Die unentgeltliche Überlassung einer Wohnung an nicht berücksichtigungsfähige Kinder – und das private Veräußerungsgeschäft

Eine Wohnung, die der Steuerpflichtige unentgeltlich an (leibliche) Kinder überlässt, die im maßgeblichen Zeitraum des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3  2. Alternative EStG nicht (mehr) nach § 32 EStG berücksichtigungsfähig sind, wird nicht „zu eigenen Wohnzwecken“ genutzt.

Die unentgeltliche Überlassung einer Wohnung an nicht berücksichtigungsfähige Kinder – und das private Veräußerungsgeschäft

In dem hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall erhielt das Finanzamt durch eine Veräußerungsanzeige von dem Umstand Kenntnis, dass die Wohnungsveräußerin im Dezember 2016 eine Wohnung in veräußert hatte. Auf Nachfrage teilte die Veräußerin mit, es habe sich bei der Veräußerung ihrer Auffassung nach um ein nicht einkommensteuerpflichtiges Veräußerungsgeschäft gehandelt. Die Wohnung sei im April 2010 erworben worden und im Zeitraum zwischen Erwerb und Veräußerung von den im Mai 1989 geborenen Söhnen -den Zwillingen A und B- im Rahmen ihres dortigen Studiums zu Wohnzwecken genutzt worden. Jeder der Söhne habe über ein großes Zimmer zur eigenen Nutzung verfügt. Darüber hinaus habe es ein gemeinsames Wohnzimmer sowie eine gemeinsam genutzte Küche gegeben. Das dritte Zimmer sei von dem im Dezember 1991 geborenen dritten Sohn (C) zunächst an einigen Wochenenden genutzt worden. Ab dem Wintersemester 2011 habe C sich vermehrt in der Wohnung aufgehalten und ab Oktober 2013 sei er nach X-Stadt gezogen. Während eines halbjährigen Auslandsaufenthalts der Zwillinge A und B hätten diese ihre Zimmer „wohl untervermietet“ und die Einnahmen zur Begleichung ihrer Lebenshaltungskosten im Ausland verwendet. Die Wohnungsveräußerin habe aus der Wohnung keine Einnahmen erzielt.

Das Finanzamt vertrat die Auffassung, dass die Wohnungsveräußerin mit der Veräußerung der Wohnung in X-Stadt den Tatbestand eines privaten Veräußerungsgeschäfts (§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG) erfüllt habe. Zwar seien Wohnungen, die im Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung ausschließlich zu eigenen Wohnzwecken oder im Jahr der Veräußerung und in den beiden vorangegangenen Jahren zu eigenen Wohnzwecken genutzt würden, nach der Befreiungsvorschrift des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG von der Besteuerung ausgenommen; eine „Nutzung zu eigenen Wohnzwecken“ liege in diesem Zusammenhang auch vor, wenn der Steuerpflichtige die Wohnung einem Kind, für das er einen Anspruch auf Kindergeld habe, unentgeltlich zu Wohnzwecken überlassen habe. Die unentgeltliche Überlassung an andere -gegebenenfalls auch unterhaltsberechtigte- Angehörige stelle indes keine Nutzung in diesem Sinne dar. Für die Söhne A und B hätte ihre Mutter lediglich bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres im Mai 2014 einen Anspruch auf Kindergeld gehabt. Daher sei die Wohnung ab Juni 2014 nicht mehr im Sinne der Befreiungsvorschrift des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG zu eigenen Wohnzwecken genutzt worden, auch wenn die Eltern hinsichtlich des dritten Sohnes C noch bis Ende 2016 kindergeldberechtigt gewesen seien. 

Die gegen den geänderten Einkommensteuerbescheid, in dem das Finanzamt den Veräußerungsgewinn aus dem Verkauf der Wohnung erfasste, erhobene Klage hat das Niedersächsische Finanzgericht abgewiesen1. Der Bundesfinanzhof bestätigte diese Entscheidung und wies auch die Revision der Wohnungsveräußerin als unbegründet zurück; das Finanzgericht habe zu Recht angenommen, dass die Wohnungsveräußerin im Streitjahr den Tatbestand eines privaten Veräußerungsgeschäfts i.S. des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 EStG verwirklicht habe. Auch wurde die Wohnung in X-Stadt im maßgeblichen Zeitraum nicht zu „eigenen Wohnzwecken“ genutzt; die Veräußerung seo mithin nicht nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG von der Besteuerung ausgenommen.

