Nach § 8 AO hat jemand (d.h. eine natürliche Person) einen Wohnsitz dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen kann.

Ein Steuerpflichtiger kann gleichzeitig mehrere Wohnsitze haben. Diese können im Inland und/oder Ausland belegen sein. Demgemäß ist es auch für das Vorliegen eines Wohnsitzes im Inland ohne Bedeutung, ob dieser den Mittelpunkt der Lebensinteressen der betreffenden Person bildet1.
Kennzeichnend für eine Wohnung ist, dass es sich –im Sinne einer bescheidenen Bleibe– um Räume handelt, die zum Bewohnen geeignet sind2. In rechtlicher Hinsicht reicht es aus, wenn die Wohnung mit einfachsten Mitteln3 ausgestattet ist; darauf, ob die Ausstattungsgegenstände vom Vermieter gestellt oder vom Mieter selbst beschafft worden sind, kommt es nicht an4; ebenso ist nicht erforderlich, dass das zur Wohnung gehörende Bad in den Wohnbereich integriert ist5 oder der Vermieter eine Kochgelegenheit stellt6.
Für die Annahme einer Wohnung –d.h. für eine über das bloße Übernachten hinausgehende Wohnnutzung („Verweilen“)– muss eine erforderliche Mindestgröße von 12 qm bis 15 qm gewahrt sei7.
Der Begriff des Wohnsitzes setzt ferner voraus, dass der Steuerpflichtige die Wohnung innehat. Danach muss die Wohnung in objektiver Hinsicht dem Steuerpflichtigen jederzeit (wann immer er es wünscht) als Bleibe zur Verfügung stehen und zudem in subjektiver Hinsicht von ihm zu einer entsprechenden Nutzung –d.h. für einen jederzeitigen Wohnaufenthalt– bestimmt sein. In dieser zur objektiven Eignung hinzutretenden subjektiven Bestimmung liegt der Unterschied zwischen dem bloßen Aufenthaltnehmen in einer Wohnung und dem Wohnsitz8.
Der Ansicht, der Pilot habe die Räume deshalb nicht als Wohnung innegehabt, weil er sich auf das reine Übernachten beschränkt und damit der Kellerraum nicht die Funktion des Wohnens erfüllt habe, kann sich der BFH nicht anschließen. Zwar erfordert der Begriff der Wohnung i.S. von § 8 AO, dass die Wohnung nach ihrer Größe über das bloße Übernachten hinaus ein Verweilen in den Räumen als eine zumindest bescheidene Bleibe gestattet. Ist dies jedoch –wie auch im Streitfall entsprechend den bindenden Feststellungen des Finanzgericht– zu bejahen, so kann eine Wohnnutzung nicht deshalb in Abrede gestellt werden, weil der Steuerpflichtige seine Nutzung auf den Aufenthalt in den Räumen zum Zwecke der Übernachtung beschränkt. Letzteres stünde erkennbar im Widerspruch dazu, dass auch das Übernachten zur Wohnnutzung gehört und damit nicht als bloßes Aufenthaltnehmen qualifiziert werden kann9. Die Nutzung des Kellerraums für Übernachtungszwecke ist deshalb als Bestimmung des Pilotens zu werten, die Räume für Wohnzwecke zu nutzen. Nur mit dieser Wertung stimmt überein, dass –wie der BFH in seinem Beschluss vom 31.05.200610 unter Bezugnahme auf die bisherige Rechtsprechung erläutert hat– eine Wohnnutzung weder regelmäßig noch über eine längere Zeit erfolgen muss; erforderlich ist aber eine Nutzung, die über bloße Besuche, kurzfristige Ferienaufenthalte und das Aufsuchen der Wohnung zu Verwaltungszwecken hinausgeht11.
Auch das Merkmal der jederzeitigen Verfügbarkeit ist einer wertenden Beurteilung zugänglich; es erfordert keine ausnahmslose Wohnnutzung, sondern –wie dargelegt– die Möglichkeit des Steuerpflichtigen, die Wohnung nach seinen Wünschen nutzen zu können. Demgemäß steht eine Nutzungseinschränkung, die zu Beginn des Nutzungsverhältnisses vereinbart wird, dann nicht der Annahme einer den Wohnsitz konstituierenden Verfügungsmacht entgegen, sondern ist vielmehr als deren (wunschgemäße) Ausübung zu werten, wenn dem Vermieter (oder dessen Bekannten, Verwandten, etc.) die Nutzung nur in wenigen und in jeder Hinsicht vernachlässigbaren Ausnahmefällen verbleiben soll (Unschädlichkeitsgrenze). Zudem wird bei Abschluss eines (auch mündlichen) Mietvertrags jedenfalls dann, wenn die Wohnung der beruflichen und durch wechselnde Arbeitszeiten gekennzeichneten Tätigkeit des Steuerpflichtigen dient, im Regelfall von einem jederzeitigen Zugriff des Mieters auf die Wohnung auszugehen sein.
