Fahrtkosten eines Selbständigen zu ständig wechselnden Betriebsstätten, denen keine besondere zentrale Bedeutung zukommt, sind nicht nur mit der Entfernungspauschale, sondern mit den tatsächlichen Kosten abzugsfähig.

Betriebsstätte i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 Satz 1 EStG ist der Ort, an dem ein selbständig Tätiger seine Leistung gegenüber den Kunden erbringt. Aus der mit der Begrenzung des Fahrtkostenabzugs in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG angestrebten Gleichbehandlung des Betriebsausgabenabzugs u.a. von Selbständigen mit dem entsprechenden Werbungskostenabzug bei Arbeitnehmern folgt, dass die für die Arbeitnehmer geltenden Ausnahmen von den Abzugsbeschränkungen der Fahrtkosten im Falle gleichliegender Sachverhalte bei den selbständig Tätigen grundsätzlich ebenso gelten. Fahrtkosten einer selbständig tätigen Musiklehrerin sind zum uneingeschränkten Betriebsausgabenabzug zuzulassen, soweit sie zwischen Wohnung und ständig wechselnden Unterrichtseinrichtungen anfallen und keiner dieser Beschäftigungsstätten eine besondere zentrale Bedeutung zukommt.
In dem hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall erteilte eine freiberuflich tätige Musiklehrerin in mehreren Schulen und Kindergärten Musikunterricht. Sie machte die Fahrtkosten für ihr privates Kfz als Betriebsausgaben geltend und setzte für jeden gefahrenen Kilometer pauschal 0, 30 € an. Das Finanzamt erkannte dagegen die Fahrtkosten nur mit 0, 30 € pro Entfernungskilometer an. Der Bundesfinanzhof folgte der Rechtsauffassung der Musiklehrerin:
Der Bundesfinanzhof hat damit an seiner bisherigen Rechtsprechung zum Begriff der „Betriebsstätte“ festgehalten1. Im Unterschied zu der Entscheidung vom 22.10.20142 lagen im Streitfall nicht nur eine Betriebsstätte vor, sondern ständig wechselnde Tätigkeitsorte und damit mehrere Betriebsstätten. Da keinem dieser Tätigkeitsorte eine zentrale Bedeutung beigemessen werden konnte, sind diese Fälle unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung von Werbungskosten- und Betriebsausgabenabzug nach den von der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs für den Fahrtkostenabzug von Arbeitnehmern entwickelten Grundsätze zu behandeln. Hiernach ist der Betriebsausgabenabzug nicht auf die Entfernungspauschale von 0, 30 € für jeden Entfernungskilometer begrenzt, wenn der Arbeitnehmer auf ständig wechselnden Einsatzstellen, unabhängig vom Einzugsbereich, tätig ist. In diesen Fällen sind grundsätzlich die tatsächlichen Aufwendungen für die Fahrten absetzbar.
Auch nach der Änderung des Reisekostenrechts zum 1.01.2014 durch das „Gesetz zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts“ vom 20.02.2013 sind die Fahrtkosten zu ständig wechselnden Tätigkeitsorten nach der vorliegenden Entscheidung daher grundsätzlich unbeschränkt als Betriebsausgaben abziehbar.
Gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 Satz 1 EStG dürfen Aufwendungen für die Wege des Steuerpflichtigen zwischen Wohnung und Betriebsstätte den Gewinn nicht mindern, soweit in den folgenden Sätzen nichts anderes bestimmt ist. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 Satz 2 EStG ordnet die entsprechende Anwendung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG an. Danach sind Fahrten eines Arbeitnehmers zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte mit der Entfernungspauschale von 0, 30 EUR für jeden vollen Entfernungskilometer, höchstens 4.500 EUR im Kalenderjahr, abgegolten (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 2 EStG).
