Es liegt ein von Amts wegen zu berücksichtigender Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens vor, wemm das Finanzgericht das Verfahren über die Rechtmäßigkeit des Einkommensteuer- bzw. Körperschaftsteuerbescheids nicht gemäß § 74 FGO ausgesetzt hat, bis durch einen Bescheid nach § 179 Abs. 1 i.V.m. § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen des Streitjahres der mitunternehmerschaftlichen Einkünfte (S-KG) entschieden ist, ob (und gegebenenfalls in welcher Höhe) der Klägerin (hier:) ein Veräußerungsgewinn zuzurechnen ist.

Körperschaftsteuerpflichtige Einkünfte sind dann gemäß § 179 Abs. 1 i.V.m. § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO gesondert und einheitlich festzustellen, wenn an den Einkünften mehrere Personen beteiligt sind und die Einkünfte diesen Personen steuerrechtlich zuzurechnen sind. Bei einem Gewerbebetrieb ist diese Voraussetzung erfüllt, wenn -wie bei der S-KG- mehrere Personen den Betrieb als Unternehmer (Mitunternehmer) i.S. des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 EStG führen1. Es entspricht dem Zweck des Feststellungsverfahrens und der dem § 179 AO zugrunde liegenden Kompetenzverteilung, eine inhaltlich identische Sachbehandlung gegenüber allen potentiell betroffenen Steuerpflichtigen sicherzustellen2. Sieht das Finanzgericht davon ab, das Klageverfahren gegen einen Steuerbescheid im Hinblick auf ein vorrangiges Feststellungsverfahren gemäß § 74 FGO auszusetzen, liegt darin nach der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung ein Verfahrensfehler im Sinne eines Verstoßes gegen die Grundordnung des Verfahrens. Dieser Fehler führt auch ohne Rüge im Revisionsverfahren zur Aufhebung des angefochtenen Urteils3.
Nach diesem Maßstab kam die Entscheidung der Vorinstanz, soweit sie die angefochtene Körperschaftsteuerfestsetzung betrifft, verfahrensfehlerhaft zustande. Im Streitfall liegt es nahe, dass die Klägerin als Kommanditistin der S-KG im Rahmen einer Mitunternehmerschaft i.S. des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 EStG im Streitjahr einen Gewinn aus der Veräußerung eines Anteils von 30 % an ihrer Kommanditbeteiligung erzielt hat, der Gegenstand der gesonderten und einheitlichen Feststellung nach § 179 Abs. 1 i.V.m. § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO ist. Das Finanzgericht hat nicht ermittelt, ob der Klägerin im Rahmen eines Feststellungsverfahrens ein Gewinn aus der Anteilsveräußerung im Streitjahr zugerechnet wurde bzw. ob dies noch geschehen kann.
Dass die Feststellung gemäß § 180 Abs. 3 AO entbehrlich sein konnte, ist von den Beteiligten weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Insbesondere kann angesichts der rechtlichen Zweifelsfragen, die die Feststellung eines möglichen Veräußerungsgewinns aufwirft, der u.a. davon abhängt, ob es im Streitfall nach § 6 Abs. 5 Satz 6 EStG i.V.m. § 8 Abs. 1 Satz 1 KStG zu einem rückwirkenden Teilwertansatz kommt, ein „Fall von geringer Bedeutung“ i.S. von § 180 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 AO nicht vorliegen.
Im Rahmen eines vorgreiflichen Feststellungsverfahrens nach § 179 Abs. 1 i.V.m. § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO ist zu berücksichtigen, ob und in welcher Höhe der Klägerin ein Gewinn aus der im Streitjahr erfolgten Anteilsveräußerung zuzurechnen ist. In diesem Verfahren ist auch zu klären, ob diesbezüglich ein Feststellungsbescheid verfahrensrechtlich noch erlassen oder geändert werden kann.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 18. August 2021 – XI R 20/19
- vgl. z.B. BFH, Urteile vom 22.02.2017 – I R 35/14, BFHE 258, 1, BStBl II 2018, 33, Rz 15; vom 12.04.2021 – VIII R 46/18, BFHE 273, 22, BStBl II 2021, 614, Rz 12[↩]
- vgl. BFH, Urteil in BFHE 258, 1, BStBl II 2018, 33, Rz 16[↩]
- vgl. z.B. BFH, Urteile in BFHE 258, 1, BStBl II 2018, 33, Rz 17, m.w.N.; in BFHE 273, 22, BStBl II 2021, 614, Rz 10[↩]
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