Zwangsentnahmen führen nicht zu einer Überentnahme. Dies entschied jetzt das Niedersächsische Finanzgericht in einem Rechtsstreit, wo das Finanzamt eine gemäß § 52 Abs. 15 EStG steuerfreie Wohnungsentnahme aufgrund der Beendigung der Nutzungswertbesteuerung zum 31.12.1998 als Überentnahme im Sinne von § 4 Abs. 4a Satz 2 EStG beurteilt hatte.

Schuldzinsen sind nach Maßgabe des § 4 Abs. 4a Sätze 2 bis 4 EStG nicht abziehbar, wenn Überentnahmen getätigt worden sind. Eine Überentnahme ist der Betrag, um den die Entnahmen die Summe des Gewinns und der Einlagen des Wirtschaftsjahres übersteigen (§ 4 Abs. 4a Satz 2 EStG). Die nicht abziehbaren Schuldzinsen werden typisiert mit 6% der Überentnahme des Wirtschaftsjahres zuzüglich der Überentnahmen vorangegangener Wirtschaftsjahre und abzüglich der Beträge, um die in den vorangegangenen Wirtschaftsjahren der Gewinn und die Einlagen die Entnahmen überstiegen haben (Unterentnahmen), ermittelt; bei der Ermittlung der Überentnahme ist vom Gewinn ohne Berücksichtigung der nach Maßgabe dieses Absatzes nicht abziehbaren Schuldzinsen auszugehen. Dabei erhöhte die aufgrund der Beendigung der Nutzungswertbesteuerung anzusetzende Zwangsentnahme nicht die vorzutragenden Überentnahmen i.S.v. § 4 Abs. 4a EStG.
Grundsatz: Berücksichtigung aller Überentnahmen
Das Niedersächsische Finanzgericht entschied nun in dem Fall des betroffenen Landwirts, dass die Überentnahmen aus dem Wirtschaftsjahr 1998/1999 in den Streitjahren zwar dem Grunde nach zu berücksichtigen waren. Da Wirtschaftsjahr bei Land- und Forstwirten gemäß § 4a Abs. 1 Nr. 1 EStG grundsätzlich der Zeitraum vom 01.07. bis zum 30.06. des Folgejahres ist und die Regelung des § 4 Abs. 4a ausdrücklich (erst) für nach dem 31.12.1998 endende Wirtschaftsjahre gilt, war das Wirtschaftsjahr 1998/1999 bei der Berechnung der Überentnahmen für die Jahre ab 2001 einzubeziehen (§ 52 Abs. 11 EStG). Lediglich Über- und Unterentnahmen vorangegangener Wirtschaftsjahre, also solcher, die vor dem 31.12.1998 enden, sind nach § 52 Abs. 11 Satz 2 EStG in der Fassung des StÄndG ab dem Veranlagungszeitraum 2001 nicht zu berücksichtigen.
Da die Zwangsentnahme zum 31.12.1998 sich indes im Wirtschaftsjahr 1998/1999 auswirkte und dieses Wirtschaftsjahr nach dem 31.12.1998 endete, wäre die Zwangsentnahme bei der Berechnung der Überentnahmen anzusetzen, wenn es sich um eine Entnahme im Sinne des § 4 Abs. 4a EStG handeln würde.
Keine Berücksichtung bei Beendigung der Nutzungswertbesteuerung
Die – gem. § 52 Abs. 15 Satz 6 EStG zum 31.12.1998 anzusetzende – Zwangsentnahme stellte indes, so das Niedersächsische Finanzgericht weiter, keine Entnahme im Sinne von § 4 Abs. 4a EStG dar:
Die Aussage des Finanzamtes, dass durch eine Zwangsentnahme grundsätzlich dieselben Rechtsfolgen eintreten wie bei einer „normalen“ Entnahme i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG, trifft zwar im Allgemeinen zu. Indessen ist die Regelung des § 4 Abs. 4a EStG erst nachträglich nach Wegfall der Nutzungswertbesteuerung erlassen worden. Das Niedersächsische Finanzgericht geht insoweit im Anschluss an das Finanzgericht Münster1 davon aus, dass in der Eile des Vermittlungsverfahrens die Problematik der Behandlung von Zwangsentnahmen vom Gesetzgeber schlicht übersehen wurde. Das Finanzgericht Münster sieht die Anwendungsregelung in § 52 Abs. 11 EStG in der Fassung des Steuerbereinigungsgesetzes vom 22. Dezember 19992 insoweit zutreffend als lückenhaft an.
