Die Anmeldung der Kapitalertragsteuer durch ein Geldinstitut kann von dem Gläubiger der Kapitalerträge nicht mehr im Wege einer Drittanfechtungsklage angefochten werden, wenn die Kapitalerträge aufgrund eines Antrags nach § 32d Abs. 4 EStG bereits in die Steuerfestsetzung mit einbezogen wurden und die abgeführte Kapitalertragsteuer auf die Steuerschuld angerechnet wurde.

Die Drittanfechtungsklage gegen eine Kapitalertragsteuer-Anmeldung ist mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, wenn sich die Kapitalertragsteuer-Anmeldung vor der Klageerhebung durch die Einbeziehung der Kapitalerträge in die Einkommensteuerfestsetzung aufgrund eines Antrags nach § 32d Abs. 4 EStG auf sonstige Weise gemäß § 124 Abs. 2 AO erledigt hat.
Der Vorrang der Überprüfung der Rechtmäßigkeit der einbehaltenen Kapitalertragsteuer im Festsetzungsverfahren verstößt weder gegen das Gebot des effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG, noch gegen Art. 3 GG und Art. 14 Abs. 1 GG (Verbot der Übermaßbesteuerung) oder gegen die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 56 EG, Art. 63 AEUV).
Dies hat jetzt der Bundesfinanzhof in einem Fall entschieden, in dem der Steuerpflichtige mit einer Drittanfechtungsklage der Kapitalertragsteuer-Anmeldung des Geldinstituts die Erstattung der Abgeltungsteuer erreichen wollte. Im Streitfall behielt das Geldinstitut aufgrund einer „Entflechtung (Spin-off)“ von Aktien einer amerikanischen Kapitalgesellschaft Kapitelertragsteuer ein. Der Anleger war der Auffassung, dass die Entflechtung der Wertpapiere nicht steuerpflichtig sei und erhob nach dem Erlass des Einkommensteuerbescheids, in den die Kapitalerträge aufgrund eines Antrags nach § 32d Abs. 4 EStG einbezogen worden waren, eine Drittanfechtungsklage gegen die Kapitalertragsteuer-Anmeldung des Geldinstituts. Das Finanzgericht Köln hat die Klage mangels Rechtsschutzbedürfnisses als unzulässig verworfen1.
Der Bundesfinanzhof hat nun diese Entscheidung bestätigt und die Revision des Anlegers zurückgewiesen. Zwar war der Anleger als Gläubiger der Kapitalerträge grundsätzlich befugt, die Kapitalertragsteuer-Anmeldung des Geldinstituts anzufechten. Jedoch hatte sich diese durch den Erlass des Einkommensteuerbescheids erledigt, da dieser aufgrund des Antrags nach § 32d Abs. 4 EStG den Regelungsgehalt der Kapitalertragsteuer-Anmeldung aufgenommen hat. Die Klage war danach mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig.
Grundsätzlich hält der Bundesfinanzhof die Beschränkung der Drittanfechtungsklage gegen eine Kapitalertragsteuer-Anmeldung auch verfassungs- und europarechtlich für zulässig. Nicht entschieden hat der Bundesfinanzhof dagegen über die Frage, wie eine Drittanfechtungsklage ohne einen Antrag nach § 32d Abs. 4 EStG zu beurteilen wäre und ob aufgrund der ab dem Veranlagungszeitraum 2016 geltenden Bindung des Geldinstituts an die Verwaltungsauffassung nach § 44 Abs. 1 Satz 3 EStG der Prüfungsumfang bei einer Drittanfechtungsklage weiter eingeschränkt wird.