Weiterlesen:
Enteignung - und kein Spekulationsgewinn

Die Wohnungsveräußerin hat im Streitjahr den Tatbestand der Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften gemäß § 22 Nr. 2 i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 EStG verwirklicht.

Nach § 22 Nr. 2 EStG zählen zu den sonstigen Einkünften (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EStG) auch Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften i.S. des § 23 EStG. Dazu gehören gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG Veräußerungsgeschäfte bei Grundstücken und Rechten, die den Vorschriften des bürgerlichen Rechts über Grundstücke unterliegen (z.B. Erbbaurecht, Mineralgewinnungsrecht), bei denen der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als zehn Jahre beträgt.

Ausgenommen sind Wirtschaftsgüter, die im Zeitraum zwischen Anschaffung oder Fertigstellung und Veräußerung ausschließlich zu eigenen Wohnzwecken (1. Alternative) oder im Jahr der Veräußerung und in den beiden vorangegangenen Jahren zu eigenen Wohnzwecken (2. Alternative) genutzt wurden (§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG). Die Freistellung nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG bewirkt eine Rückausnahme von der ausnahmsweisen, den Grundsatz der im Dualismus der Einkunftsarten verankerten Nichtsteuerbarkeit von Wertveränderungen privater Wirtschaftsgüter durchbrechenden Steuerbarkeit privater Veräußerungsgeschäfte2.

Die Bundesfinanzhofsrechtsprechung hat den Ausdruck „Nutzung zu eigenen Wohnzwecken“ in der dem Dualismus der Einkunftsarten wieder Geltung verschaffenden Ausnahmeregelung des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG -entsprechend deren Zweck, die Besteuerung eines Veräußerungsgewinns bei Aufgabe eines Wohnsitzes (z.B. wegen eines Arbeitsplatzwechsels) zu vermeiden3- stets sehr weit gefasst und eigenständig ausgelegt. Danach setzt der Ausdruck „Nutzung zu eigenen Wohnzwecken“ in beiden Alternativen des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG voraus, dass eine Immobilie zum Bewohnen dauerhaft geeignet ist; und vom Steuerpflichtigen auch bewohnt wird. Der Steuerpflichtige muss das Gebäude zumindest auch selbst nutzen; unschädlich ist, wenn er es gemeinsam mit seinen Familienangehörigen oder einem Dritten bewohnt4.

Ein Gebäude wird auch dann zu eigenen Wohnzwecken genutzt, wenn es der Steuerpflichtige nur zeitweilig bewohnt, sofern es ihm in der übrigen Zeit als Wohnung zur Verfügung steht5. Denn eine Nutzung zu „eigenen Wohnzwecken“ setzt weder die Nutzung als Hauptwohnung voraus noch muss sich dort der Schwerpunkt der persönlichen und familiären Lebensverhältnisse befinden. Ein Steuerpflichtiger kann deshalb mehrere Gebäude gleichzeitig zu eigenen Wohnzwecken nutzen. Erfasst sind daher auch Zweitwohnungen, nicht zur Vermietung bestimmte Ferienwohnungen und Wohnungen, die im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung genutzt werden. Ist deren Nutzung auf Dauer angelegt, kommt es nicht darauf an, ob der Steuerpflichtige noch eine (oder mehrere) weitere Wohnung(en) hat und wie oft er sich darin aufhält6. Eine sich auf mehrere Wohnungen beziehende Nutzung zu Wohnzwecken kann gerade auch dann vorliegen, wenn sich der Haushalt einer Familie auf mehrere Örtlichkeiten -etwa auf Familienwohnsitz einerseits und den doppelten Haushalt am Ort der Berufstätigkeit sowie einen weiteren Haushalt am Studienort von einkommensteuerlich zu berücksichtigenden Kindern andererseits- verteilt.

