Rückstellung für öffentlich-rechtliche Anpassungsverpflichtung nach der TA Luft 2002

Eine behördliche Anweisung, nach der Altanlagen einen festgelegten Emissionswert ab einem bestimmten Zeitpunkt einhalten sollen (hier: Nr. 5.4.1.2.1 TA Luft 2002), kann in der Regel nicht dahin verstanden werden, dass die Verpflichtung zur Wahrung des Grenzwerts im Sinne der Rechtsprechung zu Verbindlichkeitsrückstellungen rechtlich bereits vor Ablauf dieses Zeitpunkts entsteht1.

Rückstellung für öffentlich-rechtliche Anpassungsverpflichtung nach der TA Luft 2002

Gemäß § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB sind in der Handelsbilanz u.a. Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten zu bilden. Die daraus folgende Passivierungspflicht gehört zu den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung und war gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG 2002 i.V.m. § 8 Abs. 1 Satz 1 des Körperschaftsteuergesetzes 2002 auch für die Steuerbilanz der Klägerin zu beachten2.

Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten setzen entweder das Bestehen einer ihrer Höhe nach ungewissen Verbindlichkeit oder die überwiegende Wahrscheinlichkeit des Entstehens einer Verbindlichkeit dem Grunde nach voraus, deren Höhe zudem ungewiss sein kann. Gegenstand der Verbindlichkeit können nicht nur Geldschulden, sondern auch Werkleistungspflichten sein. Beruhen die Verbindlichkeiten auf öffentlich-rechtlichen Vorschriften, so bedarf es der Konkretisierung in dem Sinne, dass sie inhaltlich hinreichend bestimmt, in zeitlicher Nähe zum Bilanzstichtag zu erfüllen sowie sanktionsbewehrt sind. Ist die Verpflichtung am Bilanzstichtag nicht nur der Höhe nach ungewiss, sondern auch dem Grunde nach noch nicht rechtlich entstanden, so kann eine Rückstellung nur unter der weiteren Voraussetzung gebildet werden, dass sie wirtschaftlich in den bis zum Bilanzstichtag abgelaufenen Wirtschaftsjahren verursacht ist3.

Vorliegend war die Verpflichtung zur Begrenzung staubförmiger Emissionen gemäß TA Luft 2002 zum Ende der Streitjahre zwar hinreichend konkretisiert, da die Nichtbeachtung der Ordnungsverfügung vom 01.07.2005, mit der der Klägerin aufgegeben wurde, den Grenzwert für staubförmige Emissionen von 20 mg/cbm spätestens ab dem 1.10.2010 einzuhalten, die Untersagung des Betriebs der Klägerin hätte zur Folge haben können (§ 20 BImSchG) und z.B. nach dem Ordnungswidrigkeitstatbestand des § 62 Abs. 1 Nr. 5 BImSchG sanktionsbewehrt war4; auch bedarf es insoweit keiner qualifizierten Nähe der erforderlichen Anpassungsmaßnahmen zum Bilanzstichtag5. Die Verpflichtung zur Einhaltung dieses Emissionswerts war an den Bilanzstichtagen der Streitjahre jedoch weder rechtlich entstanden noch war sie bis zu diesen Zeitpunkten wirtschaftlich verursacht. Demgemäß erübrigen sich auch Ausführungen dazu, ob –wie vom Beigetretenen sowie dem Finanzamt geltend gemacht– die der Klägerin entstandenen Aufwendungen als nachträgliche Herstellungskosten zu aktivieren und deshalb von einer Rückstellungspassivierung ausgeschlossen sind (vgl. § 5 Abs. 4b EStG 2002).