Die Klage gegen die Kapitalertragsteuer-Anmeldung der Bank für Oktober 2012 ist unzulässig. Zwar war der Anleger grundsätzlich befugt, die Kapitalertragsteuer-Anmeldung im Rahmen einer sog. Drittanfechtung aus eigenem Recht anzufechten. Jedoch hatte sich die Kapitalertragsteuer-Anmeldung für Oktober 2012 bereits vor Erhebung der Klage am 15.04.2015 durch den Erlass des Einkommensteuerbescheids für 2012 vom 10.02.2014 aufgrund des Antrags des Anlegers auf Überprüfung des Steuereinbehalts nach § 32d Abs. 4 EStG erledigt. Damit ist das Rechtsschutzinteresse des Anlegers in Bezug auf die Anfechtung der Kapitalertragsteuer-Anmeldung entfallen.
Der Anleger war grundsätzlich befugt, als Gläubiger der Kapitalerträge und Schuldner der Kapitalertragsteuer (§ 44 Abs. 1 Satz 1 EStG) die Kapitalertragsteuer-Anmeldung der Bank anzufechten. Die nach § 45a EStG angemeldete Kapitalertragsteuer steht nach § 168 der Abgabenordnung (AO) einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleich. Ihr Regelungsgehalt beschränkt sich darauf, dass der Schuldner der Kapitalerträge die angemeldeten Beträge abzuführen hat. Da jedoch der Gläubiger der Kapitalerträge die Kapitalertragsteuer sowie den im Abzugsverfahren erhobenen Solidaritätszuschlag schuldet und demgemäß der Vergütungsschuldner die Steuerabzüge für Rechnung des Gläubigers der Kapitalerträge vorgenommen hat (§ 44 Abs. 1 Satz 3 EStG), werden im Fall der Rechtswidrigkeit der nach § 168 AO fingierten Steuerbescheide auch rechtlich geschützte Interessen des Gläubigers der Kapitalerträge berührt2. Danach ist eine Drittanfechtung der Kapitalertragsteuer-Anmeldung durch den Gläubiger der Kapitalerträge grundsätzlich möglich3.
Gegenstand der Drittanfechtungsklage ist die mit der Steueranmeldung verbundene Steuerfestsetzung gegen den Vergütungsschuldner. Die Überprüfung der Steueranmeldung beschränkt sich in diesem Fall darauf, ob der Vergütungsschuldner die Steueranmeldung vornehmen durfte. Dies ist bereits dann zu bejahen, wenn die Voraussetzungen für den Steuereinbehalt zweifelhaft sind. Auch ist im Rahmen dieses eingeschränkten Prüfungsumfangs im Grundsatz davon auszugehen, dass der Vergütungsschuldner zum Kapitalertragsteuerabzug dann berechtigt ist, wenn er sich hierbei auf ein Schreiben der Bankundesministeriums der Finanzen stützen kann. Dieser Grundsatz ist aber dann zu durchbrechen, wenn die Ansicht des Vergütungsgläubigers dem eindeutigen Wortlaut der einschlägigen Bestimmungen entspricht und auch aus deren Entstehungsgeschichte und Zweck kein Anhalt für ein abweichendes Regelungsverständnis besteht4, so dass die Anmeldung des Vergütungsschuldners eindeutig rechtswidrig ist. Ob dieser Prüfungsumfang durch die ab dem Veranlagungszeitraum 2016 geltende Regelung des § 44 Abs. 1 Satz 3 EStG5, nach der der Steuerabzug unter Beachtung der im Bundessteuerblatt veröffentlichten Auslegungsvorschriften der Finanzverwaltung vorzunehmen ist, weiter eingeschränkt wird, ist im vorliegenden Fall nicht zu entscheiden, da die Regelung auf das Streitjahr keine Anwendung findet.
Der Bundesfinanzhof kann offen lassen, ob die Kapitalertragsteuer-Anmeldung der Bank (hier:) für Oktober 2012 i.S. dieser Rechtsprechung eindeutig rechtswidrig war, da die Klage mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig ist. Die angefochtene Kapitalertragsteuer-Anmeldung hatte sich bereits vor der Erhebung der Drittanfechtungsklage am 15.04.2015 durch die Festsetzung der Einkommensteuer im Jahresbescheid für 2012 vom 10.02.2014 gemäß § 124 Abs. 2 AO erledigt, da der Anleger mit der Einkommensteuererklärung einen Antrag auf Überprüfung des Steuereinbehalts nach § 32d Abs. 4 EStG gestellt hatte.
