten, ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 110 Abs. 1 Satz 1 AO). Der Antrag hierzu ist innerhalb eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Handlung nachzuholen (§ 110 Abs. 2 Sätze 1 bis 3 AO).

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Gemäß § 110 Abs. 3 AO kann nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Handlung die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt oder die versäumte Handlung nicht mehr nachgeholt werden, außer wenn dies vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war. Darüber hinaus kann nach Ablauf der Jahresfrist ausnahmsweise Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden, wenn Wiedereinsetzung auch ohne Antrag in Betracht kommt, soweit die maßgeblichen, für eine Wiedereinsetzung sprechenden Tatsachen vor Ablauf der Jahresfrist für das Finanzamt bzw. das Gericht erkennbar sind bzw. die Rechtzeitigkeit eines Rechtsbehelfs bzw. Antrages allein aus in der Sphäre des Gerichts bzw. des Finanzamts liegenden Gründen nicht innerhalb der Jahresfrist geprüft worden ist. Voraussetzung für eine solche Wiedereinsetzung ist aber, dass eine die Wiedereinsetzung rechtfertigende Lage bereits vor Ablauf der Jahresfrist gegeben war. Danach müssen die maßgeblichen, für die Wiedereinsetzung sprechenden Tatsachen vor Ablauf der Jahresfrist aus den dem Gericht bzw. dem Finanzamt vorliegenden Akten erkennbar sein24.

Der Bundesfinanzhof kann dahingestellt lassen, ob der Irrtum des Gesellschafters über die Qualifizierung der Einkünfte und damit zusammenhängend über die Möglichkeit einer Optionsausübung gemäß § 32d Abs. 2 Nr. 3 EStG ausnahmsweise entschuldbar ist und ob er die Monatsfrist des § 110 Abs. 2 AO gewahrt hat. Denn eine Wiedereinsetzung scheitert jedenfalls am Verstreichen der Jahresfrist des § 110 Abs. 3 AO.

Der Gesellschafter hat im Dezember 2014 nicht nur einen Antrag auf Wiedereinsetzung, sondern auch einen Antrag gemäß § 32d Abs. 2 Nr. 3 EStG gestellt und damit die versäumte Handlung nachgeholt. Zu diesem Zeitpunkt war die Jahresfrist des § 110 Abs. 3 AO jedoch bereits verstrichen, da das Optionsrecht gemäß § 32d Abs. 2 Nr. 3 EStG mit der Abgabe der Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre im Januar 2011, Dezember 2011 bzw.01.2013 hätte ausgeübt werden müssen.

Ein Fall höherer Gewalt, in dem das Verstreichen der Jahresfrist gemäß § 110 Abs. 3 AO unbeachtlich wäre, liegt nicht vor.

Höhere Gewalt ist ein außergewöhnliches Ereignis, das unter den gegebenen Umständen auch durch die äußerste, nach Lage der Sache von dem Betroffenen zu erwartende Sorgfalt nicht verhindert werden konnte. Dies umfasst von außen kommende Ereignisse, die vom Betroffenen nicht zu beherrschen sind und damit auch sog. unabwendbare Zufälle. Hierzu gehört auch ein Umstand, der dem Beteiligten die rechtzeitige Vornahme einer fristgebundenen Handlung unzumutbar macht und damit aus verfassungsrechtlichen Gründen dem Bereich der höheren Gewalt zuzuordnen ist25. Danach kann höhere Gewalt auch dann vorliegen, wenn ein Verfahrensbeteiligter durch ein Verhalten des Gerichts von einer fristgerechten Prozesshandlung abgehalten wird. Gleichermaßen darf eine Fristversäumnis dem Betroffenen dann nicht angelastet werden, wenn er durch arglistiges Verhalten seines Gegners an der rechtzeitigen Einlegung des Rechtsbehelfs gehindert worden ist oder wenn die Fristversäumnis auf das rechts- oder treuwidrige Verhalten der Behörde zurückgeführt werden kann und der Beteiligte das unsachgemäße Verhalten der Behörde trotz aller ihm zumutbaren Anstrengungen nicht erkennen konnte26. Ein bloßer Rechtsirrtum erfüllt hingegen nicht die Voraussetzungen für die Annahme „höherer Gewalt“ i.S. des § 110 Abs. 3 AO27.

