Auch die griffweise Schätzung in Form eines (Un-)Sicherheitszuschlags muss schlüssig, wirtschaftlich möglich und vernünftig sein; deshalb muss das Ergebnis dieser Schätzung vom Finanzgericht ausreichend begründet und auf seine Plausibilität hin überprüft werden.

Die Hinzuschätzung in Form eines (Un-)Sicherheitszuschlags (hier: von 10 % der erklärten Umsätze) kann vom Bundesfinanzhof nicht auf ihre Angemessenheit hin überprüft werden, wenn es insoweit an der ausreichenden Begründungstiefe fehlt.
Die Schätzung von Besteuerungsgrundlagen gehört zu den tatsächlichen Feststellungen, an die der BFH als Revisionsinstanz nach § 118 Abs. 2 FGO gebunden ist. Die Bindung des BFH entfällt nur, wenn bei der Schätzung gegen anerkannte Schätzungsgrundsätze, allgemeine Erfahrungssätze oder die Denkgesetze verstoßen wurde1. Die gewonnenen Schätzergebnisse müssen schlüssig, wirtschaftlich möglich und vernünftig sein. Deshalb sind alle möglichen Anhaltspunkte, u.a. auch das Vorbringen des Steuerpflichtigen oder eine an sich fehlerhafte Buchführung, zu beachten und alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um im Rahmen des der Finanzbehörde Zumutbaren die Besteuerungsgrundlagen wenigstens teilweise zu ermitteln. Auf der anderen Seite ist aber auch das Maß der Verletzung der dem Steuerpflichtigen obliegenden Mitwirkungspflichten zu berücksichtigen. Deshalb ist es gerechtfertigt, bei einer Pflichtverletzung des Steuerpflichtigen, insbesondere bei einer nicht ordnungsgemäßen Buchführung, einen Sicherheitszuschlag vorzunehmen2. Der Sicherheitszuschlag lässt sich dabei als eine griffweise Schätzung, die in einem vernünftigen Verhältnis zu den erklärten oder nicht erklärten Einnahmen stehen muss, charakterisieren3.
Die Prüfung dieser Hinzuschätzung durch den BFH ist auf Rechtsfehler beschränkt. Dabei müssen der BFH und das Thüringer Finanzgericht4 sich auf denselben Sachverhalt beziehen, denn nur unter dieser Voraussetzung kann der BFH als Revisionsgericht erkennen und entscheiden, ob dem Finanzgericht Rechtsfehler unterlaufen sind5. Es muss möglich sein zu überprüfen, ob das Finanzgericht bei der Tatsachenfeststellung und Beweiswürdigung nach sachfremden Erwägungen oder willkürlich verfahren ist. Dazu hat das Finanzgericht darzulegen, wie und dass es seine Überzeugung in rechtlich zulässiger und einwandfreier Weise gewonnen hat6.
Hiervon ausgehend ist es im vorliegenden Fall für den Bundesfinanzhof nicht möglich, zu entscheiden, ob ein Sicherheitszuschlag in Höhe von 10 % der erklärten Umsätze aus dem Bereich Video/Kino anerkannten Schätzungsgrundsätzen sowie allgemeinen Erfahrungsgrundsätzen entspricht.
So hat das Finanzgericht im vorliegenden Fall in seinem Urteil lediglich dargelegt, dass es keine Bedenken gegen eine solche Zuschätzung habe und dies mit der Schwere der Mängel und dem Anteil der davon betroffenen Umsätze am Gesamtumsatz begründet. Ansonsten hat das Finanzgericht nur ausgeführt, warum es einen äußeren Betriebsvergleich und auch eine Geldverkehrs- und Vermögenszuwachsrechnung nicht durchführen könne. Konkrete und nachprüfbare Aussagen zur Schätzungshöhe finden sich im Urteil nicht.
Für den Bundesfinanzhof ist deshalb schon nicht erkennbar, warum der Anteil der Umsätze im Bereich Video/Kino am Gesamtumsatz zu einer griffweisen Schätzung von 10 % der erklärten Umsätze führen kann. Auch erscheint es angesichts des ursprünglich erklärten Gesamtgewinns von zuletzt … EUR nicht ohne weitergehende und vertiefte Begründung verständlich, wieso das Finanzgericht nicht einen geringeren Prozentsatz dieser Umsätze als ausreichend und angemessen bzw. zutreffend angesehen hat. Schließlich wird das Ergebnis der Hinzuschätzung nicht auf seine Plausibilität hin überprüft. Aber auch eine griffweise Hinzuschätzung muss (noch) schlüssig, wirtschaftlich möglich und vernünftig und insoweit überprüfbar sein.
Das Finanzgericht wird diese fehlende Begründung des Schätzungsergebnisses nachholen müssen.
Da der Bundesfinanzhof die Schätzung folglich nicht auf seine Angemessenheit hin überprüfen kann, ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung nach § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO an das Finanzgericht zurückzuverweisen.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 20. März 2017 – X R 11/16
- BFH, Urteil vom 18.10.1983 – VIII R 190/82, BFHE 139, 350, BStBl II 1984, 88, m.w.N.[↩]
- BFH, Urteil vom 15.04.2015 – VIII R 49/12, Rz 19, m.w.N.[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 26.10.1994 – X R 114/92, BFH/NV 1995, 373, und BFH, Beschluss vom 07.02.2017 – X B 79/16, BFH/NV 2017, 774[↩]
- Thür. FG, Urteil vom 20.05.2015 – 3 K 553/14[↩]
- Seer in Tipke/Kruse, a.a.O., § 118 FGO Rz 54[↩]
- BFH, Urteil vom 16.09.2015 – X R 43/12, BFHE 251, 37, BStBl II 2016, 48, Rz 40[↩]