Ein Verwaltungsakt bleibt nach § 124 Abs. 2 AO wirksam, soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist. Auf andere Weise erledigt ist ein Verwaltungsakt insbesondere dann, wenn seine Regelungswirkung weggefallen ist. Das ist immer dann der Fall, wenn die sachliche oder rechtliche Grundlage des Regelungsobjekts entfallen ist. Die rechtliche Grundlage ist insbesondere dann entfallen, wenn der Regelungsgehalt eines Verwaltungsakts aufgrund des Erlasses eines neuen Verwaltungsakts überholt ist.
Nach diesen Grundsätzen hat sich die Kapitalertragsteuer-Anmeldung der Bankfür Oktober 2012 durch den Erlass des Einkommensteuerbescheids für 2012 erledigt. Aufgrund des Antrags des Anlegers als Gläubiger der Kapitalerträge nach § 43 Abs. 5 Satz 3 EStG i.V.m. § 32d Abs. 4 EStG auf Überprüfung des Steuereinbehalts wurden die von der Bank angemeldeten Kapitalerträge in die Steuerfestsetzung miteinbezogen und die abgeführte Kapitalertragsteuer nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG auf die hierfür festgesetzte Steuer angerechnet. Dadurch wurde in dem Einkommensteuerbescheid der Regelungsgehalt der Kapitalertragsteuer-Anmeldung aufgenommen. Der Einkommensteuerbescheid löste danach die Kapitalertragsteuer-Anmeldung als Rechtsgrundlage für die von dem Vergütungsschuldner einbehaltene Kapitalertragsteuer ab, so dass sich die Kapitalertragsteuer-Anmeldung nach § 124 Abs. 2 AO auf andere Weise erledigt hat6. Die Frage, ob die Festsetzung der Einkommensteuer auch dann zu einer Erledigung der Kapitalertragsteuer-Anmeldung führt, wenn kein Antrag auf Überprüfung des Steuereinbehalts nach § 32d Abs. 4 EStG gestellt wird, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens und kann der Bundesfinanzhof daher offen lassen.
Der Anleger war danach zum Zeitpunkt der Erhebung der Klage durch die angefochtene Kapitalertragsteuer-Anmeldung nicht mehr beschwert. Die Klage war unzulässig, da das Rechtsschutzinteresse des Anlegers an der Anfechtung der Kapitalertragsteuer-Anmeldung durch die Einkommensteuerfestsetzung entfallen war7.
Das Verfahren kann nicht als Klage gegen den Einkommensteuerbescheid für 2012 fortgesetzt werden. Zwar wird gemäß § 68 Satz 4 Nr. 2 FGO ein neuer Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens, der an die Stelle eines angefochtenen unwirksamen Verwaltungsakts tritt. Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall. Der Einkommensteuerbescheid des Anlegers und die Kapitalertragsteuer-Anmeldung der Bank stimmen weder hinsichtlich der Verfahrensbeteiligten noch inhaltlich überein. Verfahrensbeteiligter des vorliegenden Verfahrens ist das für die Kapitalertragsteuer-Anmeldung der Bank zuständige beklagte Finanzamt, während im Rechtsbehelfsverfahren gegen die Einkommensteuerfestsetzung das Wohnsitzfinanzamt des Anlegers beteiligt ist. Gegenstand der Kapitalertragsteuer-Anmeldung ist die auf die Kapitalerträge entfallende Einkommensteuer (§ 43 EStG), während im Einkommensteuerfestsetzungsverfahren die Steuer unter Berücksichtigung aller Besteuerungsgrundlagen festzusetzen ist8.
Die Klage ist nicht als Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO zulässig, so dass auch der Hilfsantrag des Anlegers keinen Erfolg hat.