Weiterlesen:
Rentenbesteuerung und Nominalwertprinzip

Keine Nutzung „zu eigenen Wohnzwecken“ liegt vor, wenn der Steuerpflichtige die Wohnung entgeltlich oder unentgeltlich an einen Dritten überlässt, ohne sie zugleich selbst zu bewohnen7. Hingegen ist eine Nutzung zu eigenen Wohnzwecken -wie im Anwendungsbereich des § 10e EStG und des § 4 EigZulG- zu bejahen, wenn der Steuerpflichtige Teile einer zu eigenen Wohnzwecken genutzten Wohnung oder die Wohnung insgesamt einem einkommensteuerlich zu berücksichtigenden Kind unentgeltlich zur teilweisen oder alleinigen Nutzung überlässt. Die Nutzung der Wohnung durch das Kind ist dem Eigentümer in diesem Fall als eigene zuzurechnen, weil es ihm im Rahmen seiner unterhaltsrechtlichen Verpflichtung obliegt, für die Unterbringung des Kindes zu sorgen8.

Überlässt der Steuerpflichtige die Wohnung nicht ausschließlich einem einkommensteuerlich zu berücksichtigenden Kind (oder mehreren einkommensteuerlich zu berücksichtigenden Kindern) unentgeltlich zur Nutzung, sondern zugleich einem Dritten, liegt keine begünstigte Nutzung des Steuerpflichtigen zu eigenen Wohnzwecken vor.

Die Wohnungsveräußerin hat im Streitjahr die Merkmale des Tatbestands der Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften gemäß § 22 Nr. 2 i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 EStG verwirklicht, indem sie die im April 2010 angeschaffte Wohnung in X-Stadt mit notariell beurkundetem Kaufvertrag vom 14.12.2016 wieder veräußert hat; dies ist zwischen den Beteiligten nicht weiter streitig. Das Finanzgericht ist auch zu Recht davon ausgegangen, dass die Veräußerung der Wohnung in X-Stadt der Besteuerung unterfällt; denn im Streitfall ist der Befreiungstatbestand des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG nicht erfüllt.

Nach den eingangs dargestellten Grundsätzen stellt die Überlassung einer Wohnung zur teilweisen oder alleinigen Nutzung an ein unterhaltsberechtigtes Kind eine Form der dem Steuerpflichtigen zuzurechnenden „mittelbaren Eigennutzung“ dar9. Nach den nicht mit Revisionsrügen angegriffenen und mithin den Bundesfinanzhof gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen des Finanzgericht hat die Wohnungsveräußerin die Wohnung in X-Stadt seit dem Erwerb im April 2010 zunächst den im Mai 1989 geborenen Zwillingen A und B -welche zu diesem Zeitpunkt noch nach § 32 EStG einkommensteuerlich bei der Veranlagung der Eltern zu berücksichtigen waren- im Rahmen ihrer Studien zur Nutzung überlassen. (Spätestens) ab 2013 hat die Wohnungsveräußerin die Wohnung zusätzlich auch dem Sohn C unentgeltlich zu Wohnzwecken überlassen.

Weiterlesen:
Die im Ausland belegene Immobilie - und das private Veräußerungsgeschäft

Der Befreiungstatbestand des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG wird im Streitfall indes durch den Umstand ausgeschlossen, dass die Zwillinge A und B ab Juni 2014 -nach der Vollendung ihres 25. Lebensjahres (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG)- bis zur Veräußerung der Wohnung nicht mehr nach § 32 EStG einkommensteuerlich bei der Veranlagung der Eltern zu berücksichtigen waren.

Ob der Zurechnung einer „mittelbaren“ Nutzung zu eigenen Wohnzwecken -in Form der Nutzung durch das einkommensteuerlich zu berücksichtigende Kind C im Jahr der Veräußerung und in den beiden vorangegangenen Jahren, § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 2. Alternative EStG – die fortdauernde Mitbenutzung der Wohnung durch die im maßgeblichen Zeitraum nicht mehr nach § 32 EStG einkommensteuerlich zu berücksichtigen Zwillinge A und B entgegensteht, ist umstritten. In Rechtsprechung und Schrifttum wird einerseits die Auffassung vertreten, dass im Fall der Nutzungsüberlassung an ein einkommensteuerlich zu berücksichtigendes Kind die Mitbenutzung der Wohnung durch andere (auch unterhaltsberechtigte) Angehörige -etwa ein einkommensteuerlich nicht zu berücksichtigendes Kind oder die/der ehemalige Lebensgefährtin/e und Kindesmutter/-vater- entgegensteht10. Andere Stimmen im Schrifttum gehen davon aus, dass im Fall der Nutzungsüberlassung an ein einkommensteuerlich zu berücksichtigendes Kind die Mitbenutzung der Wohnung durch andere unterhaltsberechtigte Angehörige unschädlich sei11.