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Nach diesen Grundsätzen war der Gesellschafter nicht durch höhere Gewalt an der Stellung eines fristgerechten Antrags gehindert. Grund für das Unterlassen eines Antrags gemäß § 32d Abs. 2 Nr. 3 EStG war sein Irrtum über die zutreffende Qualifizierung seiner Einkünfte. Wegen dieses Irrtums hat er keinen Grund gesehen, von dem ihm bekannten Optionsrecht Gebrauch zu machen. Hierin liegt kein außergewöhnliches Ereignis, das unter den gegebenen Umständen auch durch die äußerste, nach Lage der Sache von dem Gesellschafter zu erwartende Sorgfalt nicht verhindert werden konnte. Dies gilt auch in Bezug auf den Umstand, dass der Gesellschafter keinen Anlass gesehen hat, z.B. wegen etwaiger Unsicherheiten in Bezug auf die zutreffende Qualifizierung jener Einkünfte, vorsorglich einen Antrag gemäß § 32d Abs. 2 Nr. 3 EStG zu stellen.

Der Ablauf der Jahresfrist ist auch nicht ausnahmsweise unbeachtlich, weil dem Finanzamt die maßgeblichen, für eine Wiedereinsetzung sprechenden Tatsachen vor Ablauf der Jahresfrist erkennbar waren. Selbst wenn es für das Finanzamt nach Aktenlage ersichtlich gewesen wäre, dass der Gesellschafter unternehmerisch an der A-GmbH beteiligt war und eine vGA vorlag, hätte es mit Blick auf die gesetzlich vorgesehene Bindung für die folgenden vier Veranlagungszeiträume nicht ohne weiteres von der Ausübung des Optionsrechts durch den Gesellschafter ausgehen können.

Ob die Voraussetzungen des § 32d Abs. 2 Nr. 4 EStG i.d.F. des Jahressteuergesetzes 2010 (JStG 2010), der gemäß § 52a Abs. 15 Satz 2 EStG i.d.F. des JStG 2010 erstmals für den Veranlagungszeitraum 2011 Anwendung findet12, erfüllt sind, kann dahinstehen. Wäre die Anwendung des gesonderten Tarifs nicht gemäß § 32d Abs. 2 Nr. 4 EStG i.d.F. des JStG 2010 ausgeschlossen, wäre die vGA -wie in dem streitigen Einkommensteuerbescheid 2011 erfolgt- aufgrund der Günstigerprüfung nach der tariflichen Einkommensteuer zu besteuern. Wäre die Anwendung des gesonderten Tarifs gemäß § 32d Abs. 2 Nr. 4 EStG i.d.F. des JStG 2010 ausgeschlossen, käme es ebenfalls zur Besteuerung mit der tariflichen Einkommensteuer, ohne dass das Teileinkünfteverfahren Anwendung fände (vgl. § 3 Nr. 40 Satz 2 EStG).

Die auf die -durch Anwendung des Teileinkünfteverfahrens bewirkte- teilweise Steuerfreistellung der Einkünfte aus Kapitalvermögen gerichtete Klage gegen die Einkommensteueränderungsbescheide und die geänderten Verlustfeststellungsbescheide konnte damit aus den dargelegten Gründen keinen Erfolg haben. Sie war daher abzuweisen.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 14. Mai 2019 – VIII R 20/16

