Die entsprechende Anwendung der Entfernungspauschale setzt gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a Satz 3 EStG voraus, dass der Arbeitnehmer den Ort oder das weiträumige Gebiet zur Aufnahme der Arbeit aufgrund einer Weisung des Arbeitgebers zum einen typischerweise arbeitstäglich und zum anderen auch dauerhaft aufzusuchen hat. Ein „typischerweise arbeitstägliches“ Aufsuchen erfordert kein ausnahmsloses Aufsuchen des vom Arbeitgeber festgelegten Orts oder Gebiets an sämtlichen Arbeitstagen des Arbeitnehmers. Ein nach Weisung „typischerweise fahrtägliches“ Aufsuchen genügt aber nicht.

Für die Frage, ob der Arbeitnehmer denselben Ort oder dasselbe weiträumige Tätigkeitsgebiet aufgrund der Weisung des Arbeitgebers „dauerhaft“ aufzusuchen hat, ist die Legaldefinition in § 9 Abs. 4 Satz 3 EStG entsprechend heranzuziehen.
Beruflich veranlasste Fahrtkosten sind Erwerbsaufwendungen. Handelt es sich bei den Aufwendungen des Arbeitnehmers um solche für die Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 4 EStG, ist zu deren Abgeltung für jeden Arbeitstag, an dem der Arbeitnehmer die erste Tätigkeitsstätte aufsucht, grundsätzlich eine Entfernungspauschale für jeden vollen Kilometer der Entfernung zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte von 0, 30 € anzusetzen (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Sätze 1 und 2 EStG)1.
Hat ein Arbeitnehmer keine erste Tätigkeitsstätte und hat er nach den dienst- oder arbeitsrechtlichen Festlegungen sowie den diese ausfüllenden Absprachen und Weisungen zur Aufnahme seiner beruflichen Tätigkeit dauerhaft denselben Ort typischerweise arbeitstäglich aufzusuchen (sog. Sammelpunkt), gilt § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG für die Fahrten von der Wohnung zu diesem Ort entsprechend (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a Satz 3 EStG).
Insoweit handelt es sich dem Grunde nach um eine Auswärtstätigkeit, so dass Verpflegungsmehraufwendungen und Übernachtungskosten unbeschadet der Anwendung der Entfernungspauschale zu gewähren sind. Solche Aufwendungen stehen vorliegend auch nicht im Streit.
Die Frage, ob ein Arbeitnehmer ohne erste Tätigkeitsstätte zur Aufnahme seiner beruflichen Tätigkeit dauerhaft denselben Ort oder dasselbe weiträumige Tätigkeitsgebiet typischerweise arbeitstäglich aufzusuchen hat, wird -wie im Fall der Zuordnung zu einer ersten Tätigkeitsstätte (§ 9 Abs. 4 Satz 2 EStG)- durch die dienst- oder arbeitsrechtlichen Festlegungen sowie die diese ausfüllenden Absprachen und Weisungen bestimmt (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a Satz 3 EStG).
Zu den arbeits- oder dienstrechtlichen Weisungen und Verfügungen (im weiteren Verlauf: arbeitsrechtliche) zählen alle schriftlichen, aber auch mündlichen Absprachen oder Weisungen2. Solche Absprachen und Weisungen können insbesondere im Arbeitsvertrag oder aber auch durch Ausübung des Direktionsrechts (beispielsweise im Beamtenverhältnis durch dienstliche Anordnung) kraft der Organisationsgewalt des Arbeitgebers oder Dienstherrn (im weiteren Verlauf: Arbeitgeber) erfolgen3.
Entscheidend ist, ob der Arbeitnehmer aus der Sicht ex ante nach den arbeitsrechtlichen Festlegungen dauerhaft denselben Ort oder dasselbe weiträumige Tätigkeitsgebiet typischerweise arbeitstäglich aufzusuchen hat.
Die arbeitsrechtliche Anordnung des Arbeitgebers als solche muss für ihre steuerliche Wirksamkeit nicht dokumentiert werden4. Die Feststellung einer entsprechenden Anordnung ist durch alle nach der Finanzgerichtsordnung zugelassenen Beweismittel möglich und durch das Finanzgericht im Rahmen einer umfassenden Würdigung aller Umstände des Einzelfalls zu treffen.
Die entsprechende Anwendung der Entfernungspauschale nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG setzt gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a Satz 3 EStG voraus, dass der Arbeitnehmer den Ort oder das weiträumige Gebiet zur Aufnahme der Arbeit aufgrund der Weisung des Arbeitgebers zum einen typischerweise arbeitstäglich und zum anderen auch dauerhaft aufzusuchen hat.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sah insoweit noch vor, dass der Arbeitnehmer „zur Aufnahme seiner beruflichen Tätigkeit dauerhaft denselben Ort oder dasselbe weiträumige Tätigkeitsgebiet aufzusuchen“ hat5. Ziel dabei war es, für die Fahrten zu einem vom Arbeitgeber dauerhaft festgelegten Ort, an dem sich der Arbeitnehmer aufgrund seiner arbeitsvertraglichen Festlegungen regelmäßig einzufinden oder seine dienstlichen Tätigkeiten regelmäßig aufzunehmen hat (z.B. Fahrten zu einem Busdepot oder Fährhafen), die Aufwendungen für die Fahrten von der Wohnung zu diesem Ort mit der Entfernungspauschale nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG als Werbungskosten zu berücksichtigen6. Ergänzt wurde dies auf Empfehlung des Finanzausschusses durch den Zusatz „typischerweise arbeitstäglich“7. Hierdurch sollte klargestellt werden, dass die vorgesehene Regelung lediglich für die Berufsgruppen gilt, die im Normalfall arbeitstäglich z.B. an einem vom Arbeitgeber festgelegten Ort ein Fahrzeug in Empfang nehmen, dort im Rahmen der Sammelbeförderung abgeholt werden oder z.B. ein ihnen zugewiesenes Waldgebiet, Hafengebiet oder einen Zustellbezirk aufsuchen8.
Nach dem Wortlaut „typischerweise“ ist nicht maßgebend, dass der Arbeitnehmer den vom Arbeitgeber bestimmten Ort oder das Gebiet im Veranlagungszeitraum ausnahmslos aufzusuchen hat. Vielmehr erfordert das Gesetz nur, dass er ihn nach der Anweisung „typischerweise arbeitstäglich“ aufzusuchen hat. Typischerweise meint „in der Regel üblich“, „im Normalfall“. Damit bringt der Wortsinn zum Ausdruck, dass das Gesetz gerade kein ausnahmsloses Aufsuchen an sämtlichen Arbeitstagen voraussetzt.
Wie das Bundesministerium der Finanzen zu Recht ausführt, kommt es auch nicht darauf an, dass hierbei eine bestimmte prozentuale oder tageweise Grenze überschritten wird. Maßgebend ist vielmehr, ob der Arbeitnehmer entsprechend der Weisung des Arbeitgebers den Ort in der Regel aufzusuchen hat. Ausnahmen sind mithin durchaus möglich, wie z.B. infolge einer Fortbildungsveranstaltung oder eines unvorhergesehenen Einsatzes.
Nicht ausreichend ist es entgegen der Ansicht des BMF jedoch, wenn der Arbeitnehmer bei wechselnden Einsatzorten weiß, dass er an jedem Arbeitstag, an dem er Fahrten von seiner Wohnung aus durchführen wird, immer den vom Arbeitgeber festgelegten Ort vor Aufnahme seiner beruflichen Tätigkeit aufzusuchen hat. Einem solchen Verständnis der Regelung steht der eindeutige Gesetzeswortlaut des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a Satz 3 EStG entgegen. Das Gesetz fordert ein „typischerweise arbeitstägliches“ Aufsuchen, so dass ein nur „typischerweise fahrtägliches“ Aufsuchen gerade nicht ausreicht.
Ein dauerhaftes Aufsuchen ist entsprechend der Legaldefinition in § 9 Abs. 4 Satz 3 EStG zu bejahen, wenn die Anordnung des Arbeitgebers zum Aufsuchen desselben Orts oder desselben weiträumigen Tätigkeitsgebiets unbefristet, für die Dauer des Dienstverhältnisses oder über einen Zeitraum von 48 Monaten hinaus erfolgt.
