Das eine schweizerische Privatschule gezahlte Schulgeld stellt einkommensteuerlich keine Sonderausgabe dar.

Nach § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG können 30 Prozent des Entgelts, das der Steuerpflichtige für ein Kind, für das er einen Kinderfreibetrag oder Kindergeld erhält, für den Besuch einer gemäß Art. 7 Abs. 4 GG staatlich genehmigten oder nach Landesrecht erlaubten Ersatzschule sowie einer nach Landesrecht anerkannten allgemein bildenden Ergänzungsschule mit Ausnahme des Entgelts für Beherbergung, Betreuung und Verpflegung entrichtet, als Sonderausgaben abgezogen werden.
§ 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG ist wegen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts normerhaltend1 europarechtskonform auszulegen2.
Da die Schweiz weder Mitglied der EU noch des EWR ist, kommt als europarechtlicher Prüfungsmaßstab allein die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 56 EG, jetzt Art. 63 AEUV) in Betracht. Nur diese Grundfreiheit ist auch im Verhältnis zu Drittstaaten anwendbar3.
Art. 56 Abs. 1 EG (jetzt Art. 63 Abs. 1 AEUV) verbietet alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern. Es ist bereits zweifelhaft, ob der Anwendungsbereich der Kapitalverkehrsfreiheit überhaupt eröffnet ist, da sich der Kapitalverkehr im Streitfall vorrangig in der Bezahlung der durch die schweizerische Privatschule erbrachten schulischen Dienstleistungen erschöpft. Die EuGH-Rechtsprechung betrachtet den Transfer von Zahlungsmitteln dann nicht als Kapitalverkehr i.S. des Art. 56 Abs. 1 EG (jetzt Art. 63 Abs. 1 AEUV), wenn diesem Transfer –wie hier– „eine Zahlungsverpflichtung entspricht, die sich aus einer Transaktion auf dem Gebiet des Waren- und Dienstleistungsverkehrs ergibt“ (EuGH, Urteil vom 31.01.1984 – C-286/82 [Luisi und Carbone], Slg. 1984, 377, Rz 22)).
Zudem ist bei der Entgegennahme von Dienstleistungen einer Privatschule nicht in erster Linie die Kapitalverkehrsfreiheit, sondern vorrangig die passive Dienstleistungsfreiheit (Art. 49 EG; jetzt Art. 56 AEUV) betroffen. In seinen Urteilen4 hat der Gerichtshof der Europäischen Union ausdrücklich dargelegt, dass steuerliche Regelungen, nach denen Schulgelder nur bei Zahlung an bestimmte Privatschulen im Inland, nicht aber an Privatschulen in anderen Mitgliedstaaten als Sonderausgaben einkommensteuermindernd berücksichtigt werden können, die in Art. 49 EG (jetzt Art. 56 AEUV) gewährleistete Dienstleistungsfreiheit beeinträchtigen.
Betrifft eine innerstaatliche Maßnahme sowohl den freien Dienstleistungsverkehr als auch den freien Kapitalverkehr, ist nach ständiger EuGH-Rechtsprechung zu fragen, inwieweit diese Maßnahme die Ausübung der betroffenen Grundfreiheiten berührt und ob unter den gegebenen Umständen eine der Grundfreiheiten hinter die andere zurücktritt. Stellt sich heraus, dass eine der beiden Freiheiten der anderen gegenüber untergeordnet ist und ihr zugeordnet werden kann, ist die in Rede stehende Maßnahme grundsätzlich nur im Hinblick auf die vorrangige Grundfreiheit zu prüfen5.
Diese Grundsätze gelten auch, wenn die Kapitalverkehrsfreiheit betroffen ist. Sollte daher eine nationale Maßnahme neben Beschränkungen anderer den Unionsbürgern zustehenden Grundfreiheiten auch zu nachrangigen Beschränkungen des freien Kapitalverkehrs führen, wären derartige Auswirkungen die unvermeidliche Konsequenz einer eventuellen Beschränkung der anderen Grundfreiheiten. Sie rechtfertigten keine Prüfung der betroffenen Rechtsvorschriften im Hinblick auf die Art. 56 bis 58 EG (jetzt Art. 63 bis 65 AEUV)6.
An der Nachrangigkeit der Kapitalverkehrsfreiheit ändert sich auch dann nichts, wenn die Bestimmungen über die Dienstleistungsfreiheit nur deshalb letztlich keine Anwendung finden, weil die Dienstleistung in einem Drittstaat ausgeübt wird7.