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist der Begriff einer Betriebsstätte i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 Satz 1 EStG weiter zu fassen als im Rahmen des § 12 der Abgabenordnung, der eine nicht nur vorübergehende Verfügungsmacht des Steuerpflichtigen über die von ihm genutzte Einrichtung voraussetzt3. Betriebsstätte i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 Satz 1 EStG ist der Ort, an dem oder von dem aus die beruflichen oder gewerblichen Leistungen erbracht werden4. Auch ein durch die Art der Tätigkeit bedingter häufiger Wechsel der Einsatzstelle schließt nicht aus, dass die jeweilige Beschäftigungsstelle eine Betriebsstätte des Unternehmers i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 Satz 1 EStG ist5. Nach diesen Grundsätzen stellen etwa Unterrichtsräume, an denen ein selbständig Tätiger seine Leistungen gegenüber Kunden erbringt, Betriebsstätten i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 Satz 1 EStG dar6.
Danach könnte die Musiklehrerin bei der Ermittlung ihres Gewinns ihre Aufwendungen für die Fahrten zwischen der Wohnung und den jeweiligen Schulen bzw. Kindergärten als Betriebsstätten nur in Höhe von 0, 30 EUR je Entfernungskilometer gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG i.V.m. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 2 EStG als Betriebsausgaben absetzen.
Durch § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 Sätze 1 und 2 EStG sollen jedoch die Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte bei der Ermittlung von Gewinneinkünften mit den Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte bei der Ermittlung von Überschusseinkünften gleich behandelt werden7. Diese durch den Gesetzgeber beabsichtigte Gleichbehandlung wird durch die gesetzlich normierte Verweisung auf § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG deutlich. Der hierin zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers ist bei der Auslegung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG zu berücksichtigen8.
Wenn nach dem Zweck des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG beim Abzug der dort genannten Fahrtkosten die Gewerbetreibenden und selbständig Tätigen den Arbeitnehmern gleichzustellen sind, dann müssen auch die für die Arbeitnehmer geltenden Ausnahmen der Abzugsbeschränkungen im Falle gleichliegender Sachverhalte bei den Gewerbetreibenden und den selbständig Tätigen grundsätzlich ebenso gelten9.
Kommt es danach auf die Gleichbehandlung gleichliegender Sachverhalte an, so geht der vom Finanzamt mit der Revision im Einzelnen begründete Einwand ins Leere, die Begriffe „Betriebsstätte“ i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 Satz 1 EStG und „regelmäßige Arbeitsstätte“ i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG müssten „differenziert“ ausgelegt werden.
Nach der Rechtsprechung des BFH10 ist die Regelung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG dann nicht anzuwenden, wenn der Arbeitnehmer auf ständig wechselnden auswärtigen Tätigkeitsstätten (Einsatzstellen) tätig ist, und zwar unabhängig vom sog. Einzugsbereich11. In diesen Fällen sind grundsätzlich die tatsächlichen Aufwendungen für die Fahrten und nicht nur die Entfernungspauschale absetzbar.
Als Arbeitnehmer wird nur derjenige typischerweise an ständig wechselnden Tätigkeitsstätten tätig, der im Betrieb seines Arbeitgebers keine regelmäßige Arbeitsstätte innehat, die für ihn den (ortsgebundenen) Mittelpunkt seiner dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit darstellt. Eine Einsatzwechseltätigkeit i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 3 EStG ist demnach anzunehmen, wenn es an einem solchen Tätigkeitsmittelpunkt i.S. des Satzes 2 der Vorschrift fehlt12. Allein der Umstand, dass der Arbeitnehmer eine Tätigkeitsstätte im zeitlichen Abstand immer wieder aufsucht, reicht für die Annahme einer regelmäßigen Arbeitsstätte jedenfalls dann nicht aus, wenn der Steuerpflichtige fortdauernd und immer wieder verschiedene Betriebsstätten des Arbeitgebers aufsucht; der regelmäßigen Arbeitsstätte muss vielmehr eine hinreichend zentrale Bedeutung gegenüber den weiteren Tätigkeitsorten zukommen13.
Liegt keine regelmäßige Arbeitsstätte in diesem Sinne vor, sind die Kosten für beruflich veranlasste Fahrten zu den einzelnen Tätigkeitsorten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG zum Abzug zuzulassen14.
Entscheidend ist daher, ob eine der Tätigkeitsstätten, an denen die Musiklehrerin ständig wechselnd beruflich tätig war, eine hinreichend zentrale Bedeutung gegenüber den anderen Tätigkeitsorten hatte, so dass diese mit einer nach der neueren Rechtsprechung anzunehmenden (einen) regelmäßigen Arbeitsstätte gleichzusetzen ist.
