Entlastungsbetrag für Alleinerziehende für einzeln veranlagte Ehegatten – im Trennungsjahr

Steuerpflichtige, die als Ehegatten nach §§ 26, 26a EStG einzeln zur Einkommensteuer veranlagt werden, können den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende im Jahr der Trennung zeitanteilig in Anspruch nehmen, sofern sie die übrigen Voraussetzungen des § 24b EStG erfüllen, insbesondere nicht in einer Haushaltsgemeinschaft mit einer anderen volljährigen, in § 24b Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 EStG nicht genannten Person leben.

Entlastungsbetrag für Alleinerziehende für einzeln veranlagte Ehegatten – im Trennungsjahr

Nach § 24b Abs. 1 Satz 1 EStG können allein stehende Steuerpflichtige einen Entlastungsbetrag von der Summe der Einkünfte abziehen, wenn zu ihrem Haushalt mindestens ein Kind gehört, für das ihnen ein Freibetrag nach § 32 Abs. 6 EStG oder Kindergeld zusteht. § 24b Abs. 3 Satz 1 EStG bestimmt, dass allein stehend i.S. von § 24b Abs. 1 EStG solche Steuerpflichtige sind, die nicht die Voraussetzungen für die Anwendung des Splitting-Verfahrens (§ 26 Abs. 1 EStG) erfüllen oder verwitwet sind und keine Haushaltsgemeinschaft mit einer anderen volljährigen Person bilden, es sei denn, für diese steht ihnen ein Freibetrag nach § 32 Abs. 6 EStG oder Kindergeld zu oder es handelt sich um ein Kind, das einen Dienst nach § 32 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 oder 2 EStG leistet oder eine Tätigkeit nach § 32 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 EStG ausübt. § 24b Abs. 4 EStG regelt, dass sich der Entlastungsbetrag für jeden vollen Kalendermonat, in dem die Voraussetzungen des § 24b Abs. 1 EStG nicht vorgelegen haben, um ein Zwölftel ermäßigt.

Die Vorschrift des § 24b Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 EStG ist dahin auszulegen, dass auch Steuerpflichtige, die als Ehegatten nach §§ 26, 26a EStG einzeln zur Einkommensteuer veranlagt werden, den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende im Jahr der Trennung zeitanteilig in Anspruch nehmen können, sofern sie die übrigen Voraussetzungen erfüllen, insbesondere nicht in einer Haushaltsgemeinschaft mit einer anderen volljährigen, in § 24b Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 EStG nicht genannten Person leben.

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Zwar erwähnt § 24b Abs. 3 Satz 1 EStG ausdrücklich das Splitting-Verfahren, auch wenn die Vorschrift lediglich auf die Voraussetzungen für die Anwendung des Splitting-Verfahrens abstellt und nicht verlangt, dass die Einkommensteuer tatsächlich nach dem Splitting-Verfahren bemessen wird, das gemäß § 32a Abs. 5 EStG im Fall der Zusammenveranlagung nach §§ 26, 26b EStG sowie in den in § 32a Abs. 6 EStG geregelten Sonderfällen anzuwenden ist. § 24b Abs. 3 Satz 1 EStG enthält jedoch zusätzlich den Klammerzusatz „§ 26 Abs. 1“ und verweist damit auf die in § 26 Abs. 1 EStG geregelten materiell-rechtlichen Voraussetzungen für beide Formen der Ehegattenveranlagung (Einzelveranlagung nach § 26a EStG bzw. Zusammenveranlagung nach § 26b EStG), nicht aber auf das Erfordernis der Ausübung des Ehegattenwahlrechts (§ 26 Abs. 2 EStG) sowie die Folgen einer unterbliebenen oder fehlerhaften Wahlrechtsausübung (§ 26 Abs. 3 EStG). Wegen § 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG sind die Voraussetzungen für die Ehegattenveranlagung schon dann für den gesamten Veranlagungszeitraum (das Kalenderjahr – § 25 Abs. 1 EStG -) erfüllt, wenn sie tatsächlich nur zeitweise gleichzeitig gegeben waren. Daraus leiten die Finanzverwaltung und -ihr folgend- die überwiegenden Stimmen im Schrifttum ab, dass die Gewährung des Entlastungsbetrages in jedem Fall ausgeschlossen ist, wenn Ehegatten der Ehegattenveranlagung unterliegen, und zwar unabhängig davon, ob sie eine Haushaltsgemeinschaft bilden oder nicht1.