Nach § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO kann, wenn ein mit der Klage angefochtener Verwaltungsakt sich im Verlauf des Klageverfahrens erledigt hat, das Gericht unter bestimmten Voraussetzungen auf Antrag die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts feststellen. Diese Regelung ist nach der Rechtsprechung der BankFH entsprechend anzuwenden, wenn ein Verwaltungsakt sich schon vor der Klageerhebung erledigt hat9. Eine solche Gestaltung liegt im Streitfall vor, da sich die Kapitalertragsteuer-Anmeldung für Oktober 2012 durch den Erlass des Einkommensteuerbescheids für 2012 bereits vor Erhebung der Drittanfechtungsklage nach § 124 Abs. 2 AO erledigt hat.
§ 100 Abs. 1 Satz 4 FGO macht die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts davon abhängig, dass der Anleger ein berechtigtes Interesse an einer solchen Feststellung hat. „Berechtigtes Interesse“ i.S. des § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO ist jedes konkrete, vernünftigerweise anzu Interesse rechtlicher, tatsächlicher oder wirtschaftlicher Art. Dieses kann sich zum einen daraus ergeben, dass die Feststellung der Rechtswidrigkeit die Voraussetzung für den Eintritt einer vom Anleger erstrebten weiteren Rechtsfolge ist. Zum anderen kann es daraus abzuleiten sein, dass ein konkreter Anlass für die Annahme besteht, das Finanzamt werde die vom Anleger für rechtswidrig erachtete Maßnahme in absehbarer Zukunft wiederholen. Schließlich kann es unter dem Gesichtspunkt der Rehabilitierung sowie deshalb bestehen, weil die begehrte Feststellung voraussichtlich in einem beabsichtigten und nicht völlig aussichtslosen Schadensersatzprozess erheblich sein wird10.
Nach diesen Grundsätzen ist ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse des Anlegers nicht gegeben.
Die Besonderheit des Streitfalls besteht darin, dass die Feststellung der Rechtswidrigkeit der angefochtenen Kapitalertragsteuer-Anmeldung nicht Voraussetzung dafür ist, dass der Anleger einen effektiven Rechtsschutz erhält. Die Frage, ob der „Spin-off“ der A-Aktien zu steuerpflichtigen Kapitalerträgen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG führt, kann im Rahmen der Anfechtung des Einkommensteuerbescheids eigenständig beurteilt werden, da die Kapitalerträge aufgrund des Antrags des Anlegers nach § 32d Abs. 4 EStG der Einkommensteuerfestsetzung zugrunde gelegt wurden.
Einem berechtigten Interesse an einer Feststellung der Rechtswidrigkeit der erledigten Kapitalertragsteuer-Anmeldung steht auch entgegen, dass diese im Wege der Drittanfechtung nur dahingehend überprüft werden kann, ob die Bank als Schuldnerin der Kapitalerträge zum Steuerabzug berechtigt war11. Eine Entscheidung hierüber wäre für die Einkommensbesteuerung nicht bindend. Ein Grundlagen-/Folgebescheid-Verhältnis zwischen der Kapitalertragsteuer-Anmeldung und der Einkommensteuerfestsetzung besteht mangels gesetzlicher Grundlage nicht, so dass auch aus diesem Grund ein Feststellungsinteresse nicht gegeben ist.
Der Anleger hat auch nicht geltend gemacht, dass hinsichtlich des Abzugs von Kapitalertragsteuer für den „Spin-off“ der A-Aktien eine Wiederholungsgefahr gegeben ist. Dies ist auch nach Aktenlage nicht ersichtlich.
Danach liegt das für die Klage gemäß § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO erforderliche Fortsetzungsfeststellungsinteresse nicht vor, so dass die Klage unzulässig ist.
Die Beschränkung der Anfechtungsmöglichkeit der Kapitalertragsteuer-Anmeldung verstößt nicht gegen Art.19 Abs. 4 Satz 1 GG. Der Rechtsschutz des Anlegers wird hierdurch nicht unangemessen beeinträchtigt.
