Im summarischen Verfahren ist die Schätzung eines Gastronomiebetriebs (Restaurant mit portugiesisch-mediterraner Küche) auf der Grundlage der Richtsatzsammlung unter Berücksichtigung des Mittelwerts der Bandbreite der Rohgewinnaufschlagsätze (im Streitjahr 257 %) nicht zu beanstanden, wenn sich der geprüfte Betrieb in guter Lage befindet, in den sozialen Medien positiv bewertet und als gut besucht dargestellt wird und keine substantiierten Gründe vorgetragen werden, die eine schlechte Ertragslage nahelegen.

Gemäß § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 FGO kann das Gericht Aussetzung der Vollziehung gewähren, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen. Dies ist dann der Fall, wenn eine summarische Prüfung ergibt, dass neben der für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umstände gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Umstände zu Tage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen auslösen1. Dabei muss der Erfolg nicht wahrscheinlicher sein als der Misserfolg2. In dem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes als summarischem Verfahren entscheidet das Gericht nur auf der Basis der ihm vorliegenden Unterlagen, d.h. nach Aktenlage und aufgrund von präsenten Beweismitteln. Dabei haben die Beteiligten die entscheidungserheblichen Tatsachen glaubhaft zu machen, § 155 FGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 der Zivilprozessordnung. Es ist Sache der Beteiligten, die entscheidungserheblichen Tatsachen darzulegen und glaubhaft zu machen, soweit ihre Mitwirkungspflicht reicht3. Wie im Hauptsacheverfahren gelten auch im Verfahren nach § 69 Abs. 3 FGO grundsätzlich die Regeln über die objektive Feststellungslast4.
Gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 AO i.V.m. § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO ist insbesondere dann zu schätzen, wenn der Steuerpflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Steuergesetzen zu führen hat, nicht vorlegen kann, wenn die Buchführung oder die Aufzeichnungen der Besteuerung nicht nach § 158 AO zugrunde gelegt werden oder wenn tatsächliche Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der vom Steuerpflichtigen gemachten Angaben zu steuerpflichtigen Einnahmen oder Betriebsvermögensmehrungen bestehen. Dabei ist zum einen die umsatzsteuerrechtliche Verpflichtung zur Aufzeichnung der Betriebseinnahmen gemäß § 22 des Umsatzsteuergesetzes, §§ 63 bis 68 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung zu beachten, da sie auch unmittelbar für das EStG wirkt5.
Darüber, dass das Finanzamt dem Grunde nach zur Schätzung gemäß § 162 Abs. 1 AO berechtigt war, weil die Buchführung der Gastwirtin erhebliche Mängel aufwies, besteht zwischen den Beteiligten kein Streit. Ebenfalls besteht kein Streit über die Korrektur der Sachentnahmen nach Maßgabe der Pauschalen für Warenentnahmen und über die Aufteilung in regulär und ermäßigt zu besteuernde Umsätze.
Die danach allein streitige Höhe der Schätzung erweist sich bei der in diesem Verfahren gebotenen summarischen Betrachtungsweise als rechtmäßig, die hiergegen vorgebrachten Einwendungen greifen nicht durch.
Das Finanzamt hat seine Schätzung auf einen externen Betriebsvergleich nach Maßgabe der Werte der amtlichen Richtsatzsammlung gestützt. Die Anwendung der amtlichen Richtsatzsammlung ist eine anerkannte Schätzungsmethode6 und wird als solche letztlich auch nicht substantiiert von der Gastwirtin in Frage gestellt. Grundsätzlich ist die Schätzungsmethode zu wählen, welche die größte Gewähr dafür bietet, mit zumutbarem Aufwand das wahrscheinlichste Ergebnis zu erzielen; ein Anspruch auf Anwendung einer bestimmten Schätzungsmethode besteht nicht7. Angesichts der gravierenden Mängel der Aufzeichnungen der Gastwirtin, etwa dass Bareinnahmen nicht erfasst wurden, weder ein Kassenbuch noch Z-Bons vorhanden waren, gewichtige Anzeichen für Schwarzeinkäufe aufgefunden wurden und die Privateinlagen die Privatentnahmen deutlich überstiegen, bestehen keine Bedenken dagegen, eine Schätzung auf der Grundlage des externen Betriebsvergleichs anhand der Werte der Richtsatzsammlung vorzunehmen. Unter diesen Umständen drängen sich insbesondere keine anderen Schätzungsmethoden auf.