Dieser Rechtsauffassung ist jedoch nicht zu folgen, da sie unberücksichtigt lässt, dass sich der Entlastungsbetrag für jeden Monat, in dem die Voraussetzungen des § 24b Abs. 1 EStG nicht vorliegen, um ein Zwölftel ermäßigt (§ 24b Abs. 4 EStG). Einige Stimmen in der Literatur befürworten daher die zeitanteilige Gewährung des Entlastungsbetrages2.

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Sinn und Zweck des Entlastungsbetrages für Alleinerziehende sprechen für die Anwendung des Monatsprinzips im Jahr der Trennung der Ehegatten und damit für die zeitanteilige Gewährung des Entlastungsbetrages.

Nach der Gesetzesbegründung3 diente die Einführung des Entlastungsbetrages für Alleinerziehende dazu, den regelmäßig höheren Lebensführungskosten von Steuerpflichtigen Rechnung zu tragen, die einen gemeinsamen Haushalt nur mit ihren Kindern führen („echte“ Alleinerziehende). Auch die Materialien zu den späteren Änderungen des § 24b EStG weisen die sog. „echten“ Alleinerziehenden als Begünstigte aus, welche einen gemeinsamen Haushalt nur mit ihren Kindern und keiner anderen erwachsenen Person führen, die tatsächlich oder finanziell zum Haushalt beiträgt4. Außerdem sollte mit § 24b EStG gewährleistet werden, dass nichteheliche (eheähnliche) Lebensgemeinschaften nicht in unzulässiger Weise gegenüber Ehepaaren begünstigt und Ehepaare benachteiligt werden5. Der Bundesfinanzhof hat in § 24b EStG eine verfassungsrechtlich nicht gebotene Begünstigung, mithin eine Sozialzwecknorm, gesehen6, mit der das Fehlen von Synergieeffekten durch eine gemeinsame Haushaltsführung mit einer anderen erwachsenen Person kompensiert werden soll7.

In der Situation eines Alleinerziehenden befinden sich auch Steuerpflichtige, die nach der Trennung der Ehegatten im Trennungsjahr allein mit ihren berücksichtigungsfähigen Kindern leben und die in dieser Zeit die alleinige Verantwortung für Haushalt und Kinder tragen. Die damit typischerweise verbundenen Belastungen entstehen unabhängig davon, ob die Voraussetzungen für die Anwendung des Splitting-Verfahrens allein deshalb erfüllt sind, weil der Steuerpflichtige im selben Veranlagungszeitraum auch einige Tage/Monate mit seinem Ehegatten zusammengelebt hat. Die zeitanteilige Entlastung dieser Elternteile entspricht somit dem Gesetzeszweck. Ein Ausgleich durch einen etwaigen Splitting-Vorteil scheidet im Fall der Einzelveranlagung nach §§ 26, 26a EStG aus.

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Auch aus der systematischen Stellung der Normen ergibt sich, dass dem Monatsprinzip aus § 24b Abs. 4 EStG der Vorrang vor der in § 24b Abs. 3 Satz 1 EStG in Bezug genommenen Regelung des § 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG zukommt.

Die Regelungen zum Splitting-Verfahren (§ 32a Abs. 5 und 6 EStG) gehören zu den Tarifvorschriften, die an das zu versteuernde Einkommen (§§ 2 Abs. 5, 32a Abs. 1 Satz 1 EStG) anknüpfen. Aufgrund des Charakters der Einkommensteuer als Jahressteuer sind die Besteuerungsgrundlagen auf das Kalenderjahr bezogen zu ermitteln (§ 2 Abs. 7 Sätze 1 und 2 EStG). Die Einkommensteuer wird nach dem Einkommen veranlagt, das der Steuerpflichtige im Veranlagungszeitraum bezogen hat (§ 25 Abs. 1 EStG). Grundsätzlich bemisst sich die Einkommensteuer dabei nach dem in § 32a Abs. 1 EStG geregelten Tarif. Für den Fall sich innerhalb des Jahres ändernder tatsächlicher Umstände hat der Gesetzgeber mit § 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG entschieden, es für die Gewährung des Splittingtarifs anstelle des Grundtarifs ausreichen zu lassen, wenn die Ehegatten die in § 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 EStG genannten Voraussetzungen für die Zusammenveranlagung während nur eines Teils des Veranlagungszeitraums gleichzeitig erfüllt haben.