Das Grundrecht des Art.19 Abs. 4 Satz 1 GG garantiert sowohl den Zugang zu den Gerichten als auch die Wirksamkeit des Rechtsschutzes12. Art.19 Abs. 4 Satz 1 GG ist jedoch nicht in dem Sinne zu verstehen, dass ein größtmöglicher Rechtsschutz gewährt werden muss. Vielmehr sind auch andere Verfassungsgüter -etwa die Schaffung von Rechtssicherheit binnen angemessener Frist13- zu berücksichtigen. Art.19 Abs. 4 Satz 1 GG gewährleistet auch nicht einen bestimmten Rechtsweg, also eine dem Charakter der beanstandeten Maßnahme der öffentlichen Gewalt jeweils angepasste Verfahrensart. Es wird dem einzelnen Bürger durch dieses Grundrecht lediglich garantiert, dass ihn beeinträchtigende hoheitliche Maßnahmen in irgendeinem gerichtlichen Verfahren überprüft werden können14. Das aus Art.19 Abs. 4 Satz 1 GG i.V.m. Art.20 Abs. 3 GG abgeleitete Gebot effektiven Rechtsschutzes verlangt jedoch, dass strittige Rechtsverhältnisse in angemessener Zeit geklärt werden. Die Angemessenheit der Dauer eines Verfahrens ist nach den besonderen Umständen des einzelnen Falles zu bestimmen, so dass sich nicht generell festlegen lässt, ab wann ein Verfahren unverhältnismäßig lange dauert. Bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung dieser Frage sind stets alle Umstände des Einzelfalls, insbesondere die Bedeutung der Sache für die Beteiligten, die Schwierigkeit der Sachmaterie sowie die gerichtlich nicht zu beeinflussenden Tätigkeiten von Dritten einzubeziehen15.
Nach diesen Grundsätzen ist eine Verletzung des Art.19 Abs. 4 Satz 1 GG nicht gegeben. Durch das gesetzlich aufeinander abgestimmte Verfahren zur Überprüfung des Kapitalertragsteuerabzugs wird der Rechtsschutz des Steuerpflichtigen nicht unangemessen eingeschränkt. Es wird durch die Möglichkeit der Antragstellung nach § 32d Abs. 4 EStG sichergestellt, dass nicht aufgrund einer zu engen Begrenzung der Rechtsschutzmöglichkeiten im Drittanfechtungsverfahren gegen die Kapitalertragsteuer-Anmeldung irreparable Folgen zum Nachteil des Steuerpflichtigen entstehen. Der Bundesfinanzhof weist darauf hin, dass er -entgegen der Auffassung des Anlegers- auch keine Bedenken gegen die Beschränkung der Drittanfechtungsklage des Vergütungsgläubigers gegen die Kapitalertragsteuer-Anmeldung hat, auch wenn diese Frage im vorliegenden Verfahren aufgrund der Unzulässigkeit der Klage nicht von entscheidender Bedeutung war.
Bis zum Erlass des Einkommensteuerbescheids kann der Gläubiger der Kapitalerträge und Schuldner der Kapitalertragsteuer seine Einwendungen gegen die Anmeldung der Kapitalertragsteuer im Wege der Drittanfechtung geltend machen. Zwar wird die Steueranmeldung bei einer Drittanfechtungsklage grundsätzlich nur dahingehend überprüft, ob der Vergütungsschuldner die Steueranmeldung überhaupt vornehmen durfte. Dies ist bereits dann zu bejahen, wenn die Voraussetzungen für den Steuereinbehalt zweifelhaft und nicht eindeutig rechtswidrig sind16.
