Die Anforderungen, die der Bundesfinanzhof in seiner bisherigen Rechtsprechung an die Durchführung eines Zeitreihenvergleichs gestellt hat1, gelten bei summarischer Betrachtung auch dann, wenn die Ergebnisse des Zeitreihenvergleichs durch Vornahme einer Quantilsschätzung zur Begründung der Schätzungshöhe herangezogen werden.

Eine während des Prüfungszeitraums vorgenommene Preiserhöhung um 26 % schließt es im Regelfall aus, einen durchgehenden Zeitreihenvergleich für die Zeit vor und nach der Preiserhöhung vorzunehmen.
Die Anforderungen, die der Bundesfinanzhof in seiner bisherigen Rechtsprechung an die Durchführung eines Zeitreihenvergleichs gestellt hat, gelten bei summarischer Betrachtung auch dann, wenn die Ergebnisse des Zeitreihenvergleichs durch Vornahme einer Quantilsschätzung zur Begründung der Schätzungshöhe herangezogen werden. Danach ist der Zeitreihenvergleich in Fällen, in denen keine materiellen Mängel der Aufzeichnungen feststellbar sind, grundsätzlich nachrangig zu anderen Schätzungsmethoden; im Streitfall hat das Finanzamt die fehlende Eignung anderer Methoden aber bisher nicht hinreichend dargelegt. Darüber hinaus bestehen Zweifel, ob der Prüfer den Zeitreihenvergleich im Streitfall technisch korrekt durchgeführt hat. Schließlich kann der Bundesfinanzhof derzeit nicht erkennen, weshalb gerade der von der Quantilsschätzungs-Software der Finanzverwaltung ausgeworfene Wert „am wahrscheinlichsten“ sein soll.
Der Bundesfinanzhof hat in seinem Urteil vom 25.03.20151 in Bezug auf die dort streitgegenständliche Variante des Zeitreihenvergleichs u.a. die folgenden Grundsätze aufgestellt:
- Die dort dargestellte Variante des Zeitreihenvergleichs führt auch bei einer formell und materiell ordnungsmäßigen Buchführung denklogisch immer zu einem Mehrergebnis gegenüber der Buchführung, was eine vorsichtige Interpretation der Ergebnisse dieser Methode gebietet.
- Die zeitliche Verteilung des Wareneinkaufs durch den Prüfer wird im Regelfall den Schlüssel zum Verständnis und zur Einordnung der Einzelergebnisse des Zeitreihenvergleichs darstellen; die Kenntnis der bei diesem Schätzungsschritt vorgenommenen Wertungen des Prüfers ist für den Steuerpflichtigen daher von erheblicher Bedeutung. Zuordnungsfehler am Anfang oder Ende der maßgeblichen Zehn-Wochen-Periode können aufgrund des mathematischen Hebeleffekts das rechnerische Ergebnis des Zeitreihenvergleichs in erheblichem Umfang beeinflussen und verzerren.
- Der Zeitreihenvergleich basiert entscheidend auf der Grundannahme, dass im Betrieb das Verhältnis zwischen dem Wareneinsatz und den Erlösen im betrachteten Zeitraum weitgehend konstant ist. Fehlt es an dieser weitreichenden Konstanz, haben die Ergebnisse eines Zeitreihenvergleichs regelmäßig keine hinreichende Aussagekraft.
- Bei einer Buchführung, die formell ordnungsgemäß ist oder nur geringfügige formelle Mängel aufweist, kann der Nachweis der materiellen Unrichtigkeit grundsätzlich nicht allein aufgrund der Ergebnisse eines Zeitreihenvergleichs geführt werden.
- Ist die Buchführung formell nicht ordnungsgemäß, sind aber materielle Unrichtigkeiten der Einnahmenerfassung nicht konkret nachgewiesen, sind andere Schätzungsmethoden, die auf betriebsinternen Daten aufbauen oder in anderer Weise die individuellen Verhältnisse des jeweiligen Steuerpflichtigen berücksichtigen, grundsätzlich vorrangig heranzuziehen. Nur wenn solche Schätzungsmethoden nicht sinnvoll einsetzbar sind, können die Ergebnisse eines Zeitreihenvergleichs einen Anhaltspunkt für die Höhe der erforderlichen Hinzuschätzung bilden. Diese Ergebnisse sind aber von Amts wegen auf ihre Plausibilität anhand der besonderen betrieblichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen zu überprüfen. Bei verbleibenden Zweifeln können Sicherheitsabschläge in einem Umfang geboten sein, der über eine bloße Abrundung des rechnerischen „Mehrergebnisses“ hinausgeht.
