Arbeitgeber dürfen hinsichtlich laufender Altersteilzeitarbeitsverträge keine Rückstellungen für den sog. Nachteilsausgleich gemäß § 5 Abs. 7 TV ATZ bilden.

Gemäß § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB sind in der Handelsbilanz u.a. Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten zu bilden. Die daraus folgende Passivierungspflicht gehört zu den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung [1] und ist von der als Sparkasse buchführungspflichtigen Unternehmerin gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG i.V.m. § 8 Abs. 1 Satz 1 KStG auch für die Steuerbilanzen zu beachten [2].
Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten setzen entweder das Bestehen einer ihrer Höhe nach ungewissen Verbindlichkeit oder die überwiegende Wahrscheinlichkeit des Entstehens einer Verbindlichkeit dem Grunde nach voraus, deren Höhe zudem ungewiss sein kann. Bei den Ansprüchen der Arbeitnehmer auf Nachteilsausgleich gemäß § 5 Abs. 7 TV ATZ handelt es sich um in den Zeitpunkten des Abschlusses der jeweiligen Teilzeitarbeitsverträge sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach ungewisse Verbindlichkeiten. Denn der Zahlungsanspruch setzt u.a. voraus, dass dem Arbeitnehmer nach dem Ende des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses tatsächlich nur ein „gekürzter“ gesetzlicher Rentenanspruch zusteht [3]. Damit fehlte es für die Entstehung der Zahlungsforderungen zu den Zeitpunkten des Abschlusses der Teilzeitarbeitsverträge noch an mindestens einem Tatbestandselement.
Ist die Verpflichtung am Bilanzstichtag ‑wie hier- dem Grunde nach noch nicht rechtlich entstanden, ist eine Rückstellung nur zu bilden, wenn sie erstens mit überwiegender Wahrscheinlichkeit entsteht und der Steuerpflichtige daraus in Anspruch genommen wird und wenn sie wirtschaftlich in den bis zum Bilanzstichtag abgelaufenen Wirtschaftsjahren verursacht ist [4]. Im Streitfall liegt nur die erstgenannte Voraussetzung vor, nicht aber auch die wirtschaftliche Verursachung der Verbindlichkeiten in den bis zu den Bilanzstichtagen abgelaufenen Wirtschaftsjahren.
Die überwiegende Wahrscheinlichkeit der Entstehung ist zu bejahen, wenn zum betreffenden Bilanzstichtag mehr Gründe für als gegen das Entstehen der in Rede stehenden Verbindlichkeit und die künftige Inanspruchnahme des Steuerpflichtigen sprechen [5]. Im Streitfall war aus den abgeschlossenen Altersteilzeitvereinbarungen eine Inanspruchnahme der Unternehmerin hinreichend wahrscheinlich. Denn es war davon auszugehen, dass die Arbeitnehmer den zugesagten Nachteilsausgleich nach dem Ende der Altersteilzeit auch in Anspruch nehmen würden.
An der Verursachung der Abfindungsverbindlichkeiten im abgelaufenen Wirtschaftsjahr oder in den Vorjahren fehlte es hier indessen.
Diese Passivierungsvoraussetzung erfordert, dass die wirtschaftlich wesentlichen Tatbestandsmerkmale zu den maßgeblichen Bilanzstichtagen erfüllt sind und das Entstehen der Verbindlichkeit nur noch von wirtschaftlich unwesentlichen Tatbestandsmerkmalen abhängt. Maßgebend ist hiernach die wirtschaftliche Wertung des Einzelfalls im Lichte der rechtlichen Struktur des Tatbestands, mit dessen Erfüllung die Verbindlichkeit entsteht [6]. Der rechtliche und wirtschaftliche Bezugspunkt der Verpflichtung muss in der Vergangenheit liegen, so dass die Verbindlichkeit nicht nur an Vergangenes anknüpft, sondern auch Vergangenes abgilt [7]. Unerheblich ist im Zusammenhang mit der Beurteilung der wirtschaftlichen Wesentlichkeit hingegen der Grad der Wahrscheinlichkeit der Verwirklichung des betreffenden Tatbestandsmerkmals [8].
Wie ausgeführt, ist § 5 Abs. 7 Satz 1 TV ATZ dahin auszulegen, dass der Abfindungsanspruch nur entsteht, wenn es beim Eintritt des jeweiligen Arbeitnehmers in den Ruhestand tatsächlich zu einer Rentenkürzung kommt. Bei dem Tatbestandselement des Eintritts einer Rentenkürzung, welches in Bezug auf die Arbeitnehmer, für die die Unternehmerin die in Rede stehenden Rückstellungen gebildet hat, zu den Bilanzstichtagen der Streitjahre noch nicht verwirklicht war, handelt es sich um ein im vorstehend beschriebenen Sinne wirtschaftlich wesentliches Tatbestandsmerkmal. Denn Sinn und Zweck der Abfindung nach § 5 Abs. 7 TV ATZ besteht gerade darin, jenen Arbeitnehmern, die aufgrund ihrer Bereitschaft zum Abschluss eines Altersteilzeitarbeitsvertrags später eine Rentenkürzung hinnehmen müssen, einen Nachteilsausgleich zu gewähren [9]. Es handelt sich bei der Rentenkürzung somit um den eigentlichen wirtschaftlichen Beweggrund für die Leistung der Abfindung. Der tatsächliche Eintritt der bei Vertragsschluss erwarteten Rentenkürzung ist daher nicht nur in rechtlich-formaler, sondern auch in wirtschaftlicher Hinsicht eine wesentliche Tatbestandsvoraussetzung für die Entstehung des Abfindungsanspruchs nach § 5 Abs. 7 TV ATZ.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 27. September 2017 – I R 53/15
- ständige Rechtsprechung, z.B. BFH, Urteil vom 25.05.2016 – I R 17/15, BFHE 254, 228, BStBl II 2016, 930[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 11.10.2012 – I R 66/11, BFHE 239, 315, BStBl II 2013, 676[↩]
- vgl. LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 30.05.2016 – 1 Sa 1/16, Zeitschrift für Tarif, Arbeits- und Sozialrecht des öffentlichen Dienstes ‑ZTR- 2016, 707; LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 19.05.2015 – 1 Sa 370 b/14; LAG Niedersachsen, Urteil vom 06.08.2008 – 2 Sa 1738/07[↩]
- vgl. BFH, Urteile vom 27.06.2001 – I R 45/97, BFHE 196, 216, BStBl II 2003, 121; vom 06.06.2012 – I R 99/10, BFHE 237, 335, BStBl II 2013, 196; vom 06.02.2013 – I R 8/12, BFHE 240, 252, BStBl II 2013, 686, jeweils m.w.N.[↩]
- z.B. BFH, Urteil vom 08.11.2000 – I R 10/98, BFHE 193, 406, BStBl II 2001, 349[↩]
- ständige Rechtsprechung, z.B. BFH, Urteile in BFHE 240, 252, BStBl II 2013, 686; vom 15.03.2017 – I R 11/15, BFHE 258, 8, BStBl II 2017, 1043[↩]
- BFH, Urteil vom 17.10.2013 – IV R 7/11, BFHE 243, 256, BStBl II 2014, 302, m.w.N.[↩]
- vgl. BFH, Urteil in BFHE 258, 8, BStBl II 2017, 1043[↩]
- s.a. LAG Baden-Württemberg, Urteil in ZTR 2016, 707; LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 19.05.2015 – 1 Sa 370 b/14; LAG Niedersachsen, Urteil vom 06.08.2008 – 2 Sa 1738/07[↩]