Der Bundesfinanzhof hält die fortdauernde Mitbenutzung der Wohnung durch die nicht mehr nach § 32 EStG einkommensteuerlich zu berücksichtigenden Kinder A und B im Streitfall für schädlich.

Die höchstrichterliche Rechtsprechung zu § 10e EStG hat die Zurechnung der Wohnnutzung durch unterhaltsberechtigte Kinder (als „mittelbare Eigennutzung“) damit begründet, dass der Steuerpflichtige die Wohnung nach dem Wortsinn auch dann zu eigenen Wohnzwecken nutzt, wenn er „in Erfüllung seiner unterhaltsrechtlichen Verpflichtung seinem Kind außerhalb des Familienhaushalts eine Wohnung zur Verfügung stellt“. Die Nutzung der Wohnung durch das Kind ist dem Eigentümer als eigene zuzurechnen, weil es ihm obliegt, für die Unterbringung des Kindes zu sorgen12. Soweit die höchstrichterliche Rechtsprechung im Zusammenhang mit dem Begriff der „eigenen Wohnzwecke“ tatbestandlich auf die Vorschrift des § 32 EStG abgestellt hat, geschah dies vor dem Hintergrund der Annahme, dass der Gesetzgeber -aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung- bei den nach dieser Vorschrift zu berücksichtigenden Kindern typisierend eine Unterhaltspflicht und das Entstehen von Aufwendungen unterstellt. Eine Ermittlung im Einzelfall, ob dem Kind Unterhalt zu gewähren ist oder gegebenenfalls wegen eigener Einkünfte des Kindes keine Unterhaltspflicht besteht, sollte -auch wegen des damit für die Finanzbehörden und -gerichte verbundenen, nicht unerheblichen Ermittlungsaufwands- durch diese typisierende Wertung vermieden werden13.

Weiterlesen:
Das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht - und die eigenen Kinder

Zwar ist das Merkmal „Nutzung zu eigenen Wohnzwecken“ in § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG im Ausgangspunkt so zu verstehen wie in § 10e EStG und § 4 EigZulG14. Allerdings ist in diesem Zusammenhang auch die unterschiedliche Zweckrichtung der Tatbestände zu beachten. Zweck der gesetzlichen Freistellungsregelung des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG ist nicht der Erwerb von Wohnungseigentum durch möglichst viele Bürger und damit die Förderung der Vermögensbildung15, sondern die Vermeidung der Besteuerung eines Veräußerungsgewinns bei Aufgabe eines Wohnsitzes und eine damit einhergehende Behinderung der beruflichen Mobilität16. Vor diesem Hintergrund setzt die Anwendbarkeit des Ausnahmetatbestands in § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG entsprechend seiner Zweckrichtung dem Grunde nach voraus, dass eine Besteuerung der beruflichen Mobilität des Steuerpflichtigen entgegenstünde, was regelmäßig dann der Fall ist, wenn der Unterhaltsberechtigte -d.h. das nach § 32 EStG zu berücksichtigende Kind- im Falle eines beruflichen Wohnsitzwechsels des Steuerpflichtigen mitgehen würde17.

Unter Berücksichtigung dieses Gesetzeszwecks hat die höchstrichterliche Rechtsprechung -in Fortsetzung ihrer Rechtsprechung zu §§ 10e, 10f EStG und § 4 EigZulG- die Regelung in § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG dahin gedeutet, dass der Begriff der „eigenen“ Wohnzwecke nicht nur die Wohnzwecke des Steuerpflichtigen, sondern (mittelbar) auch die Wohnzwecke von Kindern, die nach § 32 EStG zu berücksichtigen sind, umfasst18; denn bei Kindern, für die der Steuerpflichtige kinderbezogene Leistungen beanspruchen kann, können auch das Bestehen einer Unterhaltspflicht und das Entstehen von Aufwendungen typisierend unterstellt werden. Nach Maßgabe dieser typisierenden Wertung wird eine vom Steuerpflichtigen zu Unterhaltszwecken unentgeltlich bereitgestellte Wohnung dann nicht mehr i.S. des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG (mittelbar) zu „eigenen Wohnzwecken“ (des Steuerpflichtigen) genutzt, wenn die Immobilie neben einem einkommensteuerlich nach § 32 EStG zu berücksichtigenden Kind auch anderen -gegebenenfalls auch aufgrund bürgerlich-rechtlicher Vorschriften unterhaltsberechtigten- Angehörigen überlassen wird. Vor diesem Hintergrund führt auch die (Mit-)Nutzung durch ein weiteres, wegen seines Alters nicht (mehr) nach § 32 EStG einkommensteuerlich zu berücksichtigendes Kind dazu, dass die Wohnung insgesamt nicht mehr als zu eigenen Wohnzwecken des Steuerpflichtigen genutzt anzusehen ist19.