Das war nicht der Fall. Soweit sich die Musiklehrerin zu den verschiedenen Unterrichtseinrichtungen begeben hat, kommt keiner dieser Einrichtungen eine besondere zentrale Bedeutung zu, die sich mit einer „regelmäßigen Arbeitsstätte“ vergleichen ließe. Dies hat das Finanzgericht in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise dargelegt und wird vom Finanzamt auch nicht gerügt.
Die Musiklehrerin ist daher im vorliegend entschiedenen Fall mit einem Arbeitnehmer vergleichbar, der sich zu ständig wechselnden Tätigkeitsstätten begeben muss.
Unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung von Werbungskosten- und Betriebsausgabenabzug ist es geboten, die von der Rechtsprechung für den Fahrtkostenabzug von Arbeitnehmern entwickelten Grundsätze auch auf den Regelungsbereich des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG zu übertragen und Fahrtkosten zum uneingeschränkten Betriebsausgabenabzug zuzulassen, soweit sie zwischen Wohnung und ständig wechselnden Beschäftigungsstätten angefallen sind15.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 23. Oktober 14 – III R 19/13
- zuletzt BFH, Urteil vom 22.10.2014 – X R 13/13[↩]
- BFH, Urteil vom 22.10.2014 – X R 13/13[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 04.06.2008 – I R 30/07, BFHE 222, 14, BStBl II 2008, 922, unter II. 2.a, m.w.N.[↩]
- vgl. z.B. BFH, Urteile vom 15.04.1993 – IV R 5/92, BFH/NV 1993, 719, unter 1.; vom 29.04.2014 – VIII R 33/10, BFHE 246, 53, BStBl II 2014, 777, Rz 25, m.w.N.[↩]
- BFH, Urteil vom 18.09.1991 – XI R 34/90, BFHE 165, 411, BStBl II 1992, 90, unter II. 2.[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 27.10.1993 – I R 99/92, BFH/NV 1994, 701, unter II.A.02.[↩]
- vgl. BFH, Urteile vom 15.07.1986 – VIII R 134/83, BFHE 147, 169, BStBl II 1986, 744; vom 13.07.1989 – IV R 55/88, BFHE 157, 562, BStBl II 1990, 23, unter 2.; jeweils unter Hinweis auf die Gesetzesentwicklung bzw. ‑begründung [Steueränderungsgesetz 1966 vom 23.12 1966, BGBl I 1966, 702, BT-Drs. 7/1470, S. 250] und den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts ‑BVerfG- vom 02.10.1969 1 BvL 12/68, BVerfGE 27, 58, 70[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 09.11.1988 1 BvR 243/86, BVerfGE 79, 106, unter B.II. 1., m.w.N.[↩]
- BFH, Urteil vom 05.11.1987 – IV R 180/85, BFHE 151, 413, BStBl II 1988, 334, unter 2.[↩]
- BFH, Urteil vom 11.07.1980 – VI R 198/77, BFHE 131, 64, BStBl II 1980, 654[↩]
- BFH, Urteile vom 18.12 2008 – VI R 39/07, BFHE 224, 111, BStBl II 2009, 475, unter II. 2.; – VI R 47/07, BFH/NV 2009, 751, unter II. 2.[↩]
- z.B. BFH, Urteil vom 11.05.2005 – VI R 16/04, BFHE 209, 518, BStBl II 2005, 789[↩]
- vgl. z.B. BFH, Urteile vom 09.06.2011 – VI R 55/10, BFHE 234, 164, BStBl II 2012, 38, Rz 14, m.w.N.; vom 19.01.2012 – VI R 36/11, BFHE 236, 353, BStBl II 2012, 503, Rz 11; vom 15.05.2013 – VI R 44/11, BFHE 241, 369, BStBl II 2014, 589, Rz 13[↩]
- vgl. z.B. BFH, Urteil vom 20.03.2014 – VI R 74/13, BFHE 245, 56, BStBl II 2014, 854, Rz 11[↩]
- so auch BFH, Urteil vom 31.07.1996 – XI R 5/95, BFH/NV 1997, 279, unter II. 2., m.w.N.[↩]