Rückwirkende Änderung eines Steuergesetzes im Jahresablauf

Die Anwendung des durch das Gesetz zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform mit Wirkung zum 1. August 1997 von 30 Mio. DM auf 15 Mio. DM herabgesetzten Höchstbetrags für außerordentliche Einkünfte auf eine Anteilsveräußerung im August 1997 verletzt nicht in unzulässiger Weise Vertrauensschutzinteressen des Veräußerers.

Rückwirkende Änderung eines Steuergesetzes im Jahresablauf

Der Höchstbetrag für den ermäßigten Steuersatz nach § 34 Abs. 1 EStG (halber durchschnittlicher Steuersatz) galt erstmals ab dem Veranlagungszeitraum 1990, und zwar in Höhe von 30 Mio. DM. Dieser Höchstbetrag wurde nach dem Beschluss des Vermittlungsausschusses vom 4. August 1997 zum 1. August 1997 auf 15 Mio. DM herabgesetzt, nachdem der Entwurf des Gesetzes zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform die Tarifermäßigung für außerordentliche Einkünfte nicht angetastet hatte. Dem Vorschlag des Vermittlungsausschusses folgten Bundestag (Beschluss vom 5. August 1997) und Bundesrat (Beschluss vom 5. September 1997). Das Gesetz zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform wurde am 29. Oktober 1997 ausgefertigt und am 31. Oktober 1997 verkündet1.

Nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Juli 2010 (8BVerfG, Beschluss vom 07.07.2010 – 2 BvL 1/03, 2 BvL 57/06, 2 BvL 58/06, BFH/NV 2010, 1968)) entfaltet ein Steuergesetz nur dann eine –grundsätzlich unzulässige– echte Rückwirkung (Rückbewirkung von Rechtsfolgen), wenn der Gesetzgeber eine bereits entstandene Steuerschuld nachträglich abändert. Für den Bereich des Einkommensteuerrechts bedeutet dies, dass die Änderung von Normen mit Wirkung für den laufenden Veranlagungszeitraum der Kategorie der unechten Rückwirkung zuzuordnen ist; denn nach § 38 AO i.V.m. § 36 Abs. 1 EStG entsteht die Einkommensteuer erst mit dem Ablauf des Veranlagungszeitraums, nach § 25 Abs. 1 EStG des Kalenderjahres.

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Auch dann aber, wenn der Gesetzgeber das Einkommensteuerrecht während des laufenden Veranlagungszeitraums umgestaltet und die Rechtsänderungen auf dessen Beginn bezieht, bedürfen die belastenden Wirkungen einer Enttäuschung schutzwürdigen Vertrauens stets einer hinreichenden Begründung nach den Maßstäben der Verhältnismäßigkeit. Hier muss der Normadressat eine Enttäuschung seines Vertrauens in die alte Rechtslage ebenfalls nur hinnehmen, soweit dies aufgrund besonderer, gerade die Rückanknüpfung rechtfertigender öffentlicher Interessen unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt ist. Im Rahmen dieser Abwägung erachtet das Bundesverfassungsgericht Vereinbarungen für uneingeschränkt schutzwürdig, die noch vor der Einbringung des Gesetzentwurfs in den Bundestag verbindlich getroffen wurden. Weniger schutzbedürftig sind Vereinbarungen, die nach dem Tag der Einbringung des Gesetzentwurfs im Bundestag abgeschlossen wurden. Hier konnten sich die an der Vereinbarung Beteiligten in gewissem Umfang auf eine Änderung der Rechtslage einstellen. Mit der Einbringung eines Gesetzentwurfs im Bundestag durch ein initiativberechtigtes Organ werden geplante Gesetzesänderungen öffentlich. Ab diesem Zeitpunkt sind mögliche zukünftige Gesetzesänderungen in konkreten Umrissen allgemein vorhersehbar. Deshalb können Steuerpflichtige regelmäßig nicht mehr darauf vertrauen, das gegenwärtig geltende Recht werde auch im Folgejahr unverändert fortbestehen; sie sind vielmehr grundsätzlich in der Lage, ihre wirtschaftlichen Dispositionen an mögliche zukünftige Änderungen anzupassen.

Nach diesen Grundsätzen handelt es sich bei der Einführung des geminderten Höchstbetrags durch das Gesetz zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform zum 1. August 1997 um eine unechte Rückwirkung.

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Das Vertrauen des Klägers ist im Streitfall nicht schutzwürdig. Denn die nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts2 mit der Einbringung eines Gesetzentwurfs erreichte Öffentlichkeit einer geplanten Gesetzesänderung bewirkte im Streitfall der Beschluss des Vermittlungsausschusses am 4. August 1997. Der Kläger hat die für die Anteilsveräußerung maßgebliche wirtschaftliche Disposition aber erst am 25. August 1997 getroffen, da das MOU vom 4. Juni 1997 noch keine vertragliche Bindung bewirkte. Auch fehlen Anhaltspunkte dafür, dass das wirtschaftliche Eigentum (§ 39 Abs. 2 Nr. 1 AO) an den veräußerten Anteilen bereits früher als zum 1. September 1997 übergegangen wäre.

Danach war am 25. August 1997 das Vertrauen auf den Fortbestand des Höchstbetrags von 30 Mio. DM im Sinne der dargelegten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr schutzwürdig. Da die Minderung des Höchstbetrags keine schutzwürdige Vertrauensposition des Klägers verletzte, ist die Anwendung des geminderten Höchstbetrags auf den Streitfall auch nicht unverhältnismäßig.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 26. Januar 2011 – IX R 81/06

  1. BGBl I 1997, 2590, BStBl I 1997, 928; zum Gesetzgebungsverfahren vgl. auch BFH, Beschluss vom 18.07.2001 – I R 38/99, BStBl II 2002, 27[]
  2. BVerfG in BFH/NV 2010, 1968[]