Diese Beschränkung der Anfechtungsmöglichkeit der Kapitalertragsteuer-Anmeldung ist sachlich gerechtfertigt. Sie ergibt sich daraus, dass das Abzugsverfahren Teil des Erhebungsverfahrens ist und der Regelungsgehalt der Kapitalertragsteuer-Anmeldung auf den Einbehalt und die Abführung der Kapitalertragsteuer durch den Schuldner der Kapitalerträge beschränkt ist17. Diesbezüglich ist auch zu berücksichtigen, dass der Schuldner der Kapitalerträge für die einzubehaltende und abzuführende Steuer gemäß § 44 Abs. 5 Satz 1 EStG haftet, so dass er auch im Zweifelsfall berechtigt sein muss, die Kapitalertragsteuer abzuführen. Zweifelsfragen hinsichtlich der Besteuerung der Kapitaleinkünfte sind deshalb nicht im Anmeldungsverfahren, sondern nach dem in § 43 Abs. 5 Satz 3 EStG i.V.m. § 32d Abs. 4 EStG vorgesehenen Verfahren zur Überprüfung des Steuereinbehalts im Festsetzungsverfahren zu klären.
Dies entspricht der Idee des steuerrechtlichen Abzugsverfahrens, nach der aus Gründen des vereinfachten Verwaltungsvollzugs und zur Vermeidung von Steuerausfällen die Steuer zunächst einmal erhoben wird und etwaige Überzahlungen erst nach Abschluss der späteren Veranlagung ausgeglichen werden. Das BVerfG hat eine solche Vorgehensweise des Gesetzgebers für den Bereich des Lohnsteuerrechts ausdrücklich gebilligt18. Niederschlag findet dieser Gedanke auch in der gesetzlichen Einschränkung des vorläufigen Rechtsschutzes gemäß § 69 Abs. 2 Satz 8 FGO auf die festgesetzte Steuer abzüglich der anzurechnenden Steuerabzugsbeträge. Danach kann bei Zweifeln an der Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzung eine Aufhebung der Vollziehung der angerechneten Steuerabzugsbeträge nur dann erfolgen, wenn dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dies ist nur dann der Fall, wenn die Rechtslage klar und eindeutig für die begehrte Regelung spricht und eine abweichende Beurteilung in einem etwa durchzuführenden Hauptverfahren zweifelsfrei auszuschließen ist. Auch diese Beschränkung des Rechtsschutzes ist mit Art.19 Abs. 4 Satz 1 GG vereinbar19.
Es liegt auch kein Verstoß gegen das aus Art.19 Abs. 4 Satz 1 GG folgende Gebot eines zeitnahen und effektiven Rechtsschutzes vor. Hieraus kann kein Anspruch abgeleitet werden, dass komplexe und nicht anhand der Gesetzeslage eindeutig zu klärende Fragen der Besteuerung von Kapitaleinkünften bereits endgültig im Kapitalertragsteuer-Anmeldungsverfahren geklärt werden, wenn dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit offen steht, diese Fragen aufgrund eines Antrags nach § 32d Abs. 4 EStG im Einkommensteuerverfahren klären zu lassen. Dies führt auch nicht zu einer unangemessenen Dauer des Rechtsschutzverfahrens. Der Steuerpflichtige hat es in der Hand, durch eine zeitnahe Abgabe der Einkommensteuererklärung und eine Antragstellung nach § 32d Abs. 4 EStG die Überprüfung des Kapitalertragsteuerabzugs im Rahmen der Steuerfestsetzung zeitnah herbeizuführen. Gerade der vorliegende Fall, bei dem der Erlass des Einkommensteuerbescheids vor der Erhebung der Drittanfechtungsklage erfolgte, zeigt, dass das abgestufte Verfahren nicht zu einer unverhältnismäßig langen Dauer des Rechtsschutzverfahrens führt.
Die Abführung der Kapitalertragsteuer durch B führt auch nicht zu einer verfassungswidrigen Übermaßbesteuerung (Art. 14 Abs. 1 GG bzw. Art. 2 Abs. 1 GG) oder einer Verletzung des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG).
Ein Verstoß gegen eine nach Art. 14 Abs. 1 GG bzw. Art. 2 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich gewährleistete Obergrenze der Besteuerung20 liegt bereits deshalb nicht vor, weil die Abführung der Kapitalertragsteuer durch B keine abgeltende Wirkung nach § 43 Abs. 5 Satz 1 EStG hatte, da der Anleger einen Antrag auf Überprüfung des Steuereinbehalts nach § 32d Abs. 4 EStG gestellt hat. Einwendungen gegen die Höhe der auf die Kapitaleinkünfte entfallenden Steuer sind danach im Einkommensteuerverfahren zu klären.
