Bondstripping bei Bundesanleihen – und die Veräußerungsgewinne

Nach der Rechtslage bis zur Einfügung des § 20 Abs. 2 Sätze 4 und 5, Abs. 4 Sätze 8 und 9 EStG durch das Investmentsteuerreformgesetz vom 19.07.2016 sind im Fall des sog. Bondstripping von im Privatvermögen gehaltenen Bundesanleihen deren Anschaffungskosten nicht auf den durch die Trennung entstandenen Anleihemantel und die Zinsscheine aufzuteilen.

Bondstripping bei Bundesanleihen – und die Veräußerungsgewinne

§ 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG in der bis zum JStG 2020 geltenden Fassung ist nicht dergestalt teleologisch zu reduzieren, dass die Norm keine Anwendung findet, wenn durch die Veräußerung einer Kapitalforderung i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG an eine Kapitalgesellschaft, an der der Steuerpflichtige zu mindestens 10 % beteiligt ist, ein Verlust entsteht.

Die (getrennte) Veräußerung der Anleihemäntel und der Zinsscheine haben zunächst zu Einkünften aus Kapitalvermögen nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG bzw. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG geführt. Nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG gehört zu den Einkünften aus Kapitalvermögen auch der Gewinn aus der Veräußerung von Zinsscheinen und Zinsforderungen durch den Inhaber oder ehemaligen Inhaber der Schuldverschreibung, wenn die dazugehörigen Schuldverschreibungen nicht mitveräußert werden. Nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG gehört zu den Einkünften aus Kapitalvermögen auch der Gewinn aus der Veräußerung von sonstigen Kapitalforderungen jeder Art i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG. Sonstige Kapitalforderungen in diesem Sinne sind Geldforderungen, bei denen die Rückzahlung des Kapitalvermögens oder ein Entgelt für die Überlassung des Kapitalvermögens zur Nutzung zugesagt oder gewährt worden ist, auch wenn die Höhe der Rückzahlung oder des Entgelts von einem ungewissen Ereignis abhängt. Danach führen die isolierte Veräußerung der Zinsscheine zu Einkünften des Anlegers aus Kapitalvermögen gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG und die isolierte Veräußerung der Anleihemäntel zu Einkünften aus Kapitalvermögen gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG. Dass der Anleger aus der Veräußerung der Anleihemäntel jeweils einen Verlust erzielt hat, steht dem nicht entgegen. Vom Anwendungsbereich des Gesetzes ist gemäß § 20 Abs. 4 und Abs. 6 EStG auch ein negativer Gewinn, d.h. ein Veräußerungsverlust, erfasst1.

Entgegen der Auffassung des erstinstanzlich mit dem hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall befassten Finanzgerichts München2 unterliegen die aus der Veräußerung der Anleihemäntel erzielten Verluste i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG jedoch der tariflichen Einkommensteuer, weil die Anwendung des gesonderten Tarifs im Streitfall gemäß § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG ausgeschlossen ist.

Nach dem Wortlaut des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG setzt der Ausschluss des gesonderten Tarifs für Einkünfte aus Kapitalvermögen voraus, dass die Kapitalerträge i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG von der Kapitalgesellschaft an einen Anteilseigner gezahlt werden, der zu mindestens 10 % an der Gesellschaft beteiligt ist. Diese Voraussetzung ist vorliegend erfüllt. Die A-GmbH, deren alleiniger Gesellschafter der Anleger ist, hat an diesen für den Erwerb der Anleihemäntel einen Veräußerungspreis gezahlt. Nach Abzug der Anschaffungskosten resultiert hieraus der von dem Anleger erzielte (negative) Kapitalertrag i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Abs. 4 EStG.

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Eine teleologische Reduktion des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG dahingehend, dass die Vorschrift in den Fällen nicht zur Anwendung kommt, in denen -wie vorliegend- durch die Veräußerung einer Kapitalforderung i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG an eine Kapitalgesellschaft, an der der Steuerpflichtige zu mindestens 10 % beteiligt ist, ein Verlust entsteht, kommt nicht in Betracht.

