Ein -von Amts wegen zu berücksichtigender- Verstoß gegen die sog. Grundordnung des Verfahrens liegt vor, wenn das Finanzgericht das Begehren des Klägers zu Unrecht ausschließlich auf die Aufhebung des Einkommensteuerbescheides und nicht (auch) auf die vollständige Aufhebung des Zusammenveranlagungsbescheides wegen eines Wechsels der Veranlagungsart bezogen hat.

Darin liegt ein Unterschreiten des Klagebegehrens, das zu einem Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO und zur Aufhebung der angefochtenen Vorentscheidung führt1.
So auch in dem hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Streitfall: Nach Aktenlage hat die Ehefrau des Klägers ihren Einspruch nicht nur damit begründet, dass die Änderungsbescheide rechtswidrig seien, sondern auch einen Antrag auf „Einzelveranlagung gemäß § 26a EStG“ gestellt. Mit einem Wechsel der Veranlagungsart ließ sich ihr Ziel, hinsichtlich der steuerfreien Einkünfte des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit den Progressionsvorbehalt zu vermeiden, ebenfalls erreichen. Der Kläger, der gemäß § 360 Abs. 1 AO zum Einspruchsverfahren hinzugezogen worden war, hat schriftlich sein Einverständnis zum Vortrag der Ehefrau erklärt. Darüber hinaus hat er sich auch im Klageverfahren auf den von seiner Ehefrau gestellten Antrag berufen. Das Finanzgericht hat dies aufgegriffen und das Finanzamt auf den beantragten Wechsel der Veranlagungsart hingewiesen.
Zwar hat der Kläger im Anschluss an die Stellungnahme des Finanzamt, wonach zwischen einer Einzelveranlagung nach § 25 EStG und einer getrennten Veranlagung nach § 26a EStG zu unterscheiden sei, keine weiteren Ausführungen gemacht. Trotzdem bleibt das Begehren des Klägers unter diesen Umständen nicht nur auf die Aufhebung der Änderungsbescheide gerichtet, sondern umfasst auch die vollständige Aufhebung der Zusammenveranlagungsbescheide wegen eines Wechsels der Veranlagungsart. Dies hat das Finanzgericht verkannt und in der Folge verfahrensfehlerhaft nur die Aufhebung der Änderungsbescheide geprüft.
Etwas anderes folgt nicht aus dem in der Vorentscheidung niedergelegten Klageantrag, die Einkommensteuerbescheide sowie die Einspruchsentscheidung aufzuheben. Daraus lässt sich schon deshalb keine Begrenzung auf die Anfechtung der Änderungsbescheide ableiten, weil nach dem Sitzungsprotokoll über die mündliche Verhandlung lediglich der Antrag wie im Klageschriftsatz gestellt worden war. Dort fehlte aber die Beschränkung auf die „geänderten“ Einkommensteuerbescheide.
Die Klage war im hier entschiedenen Fall insoweit auch begründet. Die angefochtenen Zusammenveranlagungsbescheide über die Einkommensteuer 2009 bis 2012 sind wegen des Antrags auf einen Wechsel der Veranlagungsart insgesamt aufzuheben. Unbeschränkt steuerpflichtigen Eheleuten stand für die Streitjahre das Wahlrecht nach § 26 Abs. 1 Satz 1 EStG zwischen einer Zusammenveranlagung (§ 26b EStG) und einer getrennten Veranlagung (§ 26a EStG) zu. Dieses Wahlrecht zur Ehegattenveranlagung kann auch dann noch ausgeübt werden, wenn die Zusammenveranlagungsbescheide -wie im Streitfall- zunächst bestandskräftig geworden sind, aber anschließend geändert werden2.
Schließlich war der Antrag auf „Einzelveranlagung nach § 26a EStG“ -zumindest auch- als ein Antrag auf getrennte Veranlagung nach § 26a EStG auszulegen. Auf Grundlage der unbeschränkten Steuerpflicht des Klägers und seiner Ehefrau führt dies zu einem Wechsel der Veranlagungsart und zu einer Aufhebung der Zusammenveranlagungsbescheide.
Dass weder der Kläger noch seine Ehefrau bisher ausdrücklich klargestellt haben, ob sie eine Einzelveranlagung gemäß § 25 EStG oder eine getrennte Veranlagung gemäß § 26a EStG beantragen, führt zu keinem anderen Ergebnis. Zwar ist es richtig, dass zwischen beiden Veranlagungsarten zu unterscheiden ist und der Kläger mit seiner Argumentation zum Fehlen der unbeschränkten Steuerpflicht primär auf eine Einzelveranlagung nach § 25 EStG abzielt. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass der Antrag ausdrücklich auf die Vorschrift des § 26a EStG Bezug nahm und die „getrennte Veranlagung“ dort nur bis zum Veranlagungszeitraum 2012 geregelt war. Die durch das Steuervereinfachungsgesetz 2011 vom 01.11.20113 eingeführte und gemäß § 52 Abs. 68 EStG ab dem Veranlagungszeitraum 2013 anwendbare Fassung des § 26a EStG spricht dagegen von der „Einzelveranlagung von Ehegatten“. Außerdem kann das eigentliche Ziel der Klage, die Vermeidung eines Progressionsvorbehalts mit einer Belastungswirkung bei den Einkünften der Ehefrau, auch mit einer getrennten Veranlagung nach § 26a EStG erreicht werden. Trotz der ungenauen Formulierung ist deshalb zumindest von einem hilfsweisen Antrag auf getrennte Veranlagung nach § 26a EStG auszugehen.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 3. März 2021 – I R 35/19
- vgl. BFH, Urteil vom 18.08.2005 – II R 68/03, BFH/NV 2006, 360; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 96 FGO Rz 193, 200 und § 118 FGO Rz 271 f., jeweils m.w.N.[↩]
- ständige Rechtsprechung, z.B. BFH, Urteil vom 27.10.2015 – X R 44/13, BFHE 252, 94, BStBl II 2016, 278, m.w.N.[↩]
- BGBl I 2011, 2131, BStBl I 2011, 986[↩]
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