Aufwendungen für einen behindertengerechten Umbau des zum selbstgenutzten Einfamilienhaus gehörenden Gartens sind keine außergewöhnlichen Belastungen.

In dem hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall litt die Ehefrau an einem Post-Polio-Syndrom, aufgrund dessen sie auf einen Rollstuhl angewiesen war. Ihr Schwerbehindertenausweis wies einen Grad der Behinderung von 70 mit den Merkzeichen G und aG aus. Um die vor ihrem Einfamilienhaus gelegenen Pflanzenbeete weiter erreichen zu können, ließen die Eheleute den Weg vor ihrem Haus in eine gepflasterte Fläche ausbauen und Hochbeete anlegen. Das Finanzamt berücksichtigte die geltend gemachten Aufwendungen nicht als außergewöhnliche Belastungen.
Das Finanzgericht Münster wies die daraufhin erhobene Klage ab1. Der Bundesfinanzhof bestätigte nun diese Entscheidung. Als außergewöhnliche Belastungen könnten Aufwendungen nur anerkannt werden, wenn sie dem Steuerpflichtigen zwangsläufig erwachsen seien. Daher würden etwa Krankheitskosten und ebenfalls Aufwendungen zur Befriedigung des existenznotwendigen Wohnbedarfs als außergewöhnliche Belastungen anerkannt. Zwar sei auch die Umbaumaßnahme eine Folge der Verschlechterung des Gesundheitszustands der Ehefrau gewesen. Gleichwohl seien die Aufwendungen nicht zwangsläufig entstanden. Denn sie seien nicht vornehmlich der Krankheit oder Behinderung geschuldet, sondern in erster Linie Folge eines frei gewählten Freizeitverhaltens.
Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommens, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastung), so wird auf Antrag die Einkommensteuer dadurch ermäßigt, dass der Teil der Aufwendungen, der die dem Steuerpflichtigen zumutbare Belastung übersteigt; vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen wird (§ 33 Abs. 1 EStG). Aufwendungen sind in diesem Sinne zwangsläufig, wenn der Steuerpflichtige sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit sie den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG).
Ziel des § 33 EStG ist es, zwangsläufige Mehraufwendungen für den existenznotwendigen Grundbedarf zu berücksichtigen, die sich wegen ihrer Außergewöhnlichkeit einer pauschalen Erfassung in allgemeinen Entlastungsbeträgen entziehen. Aus dem Anwendungsbereich der außergewöhnlichen Belastungen ausgeschlossen sind daher die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind2, sowie private Aufwendungen, die über die Schaffung der Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein hinausgehen. Deshalb stellen die §§ 33, 33a und 33b EStG auch nur außergewöhnliche -insbesondere existentiell notwendige oder der Sicherung der Existenz dienende- atypische Aufwendungen steuerfrei3.
Aufwendungen erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG). Diese Voraussetzung ist nur erfüllt, wenn die aufgeführten Gründe der Zwangsläufigkeit von außen auf die Entschließung des Steuerpflichtigen in einer Weise einwirken, dass er ihnen nicht ausweichen kann4, der Steuerpflichtige also keine tatsächliche Entschließungsfreiheit hat, bestimmte Aufwendungen vorzunehmen oder zu unterlassen. Eine tatsächliche Zwangslage -die im Streitfall allein in Betracht kommt- kann nur durch ein unausweichliches Ereignis tatsächlicher Art begründet werden, nicht jedoch durch eine maßgeblich vom menschlichen Willen beeinflusste Situation5.
Als außergewöhnliche Belastungen hat der Bundesfinanzhof daher Aufwendungen anerkannt, die geleistet werden, um den existenznotwendigen Wohnbedarf zu befriedigen6, existenznotwendige Gegenstände wieder zu beschaffen7 oder gesundheitsgefährdende Gegenstände des existenznotwendigen Bedarfs auszutauschen8 bzw. von diesen ausgehende Gesundheitsgefahren zu beseitigen9. Demgegenüber hat der Bundesfinanzhof Aufwendungen für die Anschaffung eines größeren Grundstücks zum Bau eines behindertengerechten Bungalows10 und für den behinderungsbedingten Umbau einer Motoryacht11 nicht als zwangsläufigen Mehraufwand für den existenznotwendigen Wohn- bzw. Grundbedarf anerkannt, da diese Aufwendungen in erster Linie Folge eines freien Konsumverhaltens waren.
Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das Finanzgericht zu Recht entschieden, dass die geltend gemachten Aufwendungen für den behindertengerechten Gartenumbau nicht als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen sind. Denn sie sind der Ehefrau nicht zwangsläufig entstanden. Zwar war die Umbaumaßnahme eine Folge der Verschlechterung des Gesundheitszustands der Ehefrau. Die Ehefrau war jedoch nicht aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen verpflichtet, derartige Konsumaufwendungen zu tragen. Die Umbaukosten standen (unter Anlegung des steuerlichen Maßstabs) vielmehr in ihrem Belieben. Diese Aufwendungen sind nicht vornehmlich der Krankheit oder Behinderung geschuldet, sondern -anders als die krankheits- oder behindertengerechte Ausgestaltung des individuellen (existenznotwendigen) Wohnumfelds12- in erster Linie Folge eines frei gewählten Freizeit-/Konsumverhaltens. Dies gilt ungeachtet des Umstands, dass die Nutzung/Bewirtschaftung eines (zum Wohnhaus gehörenden) Gartens für den Steuerpflichtigen seit jeher ein nachhaltig Lebensfreude stiftendes Hobby darstellt, welches mit zunehmender körperlicher Beeinträchtigung an Bedeutung gewinnen kann. Denn § 33 EStG unterscheidet tatbestandlich in § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG lediglich zwischen steuererheblicher (aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen) zwangsläufiger und steuerunerheblicher beliebiger Einkommensverwendung. Ein Werturteil ist damit nicht verbunden.
