Erstattete Krankenversicherungsbeiträge – und der Sonderausgabenabzug

Die gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3 EStG ab 2010 unbeschränkt abziehbaren Basiskranken- und Pflegeversicherungsbeiträge müssen auch dann vorrangig mit den im selben Veranlagungszeitraum erstatteten Beiträgen zur Basiskranken- und Pflegeversicherung verrechnet werden, wenn diese im Jahr ihrer Zahlung nur beschränkt steuerlich abziehbar waren.

Erstattete Krankenversicherungsbeiträge – und der Sonderausgabenabzug

Erstattete Beiträge zur Basiskranken- und Pflegeversicherung sind also mit den in demselben Veranlagungsjahr gezahlten Beiträgen zu verrechnen. Es kommt dabei nicht darauf an, ob und in welcher Höhe der Steuerpflichtige die erstatteten Beiträge im Jahr ihrer Zahlung steuerlich abziehen konnte.

Im hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall1 hatte die private Krankenversicherung dem Kläger im Jahr 2010 einen Teil seiner im Jahr 2009 für sich und seine Familienmitglieder gezahlten Beiträge für die Basiskranken- und Pflegeversicherung erstattet. Diese Beiträge hatte der Kläger im Jahr 2009 lediglich in einem nur begrenzten Umfang steuerlich geltend machen können. Erst seit dem Bürgerentlastungsgesetz Krankenversicherung sind ab 2010 die Beiträge zur Basiskranken- und Pflegeversicherung gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3 EStG in voller Höhe als Sonderausgaben abziehbar.

Nach ständiger Rechtsprechung sind erstattete Sonderausgaben, zu denen u.a. Krankenversicherungsbeiträge gehören, mit den in diesem Jahr gezahlten gleichartigen Sonderausgaben zu verrechnen. Daher minderte das Finanzamt im Streitfall die abziehbaren Sonderausgaben des Klägers. Hiermit war der Kläger nicht einverstanden. Seine Klage vor dem Niedersächsischen Finanzgericht hatte Erfolg2, in Parallelfällen gaben andere Finanzgerichte hingegen der Finanzverwaltung Recht. Der Bundesfinanzhof gab nun ebenfalls der Finanzverwaltung Recht und wies im Streitfall auf Revision des Finanzamtes die Klage ab:

Nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs ist die Beitragsverrechnung auch dann vorzunehmen, wenn die erstatteten Beiträge im Jahr ihrer Zahlung nur beschränkt abziehbar waren. An der Verrechnung von erstatteten mit gezahlten Sonderausgaben habe sich durch das Bürgerentlastungsgesetz Krankenversicherung nichts geändert. Für die Gleichartigkeit der Sonderausgaben als Verrechnungsvoraussetzung seien die steuerlichen Auswirkungen nicht zu berücksichtigen. Die Änderung der gesetzlichen Rahmenbedingungen führe auch dann zu keinem anderen Ergebnis, wenn aufgrund der Neuregelung die Sonderausgaben nicht mehr beschränkt, sondern unbeschränkt abziehbar sind.

Die im Jahr 2010 vorgenommene Verrechnung steht schließlich nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, nach der ab dem Jahr 2010 die Kranken- und Pflegeversicherungskosten steuerlich zu berücksichtigen sind, soweit sie den verfassungsrechtlich gebotenen Basisschutz gewährleisten. Denn dies gilt nur für die Aufwendungen, durch die der Steuerpflichtige tatsächlich wirtschaftlich endgültig belastet wird. Zwar führen die Beitragszahlungen zu einer wirtschaftlichen Belastung. Diese entfällt aber im Umfang der gleichartigen Beitragsrückerstattungen.

Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 EStG sind bestimmte im Einzelnen aufgeführte „Aufwendungen“ als Sonderausgaben abziehbar. Aus der Verwendung des Begriffs „Aufwendungen“ und aus dem Zweck des § 10 EStG, bestimmte die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen mindernde Privatausgaben vom Ab-zugsverbot des § 12 Nr. 1 EStG auszunehmen, folgt nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung, dass nur solche Ausgaben als Sonderausgaben berücksichtigt werden dürfen, durch die der Steuerpflichtige tatsächlich und endgültig wirtschaftlich belastet ist3.