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Nach allgemeinen Grundsätzen, die auch im öffentlichen Recht Gültigkeit beanspruchen, entstehen Ansprüche und Verpflichtungen zu dem Zeitpunkt, zu dem die sie begründenden Tatbestandselemente erfüllt sind6. Eine solche Tatbestandsverwirklichung kann sich nicht nur daraus ergeben, dass der Betroffene die Merkmale eines gesetzlichen Tatbestands verwirklicht; gleiches gilt darüber hinaus für Verpflichtungen, die auf einem Verwaltungsakt beruhen. Maßgeblich für das Entstehen einer Verpflichtung ist in letzterem Falle jedoch nicht die Bekanntgabe des Verwaltungsakts und die hierdurch bedingte (äußere) Bindung des Adressaten (vgl. § 43 Abs. 1 Satz 1 VwVfG)7; abzustellen ist vielmehr auf die sog. innere Wirksamkeit, d.h. darauf, zu welchem Zeitpunkt die in der konkreten Regelung enthaltenen materiellen Rechtsfolgen ausgelöst werden (Beachtlichkeit des Regelungsinhalts; vgl. § 43 Abs. 1 Satz 2 VwVfG). Auch wenn die innere Wirksamkeit im Regelfall mit der Bekanntgabe des Verwaltungsakts (äußere Wirksamkeit) einhergeht, so kann sie –und damit die mit dem Verwaltungsakt ausgesprochene Rechtswirkung– vor allem dann, wenn die Regelung von einer aufschiebenden Bedingung und Befristung abhängig gemacht wird (vgl. § 36 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 VwVfG), auch erst zu einem späteren Zeitpunkt eintreten8.

Die Verpflichtung zur Begrenzung staubförmiger Emissionen gemäß TA Luft 2002 (vom 24.07.2002) war nicht bereits mit Inkrafttreten der Verwaltungsvorschrift am 1.10.2002 entstanden (vgl. Nr. 8 TA Luft 2002). Insbesondere kann dies nicht aus § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BImSchG abgeleitet werden, nach dem zur Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus für die Umwelt genehmigungspflichtige Anlagen so zu betreiben sind, dass Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, insbesondere durch die dem Stand der Technik entsprechenden Maßnahmen, getroffen wird. Zwar wurden mit der TA Luft 2002 –entsprechend dem sich aus § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BImSchG ergebenden gesetzlichen Auftrag zur Normkonkretisierung– die nach dem Stand der Technik vermeidbaren Emissionswerte bundeseinheitlich festgelegt9 mit der Folge, dass zur Einhaltung dieser Werte auch für bereits genehmigte (Alt-)Anlagen nachträgliche Anordnungen gemäß § 17 Abs. 1 BImSchG getroffen werden konnten. Da eine solche Verfügung aber nach § 17 Abs. 2 BImSchG nicht unverhältnismäßig sein durfte und somit einer Ermessensentscheidung der zuständigen Behörde unterlag10, wurde in Nr.05.04.01.02.1 TA Luft 2002 geregelt, dass die Anforderungen zur Begrenzung staubförmiger Emissionen (im Streitfall: 20 mg/cbm) für Altanlagen „spätestens acht Jahre nach Inkrafttreten dieser Verwaltungsvorschrift“ (mithin: spätestens zum 1.10.2010) „eingehalten werden sollen“. Letzteres steht im Zusammenhang damit, dass die TA Luft 2002 auch der Ermessenslenkung der Behörden bei der Anlagenüberwachung und damit u.a. dem Ziel dient, Altanlagen nach einem einheitlichen und umfassenden Konzept innerhalb bestimmter Übergangsfristen (Sanierungsfristen) unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes an den Stand der Technik von Neuanlagen heranzuführen11. Hieraus ergibt sich zugleich, dass die Klägerin –jedenfalls vor Ablauf des in Nr.05.04.01.02.1 TA Luft 2002 genannten Termins (01.10.2010)– nur auf der Grundlage eines (einzelfallbezogenen) konkretisierenden behördlichen Handelns zur Einhaltung der Grenzwerte für staubförmige Emissionen verpflichtet war.

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Eine solche behördliche Einzelfallentscheidung ist im hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall zwar mit der Ordnungsverfügung vom 01.07.2005 ergangen. Auch hierdurch wurde jedoch für die Klägerin keine Pflicht begründet, den für staubförmige Emissionen festgelegten Höchstwert beim Betrieb ihrer Alt-Feuerungsanlage bereits in den Streitjahren zu wahren.

Hiergegen spricht nicht nur der Wortlaut der Verfügung. Die Anordnung, die „Emissionsbegrenzung … spätestens ab dem 1.10.2010 einzuhalten“, ist nach dem objektiven Empfängerhorizont12 nicht dahin zu verstehen, dass die Klägerin mit der Bekanntgabe des Bescheids, also seiner äußeren Wirksamkeit, verpflichtet werden sollte, Maßnahmen zur Emissionsbegrenzung zu ergreifen. Vielmehr sollte diese materielle Rechtswirkung –d.h. die Pflicht zur Wahrung des Grenzwerts für staubförmige Emissionen gemäß TA Luft 2002– erst „ab“ dem 1.10.2010 ausgelöst werden. Dabei kann offenbleiben, ob es sich hierbei um eine Befristung oder um eine aufschiebende Bedingung gehandelt hat13; in beiden Fällen wäre jedenfalls die –für das Entstehen der öffentlich-rechtlichen Verpflichtung maßgebliche– innere Wirksamkeit der Regelung mit Ablauf des zweiten Streitjahrs (2006) noch nicht eingetreten.

