Die Aufwendungen für eine immunbiologische Krebsabwehrtherapie können als außergewöhnliche Belastung nach § 33 Abs. 1 EStG abgezogen werden. Mit dieser Entscheidung hat der Bundesfinanzhof in Abkehr von seiner bisherigen Rechtsprechung nun auch die Abzugsfähigkeit von Krankheitskosten für Therapien anerkannt, die nicht der Schulmedizin oder der anerkannten Naturheilkunde entsprechen:

Krankheitskosten, denen es objektiv an der Eignung zur Heilung oder Linderung mangelt, können zwangsläufig erwachsen, wenn der Steuerpflichtige an einer Erkrankung mit einer nur noch begrenzten Lebenserwartung leidet, die nicht mehr auf eine kurative Behandlung anspricht.
Dies gilt selbst dann, wenn sich der Steuerpflichtige für eine aus schulmedizinischer oder naturheilkundlicher Sicht nicht anerkannte Heilmethode entscheidet.
Ihre Grenze findet die Abzugsfähigkeit von Aufwendungen für Außenseitermethoden nach § 33 EStG allerdings, wenn die Behandlung von einer Person vorgenommen wird, die nicht zur Ausübung der Heilkunde zugelassen ist .
In dem jetzt vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall wurde die Ehefrau des Klägers wegen einer schweren Krebserkrankung der Bauchspeicheldrüse operiert. Im Anschluss an die Operation unterzog sie sich einer immunbiologischen Krebsabwehrtherapie mit Ukrain. Das Präparat ist weder in Deutschland noch in anderen europäischen Ländern als Arzneimittel zugelassen. Zu der alternativen Krebsabwehrtherapie hatte der Hausarzt, ein Facharzt für Allgemeinmedizin, Chirotherapie und Naturheilverfahren, geraten, da eine konventionelle Chemotherapie wegen des geschwächten Gesundheitszustandes der Patientin und einer Tumorkachexie nicht möglich sei. In ihrer Einkommensteuererklärung machten der Kläger und seine später verstorbene Ehefrau die Behandlungskosten in Höhe von 30.000 € als außergewöhnliche Belastung im Sinne des § 33 Abs. 1 EStG geltend. Das Finanzamt ließ die geltend gemachten Aufwendungen nicht zum Abzug zu und wurde darin zunächst vom Finanzgericht bestätigt.
Auf die Revision des Klägers hat der Bundesfinanzhof die Vorentscheidung aufgehoben und die streitigen Aufwendungen zum Abzug zugelassen. Damit hat der BFH in Abkehr von seiner bisherigen Rechtsprechung anerkannt, dass auch Kosten für eine objektiv nicht zur Heilung oder Linderung geeignete Behandlung zwangsläufig erwachsen können, wenn eine Erkrankung mit einer nur noch begrenzten Lebenserwartung besteht, die nicht mehr auf eine kurative Behandlung anspricht. Dies gilt nach Auffassung des Bundesfinanzhofs selbst dann, wenn sich der Erkrankte für eine aus schulmedizinischer oder naturheilkundlicher Sicht nicht anerkannte Heilmethode entscheidet. Nicht die medizinische Notwendigkeit der Maßnahme begründe in diesen Fällen die tatsächliche Zwangsläufigkeit nach § 33 EStG, sondern die Ausweglosigkeit der Lebenssituation, die den „Griff nach jedem Strohhalm“ gebiete. Ihre Grenze findet die Abzugsfähigkeit von Aufwendungen für Außenseitermethoden nach § 33 EStG allerdings, wenn die Behandlung von einer Person vorgenommen wird, die nicht zur Ausübung der Heilkunde zugelassen ist.
Nach § 33 Abs. 1 EStG wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastung) erwachsen. Zwangsläufig erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen dann, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG).
In ständiger Rechtsprechung geht der Bundesfinanzhof davon aus, dass Krankheitskosten –ohne Rücksicht auf die Art und die Ursache der Erkrankung– dem Steuerpflichtigen aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig erwachsen. Allerdings werden nur solche Aufwendungen als Krankheitskosten berücksichtigt, die zum Zwecke der Heilung einer Krankheit (z.B. Medikamente, Operation) oder mit dem Ziel getätigt werden, die Krankheit erträglich zu machen, beispielsweise Aufwendungen für einen Rollstuhl1.
Aufwendungen für die eigentliche Heilbehandlung werden typisierend als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt, ohne dass es im Einzelfall der nach § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG an sich gebotenen Prüfung der Zwangsläufigkeit des Grundes und der Höhe nach bedarf2. Eine derart typisierende Behandlung der Krankheitskosten ist zur Vermeidung eines unzumutbaren Eindringens in die Privatsphäre geboten3. Dies gilt aber nur dann, wenn die Aufwendungen nach den Erkenntnissen und Erfahrungen der Heilkunde und nach den Grundsätzen eines gewissenhaften Arztes zur Heilung oder Linderung der Krankheit angezeigt (vertretbar) sind und vorgenommen werden4, also medizinisch indiziert sind.