Nach den insoweit getroffenen, den Bundesfinanzhof bindenden (§ 118 Abs. 2 FGO) Feststellungen des Finanzgericht hat die Wohnungsveräußerin ihre Wohnung in X-Stadt im Jahr der Veräußerung und in den beiden vorangegangenen Jahren nicht nur dem nach § 32 EStG einkommensteuerlich zu berücksichtigenden Kind C, sondern auch den Zwillingen A und B, für die ihre Eltern ab Juni 2014 keine kindbezogenen Leistungen mehr beanspruchen konnten, unentgeltlich zur Nutzung überlassen; der Befreiungstatbestand des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3  2. Alternative EStG ist mithin nicht erfüllt. Die Mitbenutzung der Wohnung durch A und B ist unbeschadet der Tatsache, dass die Wohnungsveräußerin für die Unterbringung der steuerlich nicht mehr berücksichtigungsfähigen Zwillinge durch die Bereitstellung der Wohnung in X-Stadt gesorgt hat, schädlich.

Weiterlesen:
Private Veräußerungsgeschäfte - und die Rückgabe von Investmentfonds-Anteilen

Nach den gesetzlichen Regelungen in § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 und § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 EStG besteht für eine hilfsweise begehrte zeitanteilige Steuerbefreiung („pro rata temporis“) für die Jahre bis 2014, in denen eine Berechtigung zum Bezug kindbezogener Leistungen (auch) hinsichtlich der Zwillinge A und B vorgelegen hat, keine Rechtsgrundlage.

Die begehrte abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen (§ 163 AO) ist nicht Gegenstand des vorliegenden (Besteuerungs-)Verfahrens, sondern gegebenenfalls in dem hierfür vorgesehenen Verfahren zu prüfen.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 24. Mai 2022 – IX R 28/21

