Besteuerung von Liquidationszahlungen nach Auflösung einer Stiftung

§ 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG a.F. erfasst nicht unterschiedslos alle wiederkehrenden oder einmaligen Zahlungen einer Stiftung, die von den beschlussfassenden Stiftungsgremien aus den Erträgen der Stiftung an den Stifter, seine Angehörigen oder deren Abkömmlinge während des Bestehens der Stiftung oder anlässlich ihrer Auflösung ausgekehrt werden. Die Auszahlung des Liquidationsendvermögens an den ausschließlich Anfallberechtigten ist nicht -wie von § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG a.F. vorausgesetzt- mit Gewinnausschüttungen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG wirtschaftlich vergleichbar.

Besteuerung von Liquidationszahlungen nach Auflösung einer Stiftung

Die Auskehrung des Liquidationsendvermögens führt bei der Destinärin nicht zu Einkünften aus Kapitalvermögen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG. Die Stiftung ist zwar ein von § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG erfasstes Sondervermögen i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 5 KStG, jedoch sind die streitigen Zahlungen keine Einnahmen aus Leistungen, die Gewinnausschüttungen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG wirtschaftlich vergleichbar sind.

Nach § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG gehören zu den Einkünften aus Kapitalvermögen Einnahmen aus Leistungen einer nicht von der Körperschaftsteuer befreiten Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 3 bis 5 KStG, die Gewinnausschüttungen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG wirtschaftlich vergleichbar sind, soweit sie nicht bereits zu den Einnahmen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG gehören; Nummer 1 Satz 2 und 3 gilt entsprechend.

Für die Annahme von Einnahmen aus Leistungen, die Gewinnausschüttungen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG wirtschaftlich vergleichbar sind, kommt es grundsätzlich nicht darauf an, ob der Leistungsempfänger rechtlich die Stellung eines Anteilseigners innehat. Ausschlaggebend ist, ob die Stellung des Leistungsempfängers wirtschaftlich derjenigen eines Anteilseigners entspricht, was zumindest dann der Fall ist, wenn der Leistungsempfänger unmittelbar oder mittelbar Einfluss auf das Ausschüttungsverhalten der Stiftung nehmen kann1.

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Unabhängig von der Frage, ob die Stellung des Leistungsempfängers wirtschaftlich derjenigen eines Anteilseigners entspricht, fehlt es bereits dem Grunde nach an einer wirtschaftlichen Vergleichbarkeit mit Gewinnausschüttungen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG, wenn -wie im Streitfall- nach der Auflösung einer Stiftung das Liquidationsendvermögen an den ausschließlich Anfallberechtigten gezahlt wird. Denn der Gesetzgeber hat in dem Bewusstsein, dass auch in Liquidationszahlungen thesaurierte Erträge enthalten sein können, nicht auf § 20 Abs. 1 Nr. 2 EStG Bezug genommen.

§ 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG verweist ausschließlich auf § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG, der Beteiligungserträge, die von einer bestehenden Körperschaft gewährt werden, erfasst. Gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG führt demnach die in § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG geregelte Verteilung des im Rahmen des Stiftungszweckes erwirtschafteten Überschusses an „hinter einer Stiftung stehende Personen“ zu Einkünften aus Kapitalvermögen.

Auf § 20 Abs. 1 Nr. 2 EStG, der die aufgrund der Liquidation erfolgende Verteilung des Stiftungsvermögens regelt, verweist § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG hingegen nicht. Handels- und steuerrechtlich sind jene Zahlungen aufgrund einer Herabsetzung von Grund- oder Stammkapital oder einer Liquidation dem Grunde nach als Kapitalrückgewähr und nicht als Kapitalertrag zu qualifizieren2. § 20 Abs. 1 Nr. 2 EStG erfasst demnach Bezüge, die nicht zu den Einnahmen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG gehören3. Andernfalls wäre die Regelung des § 20 Abs. 1 Nr. 2 EStG auch überflüssig4.

Die Auszahlung des Liquidationsendvermögens an den ausschließlich Anfallberechtigten ist demnach keine Leistung, die Gewinnausschüttungen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG wirtschaftlich vergleichbar ist5. Sie ist vielmehr von diesen zu unterscheiden, was sich auch daran zeigt, dass das, was der Anfallberechtigte bei Aufhebung einer Stiftung erwirbt, gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 9 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) als Schenkung unter Lebenden gilt6.

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Entgegen der Auffassung des Bundesministeriums der Finanzen7 erfasst § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG daher nicht unterschiedslos alle wiederkehrenden oder einmaligen Leistungen einer Stiftung, die von den beschlussfassenden Stiftungsgremien aus den Erträgen der Stiftung an den Stifter, seine Angehörigen oder deren Abkömmlinge während des Bestehens der Stiftung oder anlässlich ihrer Auflösung ausgekehrt werden.