Die Vorschrift des § 24b EStG ist dagegen eine Freibetragsregelung, die auf der Ebene der Ermittlung des Gesamtbetrages der Einkünfte nach § 2 Abs. 3 EStG anzuwenden ist. Als solche kann sie wegen des in § 24b Abs. 4 EStG geregelten Monatsprinzips differenziert die sich im Laufe des Veranlagungszeitraums ändernden Verhältnisse berücksichtigen. Hierzu zählen nicht nur Änderungen hinsichtlich der Kinder, sondern ebenso solche, die den Status des „Alleinstehens“ betreffen, denn der in § 24b Abs. 4 EStG in Bezug genommene § 24b Abs. 1 EStG enthält auch den in § 24b Abs. 3 EStG definierten Begriff des allein stehenden Steuerpflichtigen8.

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Einer zeitanteiligen Gewährung des Freibetrages im Jahr der Trennung steht auch nicht entgegen, dass § 24b Abs. 3 Satz 1 EStG Verwitwete ausdrücklich in den Anwendungsbereich des Entlastungsbetrages einbezieht. Verwitwete können nach § 32a Abs. 6 EStG das Splitting-Verfahren auch noch in dem Veranlagungszeitraum in Anspruch nehmen, der auf das Kalenderjahr folgt, in dem der Ehegatte verstorben ist. Sie befinden sich zugleich -sofern sie nicht eine Haushaltsgemeinschaft i.S. des § 24b Abs. 3 Satz 1 Alternative 2 EStG begründet haben- aber in der Situation eines „echten“ Alleinerziehenden, d.h. leben in einer Erziehungsgemeinschaft, zu der nur ein Erwachsener gehört, und unterliegen mithin typischerweise den Belastungen, deren Ausgleich der Entlastungsbetrag dienen soll. Ihre Berücksichtigung ist daher folgerichtig und lässt nicht eindeutig den Schluss zu, dass der Gesetzgeber Steuerpflichtige, die der Ehegattenveranlagung (Einzel- oder Zusammenveranlagung) unterliegen, aus dem Anwendungsbereich des § 24b EStG ausnehmen wollte.

Entgegen der vom Finanzamt vertretenen Auffassung ist aus der Ausgestaltung der Lohnsteuerklasse – II gemäß § 38b Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 EStG nicht zu schlussfolgern, dass eine Gewährung des Entlastungsbetrages für Alleinerziehende an ein Elternteil im Trennungsjahr ausgeschlossen ist.

Die Lohnsteuererhebung ist ebenso wie die Erhebung von Einkommensteuer-Vorauszahlungen ihrem Charakter nach lediglich eine Vorauszahlung auf die mit Ablauf des Jahres entstehende Einkommensteuerschuld9. Dabei führen die Besonderheiten des Lohnsteuerabzugsverfahrens dazu, dass die einbehaltenen Lohnsteuerbeträge nicht stets der geschuldeten Einkommensteuer entsprechen10. Auch eine (verfahrensrechtliche oder tatsächliche) Bindungswirkung von im Rahmen des Lohnsteuerabzugsverfahrens getroffenen Entscheidungen besteht für die Einkommensteuerveranlagung des Arbeitnehmers regelmäßig nicht11.

Die vom Bundesfinanzhof als zutreffend angesehene Auslegung des § 24b Abs. 3 und 4 EStG vermeidet zudem mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich bedenkliche Ergebnisse.

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6 Abs. 1 GG enthält einen besonderen Gleichheitssatz, der verbietet, Ehe und Familie gegenüber anderen Lebens- und Erziehungsgemeinschaften schlechter zu stellen. Art. 6 Abs. 1 GG untersagt eine Benachteiligung von Ehegatten gegenüber Ledigen, von Eltern gegenüber Kinderlosen und von ehelichen gegenüber anderen Erziehungsgemeinschaften. Dieses Benachteiligungsverbot steht einer belastenden Differenzierung entgegen, die an die Existenz einer Ehe (Art. 6 Abs. 1 GG) oder die Wahrnehmung des Elternrechts in ehelicher Erziehungsgemeinschaft (Art. 6 Abs. 1 und 2 GG) anknüpft12.