Im Streitfall berührt § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG die Dienstleistungsfreiheit der Kläger in einer Weise, dass der EuGH die mögliche Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit in seinen Urteilen in Slg. 2007, I-6849 und Slg. 2007, I-6957 nicht einmal erwähnt hat. Damit ist die Dienstleistungsfreiheit (Art. 49 ff. EG, Art. 56 ff. AEUV) die Grundfreiheit, an der § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG zu messen ist. Auf diese Grundfreiheit können sich die Kläger im Verhältnis zu Drittstaaten –hier zur Schweiz– jedoch nicht berufen.
Ein Sonderausgabenabzug ergibt sich auch nicht aus der Übergangsregelung des § 52 Abs. 24a EStG n.F. in Verbindung mit dem Freizügigkeitsabkommen.
Gemäß § 52 Abs. 24a EStG n.F. gilt für Schulgeldzahlungen an Schulen in freier Trägerschaft oder an überwiegend privat finanzierte Schulen, die in einem anderen Mitgliedstaat der EU oder in einem Staat belegen sind, auf den das Abkommen über den EWR Anwendung findet, eine besondere Übergangsregelung. Danach ist § 10 Abs. 1 Nr. 9 EStG i.d.F. des JStG 2007 für noch nicht bestandskräftige Steuerfestsetzungen der Veranlagungszeiträume vor 2008 mit der Maßgabe anzuwenden, dass es sich nicht um eine gemäß Art. 7 Abs. 4 GG erlaubte Ersatzschule oder eine nach Landesrecht anerkannte allgemein bildende Ergänzungsschule handeln muss, sofern diese Schulen zu einem von dem zuständigen inländischen Ministerium eines Landes, von der Kultusministerkonferenz der Länder oder von einer inländischen Zeugnisanerkennungsstelle anerkannten oder einem inländischen Abschluss an einer öffentlichen Schule als gleichwertig anerkannten allgemein bildenden oder berufsbildenden Schul-, Jahrgangs- oder Berufsabschluss führen.
Da die M-Schule in der Schweiz und damit weder in der EU noch im EWR belegen ist, könnten die Kläger nur dann den Sonderausgabenabzug beanspruchen, wenn sich dem Freizügigkeitsabkommen insoweit ein Anspruch auf Gleichbehandlung mit den EU/EWR-Staaten entnehmen ließe, der einer nationalen Steuerregelung vorginge und bei deren Auslegung entsprechend zu berücksichtigen wäre.
Den Klägern ist darin zuzustimmen, dass das Freizügigkeitsabkommen als solches grundsätzlich bei der Auslegung des § 52 Abs. 24a EStG n.F. zu beachten ist. Gemäß Art. 300 ff., Art. 310 EG (jetzt Art. 216 f. AEUV) ist das Freizügigkeitsabkommen Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung und stellt die Handlung eines Gemeinschaftsorgans dar. Damit nimmt der Abkommensinhalt, der für die Organe der Union und die Mitgliedstaaten verbindlich ist (vgl. Art. 216 Abs. 2 AEUV), am Vorrang des Unionsrechts gegenüber nationalem Recht teil und bewirkt im Fall einer abkommenswidrigen innerstaatlichen Vorschrift deren Nichtanwendbarkeit8.
Aus dem Freizügigkeitsabkommen ergibt sich jedoch kein Anspruch darauf, das an die schweizerische M-Schule geleistete Schulgeld ebenso wie das an eine in der EU bzw. dem EWR belegene Privatschule gezahlte Schulgeld als Sonderausgaben abziehen zu können.
In Bezug auf die Geltung eines allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes im Verhältnis zwischen den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der EU und der Schweiz ist zu berücksichtigen, dass Art. 2 Freizügigkeitsabkommen zwar vom Grundsatz der Nichtdiskriminierung handelt, aber nicht generell und absolut jede Ungleichbehandlung von Staatsangehörigen einer der Vertragsparteien, die sich im Hoheitsgebiet der anderen Partei aufhalten, verbietet. Unzulässig sind lediglich Diskriminierungen wegen der Staatsangehörigkeit, und das auch nur, soweit die Situation dieser Staatsangehörigen in den sachlichen Anwendungsbereich der Bestimmungen der Anhänge – I bis – III dieses Abkommens fällt9.
