Veräußerung i.S. des § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG ist die Übertragung von Anteilen gegen Entgelt1.

Entgeltlich ist die Übertragung von Gesellschaftsanteilen, wenn ihr eine gleichwertige Gegenleistung gegenübersteht2.
Das Gegenstück zur entgeltlichen Veräußerung ist die unentgeltliche Übertragung von Anteilen (s. § 17 Abs. 1 Satz 4, Abs. 2 Sätze 5 und 6 Buchst. a EStG), die dadurch gekennzeichnet ist, dass der Übertragende dem Empfänger eine freigiebige Zuwendung machen will.
Letzteres ist bei Verträgen unter fremden Dritten im Allgemeinen nicht anzunehmen, sofern nicht Anhaltspunkte für eine Schenkungsabsicht des übertragenden Vertragspartners bestehen. Deshalb spricht insoweit eine (widerlegbare) Vermutung für das Vorliegen eines entgeltlichen Geschäfts3.
Bei einander nahestehenden Personen wird demgegenüber der Nachweis der Unentgeltlichkeit erleichtert; denn bei ihnen kann nicht unterstellt werden, dass sie Leistung und Gegenleistung im Regelfall nach kaufmännischen Gesichtspunkten ausgehandelt haben4.
Was unter „einander nahestehenden Personen“ zu verstehen ist, ist gesetzlich nicht definiert. Maßgebend ist, ob unter Berücksichtigung der Gesamtheit der objektiven Gegebenheiten ein den Gleichklang wirtschaftlicher Interessen indizierendes, den Einzelfall bestimmendes Näheverhältnis angenommen werden kann.
Ob im Einzelfall unter Anwendung dieser Grundsätze eine entgeltliche oder unentgeltliche Übertragung vorliegt, ist grundsätzlich Tatfrage und als solche vom Finanzgericht zu beurteilen. Die revisionsrechtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob das Finanzgericht im Rahmen der Gesamtwürdigung von zutreffenden Kriterien ausgegangen ist, alle maßgeblichen Beweisanzeichen in seine Beurteilung einbezogen und dabei nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen hat. Fehlt es an einer tragfähigen Tatsachengrundlage für die Folgerungen in der tatrichterlichen Entscheidung oder fehlt die nachvollziehbare Ableitung dieser Folgerungen aus den festgestellten Tatsachen und Umständen, so liegt ein Verstoß gegen die Denkgesetze vor, der als Fehler der Rechtsanwendung ohne besondere Rüge vom Revisionsgericht beanstandet werden kann5.
Nach diesen Maßstäben hat der Bundesfinanz in dem hier entschiedenen Fall das angefochtene Urteil des Finanzgerichts Hamburg6 aufgehoben:
Indem das Finanzgericht das Verhältnis zwischen Freunden ohne weitere Feststellungen mit demjenigen von Verwandten gleichgesetzt und daraus abgeleitet hat, dass die Vermutung für das Vorliegen einer entgeltlichen Übertragung nicht anwendbar sei, hat es die Reichweite dieses Erfahrungssatzes verkannt. Ein den Gleichklang wirtschaftlicher Interessen indizierendes, den Einzelfall bestimmendes Näheverhältnis kann zwar ausnahmsweise im Einzelfall auch bei nicht verwandtschaftlich verbundenen Personen gegeben sein. In einem solchen Fall bedarf es aber weiterer besonderer, objektiver Anhaltspunkte, aus denen auf die Entkräftung der Vermutung einer entgeltlichen Übertragung geschlossen werden kann. Solche Umstände hat das Finanzgericht indes nicht festgestellt. Da dem Urteil des Finanzgericht ein allgemeiner Erfahrungssatz zugrunde liegt, der so nicht besteht, ist der Bundesfinanzhof an die tatsächliche Würdigung nicht gebunden.