Eine teleologische Reduktion zielt darauf, den Geltungsbereich einer Norm mit Rücksicht auf ihren Gesetzeszweck gegenüber dem zu weit gefassten Wortlaut einzuschränken. Sie ist nicht bereits dann gerechtfertigt, wenn die vom Gesetzgeber getroffene Entscheidung rechtspolitisch fehlerhaft erscheint. Ihre Aufgabe ist es daher nicht, das Gesetz zu verbessern, obwohl es sich -gemessen an seinem Zweck- noch nicht als planwidrig unvollständig oder zu weitgehend erweist. Vielmehr muss die auf den Wortlaut abstellende Auslegung zu einem sinnwidrigen Ergebnis führen3.

Danach scheidet eine teleologische Reduktion des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG in der Weise aus, dass die Vorschrift im Streitfall nicht zur Anwendung kommt.

Zwar weist das Finanzamt grundsätzlich zutreffend darauf hin, dass die vorliegende Gestaltung erkennbar dem Zweck dient, einen Verlust aus Kapitalvermögen mit Einkünften aus anderen Einkunftsarten, die der progressiven Einkommensteuer unterliegen, auszugleichen, ohne im eigentlichen Sinne eine Steuersatzspreizung zwischen der einkommensteuerlichen Belastung des Kapitalertrags des Anteilseigners und der körperschaftsteuerlichen Entlastung aufgrund der Ausgabe bei „seiner“ Kapitalgesellschaft ausnutzen zu wollen. Die Anwendung des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG ist jedoch nach der im Streitjahr geltenden Rechtslage nicht davon abhängig, dass die erforderliche Zahlung der Gesellschaft bei dieser zu einem Aufwand und einer körperschaftsteuerlichen Entlastung führt und der Gesellschafter durch eine Besteuerung des korrespondierenden Kapitalertrags im Rahmen des gesonderten Tarifs des § 32d Abs. 1 EStG von einer Steuersatzspreizung profitieren will. Denn der Gesetzgeber hat den Tatbestand des § 32d Abs. 2 Nr. 1 EStG so ausgestaltet, dass nicht nur laufende Kapitalerträge i.S. des § 20 Abs. 1 Nrn. 4 und 7 EStG, sondern auch Veräußerungsgewinne i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 4 und 7 EStG von der Regelung erfasst werden. Aus dem Ausschluss sowohl dieser laufenden Kapitalerträge als auch dieser Veräußerungsgewinne aus dem gesonderten Tarif des § 32d Abs. 1 EStG folgt, dass auch Zahlungen, die von der Kapitalgesellschaft als Veräußerungsentgelte an den Gesellschafter gezahlt werden und bei ihr erfolgsneutrale Anschaffungskosten sind; vom Anwendungsbereich des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG erfasst sind. Der Ausschluss aus dem gesonderten Tarif des § 32d Abs. 1 EStG gilt daher auch für den Fall, dass der Gesellschafter eine ihm gegen einen Dritten zustehende Forderung zu einem marktüblichen Preis an die Gesellschaft veräußert und es daher zu einer erfolgsneutralen Auszahlung durch die Gesellschaft an den Gesellschafter kommt.

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Im Übrigen hat der Gesetzgeber die Vorschrift des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG erst mit dem Jahressteuergesetz (JStG) 2020 vom 21.12.20204 dahin ergänzt, dass der Ausschluss vom gesonderten Tarif des § 32d Abs. 1 EStG nur noch gelten soll, soweit die den Kapitalerträgen entsprechenden Aufwendungen beim Schuldner Betriebsausgaben oder Werbungskosten im Zusammenhang mit Einkünften sind, die der inländischen Besteuerung unterliegen, und § 20 Abs. 9 Satz 1 Halbsatz 2 EStG keine Anwendung findet. Mit dieser Einschränkung wollte der Gesetzgeber Gestaltungen entgegenwirken, bei denen Verluste i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG aus der Veräußerung von Kapitalforderungen an die Gesellschaft erzeugt werden, die in voller Höhe mit tariflich besteuerten Einkünften verrechnet werden können5. Der Tatsache, dass die Neufassung der Regelung keine Rückwirkung entfaltet (vgl. § 52 Abs. 33b Satz 2 EStG i.d.F. des JStG 2020), kann entnommen werden, dass § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG in seiner Ursprungsfassung in Fällen wie dem Streitfall uneingeschränkt zur Anwendung kommen sollte6.

