Die ehrenamtliche Gewerkschaftstätigkeit einer Ruhestandsbeamtin – und der Werbungskostenabzug

Aufwendungen einer Ruhestandsbeamtin im Zusammenhang mit ihrer ehrenamtlichen Gewerkschaftstätigkeit sind als Werbungskosten bei ihren Versorgungsbezügen zu berücksichtigen1.

Die ehrenamtliche Gewerkschaftstätigkeit einer Ruhestandsbeamtin – und der Werbungskostenabzug

Werbungskosten sind Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen (§ 9 Abs. 1 Satz 1 EStG). Sie liegen nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs vor, wenn zwischen den Aufwendungen und den Einnahmen ein Veranlassungszusammenhang besteht2.

Dabei ist die Frage, ob der Steuerpflichtige Aufwendungen aus beruflichem Anlass leistet oder ob es sich um Aufwendungen für die Lebensführung im Sinne von § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG handelt, anhand einer Würdigung aller Umstände des Einzelfalls zu entscheiden. Nach dem Einkommensteuergesetz sind Aufwendungen dann als durch eine Einkunftsart veranlasst anzusehen, wenn sie mit ihr in einem steuerrechtlich anzu wirtschaftlichen Zusammenhang stehen. Maßgebend dafür, ob ein solcher Zusammenhang besteht, ist zum einen die wertende Beurteilung des die betreffenden Aufwendungen auslösenden Moments und zum anderen die Zuweisung dieses maßgebenden Besteuerungsgrunds zur einkommensteuerrechtlich relevanten Erwerbssphäre3.

Ob sich der streitige Aufwand konkret auf die Höhe des Arbeitslohns auswirkt, ist dabei ohne Belang4. Stehen Aufwendungen in einem objektiven Zusammenhang mit dem Beruf, so ist es für den Begriff der Werbungskosten überdies nicht von Bedeutung, ob die Vorstellungen des Steuerpflichtigen, den Beruf zu fördern, der Wirklichkeit entsprechen, das heißt geeignet sind, dieses Ziel zu erreichen. Die Rechtsprechung hat daher die Anerkennung von Werbungskosten und Betriebsausgaben grundsätzlich nicht davon abhängig gemacht, ob der mit den Aufwendungen erstrebte Erfolg eingetreten ist und ob die Aufwendungen nach objektiven Gesichtspunkten üblich, notwendig oder zweckmäßig waren. Vielmehr hat der Steuerpflichtige einen Ermessensspielraum, ob und welche Aufwendungen er zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung seiner Einnahmen tätigt5.

Weiterlesen:
Ein Streik mit übertriebenen Parolen

Nach diesen Grundsätzen ist auch der Abzug von Werbungskosten bei den Versorgungsbezügen zu beurteilen6.

Die Beurteilung, ob Aufwendungen beruflich oder privat veranlasst sind, obliegt in erster Linie der tatrichterlichen Würdigung des Finanzgericht7. Diese ist für das Revisionsgericht bindend (§ 118 Abs. 2 FGO), wenn sie verfahrensrechtlich ordnungsgemäß durchgeführt wurde und nicht gegen Denkgesetze verstößt oder Erfahrungssätze verletzt8.

So war auch in dem hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall die Würdigung des erstinstanzlich hiermit befassten Finanzgerichts Berlin-Brandenburg9, die streitigen Aufwendungen der klagenden Ruhestandsbeamtin stünden in einem hinreichenden Veranlassungszusammenhang mit ihren Versorgungsbezügen und seien daher als Werbungskosten bei ihren Einkünften aus § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 2 EStG zu berücksichtigen, für den Bundesfinanzhof revisionsrechtlich nicht zu beanstanden:

Das Finanzgericht ist ohne Verstoß gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze zu dem Schluss gelangt, der erforderliche Veranlassungszusammenhang mit den Versorgungsbezügen liege im Streitfall vor, weil die Gewerkschaftsarbeit der Ruhestandsbeamtin und die dadurch bedingten Aufwendungen auch auf die Verbesserung ihrer Einkünfte als Ruhestandsbeamtin zielten.

Gewerkschaften sind dauernde freie Vereinigungen von Arbeitnehmern zum Zwecke der Erlangung und Erhaltung günstiger Lohn- und Arbeitsbedingungen. Sie sind solidarische Interessenvertretungen der ihnen angeschlossenen Beschäftigten (Mitglieder), deren Zweck unter anderem auf die Verbesserung der beruflichen Bedingungen ihrer angeschlossenen Beschäftigten (Mitglieder), im Besonderen auch deren Einnahmen, gerichtet ist. Art und Organisation der Interessenvertretung stellen somit die Gewerkschaften -auch sofern sie Industrieverband sind- an die Seite der echten Berufsverbände, die ebenfalls objektiv in einem engen, durch ihre Aufgabenstellung und ihre tägliche Arbeit sichtbaren Zusammenhang mit den Berufen der in ihnen vereinigten Mitglieder stehen. Unter diesen Gesichtspunkten sind auch Maßnahmen der Mitglieder selbst zur Stärkung, Erhaltung und Förderung des sie vertretenden Berufsverbands zu sehen. Da die Arbeit eines Berufsverbands auf dem Gedanken beruht, dass nur die Solidarität der Mitglieder zur Veränderung der beruflichen Bedingungen zugunsten der angeschlossenen Mitglieder führt, ist es folgerichtig, bei den Aufwendungen eines Mitglieds zwecks Förderung der solidarischen Gemeinschaft ebenfalls einen objektiven, durch Aufgabenstellung und Arbeit des Berufsverbands sichtbar werdenden Zusammenhang mit seiner Berufstätigkeit zu bejahen. Dieser Zusammenhang reicht aus, den Werbungskostenbegriff zu erfüllen, obwohl die Aufwendungen des einzelnen Mitglieds in der Regel nicht unmittelbar und allein auf dessen eigene berufliche Bedingungen, sondern nur mittelbar durch die Arbeit der Gemeinschaft auf die Verhältnisse sämtlicher betroffener Mitglieder des Berufsverbands einwirken können. Denn der Werbungskostenbegriff erfordert nicht einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen den Aufwendungen und der Förderung der Berufstätigkeit10.