Im vorliegenden Fall ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Pilot das Zimmer zusammen mit zwei weiteren Piloten angemietet hatte und bereits dieser Umstand Anlass zu Zweifeln gibt, ob dem Pilot die Möglichkeit einer jederzeitigen Nutzung des Kellerraums für eigene Wohnzwecke eröffnet war. Allerdings wird die Verfügungsmacht über die Wohnung auch dann zu bejahen sein, wenn den Mitgliedern einer Wohngemeinschaft eine gemeinsame Nutzungsmöglichkeit zusteht12. Vorausgesetzt ist hierbei allerdings, dass dem einzelnen Mitglied (Mieter) jederzeit –und damit auch in Zeiten der gemeinsamen Nutzung– die Möglichkeit der Wohnnutzung erhalten bleibt. Fehlt es hieran, weil die Größe der Räume –gemessen am Maßstab der bescheidenen Bleibe, d.h. beengter Raumverhältnisse mit nur zwei Schlafgelegenheiten– kein gemeinsames Wohnen, sondern im Kern nur ein gleichzeitiges Übernachten gestattet und eine darüber hinausgehende Wohnnutzung die Abwesenheit der anderen Mieter erfordern würde, so verfügt der einzelne Mieter in der Regel auch dann nicht über eine Wohnung, wenn bei einer geringeren Anzahl von Mietern jedem Nutzer die Möglichkeit der Wohnnutzung –wann immer er es will– eröffnet wäre. Demgemäß wird das Finanzgericht im zweiten Rechtsgang vor allem zu klären haben, ob mit Rücksicht auf die Zimmergröße1314 eine gleichzeitige Wohnnutzung durch den Pilot sowie die beiden anderen Mieter in Betracht kommen konnte.
Sollte dies zu verneinen sein, so hätte der Pilot zwar keinen Wohnsitz im Inland gehabt. Unberührt hiervon bliebe jedoch die Prüfung, ob der Pilot seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hatte und aus diesem Grund unbeschränkt einkommensteuerpflichtig war (§ 1 Abs. 1 EStG 2002 i.V.m. § 9 AO), und zwar sowohl unter dem Gesichtspunkt des zeitlich zusammenhängenden Aufenthalts von mehr als sechs Monaten (§ 9 Satz 1 AO)15 als auch mit Rücksicht auf den Tatbestand des nicht nur vorübergehenden Verweilens im Inland (§ 9 Satz 2 AO)16.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 10. April 2013 – I R 50/12
- BFH, Urteil vom 28.01.2004 – I R 56/02, BFH/NV 2004, 917, m.w.N.[↩]
- Buciek in Beermann/Gosch, AO § 8 Rz 15[↩]
- Musil in HHSp, § 8 AO Rz 23[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 14.11.1969 – III R 95/68, BFHE 97, 425, BStBl II 1970, 153[↩]
- weiter gehend Stapperfend in HHR, § 1 EStG Rz 63; Bad verzichtbar[↩]
- gl.A. Buciek in Beermann/Gosch, AO § 8 Rz 15; Musil in HHSp, § 8 AO Rz 23; HHR/Stapperfend, § 1 EStG Rz 63[↩]
- vgl. dazu Musil in HHSp, § 8 AO Rz 22; HHR/Stapperfend, § 1 EStG Rz 63, jeweils m.w.N.[↩]
- ständige Rechtsprechung; BFH, Urteile vom 26.02.1986 – II R 200/82, BFH/NV 1987, 301; vom 22.04.1994 – III R 22/92, BFHE 174, 523, BStBl II 1994, 887; vom 23.11.2000 – VI R 107/99, BFHE 193, 558, BStBl II 2001, 294; BFH, Urteil vom 19.03.1997 – I R 69/96, BFHE 182, 296, BStBl II 1997, 447[↩]
- Hessisches FG, Urteil vom 13.12.2010 – 3 K 1060/09, EFG 2011, 1133; FG Hamburg, Urteil vom 10.07.2008 – 6 K 56/06; jeweils zu sog. „Stand-by-Wohnung“; vgl. auch Palandt/Weidenkaff, Bürgerliches Gesetzbuch, 72. Aufl., Einf v § 535 Rz 89: Wohnraum ist jeder zum Wohnen –insb. Schlafen, … private Benutzung– bestimmte Raum[↩]
- BFH, Beschluss vom 31.05.2006 – – I B 79/05[↩]
- gl.A. Buciek in Beermann/Gosch, AO § 8 Rz 27[↩]
- Musil in HHSp, § 8 AO Rz 29[↩]
- 12 qm bis 15 qm[↩]
- vgl. auch BFH, Urteil vom 02.04.1997 – X R 141/94, BFHE 183, 104, BStBl II 1997, 611: „Kleinstappartement“[↩]
- vgl. hierzu z.B. BFH, Urteil vom 22.06.2011 – I R 26/10, BFH/NV 2011, 2001[↩]
- vgl. hierzu –einschließlich der Rechtsprechung zu den Fällen der täglichen oder regelmäßigen Rückkehr zum ausländischen Wohnort– Buciek in Beermann/Gosch, AO § 9 Rz 16 ff.; Kruse in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 9 AO Rz 7; Löffler/Stadler, Internationales Steuerrecht 2008, 832[↩]