- Steht bereits aus anderen Gründen fest, dass die Buchführung nicht nur formell, sondern auch materiell unrichtig ist und übersteigt die Unrichtigkeit eine von den Umständen des Einzelfalls abhängige Bagatellschwelle, können die Ergebnisse eines -technisch korrekt durchgeführten- Zeitreihenvergleichs auch für die Ermittlung der erforderlichen Hinzuschätzung der Höhe nach herangezogen werden, sofern sich im Einzelfall keine andere Schätzungsmethode aufdrängt, die tendenziell zu genaueren Ergebnissen führt und mit vertretbarem Aufwand einsetzbar ist
- Sofern die Ausgangsparameter (insbesondere die Feststellung des Warenbestands) mit Unsicherheiten behaftet sind, ist von Amts wegen eine Sensitivitätsanalyse durchzuführen, die verdeutlichen muss, welche Auswirkungen die nicht behebbaren Unsicherheiten bei einzelnen Parametern auf die Ergebnisse des Zeitreihenvergleichs haben können
Diese Anforderungen gelten jedenfalls bei summarischer Betrachtung auch dann, wenn die Ergebnisse eines Zeitreihenvergleichs durch Vornahme einer Quantilsschätzung zur Begründung der Höhe einer Hinzuschätzung herangezogen werden sollen.
Auch die Quantilsschätzung stellt eine Vollschätzung dar, da das Ergebnis der eigenen Gewinnermittlung des Steuerpflichtigen vollständig verworfen und durch ein anderes Ergebnis ersetzt wird. Die besonderen Risiken (denknotwendig Ausweis eines Mehrergebnisses auch gegenüber einer formell und materiell ordnungsmäßigen Gewinnermittlung, erhebliche mathematische Hebelwirkungen, Ausgabe großer und kaum vollständig überprüfbarer Datenmengen) bestehen hier ebenso.
Letztlich handelt es sich bei der Quantilsschätzung im Kern lediglich um eine geänderte Interpretation der Ergebnisse derjenigen Variante des Zeitreihenvergleichs, die Gegenstand der BFH-Entscheidung in BFHE 249, 390, BStBl II 2015, 743 war. Während dort der Zehn-Wochen-Zeitraum mit dem höchsten gleitenden Rohgewinnaufschlagsatz (RAS) als maßgeblich für das Gesamtjahr angesehen wurde, wird bei der Quantilsschätzung der nächsthöchste Einzel-RAS herangezogen, der nach dem Ausscheiden der 20 % höchsten Einzelwerte verbleibt. Eine solche Schätzung wird auch bei einer formell und materiell ordnungsmäßigen Gewinnermittlung regelmäßig zu Mehrergebnissen führen, da der 80 %-Wert meist höher liegen wird als der 50 %-Wert (Mittelwert). Die mathematischen Hebelwirkungen beziehen sich bei der Quantilsschätzung zwar nicht auf den Anfang und das Ende des maßgebenden Zehn-Wochen-Zeitraums, wohl aber auf den Anfang und das Ende desjenigen Zeitraums, dessen RAS nach Ausscheiden der 20 % höchsten Einzelwerte als maßgeblich für das Gesamtjahr herangezogen wird.
Diese Einschätzung liegt -jedenfalls im Ergebnis- auch einem Großteil der bisher bekannt gewordenen instanzgerichtlichen Entscheidungen zur Quantilsschätzung zugrunde.
In einem Fall, in dem materielle Mängel der Gewinnermittlung nicht konkret nachgewiesen waren, hat das Finanzgericht Berlin-Brandenburg2 in einem AdV-Verfahren die Quantilsschätzung nicht als geeignete Schätzungsmethode angesehen und stattdessen eine eigene Hinzuschätzung in geringerer Höhe vorgenommen. Dies entspricht der Bundesfinanzhofsrechtsprechung3.