Etwas anderes ergibt sich im Streitfall auch nicht daraus, dass der Anleger einen negativen Veräußerungsgewinn i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG erzielt hat. Wenn Gewinne aus der Veräußerung von Kapitalforderungen an eine Kapitalgesellschaft, an der der Steuerpflichtige zu mindestens 10 % beteiligt ist, dem allgemeinen Steuersatz unterliegen, ist es folgerichtig, im Falle der Erzielung von Verlusten die Verrechnung mit positiven Einkünften aus den anderen Einkunftsarten entgegen § 20 Abs. 6 Satz 1 EStG ebenfalls zuzulassen (§ 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 EStG).

Die Anwendung des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG ist entgegen der Auffassung des Finanzgerichts auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil ein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten i.S. des § 42 AO vorliegt.

Der Bundesfinanzhof kann dabei offen lassen, ob die Anwendung des § 42 AO im Streitfall bereits deshalb nach § 42 Abs. 1 Satz 2 AO ausscheidet, weil § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG, dessen tatbestandliche Voraussetzungen im Streitfall erfüllt sind, als spezieller Missbrauchstatbestand lex specialis und damit vorrangig und ausschließlich anwendbar ist7. Selbst wenn § 42 AO neben § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG anwendbar wäre, wären dessen Voraussetzungen nicht erfüllt. Denn der Gesetzgeber hat in § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG gerade den Fall geregelt, dass Substanzgewinne und -verluste i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG, die aus der Zahlung von Veräußerungsentgelten einer Kapitalgesellschaft an einen Gesellschafter in Form steuerneutraler Anschaffungskosten für den Erwerb von Forderungen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG resultieren, aus dem Anwendungsbereich des gesonderten Tarifs für Einkünfte aus Kapitalvermögen ausgenommen sind. Diese folgerichtige gesetzliche Wertung ist bei der Prüfung, ob ein Gestaltungsmissbrauch i.S. des § 42 Abs. 2 AO vorliegt, zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen zu berücksichtigen8. Dementsprechend darf die gesetzgeberische Entscheidung, dass die Veräußerung einer Kapitalforderung i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG an eine Kapitalgesellschaft, an der der Steuerpflichtige zu mindestens 10 % beteiligt ist, zu einem tariflichen Veräußerungsgewinn oder -verlust führt, nicht dadurch unterlaufen werden, dass bei der Verwirklichung eines solchen Veräußerungstatbestands auf der Grundlage des § 42 AO von einer Umgehungsgestaltung ausgegangen wird. Der Anleger hat nicht gegen eine vom Gesetzgeber vorgegebene Wertung verstoßen, sondern lediglich von einer ihm durch das Gesetz eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht. Daran ändert sich nichts dadurch, dass ein Verlustgeschäft vorliegt, denn auch Veräußerungsverluste werden, wie ausgeführt; vom Anwendungsbereich des § 20 EStG folgerichtig erfasst.

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Es ist auch unschädlich, dass die Anleger es ausgenutzt haben, dass die Gewinne aus der Veräußerung der Zinsscheine dem gesonderten Tarif des § 32d Abs. 1 EStG unterliegen, während die Verluste aus der Veräußerung der Anleihemäntel tariflich besteuert werden. Denn aus der Ausnutzung des Steuersatzgefälles kann nicht auf eine missbräuchliche Gestaltung i.S. des § 42 AO geschlossen werden, da Vorteile aufgrund unterschiedlicher Steuersätze für die verschiedenen Kapitalerträge in § 20 EStG der Schedulenbesteuerung immanent sind9.

Das angefochtene Urteil des Finanzgerichts München erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 126 Abs. 4 FGO).

ie Klage ist insbesondere auch nicht deswegen abzuweisen, weil sich infolge einer Aufteilung der Anschaffungskosten im Ergebnis keine Minderung der festgesetzten Einkommensteuer ergäbe. Entgegen der Auffassung des Finanzamtes sind die Anschaffungskosten der erworbenen Bundesanleihen nicht jeweils auf die Anleihemäntel und die Zinsscheine aufzuteilen.