Die vom Finanzgericht Münster angestellten Erwägungen treffen in gleicher Weise auch auf die Regelung § 52 Abs. 11 EStG in der Fassung des Steueränderungsgesetzes 20013 zu. Zwar wurde durch das Steueränderungsgesetz 2001 u. a. geregelt, das Über- und Unterentnahmen, die vor dem zeitlichen Anwendungsbereich der Regelung des § 4 Abs. 4a EStG getätigt worden, nicht mitzurechnen sind (§ 52 Abs. 11 Satz 2 EStG). Unter Berücksichtigung der durch die Regelungen in § 4 Abs. 4 a EStG und § 52 Abs. 11 EStG, jeweils in der Fassung des Steueränderungsgesetzes vom 20. Dezember 2001, geschaffenen Rechtslage erscheint die sich aus dem Begriff der Entnahme ergebende Einbeziehung der Zwangsentnahme nach § 52 Abs. 15 Satz 6 EStG in den Begriff der Entnahme nach § 4 Abs. 4a EStG in der Fassung des Steueränderungsgesetzes vom 20. Dezember 2001 (Bundesgesetzblatt I 2001, 3794) indes als steuerlich nicht gewollter, belastender Nebeneffekt. Dieser ist über eine ergänzende Auslegung (teleologische Reduktion) der Anwendungsregelung des § 52 Abs. 11 EStG in der Fassung des Streitjahres im Sinne des Klagebegehrens zu beseitigen. Die Zwangsentnahme der Betriebswohnung zum 31.12.1998 fällt damit nicht unter eine Entnahme im Sinne des § 4 Abs. 4a EStG.
Auch der Umstand, dass nach der Gesetzesbegründung4 zum Steueränderungsgesetz 2001 lediglich „klarstellend“ angeordnet worden sei, dass Über- und Unterentnahmen aus Wirtschaftsjahren vor 1999 unbeachtlich bleiben sollen, lässt keinen anderen Schluss in Bezug auf die hier vorzunehmende Auslegung zu. Es heißt in der Gesetzesbegründung zu § 52 Abs. 11 EStG in der Fassung des Steueränderungsgesetzes 2001 u. a.:
„Die Ergänzung der Anwendungsregelung durch den neuen Satz 2 dient der Klarstellung. Die Neuregelung des § 4 Abs. 4a ist erstmals für Wirtschaftsjahre anzuwenden, die nach dem 31. Dezember 1998 enden. Dies ist so zu verstehen, dass Über- und Unterentnahmen in Wirtschaftsjahren, die vor dem Jahre 1999 geendet haben, den Abzug von Schuldzinsen ab dem Jahr 1999 nicht beeinflussen. Durch die Neuregelung ist der Schuldzinsenabzug auf eine neue Grundlage gestellt worden. Die Ermittlung von Über- und Unterentnahmen hat als integrierter Bestandteil der Neuregelung erstmals ab 1999 zu erfolgen. Eine Berücksichtigung von Über- und Unterentnahmen früherer Jahre stieße auch auf erhebliche rechtliche und praktische Bedenken. Der Ansatz von Überentnahmen früherer Jahre wäre unter dem Gesichtspunkt der Rückwirkung angreifbar. Bei der Ermittlung von Unterentnahmen früherer Jahre könnte man sich nicht darauf beschränken, das Kapitalkonto zum Schluss des letzten vor dem 31. Dezember 1998 endenden Wirtschaftsjahrs anzusetzen, da Verluste – bei einer zweckorientierten Auslegung der Neuregelung – nicht unmittelbar zu Überentnahmen führen. Außerdem könnten Gewinnermittler nach § 4 Abs. 3 – mangels Aufzeichnungen der Entnahmen und Einlagen – nicht auf ein solches Kapitalkonto zurückgreifen.
Mit der Ergänzung der Anwendungsregelung durch den neuen Satz 3 soll eine Benachteiligung von Alt- gegenüber Neubetrieben beseitigt werden. Bei Neubetrieben sind die Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens bei Betriebseröffnung als Einlage und bei Betriebsaufgabe als Entnahme zu behandeln (bei Betriebsveräußerung sind sie Teil des Veräußerungserlöses). Da die vor dem 1. Januar 1999 eröffneten Betriebe mit einem Stand der Unterentnahmen von 0 DM beginnen, ist es sachgerecht, bei diesen Betrieben im Falle der Betriebsaufgabe oder -veräußerung die Buchwerte der Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens nicht als Entnahme anzusetzen.“
Der Gesetzgeber hat hinsichtlich der Behandlung von (Zwangs-)Entnahmen der Wirtschaftsjahre, die in die Berechnung nach § 4 Abs. 4a EStG einzubeziehen sein sollten, auch durch das Steueränderungsgesetz vom 20. Dezember 2001 in § 52 Abs. 11 Satz 2 EStG gerade keine Regelung getroffen. Er hat lediglich in § 52 Abs. 11 EStG die Sätze 2 und 3 eingefügt und Aussagen für Über- und Unterentnahmen vorangegangener Wirtschaftsjahre getroffen (Satz 2) bzw. für die Fälle der Betriebsaufgabe und Betriebsveräußerung eine Sondervorschrift für vor dem 01.01.1999 eröffnete Betriebe geschaffen (Satz 3). Eine Aussage für den hier vorliegenden Fall einer Zwangsentnahme für ein Wirtschaftsjahr, für das die Regelung des § 4 Abs. 4a EStG anzuwenden ist, fehlt hingegen. Letztlich liefe eine Berücksichtigung der Zwangsentnahme auf eine (sukzessive erfolgenden) Aushöhlung der durch § 52 Abs. 15 Satz 6 EStG angeordneten Steuerfreiheit der Zwangsentnahme hinaus.
