Die nichteheliche Lebensgemeinschaft der Eltern – und die Übertragung des Kinderfreibetrags

Bei einer funktionierenden nichtehelichen Lebensgemeinschaft kann im Hinblick auf die Übertragung des Kinderfreibetrags nach § 32 Abs. 6 Satz 6 EStG grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass die tatsächliche Verteilung der Unterhaltsleistungen zwischen den Elternteilen für im Haushalt lebende minderjährige Kinder (in Form von Natural-, Bar- und Betreuungsunterhalt) dem Willen des allein sorgeberechtigten Elternteils oder der gemeinsam sorgeberechtigten Elternteile entspricht.

Die nichteheliche Lebensgemeinschaft der Eltern – und die Übertragung des Kinderfreibetrags

Leben nicht miteinander verheiratete Eltern zusammen mit einem gemeinsamen minderjährigen Kind in einem gemeinsamen Haushalt, kann nicht allein deshalb, weil ein betreuender Elternteil keinen oder nur einen geringen Beitrag zum (gemeinsamen) Haushaltseinkommen leistet, davon ausgegangen werden, dass dieser Elternteil i.S. des § 32 Abs. 6 Satz 6 Alternative 1 EStG seiner Unterhaltspflicht nicht im Wesentlichen nachkommt.

Eine fehlende Unterhaltspflicht mangels Leistungsfähigkeit i.S. des § 32 Abs. 6 Satz 6 Alternative 2 EStG kann nicht allein daraus abgeleitet werden, dass ein Elternteil ein im gemeinsamen Haushalt lebendes minderjähriges Kind überwiegend betreut und keine oder nur geringe Beiträge zum (gemeinsamen) Haushaltseinkommen leistet.

Nach § 32 Abs. 6 Satz 1 EStG in der in den Streitjahren geltenden Fassung wird bei der Veranlagung zur Einkommensteuer für jedes zu berücksichtigende Kind des Steuerpflichtigen ein Freibetrag für das sächliche Existenzminimum des Kindes (Kinderfreibetrag) sowie ein BEA-Freibetrag von 1.320 € vom Einkommen abgezogen. Abweichend hiervon wird bei einem unbeschränkt einkommensteuerpflichtigen Elternpaar, bei dem die Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 Satz 1 EStG nicht vorliegen, auf Antrag eines Elternteils, der dem anderen Elternteil zustehende Kinderfreibetrag auf ihn übertragen, wenn er, nicht jedoch der andere Elternteil, seiner Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind für das Kalenderjahr im Wesentlichen nachkommt oder der andere Elternteil mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig ist (§ 32 Abs. 6 Satz 6 EStG).

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Die Unterhaltspflicht im Sinne dieser Vorschrift bestimmt sich nach bürgerlichem Recht. Für den Unterhalt, der den gesamten Lebensbedarf umfasst (§ 1610 Abs. 2 BGB), haften Eltern als gleich nahe Verwandte ihren Kindern anteilig nach ihren Erwerbs- und Vermögensverhältnissen (§ 1606 Abs. 3 Satz 1 BGB)1.

Insoweit hat der Bundesfinanzhof in dem Urteil in BFHE 254, 314, BStBl II 2016, 893 darauf abgestellt, dass der Elternteil, der ein minderjähriges unverheiratetes Kind betreut, seine Verpflichtung, zum Unterhalt des Kindes beizutragen, nach § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB in der Regel durch dessen Pflege und Erziehung erfüllt. Der andere, nicht betreuende Elternteil hat den Unterhalt durch Entrichtung einer Geldrente zu gewähren (§ 1612 Abs. 1 Satz 1 BGB). Die gesetzliche Regelung geht mithin davon aus, dass ein Elternteil das minderjährige Kind betreut und versorgt und der andere Elternteil die hierfür erforderlichen Mittel zur Verfügung zu stellen hat2. Liegt das deutliche Schwergewicht der Betreuung bei einem Elternteil und trägt dieser die Hauptverantwortung für das Kind, so erfüllt dieser Elternteil durch die Pflege und Erziehung des Kindes seine Unterhaltspflicht i.S. des § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB3.