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Bei den in der Regel jährlich wiederkehrenden Sonderausgaben, wie z.B. den Versicherungsbeiträgen oder der Kirchensteuer, steht häufig die endgültige Belastung im Zahlungsjahr noch nicht fest, weil dem Steuerpflichtigen nach Ablauf des Veranlagungszeitraums Versicherungsbeiträge oder Kirchensteuern erstattet werden. In diesen Fällen sind nach ständiger BFH-Rechtsprechung und Verwaltungspraxis die erstatteten Beiträge mit den im Jahr der Erstattung gezahlten gleichartigen Sonderausgaben zu verrechnen, so dass nur der Saldo zum Abzug als Sonderausgaben verbleibt4.

Eine solche Verrechnung im Erstattungsjahr ist jedoch dann nicht möglich, wenn in diesem Veranlagungszeitraum nicht genügend verrechenbare gleichartige Sonderausgaben zur Verfügung stehen, sei es, weil gar keine gleichartigen Sonderausgaben angefallen sind oder weil die erstatteten Sonderausgaben höher sind als die gezahlten gleichartigen Sonderausgaben5. Die Verrechnung der erstatteten mit den gezahlten Sonderausgaben ist bei einem entstandenen Erstattungsüberhang damit im Jahr der Zahlung geboten, weil anderenfalls nicht mehr zu rechtfertigende Steuervorteile einträten6.

Die Konsequenz dieser Ausnahme ist aber nicht, dass hierdurch der Grundsatz der vorrangigen Verrechnung im Erstattungsjahr durchbrochen würde und die gesamte Erstattung im Zahlungsjahr mit den dort geleisteten Sonderausgaben zu verrechnen wäre. Vielmehr mindert der Erstattungsüberhang -und nur dieser- über § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO den Sonderausgabenabzug im Zahlungsjahr7.

Das Vorbringen der Kläger, die von ihnen zu viel gezahlten Beiträge seien ohne Rechtsgrund geleistet worden, ist ohne Bedeutung. Für die hier allein entscheidende Rechtsfrage, ob „Aufwendungen“ i.S. des § 10 EStG vorliegen, ist der Rechtsgrund für die Erstattung unerheblich8. Auch hat der Bundesfinanzhof in der vergleichbaren Konstellation, in der Versicherungsbeiträge mangels bestehender Versicherungspflicht erstattet wurden, bereits entschieden, dass die erstatteten Beiträge (zunächst) mit den im Jahr der Erstattung gezahlten Beiträgen zu verrechnen sind9.

An dieser Rechtsprechung hält der Bundesfinanzhof fest. Die notwendige wirtschaftliche Belastung von als Sonderausgaben abziehbaren Aufwendungen mindert sich wegen einer Erstattung erst in dem Jahr, in dem sie dem Steuerpflichtigen tatsächlich dauerhaft zugeflossen ist. Dabei ist es unerheblich, auf welcher Rechtsgrundlage die Erstattung beruht und/oder ob sie materiell zu Recht oder zu Unrecht erfolgt ist. Entscheidend ist vielmehr, dass die Krankenkasse davon ausgeht, die Erstattung stehe dem Versicherten auch tatsächlich zu10.

Voraussetzung für die im Erstattungsjahr vorzunehmende Verrechnung ist indes, dass es sich um gleichartige Sonderausgaben handelt. Die unterschiedlichen steuerlichen Auswirkungen der Sonderausgaben im Zahlungs- und Erstattungsjahr sind bei der Beurteilung der Gleichartigkeit unbeachtlich.

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Die im Jahr 2011 erstatteten Krankenversicherungsbeiträge sind mit den von den Klägern in den Jahren 2005 bis 2010 gezahlten Krankenversicherungsbeiträgen gleichartig, soweit sie auf die Basisabsicherung entfallen.

Der Bundesfinanzhof hat bereits entschieden, dass sich die Gleichartigkeit der Sonderausgaben nach deren Sinn und Zweck sowie der wirtschaftlichen Bedeutung und den Auswirkungen für den Steuerpflichtigen richtet. Bei Versicherungsbeiträgen kommt es dabei auf die Funktion der Versicherung und das abgesicherte Risiko an11.