Die zeitanteilige Gewährung des Freibetrages verhindert eine Benachteiligung von Steuerpflichtigen, die sich im Laufe eines Jahres von ihrem Ehepartner getrennt und anschließend die Kinder allein im Haushalt versorgt haben. Sie dürfen steuerrechtlich nicht schlechter gestellt werden im Vergleich zu nicht verheirateten Steuerpflichtigen, die sich trennen und die Haushaltsgemeinschaft beenden und die den Entlastungsbetrag für die haushaltszugehörigen Kinder danach zeitanteilig zweifelsfrei beanspruchen können.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 28. Oktober 2021 – III R 17/20

  1. vgl. BMF, Anwendungsschreiben vom 23.10.2017 – IV C 8-S 2265a/14/10005, BStBl I 2017, 1432, Rz 6; Krömker in Herrmann/Heuer/Raupach -HHR-, § 24b EStG Rz 9; Seiler in Kirchhof/Seer, EStG, 20. Aufl., § 24b Rz 5; Kirchhof/Kulosa/Ratschow/Fissenewert EStG § 24b Rz 96 und 98; Schmidt/Loschelder, EStG, 40. Aufl., § 24b Rz 18; KKB/Kläne, § 24b EStG, 6. Aufl., Rz 66 und 67; Pust in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 24b Rz 131; Geurts, in Frotscher/Geurts, EStG, § 24b Rz 32; Hillmoth in Lippross/Seibel, Basiskommentar Steuerrecht, Stand 128. Lieferung 10.2021, § 24b EStG Rz 36; Steiner in Lademann, EStG, § 24b EStG Rz 6 und 7 sowie 23; Droege in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 24b Rz D 3; Debus in Bordewin/Brandt, § 24b EStG Rz 59; Bernhard, Neue Wirtschafts-Briefe 39/2004, 3015; Horvath, Steuer und Studium -SteuerStud- 6/2005, 283; Plenker/Schaffhausen, Der Betrieb 2004, 2440[]
  2. Brandis/Heuermann/Selder, § 24b EStG Rz 27; Proff zu Irnich, Deutsches Steuerrecht 2004, 1904; Ross, Deutsche Steuer-Zeitung -DStZ- 2004, 437; Siegle, SteuerStud 2004, 339; abweichend Schulenburg, DStZ 2007, 428[]
  3. BT-Drs. 15/1751, S. 6[]
  4. BT-Drs. 15/3339, S. 11; BT-Drs. 18/5244, S. 29[]
  5. BT-Drs. 15/3339, S. 11[]
  6. vgl. BFH, Urteil vom 19.10.2006 – III R 4/05, BFHE 215, 217, BStBl II 2007, 637, unter II. 2.c cc[]
  7. BFH, Urteil vom 25.10.2007 – III R 104/06, BFH/NV 2008, 545, unter II. 2. unter Hinweis auf BT-Drs. 15/1751, S. 6[]
  8. so z.B. auch BMF, Schreiben in BStBl I 2017, 1432, Rz 26; Seiler in Kirchhof/Seer, a.a.O., § 24b Rz 7; Seifert in Korn, § 24b EStG Rz 42; HHR/Krömker, § 24b EStG Rz 17; Debus in Bordewin/Brandt, § 24b EStG Rz 90 und 91[]
  9. BFH, Urteil vom 09.12.2009 – X R 28/07, BFHE 227, 165, BStBl II 2010, 348, unter III. 2.[]
  10. BFH-Vorlagebeschluss vom 22.05.2006 – VI R 46/05, BFHE 213, 536, BStBl II 2006, 820, unter III. 2.a; BFH, Urteil vom 10.01.1992 – VI R 117/90, BFHE 167, 52, BStBl II 1992, 720, unter 4.[]
  11. BFH, Beschlüsse vom 02.10.2017 – VI B 9/17, BFH/NV 2018, 200, Rz 8; und vom 10.04.2007 – VI B 134/06, BFN/NV 2007, 1309, unter 2.; BFH, Urteil vom 13.01.1989 – VI R 66/87, BFHE 156, 412, BStBl II 1989, 1030, unter 1.[]
  12. BVerfG, Beschluss vom 10.11.1998 – 2 BvR 1057/91, BStBl II 1999, 182, BVerfGE 99, 216, Rz 65[]
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