Das Finanzamt -und über § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 FGO auch das Finanzgericht- ist gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 Alternative 2 AO zur Schätzung befugt, wenn die Buchführung des Gewerbetreibenden der Besteuerung nicht nach § 158 AO zugrunde gelegt werden kann.

So auch in dem hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall: Das Finanzgericht Rheinland-Pfalz stützte seine Befugnis zur Schätzung auf formelle Buchführungsmängel und insofern u.a. und insbesondere darauf, dass die vom Kassensystem ermöglichten Stornierungen nicht in den jeweiligen Tagesabschlüssen abgebildet würden1 . Allein dieser festgestellte -im Tatsächlichen im Übrigen unstreitige- formale Mangel, den das Finanzgericht auch als gravierend eingestuft hat, genügt nach Ansicht des Bundesfinanzhofs, um dem Buchführungsergebnis des Gastwirts die Beweiskraftwirkung des § 158 AO zu nehmen.
Zwar berechtigen formelle Buchführungsmängel nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung nur insoweit zur Schätzung, als sie Anlass geben, die sachliche Richtigkeit des Buchführungsergebnisses anzuzweifeln2. Bezogen auf die Kassenführung hat der Bundesfinanzhof allerdings bereits entschieden, dass diese Voraussetzung bei systembedingt möglichen Stornierungen, die in Z-Bons (bzw. Tagesabschlüssen) nicht ausgewiesen werden, erfüllt ist. Denn infolge des fehlenden Ausweises solcher Stornierungen ist nicht mehr feststellbar, ob lediglich Fehlbuchungen oder auch nach § 146 Abs. 1 AO zu erfassende Einnahmebuchungen gelöscht worden sind3. Zwar lässt ein solcher Mangel noch keinen sicheren Schluss auf die Verkürzung von Einnahmen zu. Gleichwohl gibt es systembedingt keine Gewähr mehr für die Vollständigkeit der Erfassung der Bareinnahmen, ohne dass eine nachträgliche Ergänzung der Dokumentation bzw. eine anderweitige Heilung des Mangels möglich wäre4. Eine derartige Unvollständigkeit ergreift bei überwiegenden Bargeschäften die gesamte Buchführung5.
Demzufolge ist es im Streitfall zum einen nicht entscheidungserheblich, ob bzw. inwiefern die vom Gastwirt in den Streitjahren genutzte EDV-Kasse -über den Nichtausweis von Stornierungen hinausgehende- Manipulationsmöglichkeiten zugelassen habe; für die vom Gastwirt insoweit begehrte Sachaufklärung besteht keine Veranlassung. Zum anderen war und ist es nicht angezeigt, die vom Gastwirt bereits im ersten Rechtsgang benannten Angestellten (Fremdgeschäftsführer und Buchhalterin) als Zeugen zu der Behauptung zu vernehmen, tatsächlich seien keine Betriebseinnahmen verkürzt worden. Denn nicht der konkrete Nachweis der Manipulation des Buchführungsergebnisses, sondern allein der vorliegend gewichtige Formalmangel, dass systembedingt eine vollständige Erfassung der (Bar-)Einnahmen nicht gewährleistet erscheint, berechtigt zur Hinzuschätzung. Dementsprechend bestand auch keine Veranlassung, die vom Gastwirt am 13.08.2018 erteilte eidesstattliche Versicherung, die ohnehin im finanzgerichtlichen Verfahren nur ein Mittel der Glaubhaftmachung darstellt, zu Gunsten des Gastwirts zu berücksichtigen.
Allerdings ist die vom Finanzgericht vorgenommene Schätzung nach Auffassung des Bundesfinanzhofs sowohl hinsichtlich der Methodik als auch des Ergebnisses erheblichen rechtlichen Bedenken ausgesetzt.
Das Finanzgericht kennzeichnet seine Schätzungsmethode als pauschalen Sicherheitszuschlag, beachtet hierbei aber -obwohl es selbst die hierzu ergangene Rechtsprechung benennt- nicht, dass bei einer derartigen Schätzung der Zuschlag in einem vernünftigen Verhältnis zu den erklärten oder nicht erklärten Einnahmen stehen muss6. Dieses Erfordernis ist u.a. darauf zurückzuführen, dass sich der bloße Sicherheitszuschlag (als Unterfall einer griffweisen Schätzung) im Spektrum der verschiedenen denkbaren Schätzungsmethoden als diejenige darstellt, die mit den größten Unsicherheiten behaftet ist und konkrete Tatsachengrundlagen hierzu vollständig oder nahezu vollständig fehlen7. Das Schätzungsergebnis des Finanzgericht liegt hiervon weit entfernt, wenn es Hinzuschätzungen zwischen 49 % und 55 % der vom Gastwirt erklärten Umsätze auswirft.