Dies zugrunde gelegt, bestehen keine Zweifel, dass im Streitfall die erstatteten mit den gezahlten Krankenversicherungsbeiträgen i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a EStG verrechnet werden können. Sie entfallen auf Vertragsleistungen, die -mit Ausnahme der auf das Krankengeld entfallenden Beitragsanteile- in Art, Umfang und Höhe den Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB V vergleichbar sind12.

Das Vorbringen der Kläger, den -nicht geschuldeten- Beiträgen habe keine Gegenleistung in Form von besseren und erweiterten Krankenversicherungsleistungen gegenüber gestanden, so dass sie keine (verrechenbaren) Beiträge, sondern lediglich „beitragsähnliche“ oder „sonstige“ Zahlungen seien, führt zu keiner anderen Beurteilung. Der Aspekt, durch die zu Unrecht erhobenen und später erstatteten Beiträge werde der Versicherungsschutz nicht verbessert, ist in diesem Zusammenhang unbeachtlich, wie der Bundesfinanzhof bereits in seinem Urteil in BFHE 186, 521, BStBl II 1999, 95 entschieden hat. In dem dortigen Sachverhalt ging es um Sozialversicherungsbeiträge, die einem Gesellschafter-Geschäftsführer mangels Sozialversicherungspflicht erstattet worden waren. Auch diese Beitragserstattungen konnten verrechnet werden, obwohl die zu Unrecht entrichteten Sozialversicherungsbeiträge kein Versicherungsverhältnis begründeten und nicht dazu berechtigten, Sozialversicherungsleistungen in Anspruch zu nehmen13.

Die unterschiedliche steuerliche Entlastung der Krankenversicherungsbeiträge in den Jahren 2005 bis 2009 einerseits und im Streitjahr 2011 andererseits führt zu keinem anderen Ergebnis.

Bereits in seinem Urteil in BFHE 226, 67, BStBl II 2010, 38 hat der Bundesfinanzhof bei der Prüfung der Gleichartigkeit der Sonderausgaben die steuerlichen Auswirkungen unberücksichtigt gelassen. In seinem Beschluss in BFH/NV 2010, 1250 hat er explizit ausgeführt, dass die Verrechnung im Erstattungsjahr nicht davon abhängt, ob sie auch im Zahlungsjahr möglich gewesen wäre oder wie sich der Sonderausgabenabzug im Zahlungsjahr ausgewirkt habe. Er hat ausdrücklich die Rechtsansicht abgelehnt, die Verrechnung im Erstattungsjahr setze umgekehrt eine steuerliche Auswirkung des Sonderausgabenabzugs im Zahlungsjahr voraus, da dadurch zu Unrecht die Verrechnungsmöglichkeit mit der steuerlichen Auswirkung gleichgesetzt werde14.

Die Bundesfinanzhofsrechtsprechung kann demzufolge in bestimmten Fällen dazu führen, dass gezahlte Sonderausgaben sich steuerlich nicht auswirken, obwohl eine tatsächliche und endgültige wirtschaftliche Belastung vorliegt. Andererseits kann in anderen Fällen die vorrangige Verrechnung im Erstattungsjahr auch bewirken, dass Erstattungen von Sonderausgaben im Ergebnis steuerlich unbeachtlich sind, obwohl die frühere Zahlung der Sonderausgaben zu einer Steuerminderung geführt hat. Daraus hat der Bundesfinanzhof geschlossen, dass die Verrechnungsmethode unter systematischen Gesichtspunkten zu Gunsten und zu Lasten der Steuerpflichtigen belastungsneutral sei15. Dieser Grundsatz muss ebenfalls gelten, wenn sich die gesetzlichen Rahmenbedingungen ändern.

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Dabei macht es keinen Unterschied, wenn die Änderung -wie im Streitfall- darin besteht, dass Sonderausgaben nicht mehr beschränkt, sondern unbeschränkt abziehbar sind oder eine bislang bestehende unbeschränkte Abziehbarkeit beschränkt wird. So kann sich die Berücksichtigung der erstatteten Sonderausgaben im Erstattungs- und nicht im Zahlungsjahr für den Steuerpflichtigen, wie der Streitfall zeigt, zwar negativ auswirken, wenn ein Teil der Sonderausgaben im Zahlungsjahr nicht abziehbar war. Andererseits wäre die Verrechnung im Erstattungsjahr bei einem in diesem Jahr nunmehr gesetzlich eingeschränkten Sonderausgabenabzug für den Steuerpflichtigen positiv.