Dem steht das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 20.12.200713 nicht entgegen. Zwar hat der Bundesfinanzhof in dieser Entscheidung auch das Hausgrundstück dem existenznotwendigen Wohnbedarf zugerechnet. Die Entscheidung erging jedoch zu der Frage, ob Aufwendungen für die Sanierung eines mit Dioxin belasteten Grundstücks als zwangsläufig anzusehen sind. Die Zwangsläufigkeit dieser Aufwendungen wurde letztlich nur deshalb bejaht, weil von dem Hausgrundstück aufgrund der hohen Dioxinbelastung eine konkrete Gesundheitsgefährdung ausging und dadurch das „(tatsächliche) Wohnen“ in dem darauf belegenen ‚(kleinen)‘ Einfamilienhaus entscheidend beeinträchtigt und der Steuerpflichtige überdies bodenschutzrechtlich zur Grundstückssanierung verpflichtet war. Für die Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen Aufwendungen für den behindertengerechten Umbau eines Gartens nach § 33 EStG abgezogen werden können, lässt sich die vorgenannte Entscheidung daher nicht fruchtbar machen.
Aus den Bestimmungen des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen14 ergibt sich nichts anderes. Insbesondere betrifft der in diesem Zusammenhang angeführte Art. 9 des Übereinkommens „Zugänglichkeit“ nur Einrichtungen und Dienste, die der Öffentlichkeit in städtischen und ländlichen Gebieten offenstehen und für sie bereitgestellt werden. Hierunter fällt das von der Ehefrau behindertengerecht gestaltete private Hausgrundstück offensichtlich nicht. Aber auch aus Art.20 des Übereinkommens „Persönliche Mobilität“ und aus Art. 26 des Übereinkommens „Habilitation und Rehabilitation“ folgt nicht die von den Klägern angestrebte Auslegung des Begriffs der Zwangsläufigkeit in § 33 EStG. Nach beiden Bestimmungen treffen die Vertragsstaaten wirksame Maßnahmen, um die Mobilität von Menschen mit Behinderung bzw. deren Habilitation und Rehabilitation zu fördern. Bei der Anwendung der Steuergesetze kann diesen Zielen indes nur insoweit Rechnung getragen werden, als sie bereits Eingang in die betreffenden Normen gefunden haben (z.B. § 33b EStG). Solange § 33 EStG hinsichtlich des Merkmals der Zwangsläufigkeit nicht zwischen behinderten und nicht behinderten Steuerpflichtigen differenziert, besteht kein Anlass zu einer unterschiedlichen Auslegung des Begriffs der Zwangsläufigkeit betreffend diese beiden Gruppen von Steuerpflichtigen.
Ganz leer gingen die Eheleute indes nicht aus. Denn in Höhe der in den Umbaukosten enthalten Lohnaufwendungen stand ihnen die Steuerermäßigung nach § 35a EStG zu.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 26. Oktober 2022 – VI R 25/20
- FG Münster, Urteil vom 15.01.2020 – 7 K 2740/18 E[↩]
- z.B. BFH, Urteil vom 26.06.2014 – VI R 51/13, BFHE 246, 326, BStBl II 2015, 9[↩]
- BFH, Beschluss vom 02.06.2015 – VI R 30/14, BFHE 249, 552, BStBl II 2015, 775[↩]
- ständige Rechtsprechung, z.B. BFH, Beschluss in BFHE 249, 552, BStBl II 2015, 775, Rz 15, und BFH, Urteil vom 17.07.2014 – VI R 42/13, BFHE 246, 360, BStBl II 2014, 931, Rz 13[↩]
- BFH, Urteil in BFHE 246, 360, BStBl II 2014, 931, Rz 13[↩]
- BFH, Urteil vom 21.04.2010 – VI R 62/08, BFHE 230, 1, BStBl II 2010, 965, m.w.N.[↩]
- z.B. BFH, Urteil vom 29.03.2012 – VI R 21/11, BFHE 237, 93, BStBl II 2012, 574, m.w.N.[↩]
- z.B. BFH, Urteil vom 29.03.2012 – VI R 70/10, BFHE 237, 90, BStBl II 2012, 572, m.w.N.[↩]
- BFH, Urteil vom 29.03.2012 – VI R 47/10, BFHE 237, 85, BStBl II 2012, 570, m.w.N.[↩]
- BFH, Urteil in BFHE 246, 360, BStBl II 2014, 931[↩]
- BFH, Beschluss in BFHE 249, 552, BStBl II 2015, 775[↩]
- vgl. BFH, Urteil in BFHE 237, 90, BStBl II 2012, 572, sowie BFH, Urteil vom 06.05.1994 – III R 27/92, BFHE 175, 332, BStBl II 1995, 104[↩]
- BFH, Urteil vom 20.12.2007 – III R 56/04, BFH/NV 2008, 937[↩]
- BGBl II 2008, 1420[↩]