Die Anordnung einer Außenprüfung kann wegen eines Verstoßes gegen das Willkür- und Schikaneverbot rechtswidrig sein. Weist der konkrete Einzelfall besondere tatsächliche Umstände auf, die darauf hindeuten, dass das Finanzamt bei Erlass einer Prüfungsanordnung sich möglicherweise von nicht zum Gegenstand der Begründung gewordenen sachfremden Erwägungen hat leiten lassen und der Zweck der Prüfung der steuerlichen Verhältnisse in den Hintergrund getreten ist, kann in dem Übergehen eines hierzu gestellten Beweisantrags der Verfahrensmangel ungenügender Sachaufklärung liegen. Ein Verstoß gegen das Willkür- und Schikaneverbot ist nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil die angeordnete Außenprüfung im Sinne von § 193 Abs. 1 AO ein in irgendeiner Weise umsetzbares Ergebnis haben könnte. Auch ein die Außenprüfung vorbereitendes Vorlage- und Auskunftsverlangen kann ein Verwaltungsakt und damit Gegenstand einer zulässigen Anfechtungsklage sein.

Mit einem solchen Fall hatte sich jetzt der Bundesfinanzhof zu befassen: Der Adressat der Prüfungsanordnung, ein selbständig tätiger Rechtsanwalt hatte detailliert und nachvollziehbar dargelegt, seine steuerlichen Verhältnisse seien seit Jahren unverändert und bekannt. Das Finanzamt habe die Prüfung bei ihm nur angeordnet, weil er einen Beamten der Finanzverwaltung vertrete, der behaupte, vom Vorsteher seines Amts gemobbt worden zu sein. Zwei weitere Mandanten von ihm hätten sich mit entsprechenden Vorwürfen an den Petitionsausschuss gewandt und Erfolg gehabt. Zeitgleich habe die Finanzverwaltung unter anderem Außenprüfungen bei den beiden mit den Petitionen befassten Abgeordneten und dem Vorsitzenden des Petitionsausschusses veranlasst. Der gegen die Prüfungsanordnung eingelegte Einspruch des Rechtsanwalts hatte keinen Erfolg, die hiergegen gerichtete Klage wurde vom Finanzgericht abgewiesen.
Auf die Revision des betroffenen Rechtsanwalts hat nun der Bundesfinanzhof hat die Vorentscheidung des Finanzgerichts aufgehoben und die Sache an das Finanzgericht zurückverwiesen. Zwar darf eine Außenprüfung grundsätzlich voraussetzungslos angeordnet werden, so der Bundesfinanzhof. Sie muss aber dem Zweck dienen, die steuerlichen Verhältnisse des Geprüften aufzuklären. Lässt sich das Finanzamt von anderen, sachfremden Erwägungen leiten, kann dies gegen das Willkür- und Schikaneverbot verstoßen mit der Folge, dass die Anordnung rechtswidrig ist. Das Finanzgericht muss nun den Sachverhalt weiter aufklären.
Ob und in welchem Umfang eine Außenprüfung bei einem Steuerpflichtigen angeordnet wird, ist eine Ermessensentscheidung [1], die in den Anwendungsbereich des § 102 FGO fällt [2]. Dabei prüft das Gericht, ob die gesetzlichen Grenzen der Ermessensvorschrift eingehalten wurden und ob die Behörde das ihr eingeräumte Ermessen unter Beachtung des Gesetzeszwecks fehlerfrei ausgeübt hat [3].
Im Streitfall hat das Finanzamt die äußeren Grenzen des Ermessens nicht überschritten. Nach § 193 Abs. 1 AO ist eine Außenprüfung unter anderem zulässig bei Steuerpflichtigen, die – wie der Kläger – freiberuflich tätig sind. Weitere Anforderungen enthält die Norm nicht; es handelt sich um eine tatbestandlich voraussetzungslose Prüfungsermächtigung [4].
Die Prüfungsanordnung wäre auch nicht ermessensfehlerhaft, wenn sich wie der Kläger behauptet- bei einer Prüfung ein allenfalls nur geringfügiges steuerliches Mehrergebnis ergäbe. Eine Prüfungsanordnung bedarf zu ihrer Begründung grundsätzlich nicht der voraussichtlichen Erzielung eines steuerlichen Mehrergebnisses, weil sie auch die Verifikation der Angaben des Steuerpflichtigen bezweckt [5].