Weiterlesen:
Nochmals: Kürzung der Pendlerpauschale

An diesen Grundsätzen, die für Aufwendungen im Zusammenhang mit der ehrenamtlichen Tätigkeit für die zuständige Gewerkschaft eines berufstätigen Steuerpflichtigen gelten, hält der Bundesfinanzhof fest und überträgt diese auch auf die ehrenamtliche Tätigkeit eines nicht mehr im aktiven Dienst befindlichen Steuerpflichtigen, der Versorgungsbezüge erhält. Denn Gewerkschaften vertreten nicht nur die beruflichen Interessen der berufstätigen Arbeitnehmer und Beamten, sondern auch die Erwerbsinteressen von Pensionären. Sie streben regelmäßig an, die Ergebnisse einer Tarifrunde im öffentlichen Dienst zeitgleich und systemgerecht beziehungsweise wirkungsgleich auf den Bereich Besoldung und Versorgung zu übertragen.

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die Würdigung des Finanzgerichts, dass die Aufwendungen der Ruhestandsbeamtin, die ihr im Rahmen ihrer Gewerkschaftstätigkeit entstanden sind, in einem Veranlassungszusammenhang mit dem Erhalt und der Sicherung ihrer Versorgungsbezüge stehen, jedenfalls möglich und daher revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

Dem steht das BFH-Urteil vom 05.11.199311 nicht entgegen. Zwar hat der Bundesfinanzhof in dieser Entscheidung Aufwendungen einer emeritierten Professorin für eine gegenwärtig ausgeübte Forschungstätigkeit nicht als Werbungskosten bei den Emeritenbezügen und damit bei den Einkünften aus früheren Dienstleistungen im Sinne des § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 2 EStG anerkannt. Tragend hierfür war die Wertung des Bundesfinanzhofs, dass zwischen den gegenwärtigen Aufwendungen eines entpflichteten Hochschulprofessors für Forschungszwecke und seinen (Versorgungs-)Bezügen nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG kein steuerrechtlich anzuerkennender wirtschaftlicher Zusammenhang bestehe. Denn ebenso wie ein in den Ruhestand versetzter Beamter erhalte ein entpflichteter Professor seine Bezüge unabhängig davon, ob er eine Tätigkeit ausübt oder nicht.

Weiterlesen:
Hausanschluss an die Abwasserkanalisation - und der Altersvorsorge-Eigenheimbetrag

Für die hier zu entscheidende Frage, ob Aufwendungen eines Versorgungsempfängers im Zusammenhang mit einer ehrenamtlichen Gewerkschaftstätigkeit bei wertender Betrachtung in einem erwerbsbezogenen Veranlassungszusammenhang vergleichbar einem Arbeitnehmer, der Einkünfte für eine gegenwärtige Beschäftigung im Sinne des § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG erzielt, stehen und deshalb (ebenfalls) als Werbungskosten bei den Einkünften aus früheren Dienstleistungen im Sinne des § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 2 EStG abzugsfähig sind, lässt sich die vorgenannte Entscheidung daher nicht fruchtbar machen.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 28. Juni 2023 – VI R 17/21

  1. Anschluss an BFH, Urteil vom 28.11.1980 – VI R 193/77, BFHE 132, 431, BStBl II 1981, 368[]
  2. z.B. BFH, Urteile vom 06.05.2010 – VI R 25/09, BFHE 229, 297, BStBl II 2010, 851, Rz 9; und vom 14.01.2021 – VI R 15/19, BFHE 272, 42, BStBl II 2021, 453, Rz 11, jeweils m.w.N.[]
  3. z.B. BFH, Urteil vom 06.05.2010 – VI R 25/09, BFHE 229, 297, BStBl II 2010, 851, Rz 9, m.w.N.[]
  4. BFH, Urteil vom 06.05.2010 – VI R 25/09, BFHE 229, 297, BStBl II 2010, 851, Rz 9[]
  5. so bereits BFH, Urteil vom 28.11.1980 – VI R 193/77, BFHE 132, 431, BStBl II 1981, 368, m.w.N.[]
  6. vgl. z.B. BFH, Urteil vom 08.03.2006 – IX R 78/01, BFHE 212, 514, BStBl II 2006, 448, unter II. 1. sowie BFH, Urteile vom 24.03.2011 – VI R 59/10, Rz 17; und vom 17.06.2010 – VI R 33/08, Rz 12[]
  7. BFH, Urteil vom 06.03.2008 – VI R 68/06, BFH/NV 2008, 1316, unter II. 2.[]
  8. ständige Rechtsprechung, vgl. BFH, Urteil vom 08.07.2015 – VI R 77/14, BFHE 250, 518, BStBl II 2016, 60, Rz 24, m.w.N.[]
  9. FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 03.08.2021 – 12 K 12186/19[]
  10. BFH, Urteil vom 28.11.1980 – VI R 193/77, BFHE 132, 431, BStBl II 1981, 368[]
  11. BFH, Urteil vom 05.11.1993 – VI R 24/93, BFHE 172, 478, BStBl II 1994, 238[]
Weiterlesen:
Kinderbetreuungskosten und die Grenzbetragsüberschreitung beim Kindergeld