Das Freizügigkeitsabkommen schützt die Kläger nicht in ihrer passiven Dienstleistungsfreiheit. Das Abkommen verfolgt zwar gemäß Art. 1 Buchst. b Freizügigkeitsabkommen das Ziel, die Erbringung von Dienstleistungen im Hoheitsgebiet der Vertragsparteien zugunsten der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und der Schweiz zu erleichtern sowie kurzzeitige Dienstleistungen zu liberalisieren. Art. 5 Abs. 3 Freizügigkeitsabkommen gewährt zudem Personen, die als Dienstleistungsempfänger im Sinne des Abkommens anzusehen sind, ein Einreise- und Aufenthaltsrecht in Bezug auf das Hoheitsgebiet der Vertragsparteien. Art. 23 des Anhangs – I des Abkommens enthält weiterhin besondere Bestimmungen über die Aufenthaltserlaubnis für Dienstleistungsempfänger. Das Freizügigkeitsabkommen und seine Anhänge beinhalten jedoch keine spezifische Regelung, „wonach Dienstleistungsempfängern der Grundsatz der Nichtdiskriminierung im Rahmen der Anwendung fiskalischer Regelungen über gewerbliche Transaktionen, die eine Dienstleistung zum Gegenstand haben, zugutekommt“10. Infolgedessen hat es der EuGH als mit dem Freizügigkeitsabkommen vereinbar angesehen, einen schweizerischen Staatsangehörigen, der Empfänger einer Dienstleistung in einem EU-Mitgliedstaat ist, bei der Erhebung einer für diese Dienstleistung geschuldeten Abgabe anders zu behandeln als einen Unionsbürger.
Davon ausgehend umfasst das Freizügigkeitsabkommen ebenso nicht den Schutz der passiven Dienstleistungsfreiheit in den Fällen, in denen in der Schweiz erbrachte Dienstleistungen von einem Angehörigen eines EU-Mitgliedstaats entgegengenommen werden. Diese Dienstleistungen, wie im Streitfall die Leistungen der M-Schule, dürfen infolgedessen in einem EU-Mitgliedstaat, hier in Deutschland, steuerlich anders behandelt werden als Leistungen, die von innerhalb der EU bzw. des EWR ansässigen Privatschulen erbracht werden.
Die Kläger können sich auch nicht darauf berufen, das Freizügigkeitsabkommen schütze sie gegen eine Beeinträchtigung ihrer allgemeinen Freizügigkeit gemäß Art. 18 EG (jetzt Art. 21 AEUV).
Zwar kann in den Fällen, in denen die betroffenen Dienstleistungen nicht unter Art. 49 ff. EG (jetzt Art. 56 ff. AEUV) fallen, die allgemeine Freizügigkeit gemäß Art. 18 EG (jetzt Art. 21 AEUV) berührt sein. Deshalb hat der EuGH in den beiden Urteilen in Slg. 2007, I-6849 und Slg. 2007, I-6957 die allgemeine Freizügigkeit durch eine Regelung als verletzt angesehen, welche zwar ermöglicht, Schulgeldzahlungen an bestimmte Schulen im Inland als Sonderausgaben einkommensteuermindernd zu berücksichtigen, dies aber für Schulgeldzahlungen an Schulen in anderen Mitgliedstaaten generell ausschließt11.
Es ist bereits zweifelhaft, ob das Freizügigkeitsabkommen eine dem Art. 18 EG (jetzt Art. 21 AEUV) vergleichbare umfassende Freizügigkeit gewährt, da nach Art. 2 Freizügigkeitsabkommen nur Diskriminierungen wegen der Staatsangehörigkeit verboten sind, und das auch nur, soweit die Situation dieser Staatsangehörigen in den sachlichen Anwendungsbereich der Bestimmungen der Anhänge I bis III dieses Abkommens fällt12.
Betrachtet man vor diesem Hintergrund die Vorschriften der in Anhang – I des Freizügigkeitsabkommen geregelten Freizügigkeit, die eine Gleichbehandlung fordern, ist erkennbar, dass die Gleichbehandlung nur im Zusammenhang mit der Freizügigkeit von Arbeitnehmern (Art. 9 Abs. 2 Freizügigkeitsabkommen), von Selbstständigen (Art. 15 Abs. 1 Freizügigkeitsabkommen) sowie von Dienstleistungserbringern (Art.19 Freizügigkeitsabkommen) postuliert wird.