Eine Aufteilung von Anschaffungskosten i.S. des § 255 Abs. 1 des Handelsgesetzbuchs kommt entsprechend dem dieser Norm zugrunde liegenden Surrogationsgedanken zwar auch dann in Betracht, wenn ein ursprünglich vom Steuerpflichtigen angeschaffter Vermögensgegenstand durch mehrere andere Vermögensgegenstände ersetzt wird und sich die auf den ursprünglich angeschafften Vermögensgegenstand entfallenden Anschaffungskosten anteilig in mehreren Ersatzvermögensgegenständen fortsetzen. Eine derartige Fortsetzung der ursprünglichen Anschaffungskosten in mehreren Vermögensgegenständen mit der Folge einer Aufteilung der ursprünglichen Anschaffungskosten auf die verschiedenen Vermögensgegenstände hat der Bundesfinanzhof beispielsweise im Fall einer Grundstücksteilung10 und im Fall der Ausgabe von Bezugsrechten oder von neuen Gesellschaftsrechten aufgrund einer Kapitalerhöhung, die wirtschaftlich zu einer Abspaltung der in den Stammaktien verkörperten Substanz und deshalb zu einer Abspaltung eines Teils der ursprünglichen Anschaffungskosten führt, angenommen11.

Im Unterschied zu den vorgenannten Fällen kommt es bei der Aufspaltung der Bundesanleihen jedoch nicht zu einer Substanzabspaltung. Obwohl nach der Trennung der Anleihen in die Anleihemäntel und die Zinsscheine jeweils nur noch sonstige Kapitalforderungen in Form von Nullkuponanleihen vorliegen, aus denen der jeweilige Inhaber den Zins oder das Kapital einziehen kann, ergibt sich aus § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG, dass die Abtrennung und Veräußerung der Zinsscheine als entgeltliche Vorausabtretung von Zinserträgen zu behandeln ist12. Die in den Zinsscheinen verkörperten Zinsen sind Früchte der Anleihe, nicht Teil ihrer Substanz. Die für die Zinserträge maßgeblichen Grundlagen wie die Höhe der Kapitalüberlassung, die Höhe des Zinssatzes und die Fälligkeitstermine ergeben sich auch nach der Trennung ausschließlich aus den Bedingungen des Anleihemantels. Dementsprechend liegt in der Abtrennung der Zinsscheine keine Aufspaltung der Anleihen in ihrer Substanz.

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Eine Abspaltung eines Teils der auf die ungetrennte Anleihe entfallenden Anschaffungskosten auf die nach der Trennung entstandenen Zinsscheine folgt entgegen der Auffassung des Finanzamtes auch nicht daraus, dass nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG der „Gewinn“ aus der Veräußerung der Zinsscheine der Besteuerung unterliegt und § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG den Gewinn als den Unterschiedsbetrag zwischen den Einnahmen und den Anschaffungskosten definiert. Dies ergibt sich aus dem Zweck des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG, der darin besteht, die Besteuerung der Zinserträge auf den Zeitpunkt der Veräußerung der Zinsscheine vorzuverlagern, da der Veräußerer mit dem Entgelt aus der Veräußerung wirtschaftlich betrachtet den Ertrag seines Kapitals realisiert. Ohne die Regelung des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG könnte der Veräußerer der Zinsscheine das Veräußerungsentgelt zunächst steuerfrei vereinnahmen und müsste die Zinserträge erst zum Zeitpunkt der späteren Zinszahlung versteuern. Mit der Regelung in § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG bringt der Gesetzgeber zum Ausdruck, dass nach der Abtrennung in der Veräußerung der Zinsscheine keine Teilveräußerungen der ursprünglichen Anleihe gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG zu sehen sind, sondern er den vollen „Zinsertrag“ noch beim Veräußerer versteuern will. Diesem vorgezogenen Kapitalertrag sind beim (Erst-)Veräußerer der Zinsscheine keine Anschaffungskosten gegenüberzustellen. Erst der (Zweit-)Erwerber trägt Anschaffungskosten durch den Erwerb der Zinsscheine und erzielt im Falle einer Weiterveräußerung einen Gewinn gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Abs. 4 EStG13.

