Zinsen – und das nur buchmäßige Festhalten einer Schuldverpflichtung

Ist in der Gutschrift von fälligen Zinsen in den Büchern des Verpflichteten nur das buchmäßige Festhalten der Schuldverpflichtung zu sehen und wurde nicht zum Ausdruck gebracht, dass der Gläubiger den entsprechenden Betrag von nun an jederzeit abrufen kann, liegt kein Zufluss i.S. des § 11 EStG vor. Das bloße Nichtgeltendmachen gutgeschriebener und nicht ausgezahlter Zinsen bei Fälligkeit gegenüber dem Darlehensnehmer begründet keinen Zufluss der Zinsen i.S. des § 11 EStG beim Darlehensgeber1.

Zinsen – und das nur buchmäßige Festhalten einer Schuldverpflichtung

In dem hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall war der klagende Gesellschafter im Streitjahr (2012) zu 20 % an der X-GmbH beteiligt und für diese als Geschäftsführer tätig. Die X-GmbH hatte im August 2005 mit der H-GmbH einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag geschlossen. Der Gesellschafter war an der H-GmbH weder als Gesellschafter beteiligt noch war er Mitglied deren Geschäftsführung. Nach dem Gewinnabführungsvertrag sollte der Gesellschafter zur Abgeltung seines Gewinnanteils an der X-GmbH (Organgesellschaft) Ausgleichszahlungen von der H-GmbH (Organträgerin) erhalten. Die Ausgleichszahlungen der Jahre 2005 bis 2007 wandelten der Gesellschafter und die H-GmbH vertraglich in Darlehensansprüche um, die jeweils mit 6 % jährlich verzinst werden sollten. Die Zinsen verbuchte die H-GmbH auf einem firmeninternen Buchungskonto mit der Bezeichnung „Darlehen Y“, so auch im Streitjahr für das 1. Halbjahr und 3. Quartal 2012. In seinen Steuererklärungen der Jahre 2006 bis 2012 erklärte der Gesellschafter keine Zinseinnahmen aus den Darlehen. Das Finanzamt ließ Werbungskosten unberücksichtigt, die der Gesellschafter im Zusammenhang mit zivilrechtlichen Auseinandersetzungen mit der H-GmbH (Gerichts- und Rechtsanwaltskosten) bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend gemacht hatte. In der Einspruchsentscheidung legte das Finanzamt nach einem Verböserungshinweis Zinsen aus den Darlehen an die H-GmbH in Höhe von 42.556 € gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG der Besteuerung zugrunde. Den Abzug der vom Gesellschafter geltend gemachten Werbungskosten für die Gerichts- und Rechtsanwaltskosten aus der Auseinandersetzung mit der H-GmbH lehnte das Finanzamt in Höhe von 12.474 € weiterhin ab. Zwar seien diese insoweit dem Grunde nach als Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen zu berücksichtigen. Dem stehe jedoch das Werbungskostenabzugsverbot i.S. des § 20 Abs. 9 Satz 1 Halbsatz 2 EStG entgegen.

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Die hiergegen erhobene Klage hatte vor dem Finanzgericht Münster Erfolg2. Nach Auffassung des Finanzgerichts Münster hatte das Finanzamt dem Gesellschafter mangels Zuflusses im Streitjahr zu Unrecht Zinsen in Höhe von 42.556 € zugerechnet und rechtsfehlerhaft eine Berücksichtigung der vom Gesellschafter bei den Einkünften aus Kapitalvermögen geltend gemachten Werbungskosten in Höhe von 12.474 € abgelehnt. Der Werbungskostenabzug sei nicht ausgeschlossen, da die Voraussetzungen des § 32d Abs. 2 Nr. 3 EStG vorgelegen hätten und damit § 20 Abs. 9 Satz 1 Halbsatz 2 EStG keine Anwendung finde. Zwar habe der Gesellschafter den erforderlichen Antrag nicht bei Abgabe der Einkommensteuererklärung für 2012 gestellt, sondern erst im Verlauf des Einspruchsverfahrens; die spätere Antragstellung stehe aber einer Anwendung des § 32d Abs. 2 Nr. 3 EStG nicht entgegen. Dagegen richtet sich die Revision des Finanzamtes, mit der es die Verletzung materiellen Rechts rügt. Den Antrag auf Berücksichtigung von Werbungskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen in Höhe von 12.474 € hat der Gesellschafter im Revisionsverfahren nicht mehr aufrechterhalten.