Diese Bereiche sind jedoch im Streitfall, in dem es um den Besuch einer Privatschule geht, nicht einschlägig. Die Kläger sind Dienstleistungsempfänger und keine Dienstleistungserbringer. Auch ist weder der Anwendungsbereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit in Art. 39 EG (jetzt Art. 45 AEUV) noch der der Niederlassungsfreiheit in Art. 43 EG (jetzt Art. 49 AEUV) betroffen. Hierzu hat der Gerichtshof der Europäischen Union13 ausdrücklich dargelegt, dass Eltern, die in einem Mitgliedstaat einkommensteuerpflichtig sind und ihre Kinder zur Schulausbildung in eine Privatschule in einem anderen Mitgliedstaat schicken, dort aber keiner abhängigen Beschäftigung oder wirtschaftlichen Tätigkeit nachgehen –so wie im Streitfall die Kläger–, weder von ihrem Recht Gebrauch machen, eine abhängige Erwerbstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat auszuüben, noch von ihrem Recht, sich dort als Selbstständige niederzulassen14.
Vor allem schließt Art. 16 Abs. 2 Freizügigkeitsabkommen die Anwendung der aktuellen EuGH-Rechtsprechung zur allgemeinen Freizügigkeit im Zusammenhang mit dem Besuch einer Privatschule aus.
Soweit für die Anwendung des Freizügigkeitsabkommen Begriffe des Gemeinschaftsrechts herangezogen werden, wird gemäß Art. 16 Abs. 2 Satz 1 Freizügigkeitsabkommen nur die Rechtsprechung des EuGH vor dem Zeitpunkt der Unterzeichnung des Abkommens, dem 21.06.1999, berücksichtigt. Um das ordnungsgemäße Funktionieren des Freizügigkeitsabkommen sicherzustellen, stellt der nach Art. 14 Freizügigkeitsabkommen eingesetzte Gemischte Ausschuss auf Antrag einer Vertragspartei die Auswirkungen der nach diesem Datum ergangenen EuGH-Rechtsprechung fest. Damit ist grundsätzlich die Gleichwertigkeit der wechselseitigen Rechte und Pflichten aus dem Freizügigkeitsabkommen auf der Basis der anzuwendenden Begriffe des Gemeinschaftsrechts, zu denen neben der Dienstleistungsfreiheit auch die Freizügigkeit gehört, unter Berücksichtigung der einschlägigen Rechtsprechung des EuGH vor dem Zeitpunkt der Unterzeichnung des Freizügigkeitsabkommen zu beurteilen. Später ergangene Entscheidungen des EuGH zu inhaltsgleichen Bestimmungen können wegen dieses statischen Verweises dagegen nicht zur Auslegung des Freizügigkeitsabkommen herangezogen werden, soweit der Gemischte Ausschuss dies –wie im Streitfall– nicht beschlossen hat. Infolgedessen gibt das Freizügigkeitsabkommen eine qualitativ-zeitliche Begrenzung zur Berücksichtigung der EuGH-Rechtsprechung vor15.
Dem steht die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Unino zur Auslegung des Art. 6 EWRA nicht entgegen. Zwar sind nach Art. 6 EWRA die Bestimmungen des Abkommens, soweit sie mit den entsprechenden Bestimmungen des EG-Vertrags und der aufgrund dieses Vertrags erlassenen Rechtsakte in ihrem wesentlichen Gehalt identisch sind, bei ihrer Durchführung und Anwendung im Einklang mit der einschlägigen Rechtsprechung des Gerichtshofes vor der Unterzeichnung dieses Abkommens auszulegen. Dennoch sieht der EuGH die Notwendigkeit, darüber zu wachen, dass die Vorschriften des EWRA, die im Wesentlichen mit denen des EG-Vertrags identisch sind, einheitlich ausgelegt werden16.