Der Gastwirt weist ferner zu Recht darauf hin, dass das Finanzgericht nicht erläutert hat, weshalb es seinen Berechnungen für das Jahr 2012 die erklärten Erlöse gerade des Monats März bzw. für das Jahr 2013 diejenigen des Monats Juni zugrunde gelegt hat.
Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Schätzung ergeben sich auch daraus, dass das Finanzgericht für die Jahre 2012 und 2013 einen fiktiven Wochenumsatz in der Weise ermittelte, ausschließlich die erklärungsgemäß jeweils umsatzstärksten Wochentage der Monate März (2012) bzw.06.(2013) in Ansatz zu bringen. Diese Vorgehensweise, die zwangsläufig zu Mehrergebnissen führen muss, unterstellt -ohne dass das Finanzgericht hierfür Anhaltspunkte benennt- eine offensichtlich nicht realitätsgerechte Auslastungsquote des Betriebs. Die vom Finanzgericht insoweit für möglich gehaltene Kompensation umsatzschwächerer Tage mit „außerordentlich umsatzstarken Tagen und Wochen“ (Weihnachts- und Osterzeit; Feiertage) erscheint zum einen unsubstantiiert und berücksichtigt zum anderen nicht, dass jener Zeitraum bei einer Gesamtjahresbetrachtung verhältnismäßig gering ist.
Schließlich erscheint das Schätzungsergebnis auch deshalb als unstimmig, da die Rohgewinnaufschlagsätze, die durch diese Methode abgebildet werden (2011: ca. 261 %; 2012: ca. 289 %; 2013: ca. 259 %), bei weitem den vom Finanzamt als sachgerecht angenommenen Satz von 186 % übersteigen. Das Finanzgericht hat nicht erläutert, weshalb es -entgegen der Erwägungen des Finanzamtes- davon ausgeht, dass die vorgenannten Rohgewinnaufschlagsätze im Betrieb des Gastwirts erzielbar gewesen wären.
Welche (Hinzu-)Schätzungsmethode im zweiten Rechtsgang sachgerecht erscheint, obliegt allein der Entscheidung der Tatsacheninstanz. Der Steuerpflichtige hat grundsätzlich keinen Anspruch auf die Anwendung einer bestimmten Methode8. Allerdings muss sich das Finanzgericht einer Methode bedienen, die geeignet ist, ein vernünftiges und der Wirklichkeit entsprechendes Ergebnis abzubilden9. In diesem Zusammenhang weist der Bundesfinanzhof vorsorglich darauf hin, dass die vom Finanzgericht angeführten Erwägungen gegen einen inneren Betriebsvergleich in Gestalt einer Aufschlagskalkulation -auch unter Berücksichtigung des hiermit einhergehenden Ermittlungsaufwands- nicht vollständig überzeugen.
Bundesfinanzhof, Beschluss vom 21. August 2019 – X B 120/18
- FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 14.08.2018 – 3 K 1432/17[↩]
- BFH, Entscheidungen vom 17.11.1981 – VIII R 174/77, BFHE 135, 11, BStBl II 1982, 430, unter 1.; vom 25.01.1990 – IV B 140/88, BFH/NV 1990, 484; und vom 14.12.2011 – XI R 5/10, BFH/NV 2012, 1921, Rz 22; ebenso BFH, Urteil vom 20.03.2017 – X R 11/16, BFHE 258, 272, BStBl II 2017, 992, Rz 48[↩]
- BFH, Beschluss vom 14.08.2018 – XI B 2/18, BFH/NV 2019, 1, Rz 10, m.w.N.[↩]
- BFH, Urteil vom 25.03.2015 – X R 20/13, BFHE 249, 390, BStBl II 2015, 743, Rz 27 – für fehlende Z-Bons[↩]
- BFH, Beschluss in BFH/NV 2019, 1, Rz 10[↩]
- BFH, Urteil vom 12.12.2017 – VIII R 6/14, BFH/NV 2018, 606, Rz 61; ebenso BFH, Urteil vom 26.10.1994 – X R 114/92, BFH/NV 1995, 373, unter 4.[↩]
- vgl. BFH, Beschluss vom 23.02.2018 – X B 65/17, BFH/NV 2018, 517, Rz 40, m.w.N.[↩]
- BFH, Urteil in BFHE 249, 390, BStBl II 2015, 743, Rz 61[↩]
- BFH, Beschluss in BFH/NV 2019, 1, Rz 12, m.w.N.[↩]