Das Finanzgericht Hamburg4 hatte in einem AdV, Beschluss einen Sachverhalt zu beurteilen, in dem Schwarzeinkäufe konkret nachgewiesen waren, die Gewinnermittlung sich also schon ohne den Zeitreihenvergleich als materiell unrichtig erwiesen hatte. Es hat hier die Quantilsschätzung dem Grunde nach nicht beanstandet, der Höhe nach aber erhebliche Korrekturen vorgenommen. Damit liegt auch das Finanzgericht Hamburg auf der Linie der Bundesfinanzhofsrechtsprechung, die bei nachgewiesenen materiellen Mängeln die Heranziehung der Ergebnisse eines technisch korrekt durchgeführten Zeitreihenvergleichs für die Höhe der Hinzuschätzung grundsätzlich zulässt5.
Demgegenüber hat ein anderer Bundesfinanzhof des Finanzgerichts Hamburg6 -ebenso wie das Finanzgericht Berlin-Brandenburg als Vorinstanz im vorliegenden Verfahren7- in einem Fall, in dem lediglich formelle Mängel nachgewiesen waren, aus den Ergebnissen des Zeitreihenvergleichs und einer Ziffernanalyse auf die materielle Unrichtigkeit der Buchführung geschlossen und eine durchgeführte Quantilsschätzung nicht beanstandet.
In der Literatur halten vor allem Autoren, die in der Finanzverwaltung tätig sind, die Quantilsschätzung für eine sachgerechte Schätzungsmethode8.
Andere Autoren übertragen demgegenüber die in der Bundesfinanzhofsrechtsprechung in Bezug auf den Zeitreihenvergleich vorgenommenen Einschränkungen auch auf die Quantilsschätzung9.
Nach der Bundesfinanzhofsrechtsprechung ist ein Zeitreihenvergleich in Fällen, in denen -wie hier- zwar formelle Mängel vorliegen, materielle Mängel der Aufzeichnungen aber nicht konkret nachgewiesen sind, im Verhältnis zu anderen Schätzungsmethoden nachrangig; ggf. sind deutliche Abschläge erforderlich.
Bisher hat das Finanzamt nicht hinreichend dargelegt, dass eine Heranziehung anderer Schätzungsmethoden im Streitfall ausscheidet. Diese Frage wird daher im Hauptsacheverfahren zu klären sein. Die danach gegenwärtig bestehende Unsicherheit, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die Stützung der Schätzungshöhe auf einen Zeitreihenvergleich erfüllt sind, rechtfertigt dem Grunde nach die Gewährung von AdV.
Zur Geldverkehrsrechnung hat das Finanzamt ausgeführt, diese Methode scheide im Streitfall aus. Sie habe mit Abschaffung der Vermögensteuer und der damit verbundenen Offenlegungspflicht für Privatvermögen stark an Bedeutung verloren. Weder die vom Steuerpflichtigen genutzten Bankkonten noch die dortigen Geldbewegungen könnten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ermittelt werden. E habe in einem Gespräch angegeben, der Unternehmer unterhalte ein Bankkonto im Ausland, auf das er regelmäßig Bargeldbeträge eingezahlt habe. Der Unternehmer habe im Eröffnungsgespräch erklärt, die Bareinnahmen in einem Tresor zu lagern und einen Großteil der Ausgaben aus diesem Bargeldbestand zu bestreiten. Die Hobbys, Vorlieben und der Lebensstandard des Unternehmers seien nicht bekannt. Zudem habe der Unternehmer auf eine längere Amerikareise mit unkalkulierbaren Kosten gespart.
Hierzu ist anzumerken, dass im Streitfall eine Pflicht zur Abgabe von Vermögensteuererklärungen angesichts der geringen Höhe jedenfalls des erkennbaren Vermögens des Unternehmers und der hohen Freibeträge mutmaßlich nicht bestanden hätte, die Abschaffung der Vermögensteuer im Streitfall -und in vielen anderen Kleinunternehmer-Fällen- daher nicht kausal für die Durchführbarkeit oder Nichtdurchführbarkeit einer Geldverkehrsrechnung sein kann. Im Gegenteil ist zeitlich nach Abschaffung der Vermögensteuer durch die erheblich erweiterten Möglichkeiten des Kontenabrufs (§ 93 Abs. 7, § 93b AO) und die deutlich gestärkten Möglichkeiten des internationalen Datenaustausches eine Transparenz des Bankkontenbestands eingetreten, die zu Zeiten der Erhebung der Vermögensteuer kaum denkbar gewesen sein dürfte.
