Zuordnung eines Veräußerungsverlustes – § 17 EStG oder § 23 EStG?

Im Hinblick auf den Wortlaut und den systematischen Zusammenhang sowie den Sinn und Zweck der betroffenen Vorschriften und den Willen des Gesetzgebers ist die Regelung des § 52a Abs. 11 Satz 4 EStG i.d.F. des UntStRefG 2008 dahin auszulegen, dass sie auch die Anwendung des § 23 Abs. 2 Satz 2 EStG a.F. zu privaten Veräußerungsgeschäften auf alle Anteilsübertragungen bis zum 31.12 2008 sicherstellt.

Zuordnung eines Veräußerungsverlustes –  § 17 EStG oder § 23 EStG?

§ 52a Abs. 11 Satz 4 EStG i.d.F. des UntStRefG 2008 ist nach seinem Wortlaut und nach dem systematischen Zusammenhang der betroffenen Vorschriften dahin auszulegen, dass die Anwendungsregelung auch die damit zusammenhängende Vorschrift des § 23 Abs. 2 Satz 2 EStG a.F. erfasst. Nach § 52a Abs. 11 Satz 3 EStG i.d.F. des UntStRefG 2008 ist § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG i.d.F. des UntStRefG 2008 erstmals auf Veräußerungsgeschäfte anzuwenden, bei denen die Wirtschaftsgüter nach dem 31.12 2008 aufgrund eines nach diesem Zeitpunkt geschlossenen obligatorischen Vertrags angeschafft wurden. Im Gegenzug bestimmt § 52a Abs. 11 Satz 4 EStG i.d.F. des UntStRefG 2008, dass § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG a.F. letztmals auf Veräußerungsgeschäfte anwendbar ist, bei denen die Wirtschaftsgüter vor dem 1.01.2009 erworben worden sind. § 52a Abs. 11 Satz 4 EStG i.d.F. des UntStRefG 2008 nimmt in seinem Wortlaut ausdrücklich auf die Vorschrift des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG a.F. Bezug.

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In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass die Regelung in § 23 Abs. 2 Satz 2 EStG a.F. nach ihrem Wortlaut ebenfalls auf die „Voraussetzungen des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 2“ Bezug nimmt und damit nach ihrer systematischen Einbindung als reine Zuordnungsvorschrift an eine Veräußerung i.S. des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG a.F. anknüpft. Es wäre widersprüchlich, wenn der Gesetzgeber den Grundtatbestand hinsichtlich der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften in § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG a.F. bis zum 31.12 2008 in Kraft ließe, die nach ihrem Wortlaut an diesen Grundtatbestand anknüpfende -und ohne den Grundtatbestand keinen Anwendungsbereich findende- Zuordnungsnorm des § 23 Abs. 2 Satz 2 EStG a.F. jedoch bereits zu einem früheren Zeitpunkt außer Kraft setzte1.

Sinn und Zweck der Regelung des § 23 Abs. 2 Satz 2 EStG a.F. ist es, Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften auch bei gleichzeitigem Vorliegen der Voraussetzungen des § 17 EStG der Einkunftsart der privaten Veräußerungsgeschäfte zuzuordnen. Verluste aus Spekulationsgeschäften mit einer wesentlichen Beteiligung sollen nicht mit anderen positiven Einkünften unbegrenzt verrechnet, sondern nur beschränkt verrechnet werden können2. Ein Wegfall der Regelung des § 23 Abs. 2 Satz 2 EStG a.F. bereits vor dem 31.12 2008 würde dem vom Gesetzgeber im Missbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetz vom 21.12 19933 im Hinblick auf § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG a.F. ausdrücklich verfolgten Ziel eines Vorrangs vor § 17 EStG widersprechen. Hintergrund der Regelung war, dass der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 04.11.1992 – X R 33/904 seine bis dahin geltende Rechtsprechung geändert und entschieden hatte, dass § 17 EStG vor § 23 EStG Vorrang habe. Erst mit der vollständigen Erfassung der Veräußerungsgewinne von im Privatvermögen gehaltenen Anteilen an Kapitalgesellschaften in § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG als Einkünfte aus Kapitalvermögen ab 1.01.2009 (vgl. § 52a Abs. 10 Satz 1 EStG i.d.F. des UntStRefG 2008) bedurfte es der Regelung, wonach § 23 EStG der Anwendung des § 17 EStG vorgeht, nicht mehr. Die Konkurrenzregelung in § 23 Abs. 2 Satz 2 EStG konnte daher ab diesem Zeitpunkt entfallen5.