Der Abzug der Kapitalertragsteuer verstößt auch nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Die wirksamste Form eines gegenwartsnahen Gesetzesvollzugs bietet die Quellensteuer, die das Einkommensteuergesetz z.B. auch für die Lohnsteuer (§ 38 EStG) und bei beschränkt Steuerpflichtigen (§ 50a EStG) kennt. Die Quellensteuer wird bei der Auszahlung erhoben und dem Steuerpflichtigen als Vorauszahlung auf die von ihm endgültig geschuldete Einkommensteuer angerechnet (§ 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG). Zwar werden Steuerzahlungen nicht in gleicher Gegenwartsnähe erbracht, soweit der Quellenabzug nicht möglich oder gesetzlich nicht vorgesehen ist, so dass die Einkommensteuer erst im Jahressteuerbescheid festgesetzt wird. Insoweit wird das gesetzliche Ziel einer gegenwartsnahen und unausweichlichen Steuererhebung nicht vollständig verwirklicht. Die hierdurch begründete Belastungsungleichheit in der Zeit wird hierdurch jedoch nur geringfügig berührt, so dass ein verfassungswidriger Gleichheitsverstoß nicht vorliegt21.
Die Beschränkung der Drittanfechtung durch das nationale Prozessrecht verstößt schließlich auch nicht gegen die unionsrechtlich geschützte Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 56 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft i.d.F. des Vertrags von Nizza zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte -EG-, Art. 63 AEUV).
Die Kapitalverkehrsfreiheit gewährleistet den freien Kapital- und Zahlungsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten und zwischen den Mitgliedstaaten und Drittstaaten22. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) gewährleistet Art. 63 AEUV auch, dass das nationale Recht eines Mitgliedstaats Rechtsbehelfe für Anteilseigner vorsieht, die diesen ermöglichen, die durch Art. 63 AEUV verliehenen Rechte geltend zu machen23.
Danach liegt eine Verletzung der Kapitalverkehrsfreiheit nicht vor. Aufgrund der Möglichkeit, eine Drittanfechtung gegen die Steueranmeldung und im Veranlagungsverfahren einen Antrag auf Überprüfung des Steuereinbehalts nach § 32d Abs. 4 EStG zu stellen, werden die Verfahrens- und Rechtsschutzposition des Anlegers auch im Hinblick auf seine Anlagen in EU-Mitgliedstaaten und in Drittstaaten nicht über das hinzunehmende Maß hinaus beschränkt24.
Die von dem Prozessbevollmächtigten des Anlegers in der mündlichen Verhandlung erhobenen europarechtlichen Einwendungen gegen die Besteuerung des „Spin-off“ im materiell-rechtlichen Sinne sind im vorliegenden Verfahren nicht zu prüfen, da die Klage unzulässig ist.