Die Belastungsneutralität zeigt sich entsprechend auch in den Fällen, in denen Sonderausgaben nachzuzahlen sind und sich die steuerliche Abziehbarkeit zwischenzeitlich geändert hat.

Eine andere Beurteilung ergibt sich nach Auffassung des Bundesfinanzhofs auch nicht daraus, dass durch das Bürgerentlastungsgesetz Krankenversicherung vom 16.07.200916 die steuerliche Berücksichtigung der Aufwendungen zur Absicherung der Krankheitskosten neu geregelt wurde und die Beiträge für die Basisabsicherung gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3 EStG ab dem Streitjahr 2010 unbegrenzt abziehbar sind, während die Aufwendungen für eine zusätzliche Krankheitsabsicherung nur unter den Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Nr. 3a EStG berücksichtigt werden können17.

Der Gesetzgeber hat erkennbar lediglich den Umfang der Abziehbarkeit der Krankenversicherungsbeiträge -den Vorgaben des BVerfG in BVerfGE 120, 125 folgend- verbessern, nicht aber die Systematik der Verrechnung von Sonderausgaben verändern wollen. Dies zeigt bereits die Gesetzesbegründung, in der ausdrücklich ausgeführt wird, dass die im Veranlagungszeitraum erstatteten Beiträge für eine existenznotwendige Krankenversorgung die abziehbaren Beiträge minderten, weil insoweit eine Belastung der steuerpflichtigen Person nicht gegeben sei18.

Dem Gesetzeswortlaut ist ebenfalls nicht zu entnehmen, dass eine Verrechnung von erstatteten Beiträgen, die im Zahlungsjahr nur beschränkt steuerlich abziehbar waren, mit den nunmehr unbeschränkt berücksichtigungsfähigen Beiträgen zu Basiskranken- und Pflegepflichtversicherungen ausnahmsweise nicht möglich sein soll. Eine dementsprechende Regelung wäre aber erforderlich gewesen.

Der Wille des Gesetzgebers, bereits im Jahr 2010 Beitragsrückerstattungen mit den gezahlten Beiträgen zu verrechnen, zeigt sich zudem in dem durch das Bürgerentlastungsgesetz Krankenversicherung geschaffenen Pflichtveranlagungstatbestand des § 46 Abs. 2 Nr. 3 EStG, der bereits ab dem Veranlagungszeitraum 2010 gilt. Durch diese Vorschrift soll sichergestellt werden, dass Arbeitnehmer keine ungerechtfertigten Vorteile haben, wenn den im Lohnsteuerabzugsverfahren pauschal berücksichtigten Beiträgen für eine Kranken- und gesetzliche Pflegeversicherung keine Aufwendungen in entsprechender Höhe gegenüberstehen. Bei der Einkommensteuerveranlagung werden dann nur die tatsächlichen Versicherungsbeiträge berücksichtigt. Einer der Anwendungsfälle des § 46 Abs. 2 Nr. 3 EStG sind die in der Gesetzesbegründung ausdrücklich aufgeführten Beitragsrückerstattungen19. Hätte der Gesetzgeber die Erstattungen der bis 2009 nur begrenzt abziehbaren Krankenversicherungsbeiträge hiervon ausnehmen wollen, hätte es einer ausdrücklichen Gesetzesregelung bedurft. Eine solche fehlt indes.

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Die Gleichartigkeit der Krankenversicherungsbeiträge der Jahre 2009 und 2010 ist nicht deswegen zu verneinen, weil es der Gesetzgeber bei der Schaffung des § 10 Abs. 4b EStG durch das Steuervereinfachungsgesetz 2011 abgelehnt hat, Erstattungsüberhänge bei den nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a EStG anzusetzenden Krankenversicherungsbeiträgen mit den nach § 10 Abs. 1 Nr. 3a EStG zu berücksichtigenden Beiträgen zu verrechnen, wie dies noch im Gesetzentwurf vorgesehen war20.