Neben dem Wortlaut ist für die Auslegung des Bescheids gleichfalls dessen Begründung zu berücksichtigen14. Diese weist die Klägerin darauf hin, dass es sich bei der Emissionsbegrenzung um eine Zielvorgabe handele, es mithin der Klägerin obliege, die technisch und wirtschaftlich optimale Lösung auszuwählen. Sie nimmt im Hinblick auf die Sanierungsfrist bei Altanlagen darüber hinaus ausdrücklich auf die Sollvorgabe nach Nr. 5.4.1.2.1 TA Luft 2002 Bezug und erläutert hierzu, dass mit der zur Umsetzung gewährten Frist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt werde. Auch dies lässt nur den Schluss zu, dass die Feuerungsanlage der Klägerin nicht bereits mit der Bekanntgabe der Verfügung, sondern –entsprechend der Grundkonzeption der TA Luft 2002– nach einem einheitlichen Konzept unter Beachtung ihrer berechtigten und verfassungsrechtlich geschützten Belange an den Stand der Technik von Neuanlagen herangeführt werden sollte.

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Die vorstehenden Auslegungsgrundsätze stimmen im Ergebnis mit der Ansicht des IV. Senats des Bundesfinanzhofs überein, der für die Verpflichtung zur Ausstattung von Tankstellen mit Gasrückführungssystemen gemäß der 21. Verordnung zur Durchführung des BImSchG vom 07.10.199215 entschieden hat, dass diese Verpflichtungen nicht vor Ablauf der in § 9 der Verordnung geregelten Übergangsfristen (im Streitfall 31.12.1997) entstehen16. Er hat hierbei auch auf das BFH-Urteil in BFHE 150, 140, BStBl II 1987, 848 Bezug genommen, nach dem die Verpflichtung zur Überholung und Nachprüfung von Luftfahrtgeräten erst dann entsteht, wenn die in den einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen festgelegte Betriebszeit erreicht wird.

Soweit der BFH17 demgegenüber die Auffassung vertreten hat, eine Verpflichtung zur Wahrung neuer Emissionsgrenzwerte sei unmittelbar den Anforderungen des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 und 2 BImSchG sowie der TA Luft zu entnehmen und eine hiervon abweichende Übergangsanordnung bestimme deshalb lediglich den Zeitpunkt der Fälligkeit der Anpassungsverpflichtung, hält er daran nicht mehr fest. Abgesehen davon, dass das Urteil in BFHE 196, 216, BStBl II 2003, 121 nicht die vorliegend einschlägige TA Luft 2002 betrifft, ist jedenfalls bei solchen Altanlagen, die –wie im Streitfall die Feuerungsanlage der Klägerin– ausdrücklichen Übergangsregelungen der TA Luft 2002 unterworfen sind, nach Maßgabe der dargestellten Gründe davon auszugehen, dass sie im Rahmen eines bundeseinheitlichen Gesamtkonzepts nur in zeitlicher Stufung dem für Neuanlagen geltenden Stand der Technik unterworfen werden sollen und deshalb auch nach der hierauf fußenden behördlichen Verfügung die Verpflichtung zur Einhaltung der neuen Grenzwerte grundsätzlich erst nach Ablauf der Übergangsfrist entsteht.

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Zwar können Rückstellungen auch für am Bilanzstichtag dem Grunde nach noch nicht entstandene (d.h. ungewisse) Verbindlichkeiten gebildet werden, wenn sie bis zu diesem Zeitpunkt jedenfalls wirtschaftlich verursacht sind. Indes ist im Streitfall auch diese Voraussetzung nicht erfüllt.