  1. Nds. FG, Urteil vom 16.06.2021 – 9 K 16/20, EFG 2022, 670[]
  2. BFH, Urteil vom 01.03.2021 – IX R 27/19, BFHE 272, 393, BStBl II 2021, 680, Rz 12; Brandis/Heuermann/Ratschow, § 23 EStG Rz 10; BeckOK EStG/Trossen, 12. Ed. [01.03.2022], EStG § 23 Rz 6[]
  3. BT-Drs. 14/265, S. 181[]
  4. BFH, Urteil in BFHE 272, 393, BStBl II 2021, 680, Rz 14, m.w.N.; vgl. auch BFH, Urteile vom 18.01.2006 – IX R 18/03, BFH/NV 2006, 936, unter II. 1.a, Rz 10; vom 25.05.2011 – IX R 48/10, BFHE 234, 72, BStBl II 2011, 868, Rz 12; vom 27.06.2017 – IX R 37/16, BFHE 258, 490, BStBl II 2017, 1192, Rz 12; vom 21.05.2019 – IX R 6/18, BFH/NV 2019, 1227, Rz 16; vom 03.09.2019 – IX R 8/18, BFHE 266, 173, BStBl II 2020, 122, Rz 22; vom 03.09.2019 – IX R 10/19, BFHE 266, 507, BStBl II 2020, 310, Rz 10; BFH, Beschluss vom 28.05.2002 – IX B 208/01, BFH/NV 2002, 1284, unter II. 2.a, zu § 4 des Eigenheimzulagengesetzes (EigZulG); Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 05.10.2000, BStBl I 2000, 1383, Rz 22[]
  5. vgl. BFH, Urteile vom 31.05.1995 – X R 140/93, BFHE 178, 140, BStBl II 1995, 720, beginnend unter den Entscheidungsgründen ab 2.; vom 28.03.1990 – X R 160/88, BFHE 160, 481, BStBl II 1990, 815, beginnend unter den Entscheidungsgründen ab 2.a, beide jeweils zu § 10e EStG; vom 23.07.1997 – X R 143/94, BFH/NV 1998, 160, unter II. 3.c; BFH, Beschluss in BFH/NV 2002, 1284, unter II. 2.a; BFH, Urteil vom 28.11.2001 – X R 27/01, BFHE 197, 218, BStBl II 2002, 145, unter II. 1.a[]
  6. BFH, Urteil in BFHE 272, 393, BStBl II 2021, 680, Rz 15, m.w.N.[]
  7. BFH, Urteile in BFHE 258, 490, BStBl II 2017, 1192, Rz 12, und in BFHE 272, 393, BStBl II 2021, 680, Rz 14[]
  8. BFH, Urteile in BFH/NV 2019, 1227, Rz 18; vom 18.01.2011 – X R 13/10, BFH/NV 2011, 974, Rz 14, m.w.N., zu § 10f Abs. 1 EStG[]
  9. BFH, Urteil in BFH/NV 2019, 1227, Rz 18; vgl. auch BFH, Urteile vom 26.01.1994 – X R 94/91, BFHE 173, 345, BStBl II 1994, 544, unter 1.a, zu § 10e EStG; in BFH/NV 2011, 974, Rz 14, zu § 10f EStG[]
  10. so Brandis/Heuermann/Ratschow, § 23 EStG Rz 51; in diesem Sinne auch BeckOK EStG/Trossen, 12. Ed. [01.03.2022], § 23 Rz 184, zur Nutzung durch getrennt lebende Ehepartner oder Eltern; Kube in Kirchhof/Seer, EStG, 21. Aufl., § 23 Rz 6; Obermeier, Neue Wirtschafts-Briefe 2001, 567, 584, zur Nutzung durch andere, auch unterhaltsberechtigte Angehörige; Hessisches Finanzgericht vom 30.09.2015 – 1 K 1654/14, EFG 2016, 201, rechtskräftig, zur Nutzung durch die ehemalige Lebensgefährtin und Kindesmutter mit unterhaltsberechtigtem Kind; Niedersächsisches Finanzgericht vom 04.03.2010 – 10 K 259/08, EFG 2010, 1133, zur Nutzung durch den volljährigen, einkommensteuerlich nicht mehr zu berücksichtigenden Sohn[]
  11. in diesem Sinne Wernsmann in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff -KSM-, EStG, § 23 Rz B 49; Schallmoser in Spiegelberger/Schallmoser, Immobilien im Zivil- und Steuerrecht, 3. Aufl., Rz 12.39; Sagmeister, Deutsches Steuerrecht -DStR- 2011, 1589, 1591, für den Fall des § 1568a des Bürgerlichen Gesetzbuchs unter Verweis auf Art. 6 Abs. 1 GG; Hermanns, DStR 2002, 1065, 1067; Tiedtke/Wälzholz, Rheinische Notar-Zeitschrift 2001, 380, 386[]
  12. BFH, Urteil in BFHE 173, 345, BStBl II 1994, 544, unter 1.b[]
  13. so ausdrücklich BFH, Urteil in BFHE 173, 345, BStBl II 1994, 544, unter 1.g, zu § 10e EStG[]
  14. BFH, Urteile vom 26.10.2021 – IX R 5/21, BFHE 275, 36, BStBl II 2022, 403, und in BFH/NV 2006, 936, unter II. 1.a[]
  15. vgl. BFH, Urteil in BFHE 160, 481, BStBl II 1990, 815, unter 2.a, zu § 10e EStG[]
  16. BT-Drs. 14/265, S. 181; BFH, Urteil in BFHE 275, 36, BStBl II 2022, 403, Rz 25[]
  17. Wernsmann in KSM, EStG, § 23 Rz B 49[]
  18. BFH, Urteil in BFH/NV 2019, 1227, Rz 18, m.w.N.[]
  19. vgl. BFH, Urteil in BFH/NV 2019, 1227, Rz 23[]
Weiterlesen:
Unbare Zahlung bei haushaltsnahen Dienstleistungen

Bildnachweis: