Der Gesamtbetrag der Einkünfte als Bemessungsgrundlage für die Berechnung der zumutbaren Belastung ist nicht um Beiträge an eine berufsständische Versorgungseinrichtung zu kürzen. Insbesondere ist die Anknüpfung der Bemessungsgrundlage an den Gesamtbetrag der Einkünfte verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Krankheitskosten sind nur insoweit als außergewöhnliche Belastungen abziehbar, als sie den Betrag der nach § 33 Abs. 3 EStG ermittelten zumutbaren Belastung überschreiten. Denn § 33 Abs. 3 EStG differenziert bei der Ermittlung der zumutbaren Belastung nicht zwischen Krankheitskosten und anderen Aufwendungen, die als außergewöhnliche Belastungen abziehbar sind; der Wortlaut ist insoweit eindeutig 1.
Eine Minderung des Gesamtbetrags der Einkünfte um die geleisteten Altersvorsorgeaufwendungen kommt nach den gesetzlichen Regelungen nicht in Betracht.
Altersvorsorgeaufwendungen i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG sind zwar den Sonderausgaben zugewiesen, ihrer Rechtsnatur nach sind sie aber in erster Linie vorweggenommene Werbungskosten bei den Einkünften i.S. des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG 2. Diese Zuweisung ist jedoch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden 3. Geht man vom Charakter der Altersvorsorgeaufwendungen i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG als vorweggenommene Werbungskosten aus, entspräche deren mindernde Berücksichtigung bei der Bemessung der zumutbaren Belastung dem Gesetzeszweck des § 33 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 EStG. Denn das Gesetz geht, indem es als Ausgangspunkt für die Bemessung der zumutbaren Belastung den Gesamtbetrag der Einkünfte i.S. des § 2 Abs. 3 EStG wählt, davon aus, dass es einem Steuerpflichtigen nur zugemutet werden kann, aus seinen Einkünften, also dem Gewinn oder dem Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten (§ 2 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 EStG), einen eigenen Anteil an außergewöhnlichen Belastungen zu tragen. Der Wortlaut des § 2 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Nr. 2 EStG steht indes einer einfachrechtlichen Auslegung dahingehend, dass die Altersvorsorgeaufwendungen den Gesamtbetrag der Einkünfte als gesetzlichen Anknüpfungspunkt für die Ermittlung der zumutbaren Belastung mindern, entgegen. Denn aus diesem, insbesondere der ausdrücklichen Bezugnahme auf §§ 8 bis 9a EStG, folgt, dass in den Gesamtbetrag der Einkünfte nur Aufwendungen eingehen, die das Einkommensteuerrecht als Werbungskosten i.S. der §§ 9 f. EStG (oder als Betriebsausgaben) und nicht als Sonderausgaben qualifiziert, ohne dass es auf deren materielle Einordnung ankäme.
Darüber hinaus ist eine von den geltenden Vorschriften des § 33 Abs. 1 und Abs. 3 EStG abweichende Ermittlung der Bezugsgröße für den Ansatz einer zumutbaren Belastung verfassungsrechtlich auch nicht geboten. Der Bundesfinanzhof erachtet die Anknüpfung der Bemessungsgrundlage für die außergewöhnlichen Belastungen an den Gesamtbetrag der Einkünfte nicht für verfassungswidrig.
Der Gesamtbetrag der Einkünfte dient seit dem Einkommensteuerreformgesetz vom 05.08.1974 4 als Bemessungsgrundlage für die Berechnung der zumutbaren Belastung 5. Seit dem Steueränderungsvereinfachungsgesetz bestimmt sich die Bemessungsgrundlage nicht mehr nach dem um bestimmte Sonderausgaben und Spenden verminderten, sondern aus Vereinfachungsgründen nach dem ungekürzten Gesamtbetrag der Einkünfte 6. Bedenken hiergegen wurden weder von Seiten der Rechtsprechung 7 noch von Seiten der Literatur 8 geäußert.
Vorsorgeaufwendungen ‑insbesondere Altersvorsorgeaufwendungen- hatten demgegenüber noch nie Einfluss auf die zumutbare Belastung 9.
Das Bundesverfassungsgericht hat ebenfalls die Einschätzung des Bundesfinanzhofs geteilt, dass gegen den Ansatz einer zumutbaren Belastung, wie ihn § 33 Abs. 3 EStG vorsieht, keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen, soweit dem Steuerpflichtigen ein verfügbares Einkommen verbleibt, das über dem Regelsatz für das Existenzminimum liegt 10. Mit Beschlüssen vom 14.03.1997 11; und vom 30.05.2005 12 hat das Bundesverfassungsgericht erneut Verfassungsbeschwerden, die sich gegen den Ansatz einer zumutbaren Belastung nach § 33 Abs. 3 EStG wandten, nicht zur Entscheidung angenommen 13. Der III. Senat des Bundesfinanzhofs vertrat ebenfalls die Auffassung, die Anknüpfung des Gesetzes an den Gesamtbetrag der Einkünfte begegne bei dem dem Gesetzgeber eingeräumten Gestaltungsspielraum keinen verfassungsrechtlichen Bedenken 14.