Dieser Entscheidung des Bundesfinanzhofs lag allerdings der Sachverhalt zugrunde, dass die Elternteile getrennt leben und ein Elternteil das Kind in seinem Haushalt betreut, während der andere Elternteil Barunterhalt leistet. Leben demgegenüber die Eltern zusammen in einem gemeinsamen Haushalt, leisten den Kindern Natural- und gegebenenfalls auch Barunterhalt und betreuen sie gemeinsam, lassen sich diese Rechtsgrundsätze nicht ohne Weiteres übertragen.

Insoweit ist einzuräumen,  dass in der zivilrechtlichen Kommentarliteratur die Auffassung vertreten wird, § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB gehe davon aus, dass die Eltern getrennt lebten und das Kind von einem Elternteil allein gepflegt und erzogen werde. Die Vorschrift greift nach dieser Auffassung daher nicht bei einem Zusammenleben der Eltern und Kinder in einem gemeinsamen Haushalt4. Diese Auffassung wird durch Ausführungen des BGH zu einer Betreuung des Kindes im paritätischen Wechselmodell bestätigt. Danach betrifft § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB das sog. Residenzmodell und die damit verbundene herkömmliche Aufteilung von Erwerbstätigkeit und Kinderbetreuung. Die Vorschrift soll den kinderbetreuenden Elternteil in solchen Fällen vom Barunterhalt freistellen5. Dabei versteht der BGH unter dem Residenzmodell den Fall, dass ein Kind sich in der Obhut desjenigen Elternteils befindet, bei dem der Schwerpunkt der tatsächlichen Fürsorge und Betreuung liegt, der mithin die elementaren Lebensbedürfnisse des Kindes nach Pflege, Verköstigung, Kleidung, ordnender Gestaltung des Tagesablaufs und ständig abrufbereiter emotionaler Zuwendung vorrangig befriedigt oder sicherstellt6.

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Daraus folgt  jedoch im Hinblick auf die nach § 32 Abs. 6 Satz 6 EStG zu beurteilende Unterhaltspflicht des Kindsvaters nicht, dass allein darauf abzustellen wäre, ob und in welchem Umfang die Elternteile zum (gemeinsamen) Haushaltseinkommen beitragen.

Der Unterhaltsanspruch des Kindes erfasst nach § 1610 Abs. 2 BGB den gesamten Lebensbedarf einschließlich der Kosten einer angemessenen Vorbildung zu einem Beruf, bei einer der Erziehung bedürftigen Person auch die Kosten der Erziehung. Dazu gehören im Wesentlichen Wohnung, Verpflegung, Kleidung, Versorgung, Betreuung, Erziehung, Bildung, Ausbildung, Erholung sowie Gesundheits- und Krankheitsfürsorge7. Haben minderjährige unverheiratete Kinder den elterlichen Haushalt noch nicht verlassen, wird der materielle Unterhaltsbedarf üblicherweise nicht in Form einer Geldrente (§ 1612 Abs. 1 Satz 1 BGB), sondern aufgrund einer entsprechenden Bestimmung der Eltern in Form von Naturalunterhalt (§ 1612 Abs. 2 Satz 1 BGB) befriedigt. Selbst wenn ergänzend (z.B. als Taschengeld sowie für sonstige Sachaufwendungen) Geldleistungen erbracht werden, sind auch diese Teil des in Form von Naturalleistungen gewährten Unterhalts8. Daneben wird der immaterielle Bedarf, der dem Kind im Hinblick auf seine Versorgung, Betreuung, Erziehung und die Haushaltsführung geschuldet wird (reiner Leistungsaufwand) in Form von Betreuungsunterhalt befriedigt9. Die Frage, wie die beiden Elternteile die Befriedigung der unterschiedlichen Bedarfe des Kindes untereinander verteilen, ist eine Frage des elterlichen Sorgerechts (§ 1626 Abs. 1 Satz 1 BGB). Da bei einem Zusammenleben nicht miteinander verheirateter Eltern die Bestimmungen über den Familienunterhalt (§§ 1360 ff. BGB) nicht anwendbar sind, regeln die Eltern ihre Unterhaltspflicht gegenüber ihren Kindern grundsätzlich durch Absprache oder tatsächliche Handhabung10.