Unterlagen zu den vermeintlichen Angaben der E zu einem Auslands-Bankkonto des Unternehmers befinden sich nicht in den vom Finanzamt vorgelegten Akten, so dass der Bundesfinanzhof nicht in der Lage ist, zu beurteilen, wie konkret solche Angaben waren und welche Folgen sie für das vorliegende Verfahren haben könnten. Das Finanzamt ist aber frei, im fortgeführten Hauptsacheverfahren diesen Angaben nachzugehen und entsprechende Ermittlungen anzustellen. Sollte E konkrete Angaben zu einem Auslandskonto gemacht haben, dürfte es angesichts des heute erreichten Standes des internationalen Informationsaustausches in Steuersachen durchaus möglich sein, Kenntnis über die dortigen Geldbewegungen zu erlangen und sie in eine Geldverkehrsrechnung einzubeziehen – sofern sich aus der Höhe etwaiger bisher unbekannter Bargeldeinzahlungen nicht ohnehin bereits auf die materielle Unrichtigkeit der erklärten Einnahmen schließen ließe und damit nach der Bundesfinanzhofsrechtsprechung auch die Anwendung gröberer Schätzungsmethoden bis hin zu einem Zeitreihenvergleich zulässig wäre10.
Hinsichtlich des Vorbringens des Finanzamt zur Nutzung des Tresors ist darauf hinzuweisen, dass der Prüfer zum Eröffnungsgespräch insoweit lediglich notiert hat: „Bareinnahmen Tresor ? dann Einzahlung nach Bedarf“. Hieraus folgt nur, dass die Bareinnahmen nicht täglich, sondern zusammengefasst für mehrere Tage auf das betriebliche Bankkonto eingezahlt worden sind. Es ist aber nicht ersichtlich, dass dies ein Hindernis für die Vornahme einer Geldverkehrsrechnung darstellen könnte.
Informationen zu den Hobbys und dem Lebensstandard des Unternehmers dürften durchaus ermittelbar sein; jedenfalls ist dies der Finanzverwaltung auch in zahlreichen anderen Fällen, die dem Bundesfinanzhof bekannt sind, möglich gewesen. Ersatzweise können statistische Durchschnittswerte für die Lebenshaltungskosten herangezogen werden, was in der Verwaltungspraxis nach Kenntnis des Bundesfinanzhofs durchaus üblich ist. Die vom Finanzamt erwähnten Sparbeiträge für die Amerika-Reise wären ebenso wie jede andere Geldposition in die Geldverkehrsrechnung einzubeziehen.
Die Erwägungen des Finanzamt zur Unmöglichkeit der Durchführung einer Aufschlagkalkulation sind jedenfalls insoweit in tatsächlicher Hinsicht fehlerhaft, als das Finanzamt zur Begründung u.a. anführt, es lägen auch für das laufende Gaststättengeschäft keine Informationen zu den Preisgestaltungen vor. Tatsächlich hat der Unternehmer nach Aktenlage alle von ihm in den Streitjahren verwendeten Speisekarten vorgelegt. Damit ist die Preisgestaltung bekannt.
Darüber hinaus bestehen auch Bedenken, ob der Zeitreihenvergleich im Streitfall technisch korrekt durchgeführt worden ist und der Prüfer bereits von Amts wegen alle betrieblichen Besonderheiten in die von ihm herangezogenen Datengrundlagen einbezogen hat.
Die vom Unternehmer während des Prüfungszeitraums vorgenommene erhebliche Preiserhöhung (nach der aktuellen Auffassung des Finanzamt immerhin 26 % zum 1.01.2009) bedeutet eine wesentliche Änderung im Betrieb, die es bereits methodisch ausschließt, einen durchgehenden Zeitreihenvergleich für die Zeit vor und nach der Preiserhöhung vorzunehmen11. Das Finanzamt hat hierzu in der Beschwerdeerwiderung ausgeführt, mit der „Konjunkturanpassung“ hätten die Ergebnisse der Jahre 2009 und 2010 an das Preisniveau des Jahres 2008 angepasst werden sollen, um die Vergleichbarkeit der Schätzung herzustellen. Indes soll eine Schätzung nicht vergleichbar, sondern möglichst realitätsnah sein. Wenn im Prüfungszeitraum eine erhebliche Preiserhöhung stattgefunden hat, dann muss die Schätzung dies berücksichtigen, nicht aber die -nicht miteinander vergleichbaren- RAS der Jahre vor und nach der Preiserhöhung vergleichbar machen.
Im Betrieb des Unternehmers haben die Bargeschäfte zwar sowohl auf der Einnahmen- als auch auf der Ausgabenseite weit überwogen. Allerdings hätte der Prüfer von Amts wegen die unbar getätigten Geschäfte in seine Datenanalyse einbeziehen müssen und sie nicht den Bargeschäften gleichstellen dürfen.
Auch wenn nur 31 von insgesamt mehr als 4.000 Eingangsrechnungen unbar bezahlt worden sind, dürfte es sich dabei tendenziell um die höheren Beträge handeln, so dass das tatsächliche Gewicht dieser Ausgaben -und die dadurch ausgelöste Verzerrung der Ergebnisse des Zeitreihenvergleichs- höher sein dürfte als der geringe prozentuale Anteil an der Gesamtheit der Eingangsrechnungen. Gleiches dürfte für die unbar erzielten Erlöse gelten.
Nach Abschluss der Außenprüfung hat das Finanzamt zwar erkannt, dass hierin ein Mangel des Zahlenwerks liegt, und den Unternehmer um nochmalige Übermittlung der entsprechenden Eingangsrechnungen und Bankunterlagen gebeten. Der Unternehmer hat hierauf -soweit ersichtlich- bisher nicht reagiert. Gleichwohl geht die unterbliebene Einbeziehung der unbaren Zahlungen im gegenwärtigen Verfahrensstadium noch zu Lasten des Finanzamt, das den Zeitreihenvergleich schon von Anfang an in einer technisch korrekten Form hätte durchführen können und müssen. Sollte der Unternehmer die vom Finanzamt nochmals angeforderten Unterlagen allerdings auch im weiteren Verlauf des fortzuführenden Hauptsacheverfahrens nicht vorlegen, würde die darin zu sehende Verletzung seiner Mitwirkungspflichten die Verletzung der Ermittlungspflichten des Finanzamt überholen, so dass dem Finanzamt dies nicht mehr zum Nachteil gereichen könnte.
Eine Verteilung der Einkäufe über den Zeitraum bis zum nächsten Einkauf gleichartiger Waren ist offensichtlich unterblieben. In einem solchen Fall sind einem Zeitreihenvergleich -vor allem dann, wenn die jeweils betrachteten Zeitabschnitte für die Ermittlung der Einzel-RAS im Verhältnis zur durchschnittlichen Umschlagzeit der eingekauften Waren relativ kurz sind- aber erhebliche rechnerische Unsicherheiten immanent.
Da auch das Finanzamt davon ausgeht, dass der Unternehmer selbst bei einer sehr gängigen Ware wie dem Hauptumsatzträger Bier eine Vorratshaltung über einen Zeitraum von bis zu zwei Wochen betrieben hat -was immerhin der Hälfte des vom Finanzamt herangezogenen (Monats-)Zeitraums für die Schätzung der einzelnen RAS entspricht-, sind die statistischen Auswirkungen von Verschiebungen der einzelnen Wareneinkäufe als sehr hoch anzusehen.
Darüber hinaus berücksichtigt das Vorbringen des Finanzamt, der Unternehmer habe im Regelfall knapp einmal wöchentlich Bier eingekauft, nicht, dass in der Gaststätte auch zahlreiche Sorten Schnäpse angeboten wurden. Zu deren Umschlaghäufigkeit hat das Finanzamt keine Ermittlungen vorgenommen. Nach der Lebenserfahrung dürfte in diesem Bereich aber durchaus eine nennenswerte -in ihrem Umfang zudem schwankende- Lagerhaltung bestehen.
Unzutreffend ist die Erwägung des Finanzamt, etwaige durch den Monatswechsel bedingte Verschiebungen zwischen dem Zeitpunkt des Wareneinkaufs (bzw. der Bezahlung der Eingangsrechnungen) und dem -für die Ermittlung des zutreffenden RAS allein maßgeblichen- Zeitpunkt des tatsächlichen Wareneinsatzes seien zu vernachlässigen, weil sich die Auswirkungen auf den RAS in den Folgemonaten ausgleichen würden. Dieser Einwand verkennt, dass die Methode der Quantilsschätzung gerade auf der Heranziehung eines der höchsten RAS beruht. Wenn aber ein Teil der in die Betrachtung einbezogenen Einzel-RAS wegen der durch den Monatswechsel bedingten Verschiebungen überhöht ist, kommt es eben nicht zu einem Ausgleich. Vielmehr bleiben diese überhöhten RAS in der Gesamtrechnung bestehen und werden dann zur Begründung der Höhe der Hinzuschätzung herangezogen. Der Unternehmer hat selbst dargelegt, dass im Streitfall bereits eine -auch angesichts der konkreten betrieblichen Verhältnisse als eher geringfügig anzusehende- Verschiebung eines Wareneinkaufs/Wareneinsatzes im Umfang von nur 250 EUR über eine Monatsgrenze hinaus zu einer Veränderung des Monatswertes des RAS um 21 Prozentpunkte führt.
Die Durchführung von Veranstaltungen, die am jeweiligen Tag zu einem deutlichen „Umsatzsprung“ im Vergleich zu einer durchschnittlichen Tageseinnahme geführt hat, wäre ebenfalls gesondert zu betrachten gewesen. In Fällen, in denen der für eine Veranstaltung erforderliche, deutlich erhöhte Wareneinkauf noch vor einem Monatswechsel getätigt wird, die entsprechenden Erlöse aber erst nach dem Monatswechsel vereinnahmt werden, kommt es zu ganz erheblichen Verzerrungen zwischen den einzelnen Monatswerten. Der RAS des Monats, in den die Vereinnahmung des Erlöses fällt, wird deutlich zu hoch ausgewiesen; umgekehrt wird der RAS des Monats, in den der vorbereitende Wareneinkauf fällt, deutlich zu gering ausgewiesen. Da die Idee der hier vom Finanzamt angewendeten Variante des Zeitreihenvergleichs gerade darauf beruht, Schwankungen der monatlichen RAS als starkes Indiz für eine materiell fehlerhafte Gewinnermittlung anzusehen, muss das Finanzamt es schon bei der Durchführung des Zeitreihenvergleichs -von Amts wegen- ausschließen, dass betriebliche Besonderheiten derartige rechnerische Schwankungen hervorrufen können.
Zudem kann der Bundesfinanzhof beim derzeitigen Stand des Sachvortrags des Finanzamt nicht erkennen, dass gerade der von der Quantilsschätzungs-Software der Finanzverwaltung ausgeworfene Wert „am wahrscheinlichsten“ -so die Formulierung des Prüfers- sei. Insoweit kann sich im Hauptsacheverfahren -sofern dort nach weiterer Sachaufklärung überhaupt die Voraussetzungen für die Durchführung eines Zeitreihenvergleichs festzustellen sein sollten- die Einholung des Gutachtens eines mathematisch-statistischen Sachverständigen anbieten12, falls das Finanzgericht nicht selbst über die erforderliche Sachkunde in der Anwendung und Beurteilung mathematisch-statistischer Methoden verfügt.
Das Finanzamt geht davon aus, dass bei Datensätzen, die der Gauß’schen Normalverteilung genügen, so dass 68, 27 % der Datensätze innerhalb der ersten Standardabweichung liegen, der Wert, der sich für den oberen Rand der durch die erste Standardabweichung definierten Bandbreite ergibt, der zutreffende Wert für die Schätzung sei.
In mathematischer Hinsicht setzt die Anwendung der statistischen Erkenntnisse zur Gauß’schen Normalverteilung zuvörderst voraus, dass die RAS überhaupt der Normalverteilung folgen und die erhobene Grundgesamtheit (hier: 36 Einzelgrößen) groß genug ist. Beim gegenwärtigen Stand bestehen hinsichtlich beider Voraussetzungen Bedenken.
Voraussetzung dafür, dass die Einzelgrößen einer Grundgesamtheit der Gauß’schen Normalverteilung folgen, dürfte im Regelfall sein, dass die Einzelgrößen zutreffend ermittelt wurden. Im Streitfall folgen möglicherweise zwar die -angesichts der Unsicherheiten bei der Schätzung des tatsächlichen Wareneinsatzes nicht mit vertretbarem Aufwand feststellbaren- exakten tatsächlichen monatlichen RAS eines Betriebs der Gauß’schen Normalverteilung, aber die vom Prüfer relativ grob geschätzten monatlichen RAS weichen mehr oder weniger deutlich von den tatsächlichen monatlichen RAS ab. Insofern ist es jedenfalls nicht selbstverständlich -und wäre ggf. vom Finanzamt im Hauptsacheverfahren sachkundig zu belegen-, dass auch die vom Prüfer unter Inkaufnahme eines erheblichen Schätzungsfehlers ermittelten monatlichen RAS normalverteilt sind.
Hinzu kommt das möglicherweise nur schwer zu lösende Problem, dass einerseits die Grundgesamtheit (hier: die Anzahl der zur Verfügung stehenden RAS für bestimmte Zeitabschnitte) möglichst hoch sein sollte, um zu einer Normalverteilung zu kommen, gegenläufig aber die Qualität (Validität) des einzelnen RAS mit der Verkürzung des Zeitraums, für den er ermittelt wird, stark abnimmt. So dürften die jeweils für ein Quartal ermittelten RAS zwar je Einzelwert nur eine relativ geringe Fehlermarge aufweisen, da die problematischen Verschiebungen beim Wareneinkauf zu Beginn und zum Ende des jeweiligen Zeitabschnitts hier im Verhältnis zur Gesamthöhe des Wareneinkaufs nicht so stark ins Gewicht fallen wie bei Monats- oder gar Wochenwerten. Indes würden dann für das Jahr 2008 nur vier Einzelwerte und für die -aufgrund der erheblichen Preiserhöhung gesondert zu betrachtenden- Jahre 2009/2010 nur acht Einzelwerte zur Verfügung stehen. Dies dürfe eine für die Anwendung der Normalverteilung erheblich zu geringe Grundgesamtheit sein.
Auf der anderen Seite erhielte man zwar eine ausreichend große Grundgesamtheit, wenn die RAS tageweise ermittelt würden (hier: für 2008 ca. 350 Einzelwerte, für 2009/2010 ca. 700 Einzelwerte). Hier wäre jedoch der einzelne tageweise ermittelte RAS unbrauchbar, da nicht an jedem Tag exakt so viele Waren eingekauft wie am selben Tag verbraucht werden. Es fehlte damit an der Validität der Einzelwerte, so dass ebenfalls nicht davon ausgegangen werden könnte, sie folgten der Normalverteilung.
Schließlich wäre zu klären, ob der vom Finanzamt behauptete mathematische Erfahrungssatz des Inhalts, dass der „richtige“ Wert bei schwankenden und -hier unterstellt- normalverteilten Gewinnermittlungs-Rohdaten genau dem Mittelwert zuzüglich der ersten Standardabweichung entspricht, tatsächlich existiert.
Schon im Ansatz unzutreffend ist in diesem Zusammenhang die Erwägung des Finanzgericht, die Quantilsschätzung sei schon deshalb eine sachgerechte Schätzungsmethode, weil sie den normalen Geschäftsverlauf als repräsentativ ansehe. Tatsächlich rekurriert die Quantilsschätzung nicht etwa auf den „normalen Geschäftsverlauf“, sondern stützt sich für die vorgenommene Vollschätzung auf einen Wert, der in 80 % der Zeitabschnitte gerade nicht erreicht wird.
Zur Berücksichtigung der vorhandenen formellen Mängel der Aufzeichnungen des Unternehmers nimmt der Bundesfinanzhof in Ausübung seiner eigenen Schätzungsbefugnis für AdV-Zwecke -und ohne jedes Präjudiz für das Hauptsacheverfahren- einen griffweisen Sicherheitszuschlag zu den erklärten Einnahmen von 3.000 EUR netto pro Jahr vor.
Die sicher feststellbaren formellen Mängel beschränken sich nach dem derzeitigen Stand der Sachaufklärung auf die Bereiche „Volksfest“ und „Veranstaltungen“. Der Anteil dieser Geschäftsbereiche am Gesamterlös steht derzeit nicht fest, was im AdV-Verfahren nicht zu Lasten des Unternehmers gehen darf. Daher bewegt sich der Sicherheitszuschlag am unteren Rand der Bandbreite und repräsentiert den Bereich, in dem es keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer Hinzuschätzung gibt.
Zu Lasten des Unternehmers merkt der Bundesfinanzhof allerdings an, dass er derzeit keine Grundlage für die vom Prüfer vorgenommene gewinnmindernde Berücksichtigung der Umsatzsteuer-Mehrergebnisse im Jahr 2010 sieht, und daher in diesem Umfang keine AdV gewähren kann.
Obwohl der Unternehmer den Betrieb zu Buchwerten in die Ehegatten-GbR eingebracht hat und sowohl der Unternehmer als auch die GbR ihre Gewinne durch Einnahmen-Überschuss-Rechnung ermittelt haben, vertrat der Prüfer die Auffassung, es sei zwingend eine Aufgabebilanz für das Einzelunternehmen zu erstellen und ein Übergangsgewinn zu berechnen. Im Rahmen der Ermittlung dieses Übergangsgewinns hat er die sich aus der Prüfung ergebenden Umsatzsteuer-Verbindlichkeiten gewinnmindernd passiviert.
Für diese Gewinnminderung sieht der Bundesfinanzhof indes bei summarischer Prüfung keine Rechtsgrundlage. Wenn sowohl der zu Buchwerten eingebrachte Betrieb als auch die aufnehmende Personengesellschaft ihre Gewinne durch Einnahmen-Überschuss-Rechnung ermitteln, ist der einbringende Einzelunternehmer nicht zur Ermittlung eines Übergangsgewinns verpflichtet13, zumal die aufnehmende Personengesellschaft sogleich ein gegenläufiges Übernahmeergebnis ermitteln müsste. Im Rahmen der Ermittlung der von der Vollziehung auszusetzenden Beträge nimmt der Bundesfinanzhof daher eine Saldierung mit diesem Rechtsfehler vor.
Anders als der Unternehmer meint, ist nicht schon deshalb AdV zu gewähren, weil das Finanzamt 13 Monate lang nicht über den Einspruch entschieden hat. Der Unternehmer beruft sich hierbei auf den Beschluss des Finanzgericht Münster vom 16.04.199714. Dort war allerdings tragend für die Gewährung von AdV, dass das Finanzamt seine im Prüfungsbericht gezogenen Wertungen nicht durch konkrete Tatsachen belegt hatte. Aufgrund des sich daraus ergebenden „erheblichen Aufklärungsbedarfs“ hat das Finanzgericht AdV gewährt. Demgegenüber besteht im Streitfall jedenfalls hinsichtlich der formellen Mangelhaftigkeit der Aufzeichnungen in den Bereichen „Volksfest“ und „Veranstaltungen“ kein Aufklärungsbedarf mehr.
Bundesfinanzhof, Beschluss vom 12. Juli 2017 – X B 16/17
- BFH, Urteil vom 25.03.2015 – X R 20/13, BFHE 249, 390, BStBl II 2015, 743[↩][↩]
- FG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24.08.2016 – 5 – V 5089/16, EFG 2017, 12[↩]
- vgl. BFH, Urteil in BFHE 249, 390, BStBl II 2015, 743, Rz 63 ff.[↩]
- FG Hamburg, Beschluss vom 26.08.2016 6 – V 81/16[↩]
- BFH, Urteil in BFHE 249, 390, BStBl II 2015, 743, Rz 66[↩]
- FG Hamburg, Beschluss vom 31.10.2016 – 2 – V 202/16, EFG 2017, 265[↩]
- FG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 09.01.2017 – 4 – V 4265/15[↩]
- z.B. Schumann/Wähnert, Die Steuerberatung 2012, 535; Wähnert, Die steuerliche Betriebsprüfung 2015, 92; Becker, DStR 2016, 1430, 1435; Becker/Schumann/Wähnert, DStR 2017, 1243[↩]
- ausführlich Bleschick, DStR 2017, 426, und Krumm, DB 2017, 1105; ferner Hartmann, EFG 2017, 12[↩]
- vgl. BFH, Urteil in BFHE 249, 390, BStBl II 2015, 743, Rz 66[↩]
- vgl. zu dem Erfordernis eines weitgehend konstanten Verhältnisses zwischen Wareneinsatz und Erlösen Urteil in BFHE 249, 390, BStBl II 2015, 743, Rz 56[↩]
- vgl. hierzu Krumm, DB 2017, 1105, 1107, re. Sp.[↩]
- vgl. BFH, Urteile vom 13.09.2001 – IV R 13/01, BFHE 196, 546, BStBl II 2002, 287, unter II. 2.; und vom 14.11.2007 – XI R 32/06, BFH/NV 2008, 385, unter II. 1.d aa[↩]
- FG Münster, Beschluss vom 16.04.1997 – 15 V 1134/97, EFG 1997, 895[↩]