Der Zweck der Norm bestätigt dieses Verständnis. Mit der im Zuge der Umstellung der Körperschaftsteuer vom Anrechnungs- auf das Halb- bzw. Teileinkünfteverfahren erfolgten Neuregelung des § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG i.d.F. des Steuersenkungsgesetzes (StSenkG) vom 23.10.20008 wollte der Gesetzgeber bestehende Belastungsunterschiede zwischen Stiftungen/Destinatären einerseits und Kapitalgesellschaften/Anteilseignern in einen Zustand der Belastungsgleichheit überführen9. Die Regelung des § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG i.d.F. des StSenkG enthielt den Zusatz, dass die Leistungen Gewinnausschüttungen im Sinne der Nummer 1 wirtschaftlich vergleichbar sein müssen, allerdings noch nicht. Dieser wurde erst durch das Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetz (UntStFG) vom 20.12 200110 mit Wirkung zum 25.12 2001 (vgl. Art. 12 Abs. 1 UntStFG) ergänzt. Hierin sah der Gesetzgeber eine Klarstellung: Bei Gewinnausschüttungen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG, denen die von § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG erfassten Leistungen wirtschaftlich vergleichbar sein müssen, handele es sich um die gesellschaftsrechtlich veranlasste offene oder verdeckte Verteilung des Gewinnes der Kapitalgesellschaft an ihre Gesellschafter, der im Rahmen des Gesellschaftszweckes erwirtschaftet worden sei (Verteilung des erwirtschafteten Überschusses)11.

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Dementsprechend sollten Zahlungen, die sich als Verteilung des erwirtschafteten Überschusses darstellen, gleichbehandelt werden. Der Gesetzesbegründung ist allerdings nicht zu entnehmen, dass der Gesetzgeber die aufgrund der Auflösung einer Kapitalgesellschaft erfolgende Vermögensverteilung als eine Leistung angesehen hat, die „einer Gewinnausschüttung i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG“ wirtschaftlich vergleichbar ist und er daher in § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG von einer Bezugnahme auf Nr. 2 abgesehen hat. Ein solches Verständnis erscheint in Anbetracht der ausdrücklichen Trennung der Einkunftstatbestände in § 20 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 EStG fernliegend.

Dies gilt umso mehr in Anbetracht der Regelung in § 7 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG. Gilt danach das, was der Anfallberechtigte erworben hat, als Schenkung unter Lebenden, so kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber eben diese Leistung -ohne dies klar zum Ausdruck zu bringen und zu begründen- zugleich auch einer Besteuerung gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG unterwerfen wollte.

Dieses Normverständnis des § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG wird schließlich dadurch bestätigt, dass der Gesetzgeber eine ausdrückliche Bezugnahme auf § 20 Abs. 1 Nr. 2 EStG erstmals mit dem Jahressteuergesetz 2007 (JStG 2007) vom 13.12 200612 mit Wirkung zum 1.01.2007 -Art.20 Abs. 6 JStG 2007- in § 20 Abs. 1 Nr. 9 Satz 1 2. Halbsatz EStG ergänzt und damit den Anwendungsbereich des § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG auf die dort erfassten Bezüge, zu denen u.a. auch solche aus der Auflösung einer Stiftung gehören, erweitert hat.

Dem steht nicht entgegen, dass es sich bei dem Verweis auf § 20 Abs. 1 Nr. 2 EStG nach der Gesetzesbegründung13 lediglich um eine Klarstellung handeln soll, da es nur auf die wirtschaftliche Vergleichbarkeit mit Gewinnausschüttungen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG ankomme und somit von § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG nicht nur laufende Zahlungen (Gewinnanteile i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG), sondern auch Zahlungen bei Auflösung der Körperschaft (Bezüge i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 2 EStG) erfasst seien. Denn eine Gesetzesbegründung, nach der eine Neuregelung nur klarstellend zu verstehen ist, ist für die Gerichte nicht bindend14. Ob sie gegenüber dem alten Recht deklaratorisch oder konstitutiv wirkt, hängt vom Inhalt des alten und des neuen Rechts ab, der regelmäßig durch Auslegung ermittelt werden muss. Diese ergibt indes -wie dargelegt-, dass der durch das JStG 2007 ergänzte Verweis auf § 20 Abs. 1 Nr. 2 EStG konstitutiv und nicht nur deklaratorisch zu verstehen ist. Darüber hinaus zeigt sich die konstitutive Wirkung der Gesetzesänderung auch darin, dass die geänderte Norm nach dem JStG 2007 erst mit Wirkung zum 1.01.2007 (Art.20 Abs. 6 JStG 2007) in das Gesetz aufgenommen worden ist15.

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Das Finanzgericht hat auch zutreffend erkannt, dass die streitigen Zahlungen nicht von § 22 Nr. 1 Satz 1 und 2 Buchst. a EStG erfasst sind.

