Doppelte Haushaltsführung – 144 km von Arbeitsstätte

Nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 1 EStG sind notwendige Mehraufwendungen, die einem Arbeitnehmer wegen einer aus beruflichem Anlass begründeten doppelten Haushaltsführung entstehen, Werbungskosten, und zwar unabhängig davon, aus welchen Gründen die doppelte Haushaltsführung beibehalten wird. Eine doppelte Haushaltsführung liegt nur vor, wenn der Arbeitnehmer außerhalb des Ortes, in dem er einen eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt ist und auch am Beschäftigungsort wohnt (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 EStG).

Doppelte Haushaltsführung – 144 km von Arbeitsstätte

Das Finanzgericht Düsseldorf hat nun ein Wohnen „am Beschäftigungsort“ angenommen und Aufwendungen wegen doppelter Haushaltsführung zum Abzug zugelassen, obwohl die Zweitwohnung der Klägerin 144 km von ihrer Arbeitsstätte entfernt lag und die Fahrt von der Zweitwohnung zur Arbeitsstätte mit dem ICE eine Stunde dauerte.

Im hier vom Finanzgericht Düsseldorf entschiedenen Fall ist die Klägerin im Sinne von § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 EStG außerhalb des Ortes, in dem sie einen eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt. Mittelpunkt der Lebensinteressen der Klägerin und damit Ort ihres eigenen Hausstandes ist SStadt, wo sie ein Einfamilienhaus zusammen mit dem Kläger bewohnt. Bei verheirateten Ehegatten ist offenkundig, dass der Arbeitnehmer gemeinsam mit dem Ehegatten am Mittelpunkt der Lebensinteressen einen eigenen Hausstand unterhält, wenn er sich persönlich am Familienhaushalt beteiligt1. Von letzterem ist im Streitfall auszugehen. Zudem ist die Klägerin außerhalb des Ortes des Haupthausstandes – in A-Stadt – beschäftigt.

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Es ist auch davon auszugehen, dass die Klägerin im Sinne von § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 EStG am Beschäftigungsort wohnt. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH darf sich die Auslegung des Tatbestandsmerkmals „Beschäftigungsort“ nicht allein am Gesetzeswortlaut orientieren, der Begriff ist vielmehr weit auszulegen. Demnach wird als Beschäftigungsort nicht nur die politische Gemeinde der Arbeitsstätte angesehen, sondern auch deren Umgebung, d.h. das Einzugsgebiet der politischen Gemeinde2. Andererseits kann aus der weiten Entfernung zwischen der Zweitwohnung und dem Beschäftigungsort (im entschiedenen Fall: 62 km) zu folgern sein, dass sich die Zweitwohnung auch bei großzügiger Auslegung des Begriffs „am Beschäftigungsort“ nicht mehr in dessen Nähe befindet3.

In Anwendung dieser Grundsätze wohnt die Klägerin am Beschäftigungsort. Zwar liegt die Zweitwohnung in B-Stadt weder in der politischen Gemeinde ihrer Arbeitsstätte (A-Stadt) noch in deren Einzugsgebiet im engeren Sinne. Davon kann im Fall zweier Großstädte wie B-Stadt und A-Stadt, die ca. 100 km Luftlinie voneinander entfernt liegen, nicht mehr ausgegangen werden. Die Entfernung zwischen der Eigentumswohnung der Klägerin und ihrer Arbeitsstätte beträgt gar 141 km. Indes wird unter „Einzugsgebiet“ der politischen Gemeinde der Arbeitsstätte der Bezirk verstanden, von dem aus Arbeitnehmer üblicherweise täglich zu diesem Ort fahren4. Die Wohnung muss sich so weit im Einzugsbereich der Arbeitsstätte befinden, dass ein tägliches Aufsuchen möglich ist5. Diese Voraussetzung ist im Streitfall erfüllt. Unter den Begriff des Einzugsgebiets können nach Ansicht des erkennenden BFHs nicht nur die Vororte einer Großstadt fallen, sondern auch im Umland liegende andere Großstädte. Mit den Klägern ist davon auszugehen, dass es im Zeitalter steigender Mobilitätsanforderungen nicht auf die bloße Entfernung zwischen Zweitwohnung und Arbeitsstätte ankommen kann. Es ist durchaus üblich, dass Arbeitnehmer größere Entfernungen zwischen Wohnung und Arbeitsstätte in Kauf nehmen, wenn die Arbeitsstätte verkehrsgünstig zu erreichen ist. Die einfache Fahrt von B-Stadt Hbf. nach A-Stadt Hbf. dauert mit dem ICE eine Stunde. Ein derartiger Zeitaufwand liegt nach Auffassung des BFHs durchaus noch im Bereich des Üblichen. Dies gilt selbst dann, wenn die Klägerin – worauf der Beklagte in der mündlichen Verhandlung hingewiesen hat – für den Weg „von Tür zu Tür“ länger braucht. In Abwägung der Gesamtumstände des Streitfalles befindet sich die Wohnung der Klägerin in B-Stadt damit noch im Einzugsgebiet (im weiteren Sinne) von A-Stadt.

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Für dieses Ergebnis spricht, dass eine doppelte Haushaltsführung auch dann anzunehmen sein kann, wenn die Hauptwohnung und die Arbeitsstätte innerhalb einer politischen Großstadtgemeinde liegen, soweit ein tägliches Fahren nicht zumutbar erscheint6. Vor diesem Hintergrund muss auch dann von einer doppelten Haushaltsführung ausgegangen werden, wenn sich die Hauptwohnung, die Zweitwohnung und die Arbeitsstätte in verschiedenen Gemeinden befinden, ein tägliches Fahren zwischen der Zweitwohnung und der Arbeitsstätte aber zumutbar erscheint. Allein die Tatsache, dass die Zweitwohnung und die Arbeitsstätte in verschiedenen Großstadtgemeinden liegen, steht der Annahme einer doppelten Haushaltsführung nicht entgegen.

Im Streitfall kommt hinzu, dass der Arbeitgeber der Klägerin seinen Firmensitz zunächst in B-Stadt hatte und erst später nach A-Stadt verlegt hat. Diese Sitzverlegung kann in steuerlicher Hinsicht nicht dergestalt zum Nachteil der Klägerin gereichen, dass die Voraussetzungen der doppelten Haushaltsführung als nicht mehr erfüllt angesehen werden. Aus der Sicht der Klägerin hat sich an der beruflichen Veranlassung der Zweitwohnsitznahme in B-Stadt nichts geändert. Lediglich ihr Arbeitgeber hat seinen Firmensitz „wegverlegt“.

Der Anerkennung einer doppelten Haushaltsführung steht der BFH-Beschluss vom 2. Oktober 20083 nicht entgegen. Darin hat der BFH zwar unbeanstandet gelassen, dass die Vorinstanz aus den Gesamtumständen des Streitfalles, insbesondere aus der weiten Entfernung zwischen der Zweitwohnung und dem Beschäftigungsort (62 km), gefolgert hat, dass auch bei großzügiger Auslegung des Begriffs „am Beschäftigungsort“ nicht mehr von der erforderlichen Nähe zwischen Zweitwohnung und Beschäftigungsort ausgegangen werden könne. Hieran wird aber zugleich deutlich, dass die Entfernung nur einer von mehreren Gesamtumständen ist, die Rückschlüsse darauf zulassen, ob der Steuerpflichtige am Beschäftigungsort wohnt. Im Streitfall sprechen die Gesamtumstände für ein Wohnen der Klägerin am Beschäftigungsort im Sinne von § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 EStG.

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Die vom Finanzamt in der mündlichen Verhandlung am 13.10.2011 vorgebrachten statistischen Erwägungen führen zu keinem anderen Ergebnis. Das beklagte Finanzamt hat lediglich darauf hingewiesen, dass nach dem Statistischen Monatsheft Baden-Württemberg 4/2010 nur knapp 5 % aller Berufspendler Fernpendler mit Arbeitswegen von 50 km und mehr seien und dass bei nur knapp 5 % der Pendler der Arbeitsweg 60 Minuten und mehr dauere. Daraus folge, dass Berufspendler üblicherweise eben nicht eine derartige Entfernung zurücklegten wie die Klägerin. Dabei verkennt das Finanzamt jedoch, dass bei der Auslegung des Tatbestandsmerkmals „Wohnen am Beschäftigungsort“ im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 EStG nicht auf ein statistisches Mittel abzustellen ist. Vielmehr ist im Rahmen der gebotenen weiten Auslegung danach zu fragen, ob Arbeitnehmer derartige Wegstrecken üblicherweise täglich zurücklegen bzw. ob ihnen ein tägliches Aufsuchen der Arbeitsstätte möglich ist. Dies ist der Fall. Im Übrigen bedarf es einer Abwägung der Gesamtumstände des Einzelfalls. Im Hinblick auf den zuvor dargestellten Hintergrund der Beschäftigungsaufnahme in A-Stadt hält der BFH die Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nicht für das ausschlaggebende Kriterium.

Finanzgericht Düsseldorf, Urteil vom 13. Oktober 2010 – 11 K 4448/10 E

  1. vgl. Drenseck, in: Schmidt, EStG, 30. Aufl.2011, § 9 Rn. 141[]
  2. BFH, Urteile vom 16.12.1981 – VI R 227/80, BFHE 135, 57, BStBl II 1982, 302; vom 09.11.1971 – VI R 96/70, BFHE 103, 506, BStBl II 1972, 134; FG Saarland, Urteil vom 25.06.1993 – 1 K 189/92, EFG 1994, 201; FG Münster, Urteil vom 19.10.1999 – 13 K 2468/94[]
  3. BFH, Beschluss vom 02.10.2008 – VI B 33/08[][]
  4. vgl. FG Saarland, Urteil vom 25.06.1993 – 1 K 189/92, EFG 1994, 201; von Bornhaupt, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 9 Rn. G 50; Hartz/Meeßen/Wolf, ABCFührer Lohnsteuer, „doppelte Haushaltsführung“ Rn. 46[]
  5. Wagner, in: Heuermann/Wagner, LohnSt, F, Rn. 313[]
  6. FG Berlin, Urteil vom 29.07.1985 – VIII 221/4, EFG 1986, 286[]
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