Die Revision des Finanzamtes war zwar aus verfahrensrechtlichen Gründen begründet, das finanzgerichtliche Urteil war vom Bundesfinanzhof aufzuheben, da der Gesellschafter im Revisionsverfahren seinen Klageantrag beschränkt hat und das Finanzgericht dem ursprünglichen Antrag in vollem Umfang stattgegeben hatte. Die Sache war jedoch spruchreif, der Bundesfinanzhof entschied in der Sache selbst (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO) und gab der Klage -nach Maßgabe des im Revisionsverfahren beschränkten Klageantrags- wiederum statt:

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Soweit der Gesellschafter im Klageverfahren noch einen Werbungskostenabzug von Aufwendungen für Gerichts- und Rechtsanwaltskosten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen in Höhe von 12.474 € begehrt hatte, hat er seinen Klageantrag im Revisionsverfahren nicht mehr aufrechterhalten, sondern diesen darauf beschränkt, dass die (weiterhin) streitigen Darlehenszinsen in Höhe von 42.556 € nicht der Besteuerung der Kapitaleinkünfte i.S. des § 20 EStG zugrunde gelegt werden. Eine Beschränkung des Klageantrags ist im Revisionsverfahren zulässig3.

Dies hat zur Folge, dass dem Gesellschafter im Revisionsverfahren nicht mehr zugesprochen werden kann, als sich betragsmäßig aus dem eingeschränkten Klageantrag ergibt (§ 96 Abs. 1 Satz 2 FGO). Da das Finanzgericht auch den ursprünglich höheren Klageantrag in Bezug auf die steuerliche Berücksichtigung des Werbungskostenabzugs für die Gerichts- und Rechtsanwaltskosten bei den Einkünften aus § 20 EStG -trotz der Versäumung der Antragsfrist des § 32d Abs. 2 Nr. 3 Satz 4 EStG4- zu Unrecht anerkannt hat, ist das Urteil des Finanzgerichts bereits aus diesem Grund aufzuheben5.

Die Sache ist spruchreif. Der Bundesfinanzhof entscheidet auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des Finanzgerichts in der Sache selbst und gibt der Klage -nach Maßgabe des im Revisionsverfahren beschränkten Klageantrags- statt (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO). Das Finanzgericht ist in der Sache zu Recht davon ausgegangen, dass die vom Finanzamt bei den Einkünften aus Kapitalvermögen angesetzten Darlehenszinsen in Höhe von 42.556 € nicht als Kapitaleinkünfte i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG zu berücksichtigen sind, da diese im Streitjahr nicht gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG zugeflossen sind.

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Dem Steuerpflichtigen sind Einnahmen aus Kapitalvermögen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG zugeflossen, wenn er die wirtschaftliche Verfügungsmacht über die in Geld oder Geldeswert bestehenden Güter erlangt hat; das ist in der Regel der Zeitpunkt des Eintritts des Leistungserfolgs. Das Innehaben von (fälligen) Ansprüchen oder Rechten führt nach ständiger Rechtsprechung regelmäßig noch nicht zum Zufluss der Kapitaleinkünfte, da dieser grundsätzlich erst mit der Erfüllung des Anspruchs gegeben ist6. Ob der Steuerpflichtige im Einzelfall tatsächlich die wirtschaftliche Verfügungsmacht erlangt hat, ist eine Frage der Tatsachenfeststellung und -würdigung, die dem Finanzgericht obliegt7.