Der EuGH hat in seiner jüngeren Rechtsprechung zum Freizügigkeitsabkommen indes ausdrücklich betont, das Freizügigkeitsabkommen sei unterzeichnet worden, nachdem die Schweizerische Eidgenossenschaft am 6.12.1992 das EWRA zurückgewiesen hat. Damit sei das Vorhaben eines integrierten wirtschaftlichen Ganzen mit einem einheitlichen Markt, gestützt auf gemeinsame Regeln für seine Mitglieder, abgelehnt worden. Die Schweiz habe es vielmehr vorgezogen, in bestimmten Bereichen bilaterale Vereinbarungen mit der Union und ihren Mitgliedstaaten abzuschließen. Da die Schweiz nicht dem Binnenmarkt der Union beigetreten sei, könne die den unionsrechtlichen Bestimmungen über den Binnenmarkt gegebene Auslegung nicht automatisch auf die Auslegung des Abkommens übertragen werden, sofern dies nicht im Abkommen selbst ausdrücklich vorgesehen sei17.
Demgegenüber formuliert Art. 1 EWRA das Ziel, einen homogenen Wirtschaftsraum zu schaffen. Das EWRA unterscheidet sich damit grundlegend vom Freizügigkeitsabkommen, so dass die Rechtsprechung des EuGH zum EWRA, selbst wenn sie zu fast wortgleichen Vorschriften ergangen ist, nicht ohne weiteres übertragen werden kann18.
Die beiden EuGH-Urteile aus dem Jahr 20074 haben nicht lediglich eine bereits vor dem 21.06.1999 existierende gefestigte EuGH-Rechtsprechung präzisiert.
Der EuGH verweist in diesen Urteilen, in denen er aus der durch Art. 18 EG (jetzt Art. 21 AEUV) geforderten Inländergleichbehandlung den Anspruch auf die gleiche steuerliche Behandlung von Schulgeldzahlungen ableitet, lediglich auf solche Entscheidungen, die nach dem 21.06.1999 ergangen sind, nämlich auf die Urteile vom 20.09.2001 – C-184/99 [Grzelczyk], Slg. 2001, I-6193, Rz 31; vom 11.07.2002 – C-224/98 [D’Hoop], Slg. 2002, I-6191, Rz 28; vom 02.10.2003 – C-148/02 [Garcia Avello], Slg. 2003, I-11613, Rz 22 und 23, sowie vom 29.04.2004 – C-224/02 [Pusa], Slg. 2004, I-5763, Rz 16; siehe dazu auch Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, 2002, 341 ff.)). Bereits dies zeigt, dass eine entsprechende vor dem 21.06.1999 ergangene Rechtsprechung fehlte.
Zudem hat der Gerichtshof der Europäischen Union in zwei anderen Entscheidungen zu Fragen des Schulgeldes, die vor 1999 ergangen sind, im Zusammenhang mit der Erbringung von Schul- und Hochschulleistungen lediglich die Dienstleistungsfreiheit, nicht aber das Recht auf allgemeine Freizügigkeit als betroffen angesehen19. In dem Urteil in Slg. 1988, 5365 konnte das Recht auf allgemeine Freizügigkeit bereits deswegen kein Prüfungsmaßstab sein, weil Art. 8a Abs. 1 EGV –die Vorgängervorschrift der Art. 18 EG und Art. 21 AEUV– erst durch den Vertrag über die Europäische Union vom 07.02.199220 in den EWG-Vertrag eingefügt wurde.
Art. 16 Abs. 2 Freizügigkeitsabkommen entfaltet für die EU-Staaten die gleiche Wirkung wie für die Schweiz. Zwar begünstigt die Vorschrift die einseitige Anpassung der Schweiz an die Rechtsprechung des EuGH, allerdings lässt sich ihrem Wortlaut nicht entnehmen, dass sie Schutzfunktion ausschließlich gegenüber der Schweiz hat, mit der Folge, dass in Deutschland die nach dem 21.06.1999 ergangene Rechtsprechung des EuGH im Verhältnis zur Schweiz uneingeschränkt zugunsten der Kläger zu berücksichtigen wäre und dies nur für das Schweizer (Steuer-)Recht nicht der Fall sei21.
Da aus dem Freizügigkeitsabkommen i.V.m. § 52 Abs. 24a EStG n.F. kein Anspruch auf Berücksichtigung des an die schweizerische M-Schule gezahlte Schulgeld besteht, bedarf es keiner Entscheidung, ob im Rahmen der Übergangsregelung des § 52 Abs. 24a EStG n.F. das Sonderungsverbot des Art. 7 Abs. 4 GG nicht mehr zu prüfen ist.
