Windkraftanlagen – wirtschaftliches Eigentum und der Abschreibungsbeginn

Die Anschaffungskosten einer durch Kaufvertrag bzw. Werklieferungsvertrag erworbenen Windkraftanlage können erst ab dem Zeitpunkt des Übergangs des wirtschaftlichen Eigentums abgeschrieben werden. Das wirtschaftliche Eigentum an einer Windkraftanlage geht erst im Zeitpunkt des Gefahrübergangs auf den Erwerber/Besteller über.

Windkraftanlagen – wirtschaftliches Eigentum und der Abschreibungsbeginn

Gemäß § 7 Abs. 2 EStG kann der Gewinn bei Erwerb abnutzbarer beweglicher Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens um AfA in fallenden Jahresbeträgen gemindert werden (sog. degressive Abschreibung). Zusätzlich können bei neuen Wirtschaftsgütern der vorbezeichneten Art nach § 7g Abs. 1 EStG a.F. im Jahr der Anschaffung und den folgenden vier Jahren Sonderabschreibungen bis zu 20 % der Anschaffungskosten in Anspruch genommen werden. Beide Abschreibungen setzen die Anschaffung des in Frage stehenden Wirtschaftsguts voraus.

Jahr der Anschaffung ist nach § 9a der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung das Jahr der Lieferung. Geliefert ist ein Wirtschaftsgut, wenn der Steuerpflichtige (Erwerber) zumindest die wirtschaftliche Verfügungsmacht über das Wirtschaftsgut in dem Sinne erlangt hat, dass er als dessen wirtschaftlicher Eigentümer anzusehen ist1.

Gemäß § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 AO ist wirtschaftliches Eigentum zu bejahen, wenn ein anderer als der (zivilrechtliche) Eigentümer die tatsächliche Herrschaft über ein Wirtschaftsgut in der Weise ausübt, dass er den Eigentümer im Regelfall für die gewöhnliche Nutzungsdauer von der Einwirkung auf das Wirtschaftsgut wirtschaftlich ausschließen kann. Wirtschaftliches Eigentum liegt im Falle der Anschaffung beweglicher Wirtschaftsgüter daher vor, wenn (Eigen-)Besitz, Gefahr, Nutzungen und Lasten auf den Erwerber übergegangen sind2. Dabei ist unter Besitz nicht der Eigenbesitz i.S. von § 854 BGB, sondern der Besitz in Erwartung des Eigentumserwerbs zu verstehen2. Wirtschaftliches Eigentum an einem Wirtschaftsgut geht daher, anders als die Betreiberin meint, nicht schon dann auf den Erwerber über, wenn diesem die Nutzung (Fruchtziehung) des Wirtschaftsguts überlassen wird. Die das zivilrechtliche Eigentum verdrängende steuerrechtliche Zuordnung eines Wirtschaftsguts auf einen anderen setzt vielmehr voraus, dass die Substanz des Wirtschaftsguts auf diesen übergeht3.

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Davon ausgehend erlangt der Erwerber wirtschaftliches Eigentum an einem Wirtschaftsgut regelmäßig erst in dem Zeitpunkt, in dem auf ihn nach dem Vertrag oder mangels vertraglicher Regelung nach den zivilrechtlichen Regelungen die Gefahr des zufälligen Untergangs und der zufälligen Verschlechterung übergeht. Wird -wie im Streitfall- ein Wirtschaftsgut aufgrund eines Werklieferungsvertrags angeschafft, kommt es für die Entscheidung, wann die Gefahr auf den Erwerber übergeht, ebenfalls auf die vertraglichen Vereinbarungen an. Nur soweit vertragliche Vereinbarungen fehlen, ist auch in diesem Fall auf die (abdingbaren) zivilrechtlichen Regelungen über die Gefahrtragung (§ 446 Satz 1 i.V.m. § 651 BGB) abzustellen4. Hat der Verkäufer (Werklieferant) eine technische Anlage zu übereignen, die vom Erwerber erst nach dem erfolgreichen Abschluss eines Probebetriebs abgenommen werden soll, geht das wirtschaftliche Eigentum an der technischen Anlage erst mit der nach dem durchgeführten Probebetrieb erfolgten Abnahme über5. Dies gilt unabhängig davon, ob der Erwerber während des Probebetriebs die Nutzung ziehen kann, oder ob der Probebetrieb mit den Betriebsmitteln des Erwerbers ggf. unter Einsatz dessen Betriebspersonals durchgeführt wird6. Denn der Übergang des wirtschaftlichen Eigentums setzt in diesen Fällen voraus, dass der Erwerber das Wirtschaftsgut in eigener Verantwortung und auf eigenes Risiko betreibt. Daran fehlt es aber bis zum Zeitpunkt der Abnahme. Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Anlage auf Gefahr des Veräußerers (Werklieferanten) betrieben.