Insoweit schließt sich das Niedersächsische Finanzgericht in diesem Urteil ausdrücklich der Auffassung des Finanzgerichts Münster5 an. Die dem entgegenstehende Auffassung6 ist, so jedenfalls das Niedersächsische Finanzgericht, aus den bereits vom Finanzgericht Münster genannten Gründen, – die auch der Bundesfinanzhof als „überzeugend“ bezeichnet hat, ohne die Frage abschließend zu entscheiden7 -, zu folgen.
Der Auffassung, dass eine fiktive Entnahme gem. § 52 Abs. 15 Satz 6 EStG a.F. nicht zu Überentnahmen führt, stehen, so das Niedersächsische Finanzgericht weiter, auch nicht die Ausführungen im Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 23.09.20098 entgegen: Dort wurde zwar insoweit die Auffassung vertreten, dass das mit dem Wegfall der Nutzungswertbesteuerung verbundene Ausscheiden der Wirtschaftsgüter aus dem Betriebsvermögen eine Entnahme im Sinne des § 15a Abs. 3 Satz 1 EStG darstelle. Der Vorgang „gelte“ aber als Entnahme. Durch diese Fiktion werde er einer Entnahme im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG mit der Folge gleichgestellt, dass sich an ihn dieselben Rechtsfolgen knüpften wie an jene. Dies komme auch in der Regelung des § 52 Abs. 15 Satz 7 EStG zum Ausdruck.
Diese Entscheidung vom 23.09.2009 betraf indes die Vorschrift des § 15a EStG, wodurch u. a. die Möglichkeit zur Geltendmachung von Verlusten bei negativem Kapitalkonto geregelt wird, während § 4 Abs. 4a EStG den Schuldzinsenabzug unter bestimmten Voraussetzungen einschränkt. Die Regelungszwecke der Vorschriften sind somit nicht identisch. Jedenfalls für den hier relevanten Fall der Zwangsentnahme zum 31.12.1998 muss die Beurteilung im Rahmen des § 15a EStG damit nicht der Auslegung des Entnahmebegriffes i.S.v. § 4 Abs. 4a EStG entsprechen.
Auch die Ergebnisse, die sich auf Grundlage der hier vertretenen Lösung ergeben, überzeugen nach Auffassung der Hannoveraner Finanzrichter. Die gegenteilige Auffassung der Finanzverwaltung hätte zur Folge, dass der Schuldzinsenabzug beschränkt würde, ohne dass ein zusätzlicher Liquiditätsbedarf geschaffen worden wäre. Dies gilt jedenfalls bei der Zwangsentnahme von Wirtschaftsgütern, die vor dem zeitlichen Anwendungsbereich der Regelung des § 4 Abs. 4a EStG eingelegt oder angeschafft wurden. Bei diesen würde sich nach Auffassung der Finanzverwaltung eine (Über-)Entnahme ergeben, ohne dass sich das Betriebsvermögen zuvor (z.B. durch Buchung einer Einlage) erhöhen konnte.
Gerade dies sollte zudem – allerdings nur für den Fall der Totalentnahme – durch § 52 Abs. 11 Satz 3 EStG verhindert werden, indem dort für vor dem 01.01.1999 eröffnete Betriebe angeordnet wird, dass im Falle der Betriebsaufgabe die Buchwerte der in das Privatvermögen überführten Wirtschaftsgüter nicht als Entnahme anzusetzen sind. Angesichts der ungenauen und lückenhaften Regelungen ist es den Klägern auch nicht zuzumuten, die hiesige Auslegung (erst) im Billigkeitsverfahren durchzusetzen.
Es kann daher im Ergebnis dahinstehen, ob ein zum 01.01.1999 vorhandenes und nicht abgeschöpftes Unterentnahmevolumen zum 01.01.2001 untergeht9.
Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 16. Dezember 2009 – 2 K 447/07 (nicht rechtskräftig, Revision zum BFH: IV R 4/10)
- FG Mnster, Urteil vom 16.10.2003 – 8 K 2448/02 E[↩]
- BGBl. I 1999, 2601[↩]
- BGBl. I 2001, 3794[↩]
- BT-Drs. 14/6877, 28[↩]
- FG Münster, Urteil vom 16.10.2003 – 8 K 2448/02 E, EFG 2004, 174; vgl. auch z.B. Kanzler in Leingärtner, Besteuerung der Landwirte, Kap. 24, Rz. 73[↩]
- vgl. z.B. Kolbe, StuB 2004, 462, 464; Schallmoser in Hermann/Heuer/Raupach, § 4 Anm. 1052; OFD Koblenz v. 21.07.2003, DStZ 2003, 705[↩]
- BFH, Urteil vom 01.06.2006, IV R 48/03[↩]
- Nds. FG, Urteil vom 23.09.2009 – 4 K 94/09[↩]
- vgl. hierzu Schallmoser in Hermann/Heuer/Raupach, § 4 Anm. 1039; Heinicke in Schmidt, Komm. zum EStG, 28. Aufl., § 4 Rz. 530[↩]