Das Finanzamt hat bei seiner Schätzung den von der Gastwirtin erklärten Wareneinsatz zugrunde gelegt. Hierauf hat er einen Rohgewinnaufschlag (RGAS) von 257 % vorgenommen, dies entspricht dem Mittelwert der Rohgewinnaufschlagsätze für Gast- und Speisewirtschaften von 186 % bis 400 % für das Streitjahr 2012. Der Ansatz dieses Wertes ist im summarischen Verfahren nicht zu beanstanden, erweist sich vielmehr eher als moderat.
Nach den Feststellungen der Außenprüfung und der Steuerfahndung konnte anhand der Auswertung einer größeren Bewirtungsrechnung ein durchschnittlicher tatsächlicher RGAS von 360,80 % ermittelt werden; bei Softgetränken ergab sich ein RGAS von 619 %, bei Wein von 716 % und Kaffee und Spirituosen von 1.300 %, d.h. Werte, die erheblich über dem Mittelwert liegen. Demgegenüber beliefen sich die RGAS nach Maßgabe der Steuererklärungen in einem atypisch niedrigen Bereich unterhalb des untersten Wertes der Richtsatzsammlung, der in keiner Weise nachvollziehbar ist.
Die von der Gastwirtin geltend gemachten persönlichen Umstände sprechen ebenfalls nicht gegen den Ansatz des Mittelwertes. Unerfahrenheit in der Gastronomie dürfte im Streitjahr, dem vierten Jahr nach Betriebseröffnung, keine maßgebliche Rolle gespielt haben. Urlaubs- und Ferienzeiten der Familie lassen ebenfalls keinen erkennbaren Einfluss auf die der Schätzung zugrunde gelegten Parameter erkennen, weil diese an den Wareneinsatz anknüpfen, der in Urlaubszeiten aber entfällt. Gleiches gilt für die Öffnungszeiten, auch hier ist ein Einfluss auf die „Marge“ nicht erkennbar, weil sich der Wareneinsatz an den Absatzmöglichkeiten während der Öffnungszeiten orientieren wird.
Der vom Finanzamt für das Streitjahr ermittelte Gewinn aus Gewerbebetrieb hält auch einer Plausibilitätskontrolle stand. Entgegen der Auffassung der Gastwirtin hat das Finanzgericht keine Zweifel daran, dass sich dieser Gewinn im Streitjahr wirtschaftlich erzielen ließ. Das Restaurant befindet sich in einer ausgesprochen guten und nachgesuchten Lage für Gastronomiebetriebe an den Landungsbrücken am Hafen. Das sog. Portugiesenviertel wird gleichermaßen von Touristen und Hamburgern aufgesucht und ist zudem von größeren Bürokomplexen, …, umgeben, von deren Beschäftigten die Gastronomie ebenfalls profitieren kann. Das Restaurant wird in den Medien (…) und auch von den Betriebsprüfen, die sich bei einem Testessen einen eigenen Eindruck verschafft haben, ausgesprochen positiv beurteilt hinsichtlich der dargebotenen Speisen und der Atmosphäre und als gut besucht wahrgenommen.
Eine Gewährung von Aussetzung der Vollziehung kommt auch nicht wegen einer unbilligen, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte (§ 69 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 FGO) in Betracht. Nachteile, die über die eigentliche Zahlung hinausgehen und nicht oder schwer wiedergutzumachen wären, oder eine Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz durch die Vollziehung hat die Gastwirtin nicht dargetan; Anhaltspunkte hierfür sind auch nach Aktenlage nicht erkennbar.
Der AdV-Antrag hatte danach vor dem Finanzgericht Hamburg keinen Erfolg.
Finanzgericht Hamburg, Beschluss vom 8. Februar 2021 – 2 V 122/20
- ständige Rechtsprechung; Nachweise bei Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 69 FGO Rn. 89[↩]
- z.B. BFH, Beschluss vom 21.12.1993, – VIII B 107/93, BStBl II 1994, 300[↩]
- BFH, Beschluss vom 20.03.2002, – IX S 27/00, BFH/NV 2002, 809 m.w.N.[↩]
- BFH, Beschluss vom 26.08.2004, – V B 243/03, BFH/NV 2005, 255[↩]
- vgl. z.B. BFH, Urteil vom 12.12.2017, – VIII R 5/14, BFH/NV 2018, 602, Rz 34, m.w.N.; BFH, Beschluss vom 08.08.2019, – X B 117/18, BFH/NV 2019, 1219 m.w.N.[↩]
- z.B. BFH, Beschlüsse vom 14.08.2018, – XI B 2/18, BFH/NV 2019, 1; vom 08.08.2019, – X B 117/18, BFH/NV 2019, 1219 m.w.N.[↩]
- z.B. BFH, Beschlüsse vom 27.01.2009, – X B 28/08, BFH/NV 2009, 717; vom 03.09.1998, – XI B 209/95, BFH/NV 1999, 290[↩]