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Das wirtschaftliche Eigentum an einem Wirtschaftsgut, welches vor dessen Abnahme von dem zukünftigen Erwerber bereits genutzt werden kann, geht nicht bereits im Zeitpunkt der Inbesitznahme und Nutzung über, weil das Wirtschaftsgut während der Nutzungsphase bereits einem Wertverzehr unterliegt7. Darauf kann es schon deshalb nicht ankommen, weil, anders als die Betreiberin meint, der Lieferant des Wirtschaftsguts bis zu dessen Gefahrübergang auf den Erwerber weiterhin das Risiko des Wertverzehrs trägt, sollte das Wirtschaftsgut nach der Nutzungsphase im Probebetrieb etwa auf Grund nicht behebbarer technischer Probleme oder wegen Untergangs des Wirtschaftsguts nicht abgenommen werden. Unerheblich ist dabei, ob der Lieferant im Falle des Untergangs des Wirtschaftsguts nach dessen Besitzübertragung und Inbetriebnahme durch den Abschluss entsprechender Versicherungen im Ergebnis wirtschaftlich nicht belastet wäre. Denn die Ersatzleistung eines Dritten hat für die Frage, wer von den Vertragsparteien eines Werklieferungsvertrags die Gefahr des Untergangs trägt, keine Relevanz.

Dass der Veräußerer eines Wirtschaftsguts bis zum Zeitpunkt der Abnahme das Risiko des Wertverzehrs trägt, lässt sich auch den zivilrechtlichen Regelungen für den Fall der Rückabwicklung des Rechtsverhältnisses entnehmen. Wird ein Werklieferungsvertrag oder ein Kaufvertrag nach durchgeführtem Probebetrieb des Wirtschaftsguts rückabgewickelt, muss der Erwerber eine Entschädigung für die unentgeltliche Überlassung und Nutzung des Wirtschaftsguts leisten (Herausgabe der gezogenen Nutzungen gemäß § 651, § 437, § 346 Abs. 1 BGB). Diese Entschädigung gleicht auch den beim Veräußerer eingetretenen Wertverzehr aus. Wird die Entschädigung daher für die Nutzung und nicht für die Anschaffung des Wirtschaftsguts geleistet, kann sie auch nicht zur Begründung eines Erwerbsvorgangs herangezogen werden.

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In der Rechtsprechung ist zudem geklärt, dass Kaufpreisvorauszahlungen vor Übergang des wirtschaftlichen Eigentums nicht zur Annahme einer vorzeitigen Erlangung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht über das Wirtschaftsgut berechtigen; vielmehr sind sie beim Erwerber zu aktivieren und beim Veräußerer zu passivieren8. Gleiches gilt bei Abschluss eines Werklieferungsvertrags.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 22. September 2016 – IV R 1/14

  1. BFH, Urteile vom 04.06.2003 – X R 49/01, BFHE 202, 320, BStBl II 2003, 751; vom 14.04.2011 – IV R 52/09, BFHE 233, 257, BStBl II 2011, 929; und vom 01.02.2012 – I R 57/10, BFHE 236, 374, BStBl II 2012, 407[]
  2. BFH, Urteil in BFHE 236, 374, BStBl II 2012, 407[][]
  3. vgl. BFH, Urteil vom 28.05.2015 – IV R 3/13, Rz 21, m.w.N.[]
  4. BFH, Urteile vom 28.11.2006 – III R 17/05, BFH/NV 2007, 975, und in BFHE 236, 374, BStBl II 2012, 407[]
  5. BFH, Urteile in BFHE 236, 374, BStBl II 2012, 407; und vom 06.02.2014 – IV R 41/10[]
  6. BFH, Urteil in BFH/NV 2007, 975[]
  7. so aber Schmidt/Kulosa, EStG, 35. Aufl., § 7 Rz 107[]
  8. BFH, Urteile vom 07.11.1991 – IV R 43/90, BFHE 166, 329, BStBl II 1992, 398, und in BFHE 236, 374, BStBl II 2012, 407[]