Dabei kann der Bundesfinanzhof dahingestellt lassen, ob die gemäß § 22 Nr. 1 Satz 1 EStG grundsätzlich subsidiäre Norm im Streitfall überhaupt Anwendung findet. Denn selbst wenn dies der Fall wäre, lägen die Voraussetzungen für eine Besteuerung der streitigen Leistungen nicht vor.

Gemäß § 22 Nr. 1 Satz 1 1. Halbsatz EStG sind sonstige Einkünfte solche aus wiederkehrenden Bezügen, soweit sie nicht zu den in § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 EStG bezeichneten Einkunftsarten gehören. Entscheidend ist, dass sich die Bezüge aufgrund eines einheitlichen Entschlusses oder eines einheitlichen Rechtsgrunds mit einer gewissen Regelmäßigkeit, wenn auch nicht immer in gleicher Höhe, wiederholen16. Einmalige Leistungen begründen keine wiederkehrenden Bezüge17.

Im Streitfall fehlt es an wiederkehrenden Bezügen. Die Auskehrung des Liquidationsendvermögens ist eine einmalige Zahlung.

Es liegt auch keine sonstige Leistung i.S. des § 22 Nr. 3 EStG vor.

Eine (sonstige) Leistung i.S. des § 22 Nr. 3 EStG ist jedes Tun, Dulden oder Unterlassen, das Gegenstand eines entgeltlichen Vertrages sein kann und das eine Gegenleistung auslöst. Entscheidend ist, ob die Gegenleistung (das Entgelt) durch das Verhalten des Steuerpflichtigen veranlasst ist. Hinreichend ist ein wirtschaftlicher Zusammenhang in der Weise, dass die Gegenleistung durch das Verhalten „ausgelöst“ wird18.

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Im hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Streitfall ist die Zahlung nicht durch eine Leistung der Destinärin ausgelöst worden. Auslöser war vielmehr die Auflösung der Stiftung. Für diesen Fall stand der Destinärin -der Erbin des Stifters- als Anfallberechtigter ein Anspruch auf Auszahlung des Liquidationsendvermögens zu.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 28. Februar 2018 – VIII R 30/15

  1. vgl. BFH, Urteil vom 03.11.2010 – I R 98/09, BFHE 232, 22, BStBl II 2011, 417 zu Zahlungen einer Stiftung an Destinatäre außerhalb einer Liquidation; kritisch: Lange, Zweifelsfragen bei der Besteuerung von Familienstiftungen und ihren Destinatären, Forum Steuerrecht 2014, S. 233, 248; vgl. auch Jachmann/Lindenberg in Lademann, EStG, § 20 Rz 458; von Beckerath in Kirchhof, EStG, 17. Aufl., § 20 Rz 61; Blümich/Ratschow, § 20 EStG Rz 337, 339[]
  2. vgl. Geurts in Bordewin/Brandt, § 20 EStG Rz 210; von Beckerath in Kirchhof, a.a.O., § 20 Rz 57, m.w.N.[]
  3. z.B. Intemann in Herrmann/Heuer/Raupach, § 20 EStG Rz 121[]
  4. vgl. Meilicke, DStR 2017, 227, 228[]
  5. vgl. Pöllath/Richter in Seifart/v. Campenhausen, Stiftungsrechts-Handbuch, 3. Aufl., § 42 Rz 18; vgl. auch Meilicke, DStR 2017, 227, 228[]
  6. vgl. auch Meilicke, DStR 2017, 227, 228[]
  7. BMF, Schreiben vom 27.06.2006 – IV B 7 -S 2252- 4/06, BStBl I 2006, 417; wohl auch Jochum, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 20 Rz C/9 14; anders: Wassermeyer, DStR 2006, 1733, 1734[]
  8. BGBl I 2000, 1433[]
  9. vgl. auch BFH, Urteil vom 21.01.2015 – X R 31/13, BFHE 248, 556, BStBl II 2015, 540[]
  10. BGBl I 2001, 3858[]
  11. vgl. BT-Drs. 14/6882, S. 35[]
  12. BGBl I 2006, 2878[]
  13. BT-Drs. 16/2712, S. 49[]
  14. z.B. BVerfG, Beschluss vom 17.12.2013 – 1 BvL 5/08, BVerfGE 135, 1[]
  15. vgl. BFH, Urteil vom 09.03.2016 – X R 49/14, BFH/NV 2016, 1152 zur Ergänzung von § 86 Abs. 2 Satz 1 EStG[]
  16. z.B. BFH, Urteile vom 14.04.2015 – IX R 35/13, BFHE 249, 488, BStBl II 2015, 795; vom 25.08.1987 – IX R 98/82, BFHE 151, 506, BStBl II 1988, 344[]
  17. z.B. BFH, Urteile in BFHE 249, 488, BStBl II 2015, 795; und vom 27.11.1959 – VI 172/59 U, BFHE 70, 174, BStBl III 1960, 65[]
  18. BFH, Urteil in BFHE 249, 488, BStBl II 2015, 795, m.w.N.[]
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