Die vorgenannte Annahme des Finanzgericht lässt sich insbesondere nicht auf das Urteil des Bundesfinanzhofs in BFH/NV 2014, 1201, Rz 11 stützen. In jenem Urteil stellt der Bundesfinanzhof zwar klar, bei einander nahestehenden Personen könne nicht unterstellt werden, dass sie Leistung und Gegenleistung im Regelfall nach kaufmännischen Gesichtspunkten ausgehandelt haben. Diesen Ausführungen liegen jedoch die Übertragungen von GmbH-Gesellschaftsanteilen des Vaters auf die Kinder zugrunde. Ein solches Verwandtschaftsverhältnis ist in dem hier zugrunde liegenden Sachverhalt gerade nicht gegeben. Vielmehr tragen im Streitfall die bisherigen Feststellungen des Finanzgericht nicht sein Ergebnis, dass es sich bei dem Zuwendenden und dem Nachbar um einander nahestehende Personen handelt.
Anders als das Finanzgericht annimmt, ist aufgrund der vorliegenden atypischen Umstände der für Zwecke der Besteuerung -anders als im Zivilrecht- insoweit allein maßgebende wirtschaftliche Gehalt des tatsächlich verwirklichten Sachverhalts ohne Bindung an eine Richtigkeits- und Vollständigkeitsvermutung des notariell beurkundeten „Vertrags über die Schenkung und Übertragung“ zu prüfen7. Denn diese rein formale Vermutung ist im Streitfall aufgrund der behaupteten außergewöhnlichen Sachverhaltsgestaltung widerlegt. Dass den Zuwendenden und den Nachbar eine langjährige, aus der Nachbarschaft erwachsene Freundschaft verbindet, stellt alleine keinen nachvollziehbaren Grund dafür dar, dass D einen Anteil (hier: 0,8%) an der A-GmbH, für den er erhebliche Anschaffungskosten in Höhe von 1.461.295,01 € getragen hatte, im Jahr 2010 unentgeltlich auf den Nachbar übertragen haben soll.
Die Sache ist nicht spruchreif. Das Finanzgericht hat -von seinem Standpunkt aus zu Recht- keine (ausreichenden) Feststellungen getroffen, aus denen auf die Entkräftung der Vermutung einer entgeltlichen Übertragung geschlossen werden kann. Dies hat es im zweiten Rechtsgang nachzuholen.
Die tatsächliche Vermutung, dass fremde Personen einander im Geschäftsleben nichts zu schenken pflegen, kann von dem die objektive Beweislast (Feststellungslast) tragenden Steuerpflichtigen (Nachbar) durch unmittelbaren Beweis oder mit Hilfe eines Indizienbeweises widerlegt werden. Das Finanzgericht hat dabei aber zu berücksichtigen, dass die genannte Vermutung umso stärker ausfällt, je wirtschaftlich werthaltiger der übertragene Gesellschaftsanteil für den Übertragenden und den Empfänger ist. Könnte sich das Finanzgericht unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls nicht mit der dafür erforderlichen Sicherheit davon überzeugen, dass die Übertragung unentgeltlich war, würde dies zu Lasten des Nachbars gehen, der sich auf die Unentgeltlichkeit beruft.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 9. Mai 2017 – IX R 1/16
- ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH, Urteil vom 08.04.2014 – IX R 4/13, BFH/NV 2014, 1201, m.w.N.[↩]
- BFH, Urteile vom 05.03.1991 – VIII R 163/86, BFHE 164, 50, BStBl II 1991, 630; vom 01.08.1996 – VIII R 4/92, BFH/NV 1997, 215[↩]
- BFH, Urteile vom 07.03.1995 – VIII R 29/93, BFHE 178, 116, BStBl II 1995, 693; vom 21.10.1999 – I R 43, 44/98, BFHE 190, 377, BStBl II 2000, 424; FG München, Urteil vom 11.04.2016 – 7 K 2432/14, rechtskräftig[↩]
- BFH, Urteil in BFH/NV 2014, 1201[↩]
- ausführlich z.B. BFH, Urteile vom 02.12 2004 – III R 49/03, BFHE 208, 531, BStBl II 2005, 483; vom 20.06.2012 – X R 20/11, BFH/NV 2012, 1778[↩]
- FG Hamburg, Urteil vom 25.11.2015 – 2 K 258/14[↩]
- gleicher Ansicht FG München, Urteil vom 11.04.2016 – 7 K 2432/14 rechtskräftig[↩]