Nach diesen Grundsätzen ist ein Zufluss der von der H-GmbH für das 1. Halbjahr und das 3. Quartal 2012 auf dem firmeninternen Buchungskonto mit der Bezeichnung „Darlehen Y“ verbuchten Zinsen in Höhe von 42.556 € zu verneinen. Die Würdigung des Finanzgerichts in tatsächlicher Hinsicht, der Gesellschafter habe keine wirtschaftliche Verfügungsmacht über die Zinsen erlangt, ist nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens möglich und für den Bundesfinanzhof gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindend.

Eine tatsächliche Auszahlung der Zinsen an den Gesellschafter in bar oder mittels Gutschrift auf einem Konto bei einem Kreditinstitut ist im Streitjahr unstreitig nicht erfolgt.

Die Darlehenszinsen sind im Streitjahr auch nicht aufgrund der bloßen Gutschrift auf dem in der Buchhaltung der H-GmbH geführten Konto „Darlehen Y“ zugeflossen.

Eine Gutschrift in den Büchern des Verpflichteten kann den Zufluss bewirken, wenn in der Gutschrift nicht nur das buchmäßige Festhalten einer Schuldverpflichtung zu sehen ist, sondern darüber hinaus zum Ausdruck gebracht wird, dass der Betrag dem Berechtigten von nun an zur (jederzeitigen bzw. beliebigen) Verwendung zur Verfügung steht8. Nach dem BFH-Urteil vom 14.02.19849 genügt eine Gutschrift des leistungsbereiten und -fähigen Schuldners, der den für die Zahlung vorgesehenen Betrag von seinem Vermögen so separiert, dass der Gläubiger den Betrag „ohne weiteres“ abholen, abrufen oder verrechnen kann. Eine derartige Separation wird regelmäßig dadurch vollzogen, dass der Schuldner den Betrag auf einem für den Gläubiger gesondert geführten Konto gutschreibt.

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Diese Voraussetzungen sind im Streitfall -nach den Feststellungen des Finanzgerichts- nicht erfüllt. Der Gesellschafter , der weder Gesellschafter der H-GmbH noch Mitglied der Geschäftsführung war, konnte ohne das Zutun der Verantwortlichen der H-GmbH nicht -wie z.B. bei einem Verrechnungskonto- auf das Konto „Darlehen Y“ zugreifen. Es sind auch keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass mit der Buchung auf dem Konto „Darlehen Y“ auf andere Art und Weise zum Ausdruck gebracht worden wäre, der Gesellschafter könne von nun an uneingeschränkt (jederzeit) über die streitigen Zinsen wirtschaftlich verfügen bzw. sich den betreffenden Betrag von der H-GmbH ohne weiteres Zutun auszahlen lassen.

Wie das Finanzgericht zu Recht festgestellt hat, sind die Zinsen auch nicht in Form einer Schuldumwandlung (Novation) zugeflossen.

Der Zufluss kann durch eine gesonderte Vereinbarung zwischen Schuldner und Gläubiger bewirkt werden, dass der Betrag „fortan aus einem anderen Rechtsgrund geschuldet sein soll“. In einer solchen Novation kann, wenn sie im Interesse des Gläubigers liegt, eine Verfügung des Gläubigers über seine bisherige Forderung liegen, die einkommensteuerlich so zu werten ist, als ob der Schuldner die Altschuld durch Zahlung begleicht und der Gläubiger den vereinnahmten Betrag in Erfüllung des neu geschaffenen Verpflichtungsgrunds dem Schuldner sofort wieder zur Verfügung stellt10. Es ist entscheidend, dass der dem Gläubiger geschuldete Betrag gerade in dessen Interesse nicht ausgezahlt und aufgrund einer Vereinbarung fortan aus einem anderen Rechtsgrund geschuldet wird (z.B. im Rahmen eines weiteren Darlehens). Liegt ein solches alleiniges oder überwiegendes Interesse des Gläubigers an der Vereinbarung der Novation vor, indiziert dieses dessen Verfügungsmacht über den Gegenstand der Altforderung. Bleibt die Schuld im Interesse des Schuldners bestehen, liegt wirtschaftlich gesehen trotz einer Novation lediglich eine Stundung der ursprünglichen Schuld vor11.