Der Rechtsmäßigkeit der Prüfungsanordnung steht auch nicht der Eintritt der Festsetzungsverjährung entgegen. Maßgeblich für die gerichtliche Überprüfung ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung [6]. Im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung (Januar 2006) war indes im Streitfall die Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer der vorgesehenen Prüfungsjahre 2001 bis 2003 nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO jedenfalls noch nicht abgelaufen. Auf die Frage, ob die Festsetzungsfrist in der Folgezeit wegen des – zwischen den Beteiligten streitigen – Beginns einer Außenprüfung gemäß § 171 Abs. 4 AO in ihrem Ablauf gehemmt war, kommt es somit nicht an.
Hiervon abgesehen ist eine Außenprüfung grundsätzlich auch dann nicht ermessensfehlerhaft, wenn sie sich auf Zeiträume erstreckt, für die Steuerfestsetzungen möglicherweise wegen Verjährung nicht mehr durchgeführt werden können [7].
Hingegen hat es das Finanzgericht zu Unrecht dahingestellt sein lassen, ob der Vortrag des Klägers, der Prüfungsanordnung lägen außersteuerliche Gesichtspunkte zu Grunde, zutreffend ist. Die Außenprüfung dient der Ermittlung der steuerlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen (§ 194 Abs. 1 AO). Sie bezweckt nach § 2 Abs. 1 BpO [8] „die Ermittlung und Beurteilung der steuerlich bedeutsamen Sachverhalte, um die Gleichmäßigkeit der Besteuerung sicherzustellen (§§ 85, 199 Abs. 1 AO). Bei der Anordnung und Durchführung von Prüfungsmaßnahmen sind im Rahmen der Ermessensausübung die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit der Mittel und des geringstmöglichen Eingriffs zu beachten“. Aus dem Gesetz wie auch aus der Betriebsprüfungsordnung als allgemeiner die Behörden bindende – und von den Gerichten zu beachtende – Verwaltungsrichtlinie ist damit zu entnehmen, dass die Entscheidung, eine Außenprüfung vorzunehmen, sich nur von der für geboten erachteten Überprüfung der steuerlichen Verhältnisse leiten lassen darf. Daraus folgt, dass das Auswahlermessen des Finanzamts bei Anordnung einer Außenprüfung jedenfalls seine Grenze im Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und im Willkür- und Schikaneverbot findet [9].
Im Streitfall ist die Behauptung des Klägers, das Finanzamt habe bei Erlass der Prüfungsanordnung gegen das Willkür- und Schikaneverbot verstoßen, nach seinen umfänglichen, konkretisierten Ausführungen zu tatsächlichen Besonderheiten nicht von der Hand zu weisen.
Das Finanzgericht hat hierzu keine tatsächlichen Feststellungen getroffen, weil es davon ausgegangen ist, dass „im Hinblick auf den weiten Anwendungsbereich des § 193 Abs. 1 AO eine Außenprüfung wenn überhaupt- das Willkürverbot erst dann (verletzt), wenn sicher feststeht, dass das Ergebnis einer Außenprüfung unter keinem denkbaren Gesichtspunkt umgesetzt werden kann“. Diese Auffassung hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Auch wenn eine Außenprüfung nach § 193 Abs. 1 AO grundsätzlich ohne weitere Begründung ermessensfehlerfrei angeordnet werden kann [10], kann die Anordnung nach dem zuvor Gesagten im Einzelfall gleichwohl ermessensfehlerhaft sein, wenn sich nämlich das Finanzamt maßgeblich von sachfremden Erwägungen leiten lässt und der Zweck der Prüfung der steuerlichen Verhältnisse in den Hintergrund tritt.
Deshalb kommt es im Streitfall entscheidungserheblich auf die Frage an, ob das Finanzamt die Außenprüfung beim Kläger aus sachfremden Erwägungen angeordnet hat. Das Finanzgericht hätte den Sachverhalt in diesem Punkt weiter aufklären müssen (§ 76 Abs. 1 FGO); es hätte die in der mündlichen Verhandlung unter Verweis auf den Schriftsatz vom 26.06.2007 gestellten Beweisanträge nicht insgesamt übergehen dürfen, weil zumindest die Durchführung der beantragten Beweiserhebung (Vernehmung des Vorstehers) zu entscheidungserheblichen Erkenntnissen führen könnte.