Für diese Auslegung spricht auch die Entwicklung der gesetzgeberischen Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Bondstripping. Mit dem AIFM-Steuer-Anpassungsgesetz vom 18.12.201314 wurde mit Wirkung zum Veranlagungszeitraum 2014 in § 3 Abs. 1a des Investmentsteuergesetzes (InvStG) a.F. eine Regelung eingefügt, wonach in den Fällen, in denen ein Zinsschein oder eine Zinsforderung vom Stammrecht abgetrennt wird, dies als Veräußerung der Schuldverschreibung und als Anschaffung der durch die Trennung entstandenen Wirtschaftsgüter gilt15. Bei Schaffung der Norm ging der Gesetzgeber ersichtlich davon aus, dass nach der bis zum Inkrafttreten des § 3 Abs. 1a InvStG a.F. geltenden Rechtslage eine Aufteilung der Anschaffungskosten nicht vorzunehmen sei16 und mit der Einfügung des § 3 Abs. 1a InvStG a.F. nicht lediglich eine Klarstellung der Rechtslage bewirkt werden sollte. Bestätigt wird dieses Auslegungsergebnis durch die Einfügung der Sätze 4 und 5 in § 20 Abs. 2 EStG und der Sätze 8 und 9 in § 20 Abs. 4 EStG mit Wirkung zum Veranlagungszeitraum 2017 durch das Investmentsteuerreformgesetz vom 19.07.201617. Mit diesen Normen wurde der Inhalt der Regelung des § 3 Abs. 1a InvStG a.F. in das Einkommensteuergesetz für Zwecke der einkommensteuerrechtlichen Beurteilung des Bondstripping von im Privatvermögen gehaltenen Schuldverschreibungen übernommen. Dieser gesetzgeberischen Maßnahme hätte es nicht bedurft, wenn schon die bis zum Veranlagungszeitraum 2016 geltende einkommensteuerrechtliche Rechtslage darin bestanden hätte, die Anschaffungskosten auf das Stammrecht und die Zinsscheine zu verteilen.

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Im Ergebnis ergibt sich aus der Veräußerung der Anleihemäntel danach -wie von den Anlegern erklärt- ein negativer Unterschiedsbetrag i.S. des § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG in Höhe von 7.515.671 €.

Die steuerliche Anerkennung dieses negativen Unterschiedsbetrags kann nicht unter Hinweis auf die fehlende Einkünfteerzielungsabsicht des Anlegers versagt werden, so dass sich das angefochtene Urteil auch nicht aus diesem Grund als im Ergebnis richtig erweist (§ 126 Abs. 4 FGO).

Die mit der Abgeltungsteuer eingeführten Besonderheiten der Einkünfte aus Kapitalvermögen bedingen wegen der Nichtabzugsfähigkeit der tatsächlichen Werbungskosten (§ 20 Abs. 9 EStG) und der beschränkten Verrechenbarkeit der unter § 32d Abs. 1 EStG fallenden Kapitalerträge (§ 20 Abs. 6 EStG) eine tatsächliche (widerlegbare) Vermutung der Einkünfteerzielungsabsicht18. Diese Vermutung gilt unabhängig davon, ob die sich ergebenden negativen Einkünfte aus Kapitalvermögen (hier aus der Veräußerung der Anleihemäntel gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG) in einem zweiten Schritt gemäß § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG aus dem gesonderten Tarif ausgeschlossen werden. Die Ausschlussregelung knüpft an die jeweiligen Einkünfte an. Sie wirkt nicht in die Einkünfteermittlung selbst hinein.

Der Gesetzgeber wollte mit der Einführung der Abgeltungsteuer die in § 20 Abs. 2 EStG genannten Kapitalanlagen einschließlich sämtlicher realisierter Wertveränderungen steuerlich erfassen, unabhängig davon, ob die jeweiligen positiven oder negativen Kapitalerträge aus § 20 Abs. 2 EStG dem gesonderten Tarif des § 32d Abs. 1 EStG unterliegen oder -wie hier von den Anlegern geltend gemacht- nach Maßgabe des § 32d Abs. 2 EStG tariflich zu besteuern sind. Zur Widerlegung der Einkünfteerzielungsabsicht für die Veräußerung der Anleihemäntel gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG genügt im Streitfall daher weder das bloße Erzielen eines Veräußerungsverlusts aus der Veräußerung der Anleihemäntel noch kann wegen der beabsichtigten Abtrennung der Zinsscheine auf eine fehlende Einkünfteerzielungsabsicht beim Erwerb der Bundesanleihen durch den Anleger abgestellt werden. Vielmehr setzt sich die beim Erwerb der Bundesanleihen unzweifelhaft bestehende Einkünfteerzielungsabsicht an den durch die Trennung entstandenen Kapitalanlagen (den Anleihemänteln und den Zinsscheinen) fort. Zwar stand im Zeitpunkt der Veräußerung der Anleihemäntel fest, dass der Anleger hieraus einen Verlust erzielen werde. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Anleger zunächst die ungetrennten Anleihen erworben und im Streitjahr in engem zeitlichen Zusammenhang nicht nur die durch die Trennung entstandenen Anleihemäntel, sondern auch die Zinsscheine veräußert hat, hält der Bundesfinanzhof jedoch eine Gesamtbetrachtung für geboten, bei der die Einkünfteerzielungsabsicht unter Einbeziehung sowohl der durch die Veräußerung der Anleihemäntel erzielten Verluste als auch der durch die Veräußerung der Zinsscheine erzielten Gewinne nach der Auftrennung der Bundesanleihen zu beurteilen ist. Daran gemessen ist die Vermutung der Einkünfteerzielungsabsicht vorliegend nicht widerlegt. Denn es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass unter den Umständen des Streitfalls von vornherein feststand oder von dem Anleger von Anfang an beabsichtigt war, dass er bei zusammenfassender Betrachtung beider Veräußerungsvorgänge jeweils per Saldo einen Verlust erzielen werde. Auch aus der Veräußerung der Anleihemäntel an die vom Anleger beherrschte A-GmbH folgt nichts anderes. Nach den Feststellungen des Finanzgerichts hat der Anleger die Anleihemäntel wie unter fremden Dritten zum marktüblichen Preis an die A-GmbH veräußert.