§ 10 Abs. 4b des Einkommensteuergesetzes in der Fassung des Steuervereinfachungsgesetzes 2011 vom 01.11.201121 regelt erstmals gesetzlich die Behandlung von Erstattungsüberhängen bei Sonderausgaben, wobei der Gesetzgeber erkennbar von der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Verrechnung der Erstattungen und Zahlungen von gleichartigen Sonderausgaben im Zahlungsveranlagungszeitraum ausgegangen ist22. Aus den -teilweise- neu normierten und auch bei den einzelnen Sonderausgaben unterschiedlichen Rechtsfolgen bei Erstattungsüberhängen, mit denen der durch sie verursachte Aufwand ab 2012 „weitgehend“ vermieden werden sollte23, kann indes nicht geschlossen werden, dass hierdurch die Kriterien zur Prüfung der Gleichartigkeit von Sonderausgaben grundlegend geändert werden sollten.

Die im Jahr 2010 vom Finanzamt vorgenommene Verrechnung der er-statteten mit den geleisteten Beiträgen steht auch nicht im Widerspruch zu den Aussagen des BVerfG in seinem Beschluss in BVerfGE 120, 125. Danach ist es mit den Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art.20 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes unvereinbar, wenn der Sonderausgabenabzug die Beiträge zu einer privaten Krankheitskostenversicherung (Vollversicherung) und einer privaten Pflegepflichtversicherung nicht ausreichend erfasst, die dem Umfang nach erforderlich sind, um dem Steuerpflichtigen und seiner Familie eine sozialhilfegleiche Kranken- und Pflegeversorgung zu gewährleisten.

Das Bundesverfassungsgericht geht in seiner Entscheidung nicht ausdrücklich auf die ständige höchstrichterliche Rechtsprechung und Verwaltungspraxis zur möglichen Verrechnung gleichartiger Sonderausgaben ein, sie wird von ihm vielmehr vorausgesetzt. Diese Rechtsprechung beruht -wie unter II. 1. dargestellt- darauf, dass Voraussetzung für den Sonderausgabenabzug die endgültige wirtschaftliche Belastung des Steuerpflichtigen ist. Dies war vom Bundesverfassungsgericht auch bereits vorher anerkannt worden24.

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Wenn das Bundesverfassungsgericht unter dieser Prämisse in seinem Beschluss in BVerfGE 120, 125 die verfassungsrechtliche Vorgabe macht, ab dem Jahr 2010 müssten die Kranken- und Pflegeversicherungskosten steuerlich berücksichtigt werden, die den verfassungsrechtlich gebotenen Basisschutz gewährleisten, können damit nur die Aufwendungen gemeint sein, durch die der Steuerpflichtige tatsächlich wirtschaftlich endgültig belastet ist. Eine solche wirtschaftliche Belastung liegt zunächst zwar in den Beitragszahlungen, sie wird aber um die verrechneten gleichartigen Beitragsrückerstattungen reduziert. Diese tatsächliche Belastung ist -entsprechend den Vorgaben des BVerfG- vollständig steuerlich abziehbar.

Die im Jahr 2010 gezahlten Beiträge des Klägers zur Kranken- und Pflegeversicherung konnten sowohl um die in diesem Jahr erstatteten Beiträge für die Jahre 2008 und 2009 als auch um den anteiligen Erstattungsüberhang aus dem Jahr 2011 gekürzt werden.

Zunächst weisen das Niedersächsische Finanzgericht und das Finanzamt zu Recht darauf hin, dass § 351 Abs. 1 AO der von den Klägern begehrten Änderung der Einkommensteuerfestsetzung für 2010 in Bezug auf die in diesem Jahr erstatteten Beiträge für die Jahre 2008 und 2009 entgegensteht. Der streitgegenständliche Änderungsbescheid vom 17.12 2013, in dem die als Sonderausgaben abziehbaren Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge um erstattete Beiträge in Höhe von insgesamt 1.624 EUR (= Erstattung für die Jahre 2008 und 2009 von 1.329 EUR und der auf das Jahr 2010 entfallende Erstattungsüberhang von 295 EUR) gekürzt wurden, änderte den bereits bestandskräftigen Bescheid vom 14.11.2011, durch den die als Sonderausgaben abziehbaren Beiträge bereits um die von der Krankenkasse für die Jahre 2008 und 2009 erstatteten Beiträge in Höhe von 1.329 EUR gemindert worden waren.