Auch wenn die Literatur die Nichtberücksichtigung der Sonderausgaben, insbesondere der Vorsorgeaufwendungen i.S. des § 10 Abs. 1 Nrn. 2 und 3 EStG, bei der Ermittlung der zumutbaren Belastung teilweise durchaus kritisch sieht 15, führen die hiergegen geäußerten Bedenken nach Ansicht des Bundesfinanzhofs nicht zur Verfassungswidrigkeit des Gesamtbetrags der Einkünfte als Anknüpfungspunkt für die Ermittlung der zumutbaren Belastung 16. Die Einbeziehung u.a. der Vorsorgeaufwendungen in die Ermittlung der zumutbaren Belastung mag zwar insgesamt sach- und systemgerechter sein. Der Bundesfinanzhof sieht die Entscheidung des Gesetzgebers, an den ungekürzten Gesamtbetrag der Einkünfte anzuknüpfen, jedoch als von dem diesem eingeräumten erheblichen Gestaltungsspielraum gedeckt an. Insoweit darf zudem nicht außer Acht gelassen werden, dass der Gesetzgeber auch auf die Berücksichtigung die Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen steigernder Faktoren (wie insbesondere steuerfreie oder dem Progressionsvorbehalt unterliegende Einkünfte) verzichtet.
§ 33 EStG fungiert damit als gleichheitsgerechte und folgerichtige Ergänzung der allgemeinen Freibeträge und Sonderausgaben, soweit diese typisierungsbedingt die verfassungsrechtlichen und einkommensteuerlichen Systemvorgaben zur Steuerfreistellung des Existenzminimums noch nicht vollständig umsetzen 17.
Die insoweit gerügte Ungleichbehandlung von rentenversicherungspflichtigen Arbeitnehmern und Beamten liegt tatsächlich nicht vor, da der Anknüpfungspunkt mit dem Gesamtbetrag der Einkünfte für alle Steuerpflichtigen derselbe ist.
Eine Ungleichbehandlung folgt insbesondere nicht aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 06.03.2002 18. Auch insoweit ist die Entscheidung vor dem Hintergrund der komplexen Analyse der bis dato gegebenen unterschiedlichen Besteuerung von Versorgungsbezügen der Ruhestandsbeamten einerseits und von Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung andererseits zu sehen. Die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zu den lediglich "fiktiven" Beiträgen der Beamten zu ihrer späteren Altersversorgung bedeutet jedoch auch i.S. einer Folgerichtigkeit nicht, dass nunmehr die Altersvorsorgeaufwendungen aus Gleichbehandlungsgründen vom Gesamtbetrag der Einkünfte abzuziehen wären. So liegt in dem "niedrigeren" Gesamtbetrag der Einkünfte eines Beamten keine unvereinbare Privilegierung.
Im Urteil in BFHE 227, 165, BStBl II 2010, 348 hat sich der X. Senat des Bundesfinanzhofs u.a. ausdrücklich mit der auch im vorliegenden Verfahren vorgebrachten Argumentation auseinandergesetzt, die Behandlung als Sonderausgaben bewirke, dass die Altersvorsorgebeiträge bei der Bemessungsgrundlage für die zumutbare Eigenbelastung bei den außergewöhnlichen Belastungen i.S. des § 33 EStG unberücksichtigt blieben. Der X. Senat des Bundesfinanzhofs hat dies jedoch im Gesamtzusammenhang als sachlich gerechtfertigt angesehen. Dem schließt sich der hier VI. Senat an.
Das Bundesverfassungsgericht hat die gegen diese Entscheidung erhobene Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen 19. Es hat im Nichtannahmebeschluss ausgeführt, die Zuweisung zu den Sonderausgaben durch die Vorschrift des § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG bewirke keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung zwischen Arbeitnehmern und Beamten. Zwar würden dem rentenversicherten Arbeitnehmer die vom Arbeitgeber abgeführten Beiträge zunächst als Lohnbestandteil zugerechnet, während die Umschichtung von (wirtschaftlichen) Beiträgen der aktiven Beamten zu Versorgungsbezügen der Pensionäre innerhalb des öffentlichen Haushalts des Dienstherrn stattfinde, indem der Dienstherr entsprechend geringere Bezüge auszahle. Aus verfassungsrechtlicher Sicht sei es jedoch unerheblich, ob die Leistungen zum Aufbau einer Versorgungs- oder Rentenanwartschaft den Einkünften von vornherein nicht zugerechnet würden oder ob sie als Einkünfte behandelt und als Sonderausgaben vom Einkommen abgezogen werden könnten. Das finanzielle Ergebnis sei in beiden Fällen gleich.
Möglicherweise entstehende mittelbare Nachteile für Arbeitnehmer bei der Abzugsfähigkeit außergewöhnlicher Belastungen durch Berechnung der zumutbaren Belastung gemäß § 33 Abs. 3 EStG auf der Basis des Gesamtbetrags der Einkünfte (§ 2 Abs. 3 EStG) und nicht des Einkommens (§ 2 Abs. 4 EStG) habe der BFH zu Recht nicht isoliert, sondern im Kontext mit anderen mittelbaren, teils vorteilhaften, teils nachteiligen Folgen der Qualifikation der Altersvorsorgeaufwendungen als Sonderausgaben betrachtet.