Im hier vomn Bundesfinanzhof entschiedenen Fall ist das in der Vorinstanz tätige Thüringer Finanzgericht9 ist von anderen Grundsätzen ausgegangen. Der Bundesfinanzhof kann aufgrund der von der Vorinstanz getroffenen Feststellungen nicht beurteilen, ob der Arbeitnehmer nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a Satz 3 EStG für seine Fahrten zum Betriebssitz des Arbeitgebers im Streitjahr tatsächlich nur die Entfernungspauschale beanspruchen kann. Nach den bindenden Feststellungen des Finanzgericht (§ 118 Abs. 2 FGO) hatte der Arbeitnehmer keine erste Tätigkeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 4 EStG. Das steht im Revisionsverfahren zu Recht auch nicht mehr im Streit. Der Bundesfinanzhof sieht deshalb insoweit von weiteren Ausführungen ab.
Das Thüringer Finanzgericht hat weiter festgestellt, dass der Arbeitnehmer zu seinen jeweiligen Arbeitsorten (Bau-/Einsatzstellen) entsprechend einer betriebsinternen Anweisung jeweils mit einem Sammelfahrzeug seines Arbeitgebers gelangte. Hiergegen haben die Arbeitnehmer keine Verfahrensrügen erhoben, so dass der Bundesfinanzhof auch an diese Feststellung nach § 118 Abs. 2 FGO gebunden ist. Dass das Aufsuchen des Betriebssitzes zum Zwecke des Weitertransports an die Einsatzorte im Streitfall nicht unbefristet -und damit nicht dauerhaft- erfolgen sollte, ist nicht vorgetragen und auch ansonsten nicht ersichtlich.
Das Thüringer Finanzgericht hat allerdings rechtsfehlerhaft ein typischerweise arbeitstägliches Aufsuchen des Betriebssitzes des Arbeitgebers als Sammelpunkt i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a Satz 3 EStG allein aufgrund der Anzahl der dorthin unternommenen Fahrten im Verhältnis zu den Gesamtarbeitstagen des Arbeitnehmer bejaht. Nach Maßgabe der vorstehenden Ausführungen hält dies einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand.
Im zweiten Rechtsgang wird das Thüringer Finanzgericht daher aufzuklären haben, ob der Arbeitnehmer gemäß den Weisungen des Arbeitgebers bei einer ex ante Betrachtung den Betriebssitz seines Arbeitgebers als von diesem festgelegten Ort (Sammelpunkt) auch typischerweise arbeitstäglich aufsuchen sollte. Dabei wird es u.a. entscheidend darauf ankommen, ob von vornherein feststand, dass der Arbeitnehmer nicht nur auf eintägigen Baustellen eingesetzt werden würde, sondern auch auf mehrtägigen Fernbaustellen. Hierfür kann auch die Betriebsstruktur des Arbeitgebers eine Rolle spielen. In diesem Fall läge aus ex ante Sicht kein typischerweise arbeitstägliches Aufsuchen des Betriebssitzes des Arbeitgebers vor. Denn dann hätte von vornherein festgestanden, dass der Arbeitnehmer den Betriebssitz nur an den Fahrtagen aufsuchen sollte. Ein nur typischerweise fahrtägliches Aufsuchen ist nach obigen Ausführungen aber nicht ausreichend.
Sollte das Finanzgericht demgegenüber zu der Erkenntnis gelangen, dass der Arbeitnehmer aus der ex ante Sicht grundsätzlich nur tageweise auf lokalen Baustellen eingesetzt werden sollte, es sich bei den tatsächlich erfolgten wiederholten mehrtägigen Einsätzen auf Fernbaustellen mithin um nicht absehbare Ausnahmen handelte, wäre der Tatbestand des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a Satz 3 EStG hingegen erfüllt. Denn nach obigen Ausführungen setzt ein aus ex ante Sicht typischerweise arbeitstägliches Aufsuchen nur voraus, dass dies in der Regel zu erfolgen hatte, ohne dass ein ausnahmsloses Aufsuchen erforderlich wäre.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 19. April 2021 – VI R 6/19
- BFH, Urteil vom 04.04.2019 – VI R 27/17, BFHE 264, 271, BStBl II 2019, 536[↩]
- BT-Drs. 17/10774, S. 15[↩]
- s. BFH, Urteil in BFHE 264, 271, BStBl II 2019, 536, Rz 16[↩]
- s. BFH, Urteil in BFHE 264, 271, BStBl II 2019, 536, Rz 17[↩]
- BT-Drs. 17/10774, S. 4[↩]
- BT-Drs. 17/10774, S. 13[↩]
- BT-Drs. 17/11180, S. 8[↩]
- BT-Drs. 17/11217, S. 7[↩]
- Thür. FG, Urteil vom 05.12.2018 – 1 K 594/16[↩]