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Bundesfinanzhof, Urteil vom 30. November 2022 – VIII R 30/20

  1. vgl. BFH, Urteil vom 12.06.2018 – VIII R 32/16, BFHE 262, 74, BStBl II 2019, 221, Rz 12[]
  2. FG München, Urteil vom 20.10.2020 – 12 K 3102/17[]
  3. vgl. BFH, Urteil vom 14.05.2019 – VIII R 20/16, BFHE 264, 459, BStBl II 2019, 586, m.w.N.[]
  4. BGBl I 2020, 3096[]
  5. BR-Drs. 503/20 vom 03.09.2020, S. 88[]
  6. vgl. BFH, Urteil vom 30.11.2022 – VIII R 27/19, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt[]
  7. vgl. BFH, Urteil vom 23.04.2021 – IX R 8/20, BFHE 272, 328, BStBl II 2021, 743[]
  8. BFH, Urteil vom 17.11.2020 – I R 2/18, BFHE 271, 330, BStBl II 2021, 580, Rz 21[]
  9. vgl. z.B. BFH, Urteil vom 07.05.2019 – VIII R 29/15, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, BStBl II 2019, 751, Rz 35, m.w.N.[]
  10. BFH, Urteil vom 19.07.1983 – VIII R 161/82, BFHE 139, 251, BStBl II 1984, 26[]
  11. BFH, Urteile vom 21.01.1999 – IV R 27/97, BFHE 188, 27, BStBl II 1999, 638; und vom 22.05.2003 – IX R 9/00, BFHE 202, 309, BStBl II 2003, 712[]
  12. gleicher Ansicht Becker-Pennrich, Finanz-Rundschau -FR- 2017, 7, 11; Haisch/Bindl, Corporate Finance Law 2010, 319, 322; Buge in Herrmann/Heuer/Raupach -HHR-, § 20 EStG Rz 542; vgl. auch HHR/Klein, Anh. zu § 20, § 38 InvStG Rz 30; Cornelius/Loleit, Neue Wirtschafts-Briefe Erben und Vermögen -NWB-EV- 2015, 389, 392; Kußmaul/Kloster, Der Steuerberater 2017, 22, 27; andere Auffassung Ronig, Neue Wirtschafts-Briefe 2015, 2223, 2227[]
  13. vgl. Becker-Pennrich, FR 2017, 7, 11; Cornelius/Loleit, NWB-EV 2015, 389, 392; HHR/Buge, § 20 EStG Rz 458; Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 17.12.2018 – 2 K 3874/15 F, EFG 2019, 505; vgl. auch BT-Drs. 16/4841, S. 55, wonach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG der bisherigen Regelung entspricht[]
  14. BGBl I 2013, 4318[]
  15. vgl. BT-Drs. 18/68, S. 47 f.[]
  16. BT-Drs. 18/68, S. 47; BR-Drs. 740/13, S. 46[]
  17. BGBl I 2016, 1730[]
  18. vgl. BFH, Urteil vom 14.03.2017 – VIII R 38/15, BFHE 258, 240, BStBl II 2017, 1040[]

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