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Mit dem Wegfall der Regelung des § 23 Abs. 2 Satz 2 EStG a.F. bereits mit Inkrafttreten des UntStRefG 2008 zum 18.08.2007 würde im verbleibenden Zeitraum bis zum 31.12 2008 ein Zustand eintreten, der dem Willen des Gesetzgebers eindeutig entgegenliefe. Dies folgt aus dem vom Gesetzgeber festgelegten Sinn und Zweck der Übergangsregelungen, den Wechsel zum System der Abgeltungssteuer für die Einkünfte aus § 23 EStG zum Jahreswechsel 31.12 2008/1.01.2009 zu vollziehen6. Denn nach der im Gesetzgebungsverfahren zunächst vorgeschlagenen Formulierung in Art. 13 Abs. 3 des UntStRefG 2008 sollten die Regelungen zu § 23 EStG insgesamt erst am 1.01.2009 in Kraft treten7. Der Gesetzgeber beabsichtigte insoweit, die Änderungen im Bereich der Veräußerungsgewinne aus Anteilen an Kapitalgesellschaften und damit insgesamt den Systemwechsel zur Abgeltungssteuer erst zum 1.01.2009 in Kraft treten zu lassen8. Im Ergebnis sollten alle Veräußerungsgeschäfte, bei denen die Anschaffung vor dem 1.01.2009 erfolgt war, noch nach der alten Rechtslage besteuert werden9. Anhaltspunkte dafür, dass er im weiteren Gesetzgebungsverfahren davon ausdrücklich Abstand genommen und ein früheres Inkrafttreten der Neuregelung des § 23 Abs. 2 i.d.F. des UntStRefG 2008 losgelöst von den übrigen Vorschriften zur Abgeltungssteuer beabsichtigt hat, sind nicht ersichtlich.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 13. Januar 2015 – IX R 16/14

  1. gl.A. Blümich/Glenk, § 23 EStG Rz 31; Gosch in Kirchhof, EStG, 13. Aufl., § 17 Rz 8; Hensel in Lademann, EStG, § 23 Rz 70; Hoheisel in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 23 Rz 4; Kube in Kirchhof, EStG, 13. Aufl., § 23 Rz 3; Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 27. Aufl., § 23 Rz 65; ders., 28. Aufl., § 23 Rz 65; Wernsmann, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 23 Rz C 45[]
  2. vgl. BT-Drs. 12/5630, S. 59[]
  3. BGBl I 1993, 2310[]
  4. BFHE 169, 357, BStBl II 1993, 292[]
  5. vgl. BT-Drs. 16/4841, S. 59[]
  6. vgl. BT-Drs. 16/4841, S. 59 und S. 73[]
  7. vgl. BT-Drs. 16/4841, S. 28 und S. 91[]
  8. vgl. BT-Drs. 16/4841, S. 33 und S. 59, sowie für die Frage des Schuldzinsenabzugsverbots nach § 20 Abs. 9 EStG BFH, Urteil vom 01.07.2014 – VIII R 53/12, BFHE 246, 332, BStBl II 2014, 975, unter II. 3.[]
  9. vgl. Musil, in: Herrmann/Heuer/Raupach, § 23 EStG, Anm. J 07-2[]
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