Die wirtschaftliche Verursachung einer Verbindlichkeit im abgelaufenen Wirtschaftsjahr oder in den Vorjahren setzt voraus, dass die wirtschaftlich wesentlichen Tatbestandsmerkmale erfüllt sind und das Entstehen der Verbindlichkeit nur noch von wirtschaftlich unwesentlichen Tatbestandsmerkmalen abhängt. Maßgebend ist hiernach die wirtschaftliche Wertung des Einzelfalls im Lichte der rechtlichen Struktur des Tatbestands, mit dessen Erfüllung die Verbindlichkeit entsteht18. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass eine Verbindlichkeit, die lediglich darauf gerichtet ist, die Nutzung bestimmter Wirtschaftsgüter in Zeiträumen nach Ablauf des Bilanzstichtags zu ermöglichen, in den bis dahin abgeschlossenen Rechnungsperioden noch nicht wirtschaftlich verursacht ist19. Hierauf aufbauend hat der BFH beispielsweise Rückstellungen für die Überprüfung von Luftfahrtgeräten vor Ablauf der gesetzlich bestimmten Inspektionsfristen abgelehnt20; ebenso ist für die Verpflichtung zur Nachrüstung von Tankstellenanlagen vor dem Auslaufen der gesetzlich bestimmten Übergangsfristen für Altanlagen entschieden worden21. Nichts anderes kann im Streitfall gelten. Auch hier soll –aufgrund der verfügten Übergangsregelung– der Einsatz der von der Klägerin betriebenen Feuerungsanlage erst ab dem 1.10.2010 rechtlich an die Einhaltung der verschärften Grenzwerte gebunden sein.

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Bundesfinanzhof, Urteil vom 6. Februar 2013 – I R 8/12

  1. Anschluss an BFH, Urteil vom 13.12.2007 – IV R 85/05, BFHE 220, 117, BStBl II 2008, 516; Abweichung von BFH, Urteil vom 27.06.2001 – I R 45/97, BFHE 196, 216, BStBl II 2003, 121[]
  2. ständige Rechtsprechung: BFH, Beschluss vom 16.12.2009 – I R 43/08, BFHE 227, 469, BStBl II 2012, 688[]
  3. vgl. zu allem BFH, Urteile vom 06.06.2012 – I R 99/10, BFHE 237, 335; vom 27.06.2001 – I R 45/97, BFHE 196, 216, BStBl II 2003, 121, jeweils mit umfangreichen Nachweisen[]
  4. vgl. Jarass, Bundes-Immissionsschutzgesetz, 9. Aufl., § 17 Rz 81, § 20 Rz 12 und § 62 Rz 18; BFH, Urteil in BFHE 196, 216, BStBl II 2003, 121[]
  5. BFH, Urteil in BFHE 237, 335[]
  6. BFH, Urteil vom 19.05.1987 – VIII R 327/83, BFHE 150, 140, BStBl II 1987, 848; BFH, Urteil vom 13.11.1991 – I R 78/89, BFHE 166, 96, BStBl II 1992, 177, jeweils m.w.N.[]
  7. Kopp/Ramsauer, Verwaltungsverfahrensgesetz, 13. Aufl., § 43 Rz 5[]
  8. BVerwG, Urteil vom 15.11.1978 – 8 C 35.76, BVerwGE 57, 69, 70; Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 43 Rz 6; Bumke in Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II, 2. Aufl., § 35 Rz 43 ff.[]
  9. so die Begründung der Verwaltungsvorschrift; BR-Drs. 1058/01, S. 234[]
  10. vgl. Jarass, a.a.O., § 17 Rz 58 ff.[]
  11. BR-Drs. 1058/01, S. 236 und 242; Jarass, a.a.O., § 48 Rz 29 ff.; Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl., § 14 Rz 192[]
  12. vgl. dazu Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 35 Rz 55[]
  13. vgl. zur Abgrenzung Hennecke in Knack/Hennecke, VwVfG, 9. Aufl., § 36 Rz 32 ff.[]
  14. vgl. Kopp/Ramsauer, a.a.O., § 35 Rz 54, m.w.N.[]
  15. BGBl I 1992, 1730[]
  16. BFH, Urteil vom 13.12.2007 – IV R 85/05, BFHE 220, 117, BStBl II 2008, 516[]
  17. BFH, Urteil in BFHE 196, 216, BStBl II 2003, 121[]
  18. ständige Rechtsprechung, z.B. BFH, Urteil in BFHE 150, 140, BStBl II 1987, 848, m.w.N.[]
  19. vgl. hierzu auch Blümich/Buciek, § 5 EStG Rz 800a[]
  20. BFH, Urteil in BFHE 150, 140, BStBl II 1987, 848[]
  21. BFH, Urteil in BFHE 220, 117, BStBl II 2008, 516[]
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