Vorbeugende Aufwendungen, die der Gesundheit allgemein dienen, und solche, die auf einer medizinisch nicht indizierten Behandlung beruhen, zählen hingegen nicht zu den Krankheitskosten. Es handelt sich insoweit vielmehr um Aufwand, der nicht aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig im Sinne des § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG entsteht, sondern auf einer freien Willensentschließung beruht und deshalb gemäß § 12 Nr. 1 EStG den nicht abzugsfähigen Kosten der Lebenshaltung zuzurechnen ist.
Für die mitunter schwierige Trennung von echten Krankheitskosten einerseits und lediglich gesundheitsfördernden Vorbeuge- oder Folgekosten andererseits fordert der Bundesfinanzhof seit seinem Urteil vom 14. Februar 19805 in ständiger Rechtsprechung regelmäßig die Vorlage eines zeitlich vor der Aufwendung erstellten amts- oder vertrauensärztlichen Gutachtens bzw. eines Attestes eines anderen öffentlich-rechtlichen Trägers, aus dem sich die Krankheit und die medizinische Indikation der den Aufwendungen zugrundeliegenden Behandlung zweifelsfrei entnehmen lässt6. Auch bei Aufwendungen für Maßnahmen, die ihrer Art nach nicht eindeutig nur der Heilung oder Linderung einer Krankheit dienen können und deren medizinische Indikation deshalb schwer zu beurteilen ist, verlangt der Bundesfinanzhof diesen formalisierten Nachweis7.
Der Bundesfinanzhof kann dahinstehen lassen, ob an diesem formalisierten Nachweisverlangen stets festzuhalten ist.
Denn im Streitfall geht es ersichtlich nicht um die Abgrenzung echter Krankheitskosten von nur allgemein gesundheitsfördernden oder vorbeugenden Maßnahmen. Vielmehr ist die schwerwiegende Erkrankung der zwischenzeitlich verstorbenen Ehefrau des Klägers völlig unstreitig8. Auch liegt die in Frage stehende immunbiologische Krebsabwehrtherapie nicht auf der Ebene von Geister- oder Wunderheilern; Fälle, in denen die Rechtsprechung einen zielgerichteten Eingriff zur Heilbehandlung verneint hat9. Es handelt sich vielmehr um eine gezielte therapeutische Maßnahme, die durch eine gesetzlich zur Ausübung der Heilkunde zugelassene Person, einen Facharzt für Allgemeinmedizin, Chirotherapie und Naturheilverfahren, durchgeführt worden ist.
Ebenfalls offenlassen kann der Senat im Streitfall, ob bei Behandlungen mit wissenschaftlich umstrittenen Methoden der Nachweis der medizinischen Indikation durch eine amts- oder vertrauensärztliche Begutachtung unerlässlich ist10.
Denn in Fällen wie dem vorliegenden stellt sich jedenfalls die Frage nach der objektiven Eignung einer medizinischen Maßnahme zur Heilung oder Linderung der Krankheit nicht mehr.
Leidet der Steuerpflichtige –wie hier die Ehefrau des Klägers– so schwer an einer Erkrankung mit einer nur noch begrenzten Lebenserwartung, die soweit fortgeschritten ist, dass sie nicht mehr auf eine kurative Behandlung anspricht, wird diese letzte Lebensphase von dem Konflikt zwischen der schicksalhaften Realität, dem Wunsch nach Heilung und der Hoffnung des Patienten, seine eigene Erkrankung möge prinzipiell anders verlaufen als nach den statistisch gewonnenen Erfahrungen zu erwarten ist, geprägt. In dieser notstandsähnlichen Situation erwachsen Patienten, die mit den heute verfügbaren schulmedizinischen Verfahren nicht oder nicht mehr zu heilen sind, auch Aufwendungen für Maßnahmen, denen es objektiv an der Eignung zur Heilung oder Linderung der Krankheit mangeln mag, tatsächlich zwangsläufig. Dies gilt selbst dann, wenn der Steuerpflichtige die notstandsähnliche Zwangslage zwischen Realität und Wunsch nach Heilung durch Kontakte mit ärztlichen Außenseitern zu lösen sucht und sich –nach intensiver Beratung über palliative Behandlungsmöglichkeiten– für eine aus schulmedizinischer oder naturheilkundlicher Sicht nicht anerkannte Heilmethode entscheidet. Nicht die medizinische Notwendigkeit der Maßnahme begründet in diesen Fällen die tatsächliche Zwangsläufigkeit, sondern die Ausweglosigkeit der Lebenssituation, die den „Griff nach jedem Strohhalm“ gebietet.