Auf diesem Verfahrensfehler kann die Vorentscheidung beruhen. Sie ist daher aufzuheben. Die Sache ist zur Nachholung der unterbliebenen Feststellungen an das Finanzgericht zurückzuverweisen. Bei der im zweiten Rechtsgang nachzuholenden Sachaufklärung wird das Finanzgericht zunächst zu prüfen haben, ob auch die im Übrigen angeführten Zeugen jeder für sich- nach Funktion und dem vom Kläger jeweils benannten Beweisthema grundsätzlich in der Lage sein könnten, Entscheidungserhebliches zu bekunden. Der BFH weist zudem darauf hin, dass es für die Entscheidung des Streitfalls von Bedeutung sein kann, nach welchen Kriterien das beklagte Finanzamt im Übrigen im fraglichen Zeitraum seinen Prüfungsplan erstellt hat und wie sich dies insbesondere in Bezug auf die Angehörigen der freien Berufe verhielt, ferner, wie der zeitliche Ablauf von Vorschlag zur Außenprüfung, Aufnahme in den Prüfungsplan und (beabsichtigtem) Prüfungsbeginn regelmäßig gestaltet war.
Das Finanzgericht hat ferner dem Vorlage- und Auskunftsverlangen des Finanzamt zu Unrecht die Eigenschaft als Verwaltungsakt (§ 118 AO) abgesprochen. Zwar ist im Umfeld von Außenprüfungen die Grenze zwischen reinen Hilfs- und Vorbereitungsmaßnahmen ohne Regelungscharakter und Verwaltungsakten nicht immer eindeutig. Im Streitfall zeigt aber die mit einer Androhung von Zwangsmitteln verbundene Wiederholung der Aufforderung zu einem späteren Zeitpunkt gerade, dass es sich um ein erzwingbares (Auskunfts-)Verlangen [11] und damit um einen den Fortgang des Verwaltungsverfahrens regelnden Verwaltungsakt im Sinne von § 118 AO handelte.
Das Finanzgericht hätte die Klage in diesem Punkt deshalb nicht als unzulässig abweisen dürfen. Auch insoweit ist das Urteil aufzuheben und die Sache an das Finanzgericht zurückzuverweisen. Da das Verlangen des Finanzamt im sachlichen Zusammenhang mit der beabsichtigten Prüfung stand, ist seine Rechtmäßigkeit in erster Linie am Maßstab der Rechtmäßigkeit der Prüfungsanordnung zu beurteilen. Demgegenüber ist die Frage nachrangig und nur bei rechtmäßiger Prüfungsanordnung zu beantworten, ob das Verlangen in seinen einzelnen Punkten unverhältnismäßig oder unzumutbar war, wie der Kläger meint.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 28. September 2011 – VIII R 8/09
- Klein/Rüsken, AO, 10. Aufl., § 196 Rz 3[↩]
- Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 102 Rz 12, m.w.N.[↩]
- vgl. Gräber/von Groll, a.a.O., § 102 Rz 2, m.w.N.[↩]
- Klein/Rüsken, a.a.O., § 193 Rz 15, m.w.N.[↩]
- vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 193 AO Rz 33 ff.[↩]
- ständige Rechtsprechung und nahezu einhellige Auffassung, siehe zuletzt BFH, Urteile vom 23.09.2009 – XI R 56/07, BFH/NV 2010, 12; vom 22.05.2001 – VII R 79/00, BFH/NV 2001, 1369; vom 28.06.2000 – X R 24/95, BFHE 192, 32, BStBl II 2000, 514; vom 20.12.2000 – II R 74/99, BFH/NV 2001, 1027, m.w.N.; BFH, Beschlüsse vom 27.09.2010 – II B 164/09, BFH/NV 2011, 193; vom 04.06.2008 – I R 9/07, BFH/NV 2008, 1647; Brandt in Beermann/Gosch, FGO § 102 Rz 60 ff.; Gräber/von Groll, a.a.O., § 102 Rz 13, m.w.N.[↩]
- siehe BFH, Urteil vom 02.09.2008 – X R 9/08, BFH/NV 2009, 3, m.w.N.[↩]
- Betriebsprüfungsordnung vom 15.03.2000, BStBl I 2000, 368[↩]
- siehe etwa BFH, Urteil vom 29.10.1992 – IV R 47/91, BFH/NV 1993, 149[↩]
- siehe BFH, Beschluss vom 30.06.2005 – IV B 131/03, BFH/NV 2005, 1966, m.w.N.[↩]
- siehe Klein/Brockmeyer, a.a.O., § 118 Rz 10[↩]
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