Eine notwendige Beiladung der Bank durch das Finanzgericht gemäß § 60 Abs. 3 FGO zu dem Anfechtungs- bzw. Feststellungsverfahren gegen die Kapitalertragsteuer-Anmeldung25 war nicht erforderlich, da die Klage offensichtlich unzulässig ist26. Dementsprechend entfällt eine Zurückverweisung der Sache an das Finanzgericht zur Nachholung der Beiladung.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 20. November 2018 – VIII R 45/15
- FG Köln, Urteil vom 05.08.2015 -3 K 1040/15[↩]
- BFH, Urteil vom 12.12 2012 – I R 27/12, BFHE 241, 151, BStBl II 2013, 682, m.w.N.[↩]
- s. hierzu auch Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, -HHSp-, § 168 AO Rz 8, m.w.N.[↩]
- BFH, Urteil in BFHE 241, 151, BStBl II 2013, 682[↩]
- eingeführt durch Art. 3 Nr. 7 Buchst. a des Steueränderungsgesetzes 2015 vom 02.11.2015, BGBl I 2015, 1834[↩]
- FG Hamburg, Urteil vom 15.12 2014 6 K 183/12, Betriebs-Berater -BB- 2015, 725; Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 17.01.2008 10 K 391/02, EFG 2008, 1041; Günther, Der Erbschaftsteuer-Berater 2015, 97; s.a. Müller-Franken in HHSp, § 124 AO Rz 247 f.; Heuermann in HHSp, § 168 AO Rz 9, m.w.N.; Güroff in Gosch, AO § 124 Rz 14.2; Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 124 AO Rz 20; zur Lohnsteueranmeldung: BFH, Urteil vom 12.10.1995 – I R 39/95, BFHE 179, 91, BStBl II 1996, 87; zum Einkommensteuervorauszahlungsbescheid: BFH, Urteil vom 22.03.2011 – VII R 42/10, BFHE 233, 10, BStBl II 2011, 607; zur Umsatzsteuervoranmeldung: BFH, Urteil vom 29.11.1984 – V R 146/83, BFHE 143, 101, BStBl II 1985, 370[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 19.05.1976 – I R 154/74, BFHE 119, 219, BStBl II 1976, 785[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 20.07.2005 – VI R 165/01, BFHE 209, 571, BStBl II 2005, 890, zur Lohnsteuer-Anmeldung[↩]
- BFH, Urteil vom 26.09.2007 – I R 43/06, BFHE 219, 13, BStBl II 2008, 134, m.w.N.[↩]
- BFH, Urteil in BFHE 219, 13, BStBl II 2008, 134, m.w.N.[↩]
- BFH, Urteil in BFHE 241, 151, BStBl II 2013, 682, Rz 10[↩]
- ständige Rechtsprechung, vgl. BVerfG, Beschluss vom 31.05.2011 – 1 BvR 857/07, BVerfGE 129, 1, m.w.N.[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 20.04.1982 – 2 BvL 26/81, BVerfGE 60, 253[↩]
- BVerfG, Beschluss vom 27.07.1971 – 2 BvR 443/70, BVerfGE 31, 364[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 06.06.2007 – 2 BvR 1060/06, BVerfGK 11, 281[↩]
- BFH, Urteil in BFHE 241, 151, BStBl II 2013, 682, Rz 10, m.w.N.[↩]
- BFH, Urteil in BFHE 241, 151, BStBl II 2013, 682, m.w.N.[↩]
- BVerfG, Beschluss vom 26.01.1977 – 1 BvL 7/76, BStBl II 1977, 297[↩]
- BFH, Beschlüsse vom 22.12 2003 – IX B 177/02, BFHE 204, 39, BStBl II 2004, 367; vom 23.04.2012 – III B 183/11, BFH/NV 2012, 1173[↩]
- s. hierzu BVerfG, Beschluss vom 18.01.2006 – 2 BvR 2194/99, BVerfGE 115, 97[↩]
- vgl. zum Lohnsteuerabzugsverfahren BVerfG, Beschluss vom 10.04.1997 – 2 BvL 77/92, BVerfGE 96, 1[↩]
- s. BFH, Urteil vom 13.07.2016 – VIII R 47/13, BFHE 254, 390, m.w.N.[↩]
- EuGH, Urteil „The Trustees of the BT Pension Scheme“ vom 14.09.2017 – C-628/15, EU:C:2017:687, BB 2017, 2261[↩]
- vgl. BFH, Beschluss vom 07.11.2007 – I R 19/04, BFHE 219, 300, BStBl II 2008, 228[↩]
- s. zur Beiladung im Lohnsteuerverfahren: BFH, Beschluss vom 07.08.2015 – VI B 66/15, BFH/NV 2015, 1600[↩]
- BFH, Urteil vom 08.10.1991 – VIII R 85/88, BFH/NV 1992, 324; BFH, Beschlüsse vom 10.06.2005 – IV B 247/03, BFH/NV 2005, 1747; vom 07.05.2014 – II B 117/13, BFH/NV 2014, 1232, m.w.N.[↩]