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Insofern kann nach Auffassung des Bundesfinanzhofs für Zwecke des § 32 Abs. 6 Satz 6 EStG grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass die tatsächliche Verteilung der Unterhaltsleistungen innerhalb einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft dem Willen des allein sorgeberechtigten Elternteils oder der gemeinsam sorgeberechtigten Elternteile entspricht. Ausnahmefälle sind allerdings denkbar, etwa wenn nachgewiesen wird, dass sich ein Elternteil nicht an bestehende Unterhaltsvereinbarungen oder gerichtliche Unterhaltsregelungen gehalten und damit seine Unterhaltspflicht nicht im Wesentlichen erfüllt hat (§ 32 Abs. 6 Satz 6 Alternative 1 EStG). Ebenso ist denkbar, dass ein Elternteil, der die Betreuung des Kindes übernehmen soll, dazu krankheitsbedingt nicht in der Lage und deshalb insoweit -entsprechend einer wirtschaftlichen Leistungsunfähigkeit- mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig ist11 (§ 32 Abs. 6 Satz 6 Alternative 2 EStG).

Übertragen auf die Verhältnisse des hier entschiedenen Streitfalls ist das Finanzgericht Nürnberg12 im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass eine (weitergehende) Übertragung der dem Kindsvater zustehenden Kinderfreibeträge auf die Mutter ausgeschlossen ist. Es liegen nicht sämtliche Voraussetzungen des § 32 Abs. 6 Satz 6 EStG für eine Übertragung der Kinderfreibeträge vom Kindsvater auf die Mutter vor:

Die Mutter und der Kindsvater sind zwar ein unbeschränkt einkommensteuerpflichtiges Elternpaar, bei dem mangels Eheschließung die Voraussetzungen des § 26 Abs. 1 Satz 1 EStG nicht vorliegen. Die Mutter hat auch den Antrag auf Übertragung des Kinderfreibetrags gestellt. Dass die Mutter ihre Unterhaltspflicht im Wesentlichen erfüllt hat, war im erstinstanzlichen Verfahren nicht strittig.

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Der Kindsvater ist jedoch auch seiner Unterhaltspflicht im Wesentlichen nachgekommen, weshalb die Voraussetzung des § 32 Abs. 6 Satz 6 Alternative 1 EStG nicht gegeben ist.

Die Unterhaltspflicht des Kindsvaters umfasst zum einen eine Pflicht zur Erbringung von Bar- oder Naturalunterhalt. Der Unterhaltsbedarf richtet sich beim Verwandtenunterhalt gemäß § 1610 Abs. 1 BGB nach der Lebensstellung des Bedürftigen (angemessener Unterhalt). Bei minderjährigen Kindern, die noch im Haushalt (mindestens) eines Elternteils leben, handelt es sich dabei um eine abgeleitete Lebensstellung. Sie leitet sich grundsätzlich von beiden Elternteilen ab, sodass bei der Bedarfsbemessung auf die zusammengerechneten Einkünfte beider Eltern abzustellen ist13. Auf diesen Unterhaltsbedarf des Kindes ist mangels Anwendbarkeit des § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB gemäß § 1612b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 BGB das volle Kindergeld anzurechnen. Für diesen Unterhaltsbedarf haften die beiden Elternteile nach der Grundregel des § 1606 Abs. 3 Satz 1 BGB anteilig nach ihren Erwerbs- und Vermögensverhältnissen. Auch wenn der Kindsvater in den Streitjahren deutlich geringere Einkünfte erzielt haben sollte als die Mutter, war er verpflichtet, aus diesen Barunterhalt in Form von Naturalunterhalt an die Kinder zu leisten14. Dies gilt jedenfalls insoweit, als er nicht außerstande war, dies ohne Gefährdung seines (eigenen) angemessenen Unterhalts (§ 1603 Abs. 1 BGB) oder -im Falle des Eingreifens der gesteigerten Unterhaltspflicht gegenüber minderjährigen Kindern (§ 1603 Abs. 2 Sätze 1 und 3 BGB)- seines notwendigen Unterhalts zu tun. Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte und Feststellungen ist davon auszugehen, dass der Kindsvater dieser materiellen Unterhaltspflicht genügt hat.

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Die Unterhaltspflicht des Kindsvaters umfasst zum anderen eine Pflicht zur Erbringung von Betreuungsunterhalt. Dieser Unterhaltspflicht hat der Kindsvater ebenfalls genügt, da er vorliegend seiner Pflicht zur Pflege und Erziehung der Kinder in vollem Umfang nachgekommen ist.

Der Kindsvater war auch nicht i.S. des § 32 Abs. 6 Satz 6 Alternative 2 EStG mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig.

Soweit er unter Berücksichtigung seines eigenen angemessenen oder notwendigen Unterhalts im Stande war, Bar- oder Naturalunterhalt für die Kinder zu leisten, ist -auch wenn es sich hierbei um im Verhältnis zu den Unterhaltsbeiträgen der Mutter geringe Leistungen gehandelt haben mag- von (wirtschaftlicher) Leistungsfähigkeit und (materieller) Unterhaltspflicht auszugehen.

Aber auch, wenn der Kindsvater in materieller Hinsicht nicht unterhaltspflichtig gewesen sein mag, bestand jedenfalls im Hinblick auf den von ihm geleisteten Betreuungsunterhalt Leistungsfähigkeit, da er diesen nach den Feststellungen des Finanzgericht in vollem Umfang geleistet hat. Der vom Kindsvater geleistete Betreuungsunterhalt ist in beiden Fällen auch nicht etwa zu monetarisieren und ergänzt um etwaige Naturalunterhaltsleistungen des Kindsvaters in das Verhältnis zu den von der Mutter erbrachten Natural- und Betreuungsunterhaltsbeiträgen zu setzen. Vielmehr ist für den Regelfall der funktionsfähigen nichtehelichen Lebensgemeinschaft davon auszugehen, dass die Verteilung der Unterhaltsaufgaben dem gemeinsamen Willen der Elternteile und der Bestimmung des oder der Sorgeberechtigten entspricht. Gegenteiliges -etwa die Nichteinhaltung einer Unterhaltsvereinbarung oder -entscheidung durch den Kindsvater- wurde im Streitfall von der Mutter weder behauptet noch vom Finanzgericht festgestellt. Der Kindsvater war daher auch für den Fall, dass er nur betreut haben sollte, leistungsfähig und unterhaltspflichtig i.S. des § 32 Abs. 6 Satz 6 Alternative 2 EStG.

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Bundesfinanzhof, Urteil vom 15. Dezember 2021 – III R 24/20

  1. z.B. BFH, Urteile vom 24.03.2006 – III R 57/00, BFH/NV 2006, 1815, unter II. 1., zu § 32 Abs. 6 Satz 4 EStG in der für das Jahr 1989 gültigen Fassung; und vom 15.06.2016 – III R 18/15, BFHE 254, 314, BStBl II 2016, 893, Rz 11[]
  2. BGH, Beschluss vom 12.03.2014 – XII ZB 234/13, NJW 2014, 1958, unter B.II. 2.a[]
  3. vgl. BGH, Urteil vom 28.02.2007 – XII ZR 161/04, NJW 2007, 1882, unter 2.b[]
  4. Staudinger/Klinkhammer (2018), BGB § 1606 Rz 46[]
  5. BGH, Beschlüsse vom 05.11.2014 – XII ZB 599/13, FamRZ 2015, 236, Rz 17; und vom 11.01.2017 – XII ZB 565/15, FamRZ 2017, 437, Rz 20 ff.[]
  6. BGH, Beschluss vom 12.03.2014 – XII ZB 234/13, FamRZ 2014, 917, Rz 16[]
  7. Klinkhammer in Wendl/Dose, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 10. Aufl., § 2 Rz 16, m.w.N.[]
  8. BGH, Urteil vom 06.03.1985 – IVb ZR 74/83, NJW 1985, 1339, unter 1.a, m.w.N.; Klinkhammer in Wendl/Dose, a.a.O., § 2 Rz 35[]
  9. Klinkhammer in Wendl/Dose, a.a.O., § 2 Rz 19, m.w.N.[]
  10. Staudinger/Klinkhammer, a.a.O., Rz 48[]
  11. s. hierzu BGH, Urteil vom 15.09.2010 – XII ZR 148/09, FamRZ 2010, 1888, Rz 35[]
  12. FG Nürnberg, Urteil vom 08.08.2019 – 3 K 504/19[]
  13. BGH, Urteil vom 15.02.2017 – XII ZB 201/16, FamRZ 2017, 711, Rz 11[]
  14. BGH, Urteil in FamRZ 2017, 711, Rz 14[]