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Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Nach den Feststellungen des Finanzgerichts fehlt es hinsichtlich der Zinsen aus den der H-GmbH gewährten Darlehen bereits am Vorliegen einer Novationsvereinbarung zwischen der H-GmbH und dem Gesellschafter . Es ist -entgegen den Ausführungen des Finanzamtes- nach dem vom Finanzgericht festgestellten Sachverhalt und dem Akteninhalt auch nicht erkennbar, dass es im alleinigen oder überwiegenden Interesse des Gesellschafter s lag, dass die von der H-GmbH geschuldeten Zinsen nicht ausbezahlt wurden. Vielmehr hatte die nach dem unbestrittenen Vortrag des Gesellschafter s Ende des Jahres 2012 insolvente H-GmbH ein überwiegendes Interesse am Stehenlassen der Zinsen zur Erhaltung ihrer Liquidität. Bleibt die Schuld im Interesse des Schuldners bestehen, liegt wirtschaftlich gesehen eine Stundung der ursprünglichen Schuld und keine Novation vor.

Schließlich führt das bloße Unterlassen der Geltendmachung eines fälligen Zinsanspruchs nicht zu einer Schuldumschaffung im Sinne einer Novation12. Die Schlussfolgerung des Finanzgerichts, dass keine Novation vorliegt, ist danach revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 12. Juli 2022 – VIII R 18/19

  1. Anschluss an BFH, Urteil vom 20.10.2015 – VIII R 40/13, BFHE 252, 260, BStBl II 2016, 342[]
  2. FG Münster, Urteil vom 14.05.2019 – 2 K 3677/16 E, EFG 2019, 1680[]
  3. vgl. BFH, Urteile vom 19.10.2011 – XI R 16/09, BFHE 235, 532, BStBl II 2012, 371; und vom 19.07.1994 – VIII R 58/92, BFHE 176, 317, BStBl II 1995, 362; Gräber/Herbert, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 72 Rz 13[]
  4. vgl. BFH, Urteil in BFHE 264, 459, BStBl II 2019, 586[]
  5. vgl. BFH, Urteile vom 16.07.1969 – I R 81/66, BFHE 96, 510, BStBl II 1970, 15; und vom 14.05.2014 – VIII R 31/11, BFHE 245, 531, BStBl II 2014, 995 zum Grundsatz „ne ultra petita“[]
  6. BFH, Urteile vom 20.10.2015 – VIII R 40/13, BFHE 252, 260, BStBl II 2016, 342; und vom 21.11.1989 – IX R 170/85, BFHE 159, 72, BStBl II 1990, 310[]
  7. z.B. BFH, Urteil vom 16.03.2010 – VIII R 4/07, BFHE 229, 141, BStBl II 2014, 147[]
  8. ständige Rechtsprechung seit BFH, Urteil vom 09.04.1968 – IV 267/64, BFHE 92, 221, BStBl II 1968, 525; z.B. Kister in Herrmann/Heuer/Raupach, § 11 EStG Rz 50; Kramer in Bordewin/Brandt, § 11 EStG Rz 53 unter Stichwort „Gutschrift“[]
  9. BFH, Urteil vom 14.02.1984 – VIII R 221/80, BFHE 140, 542, BStBl II 1984, 480[]
  10. so beispielsweise BFH, Urteil in BFHE 252, 260, BStBl II 2016, 342[]
  11. BFH, Urteil vom 11.02.2014 – VIII R 25/12, BFHE 244, 406, BStBl II 2014, 461[]
  12. BFH, Urteil in BFHE 252, 260, BStBl II 2016, 342, Rz 45[]
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