Die damit im Einklang mit der Verfassung stehende Entscheidung des Gesetzgebers, die Altersvorsorgeaufwendungen den Sonderausgaben zuzuweisen, bedingt damit zugleich deren Nichtberücksichtigung bei der Ermittlung der zumutbaren Belastung 20.
Da es für die verfassungsrechtliche Würdigung am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG ausschließlich auf die einkommensteuerliche Belastung ankommt, die die relevanten Normen (gegebenenfalls im Verbund mit anderen Normen des Einkommensteuerrechts) bei verschiedenen Steuerpflichtigen bewirken, und Be- und Entlastungswirkungen, die sich jenseits der einkommensteuerlichen Belastung erst aus dem Zusammenspiel mit den Normen des Besoldungs, Versorgungs- und Sozialversicherungsrechts ergeben, außerhalb der verfassungsrechtlich maßgeblichen Vergleichsperspektive liegen 21, geht schließlich auch die Rüge, die beamtenrechtlichen Beihilferegelungen führten dazu, dass bei Beamten Krankheitskosten für Leistungen, die über dem sozialversicherungsrechtlichen Niveau lägen, steuerfrei berücksichtigt würden, von vornherein ins Leere – zumal das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsmäßigkeit der Steuerfreiheit nach § 3 Nr. 11 EStG bereits ausdrücklich bestätigt hat 22.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 19. Januar 2017 – VI R 75/14
- zur Verfassungsmäßigkeit des Ansatzes der zumutbaren Belastung vgl. BFH, Urteil in BFHE 251, 196, BStBl II 2016, 151[↩]
- BFH, Urteile vom 09.12 2009 – X R 28/07, BFHE 227, 165, BStBl II 2010, 348; vom 18.04.2012 – X R 62/09, BFHE 237, 434, BStBl II 2012, 721[↩]
- BVerfG, Beschluss vom 14.06.2016 2 BvR 323/10, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung ‑HFR- 2016, 829, Rz 55 ff.[↩]
- BGBl I 1974, 1769[↩]
- zur systematischen Einordnung s. Gutachten der Steuerreformkommission 1971, Schriftenreihe des BMF Heft 17, S. 162, Rz 426[↩]
- BT-Drs. 8/3688, S.19[↩]
- BFH, Beschluss vom 10.01.2003 – III B 26/02, BFH/NV 2003, 616; FG Hamburg, Urteil vom 10.11.1998 – III 196/97[↩]
- Stuhrmann, DStR 1980, 487 (490); Kieschke/Höllig/Völzke, Der Betrieb 1980, 1287 (1290); Uelner, DStZ 1980, 341 (345); Buob, Die Steuerberatung 1981, 49[↩]
- anders der Vorschlag im Gutachten der Steuerreformkommission 1971, a.a.O., S. 178 f., Rz 497 ff.[↩]
- BVerfG, Beschluss vom 29.10.1987 – 1 BvR 672/87, HFR 1989, 152[↩]
- BVerfG, Beschluss vom 14.03.1997 – 2 BvR 861/92, Die Information über Steuer und Wirtschaft 1997, 543[↩]
- BVerfG, Beschluss vom 30.05.2005 – 2 BvR 923/03[↩]
- vgl. auch BFH, Beschluss in BFH/NV 2000, 704[↩]
- BFH, Beschluss in BFH/NV 2003, 616[↩]
- insbesondere Mellinghoff in Kirchhof, EStG, 15. Aufl., § 33 Rz 49; Stöcker in Lademann, EStG, § 33 EStG Rz 260; Arndt, a.a.O., § 33 Rz D2[↩]
- s.a. Blümich/Heger, § 33 EStG Rz 134 und 136; HHR/Kanzler, § 33 EStG Rz 216; Nacke in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 33 Rz 201; Endert in Frotscher, EStG, Freiburg 2011, § 33 Rz 43; Schmidt/Loschelder, EStG, 35. Aufl., § 33 Rz 28; C.P. Steger, Die außergewöhnliche Belastung im Steuerrecht, Baden-Baden 2008, S.191 f. und 212[↩]
- vgl. Amann, Standortbestimmung der außergewöhnlichen Belastungen, Stuttgart 2014, S. 107[↩]
- BVerfG, Urteil vom 06.03.2002 – 2 BvL 17/99, BVerfGE 105, 73, BStBl II 2002, 618[↩]
- BVerfG, Beschluss in HFR 2016, 829[↩]
- s.a. BFH, Urteil in BFHE 227, 165, BStBl II 2010, 348, Rz 106; BVerfG, Beschluss vom 30.09.2015 2 BvR 1066/10, HFR 2016, 72, Rz 41[↩]
- BVerfG, Urteil in BVerfGE 105, 73, BStBl II 2002, 618, C.II.[↩]
- BVerfG, Beschluss vom 19.02.1991 – 1 BvR 1231/85, BVerfGE 83, 395[↩]