Ein Anspruch auf den Sonderausgabenabzug ergibt sich auch nicht aus dem BMF-Schreiben in BStBl I 2003, 447. Abgesehen davon, dass dieses BMF-Schreiben zu einem anderen steuerlichen Sachverhalt ergangen ist, können Verwaltungsanweisungen im Allgemeinen weder eine einer Rechtsverordnung vergleichbare Bindung aller Rechtsanwender noch eine Bindung nach dem Grundsatz von Treu und Glauben herbeiführen. Eine von den Gerichten zu beachtende Selbstbindung der Verwaltung besteht lediglich ausnahmsweise in dem –im Streitfall nicht gegebenen– Bereich der ihr vom Gesetz eingeräumten Entscheidungsfreiheit, also im Rahmen des Ermessens, der Billigkeit, der Typisierung oder Pauschalierung22.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 9. Mai 2012 – X R 43/10
- i.S. von EuGH, Urteile in Slg. 2007, I-6849; und Slg. 2007, I-6957[↩]
- ständige BFH-Rechtsprechung, siehe BFH, Urteile vom 17.07.2008 – X R 62/04, BFHE 222, 428, BStBl II 2008, 976, und vom 21.10.2008 – X R 15/08, BFH/NV 2009, 559[↩]
- vgl. EuGH, Urteil vom 18.12.2007 – C-101/05 [A], Slg. 2007, I-11531, Rz 20 ff.[↩]
- EuGH, Urteile in Slg. 2007, I-6849 und Slg. 2007, I-6957[↩][↩]
- so EuGH, Urteile vom 01.07.2010 – C-233/09 [Dijkman und Dijkman-Lavaleije], Slg. 2010, I-6649, Rz 33; und vom 03.10.2006 – C-452/04 [Fidium Finanz AG], Slg. 2006, I-9521, Rz 34, m.w.N.[↩]
- siehe EuGH, Urteil vom 25.10.2007 – C-464/05 [Geurts und Vogten], Slg. 2007, I-9325, Rz 16; vgl. in diesem Sinne auch EuGH, Entscheidungen vom 13.03.2007 – C-524/04 [Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation], Slg. 2007, I-2107, Rz 33 und 34; sowie vom 10.05.2007 – C-102/05 [A und B], Slg. 2007, I-3871, Rz 26 und 27[↩]
- siehe jüngst auch EuGH, Schlussanträge der Generalanwältin Verica Trstenjak vom 20.03.2012 – C-31/11 [Scheunemann/Finanzamt Bremerhaven], Rz 62 f., m.w.N.[↩]
- BFH, Beschluss vom 07.09.2011 – I B 157/10, BFHE 235, 215, unter II.4.c aa, m.w.N.[↩]
- EuGH, Urteil vom 15.07.2010 – C-70/09 [Hengartner/Gasser], IStR 2012, 338, Rz 39[↩]
- EuGH, Urteil in IStR 2012, 338, Rz 40[↩]
- EuGH, Urteile in Slg. 2007, I-6849, Rz 99; und in Slg. 2007, I-6957, Rz 137[↩]
- EuGH, Urteil in IStR 2012, 338, Rz 39[↩]
- in EuGH, Urteil in Slg. 2007, I-6849[↩]
- EuGH, Urteil in Slg. 2007, I-6849, Rz 33[↩]
- ebenso BFH, Beschluss in BFHE 235, 215, unter II.4.c aa[↩]
- EuGH, Urteil vom 23.02.2006 – C-471/04 [Keller Holding GmbH], Slg. 2006, I-2107, Rz 48, m.w.N.[↩]
- vgl. EuGH, Urteile vom 12.11.2009 – C-351/08 [Grimme], Slg. 2009, I-10777, Rz 27; vom 11.02.2010, – C-541/08 [Fokus Invest], Slg. 2010, I-1025, Rz 27 f.; und in IStR 2012, 338, Rz 41 f.[↩]
- a.A. wohl Lang/Lüdicke/Reich, IStR 2008, 709[↩]
- vgl. EuGH, Urteile vom 27.09.1988 – C-263/86 [Humbel und Edel], Slg. 1988, 5365, und vom 07.12.1993 – C-109/92 [Wirth], Slg. 1993, I-6447[↩]
- BGBl II 1992, 1253[↩]
- so zu Recht BFH, Beschluss in BFHE 235, 215, unter II.4.c aa[↩]
- ständige BFH-Rechtsprechung, vgl. zuletzt BFH, Urteil vom 31.08.2011 – X R 11/10, BFHE 235, 207, BStBl II 2012, 312, m.w.N.[↩]