  1. Anschluss an BFH, Urteil vom 28.07.2015 – VIII R 50/14, BFHE 250, 413, BStBl II 2015, 894[]
  2. vgl. BFH, Urteil vom 29.08.2017 – VIII R 33/15, BFHE 259, 213, BStBl II 2018, 69[]
  3. ständige Rechtsprechung, vgl. BFH, Urteile vom 19.06.2007 – VIII R 54/05, BFHE 218, 244, BStBl II 2007, 830; vom 21.10.2014 – VIII R 21/12, BFHE 247, 538, BStBl II 2015, 638; BFH, Beschluss vom 12.06.2018 – VIII R 38/14, BFH/NV 2018, 1141; BFH, Urteil vom 20.08.2008 – I R 29/07, BFHE 222, 500, BStBl II 2010, 142[]
  4. vgl. hierzu z.B. BFH, Urteile vom 19.06.2007 – VIII R 34/06, BFH/NV 2007, 2291; vom 25.05.2004 – VIII R 4/01, BFHE 207, 103; vom 22.02.2005 – VIII R 24/03, BFH/NV 2005, 1266[]
  5. mittelbarer Gesellschafter[]
  6. vgl. BFH, Urteil vom 22.10.2015 – IV R 7/13, BFHE 251, 335, BStBl II 2016, 219, unter Verweis auf das BFH, Urteil vom 23.10.1985 – I R 247/81, BFHE 145, 165, BStBl II 1986, 195; vgl. auch Gosch in Gosch KStG § 8 Rz 239; Lang in Dötsch/Pung/Möhlenbrock ((D/P/M[]
  7. vgl. auch BFH, Urteil in BFHE 145, 165, BStBl II 1986, 195; Gosch in Gosch KStG § 8 Rz 239[]
  8. vgl. auch Gosch in Gosch KStG § 8 Rz 239; Lang in D/P/M, a.a.O., § 8 Abs. 3 KStG, Teil C, Rz 816 ff.[]
  9. zur Verfassungsmäßigkeit der Fristenregelung des § 32d Abs. 2 Nr. 3 Satz 4 EStG vgl. BFH, Urteil vom 28.07.2015 – VIII R 50/14, BFHE 250, 413, BStBl II 2015, 894[]
  10. vgl. hierzu ausführlich BFH, Urteil in BFHE 250, 413, BStBl II 2015, 894[]
  11. BFH, Urteil in BFHE 250, 413, BStBl II 2015, 894[]
  12. vgl. BFH, Urteil in BFHE 250, 413, BStBl II 2015, 894[][][][][]
  13. vgl. hierzu z.B. Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 153 AO Rz 13a, m.w.N.[]
  14. BFH, Urteil in BFHE 250, 413, BStBl II 2015, 894, m.w.N.[]
  15. vgl. BFH, Urteil vom 02.07.1986 – I R 70/83, BFH/NV 1987, 704[]
  16. vgl. zur Möglichkeit eines solchen konkludenten Antrags: BFH, Urteile in BFHE 259, 213, BStBl II 2018, 69; in BFHE 250, 413, BStBl II 2015, 894[]
  17. vgl. BFH, Urteil in BFHE 259, 213, BStBl II 2018, 69[]
  18. FG München, Urteil vom 15.06.2016 – 9 K 190/16; zustimmend allerdings: z.B. Reddig, EFG 2016, 1505 f.; Oellerich in Bordewin/Brandt, § 32d EStG Rz 96b; Weiss, GmbH-Rundschau 2016, 1053 f.[]
  19. vgl. BFH, Urteil vom 12.06.2018 – VIII R 14/15, BFHE 262, 66, BStBl II 2018, 755; BFH, Urteile vom 26.06.2007 – IV R 9/05, BFHE 219, 173, BStBl II 2007, 893; vom 12.12 2007 – X R 31/06, BFHE 219, 498, BStBl II 2008, 344[]
  20. vgl. BFH, Urteil vom 21.10.2014 – VIII R 48/12, BFHE 247, 548, BStBl II 2015, 270[]
  21. BT-Drs. 16/7036, S. 14[][]
  22. vgl. hierzu Finanzgericht Düsseldorf, Urteil vom 24.05.2016 – 13 K 3369/14 E, EFG 2016, 1781; nachfolgend BFH, Urteil vom 24.10.2017 – VIII R 19/16, BFHE 262, 1, BStBl II 2019, 34, jedoch ohne Aussage hierzu[]
  23. vgl. BFH, Urteil vom 27.03.2018 – VIII R 1/15, BFHE 261, 144, BStBl II 2019, 56; Blümich/Werth, § 32d EStG Rz 151[]
  24. vgl. BFH, Urteil vom 15.05.1996 – X R 99/92, BFH/NV 1996, 891; BFH, Beschluss vom 30.10.2001 – X B 55/01, BFH/NV 2002, 503 jeweils zu § 56 FGO, m.w.N.[]
  25. vgl. BFH, Urteil vom 12.01.2011 – I R 37/10, BFH/NV 2011, 1281; Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18.12 1985 – 2 BvR 1167, 1185, 1636/84, 308/85 und 2 BvQ 18/84, BVerfGE 71, 305, 348[]
  26. vgl. BFH, Urteil in BFH/NV 2011, 1281; s.a. BFH, Urteil vom 08.08.2013 – V R 3/11, BFHE 242, 535, BStBl II 2014, 46; BFH, Beschluss vom 28.10.2004 – III R 53/03, BFH/NV 2005, 374, m.w.N.[]
  27. BFH, Urteile vom 09.06.2015 – X R 14/14, BFHE 250, 19, BStBl II 2015, 931; vom 08.08.2013 – V R 3/11, BFHE 242, 535, BStBl II 2014, 46[]
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Erfolgsunabhängige Beitragsrückerstattungen

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