Ihre Grenzen findet die Abzugsfähigkeit von Aufwendungen für Außenseitermethoden nach § 33 EStG allerdings, wenn Maßnahmen –anders als im Streitfall– von Personen vorgenommen werden, die nicht zur Ausübung der Heilkunde zugelassen sind11.
Damit sind die streitgegenständlichen Aufwendungen für die immunbiologische Krebsabwehrtherapie als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen. Wer von den Ehegatten diese der Klägerin aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig entstandenen Kosten wirtschaftlich getragen hat, ist für den Abzug als außergewöhnliche Belastung bei Ehegatten, die –wie vorliegend– zusammen zur Einkommensteuer veranlagt worden sind, ohne Bedeutung. Denn nach § 26b EStG werden die Eheleute insoweit gemeinsam als Steuerpflichtiger behandelt12.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 2. September 2010 – VI R 11/09
- BFH, Urteile vom 17.07.1981 – VI R 77/78, BFHE 133, 545, BStBl II 1981, 711; vom 13.02.1987 – III R 208/81, BFHE 149, 222, BStBl II 1987, 427; und vom 20.03.1987 – III R 150/86, BFHE 149, 539, BStBl II 1987, 596[↩]
- BFH, Urteile vom 01.02.2001 – III R 22/00, BFHE 195, 144, BStBl II 2001, 543; und vom 03.12.1998 – III R 5/98, BFHE 187, 503, BStBl II 1999, 227, m.w.N.[↩]
- BFH, Urteil in BFHE 195, 144, BStBl II 2001, 543[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 18.06.1997 – III R 84/96, BFHE 183, 476, BStBl II 1997, 805[↩]
- BFH, Urteil vom 14.02.1980 – VI R 218/77, BFHE 130, 54, BStBl II 1980, 295, betr. Badekur auf Ibiza[↩]
- vgl. BFH, Urteile in BFHE 133, 545, BStBl II 1981, 711, betr. Frischzellenbehandlung; vom 11.01.1991 – III R 70/88, BFH/NV 1991, 386, betr. Frischzellenbehandlung und rezeptfreie Arzneimittel; vom 11.12.1987 – III R 95/85, BFHE 152, 131, BStBl II 1988, 275, betr. Heilkur; in BFHE 149, 222, BStBl II 1987, 427, betr. Gruppensitzung bei den Anonymen Alkoholikern; und in BFHE 195, 144, BStBl II 2001, 543, betr. Ayur-Veda-Behandlung; BFH, Beschluss vom 15.11.2007 – III B 205/06, BFH/NV 2008, 368, betr. Delfintherapie[↩]
- beispielsweise BFH, Urteile vom 09.08.1991 – III R 54/90, BFHE 165, 272, BStBl II 1991, 920, betr. Bett mit motorgetriebener Oberkörperaufrichtung; vom 09.08.2001 – III R 6/01, BFHE 196, 492, BStBl II 2002, 240, betr. Asbestsanierung der Außenfassade eines Wohnhauses; vom 23.05.2002 – III R 52/99, BFHE 199, 287, BStBl II 2002, 592, betr. Neuanschaffung von Mobiliar wegen Formaldehydemission; vom 21.04.2005 – III R 45/03, BFHE 209, 365, BStBl II 2005, 602, betr. Unterbringung in einer sozialtherapeutischen Wohngruppe; vom 15.03.2007 – III R 28/06, BFH/NV 2007, 1841, betr. Beseitigung von Birken; BFH, Beschlüsse vom 10.12.2004 – III B 56/04, betr. Asbestbeseitigung; vom 24.11.2006 – III B 57/06, BFH/NV 2007, 438, betr. Aufwendungen für Fettabsaugung[↩]
- vgl. insoweit BFH, Beschluss vom 15.11.1999 – III B 76/99, BFH/NV 2000, 697[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 18.04.1990 – III R 38/86, BFH/NV 1991, 27, m.w.N.[↩]
- vgl. BFH, Beschluss in BFH/NV 2008, 368[↩]
- vgl. BFH, Beschluss in BFH/NV 2000, 697; Kanzler in Herrmann/ Heuer/Raupach, –HHR–, § 33 EStG Rz 93, m.w.N.[↩]
- sog. Einheitsgedanke, HHR/Kanzler, § 33 EStG Rz 21; Seiler in Kirchhof, EStG, 9. Aufl., § 26b Rz 8; Schneider, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 26b Rz B 76[↩]