Aber selbst wenn ein bestandskräftiger Bescheid nicht vorgelegen hätte, wäre die Verrechnung der im Jahr 2010 erstatteten Beiträge aus den dargestellten Gründen nicht zu beanstanden gewesen.

Die weitere Minderung der im Jahr 2010 gezahlten Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge um den anteiligen Erstattungsüberhang ist rechtmäßig. Sie entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, wonach in dem Fall, in dem im Jahr der Erstattung die erstatteten die gezahlten (gleichartigen) Sonderausgaben übersteigen (sog. Erstattungsüberhang), der Sonderausgabenabzug im Zahlungsjahr über § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO wegen Eintritts eines rückwirkenden Ereignisses zu korrigieren ist25. Hieran hat sich auch durch das Bürgerentlastungsgesetz Krankenversicherung nichts geändert.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 6. Juli 2016 – X R 6/14

  1. ebenso BFH, Urteile vom 06.07.2016 – X R 22/14; und vom 03.08.2016 – X R 35/15[]
  2. Nds. Finanzgericht, Urteil vom 18.12 2013 – 4 K 139/13, EFG 2014, 832[]
  3. vgl. z.B. BFH, Urteil vom 28.05.1998 – X R 7/96, BFHE 186, 521, BStBl II 1999, 95, unter II. 3.a, m.w.N.; s. dazu auch BVerfG, Beschluss vom 18.02.1988 1 BvR 930/86, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung -HFR- 1989, 271, unter 1.b[]
  4. zur Verrechnung von Beitragsrückerstattungen BFH, Urteile vom 20.02.1970 – VI R 11/68, BFHE 98, 357, BStBl II 1970, 314, und in BFHE 186, 521, BStBl II 1999, 95, unter 3.c; s. auch Amtliches Einkommensteuer-Handbuch 2015 H 10.1 Abs. 2[]
  5. vgl. BFH, Urteil in BFHE 186, 521, BStBl II 1999, 95, unter 3.c[]
  6. vgl. BFH, Urteil vom 07.07.2004 – XI R 10/04, BFHE 207, 28, BStBl II 2004, 1058, unter II. 1.[]
  7. s. BFH, Entscheidungen in BFHE 186, 521, BStBl II 1999, 95, Rz 19; und vom 19.01.2010 – X B 32/09, BFH/NV 2010, 1250, Rz 5[]
  8. s. BFH, Urteil in BFHE 207, 28, BStBl II 2004, 1058, Rz 13[]
  9. BFH, Urteil in BFHE 186, 521, BStBl II 1999, 95, Rz 19[]
  10. vgl. auch BFH, Urteile vom 26.11.2008 – X R 24/08, BFH/NV 2009, 568, Rz 14; und vom 23.02.2005 – XI R 68/03, BFH/NV 2005, 1304, Rz 13[]
  11. BFH, Urteil vom 21.07.2009 – X R 32/07, BFHE 226, 67, BStBl II 2010, 38[]
  12. s. hierzu auch Stöcker in Bordewin/Brandt, § 10 EStG Rz 596[]
  13. vgl. z.B. Reiserer/Schulte, Betriebs-Berater 1995, 2162, unter II. 4.a; Brinkmeier, GmbH-StB 1998, 338[]
  14. BFH, Beschluss in BFH/NV 2010, 1250, Rz 7[]
  15. BFH, Beschluss in BFH/NV 2010, 1250, Rz 8 ff.[]
  16. BGBl I 2009, 1959[]
  17. im Ergebnis ebenso Finanzgericht Düsseldorf, Urteil vom 19.11.2013 13 K 3456/12 E, EFG 2014, 260, unter II. 2.b dd; Schmidt/Heinicke, EStG, 35. Aufl., § 10 Rz 7; a.A. Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 18.12 2013 4 K 139/13, EFG 2014, 832, Rz 25 ff., Revision – X R 6/14; FG Köln, Urteil vom 06.02.2014 10 K 2042/12, EFG 2014, 906, Rz 18, Revision – X R 22/14; wohl auch Finanzgericht Düsseldorf, Urteil vom 06.06.2014 1 K 2873/13 E, EFG 2014, 1789, Rz 27[]
  18. BT-Drs. 16/12254, S. 22[]
  19. BT-Drs. 16/12254, S. 27[]
  20. vgl. BT-Drs. 17/5125, S. 37[]
  21. BGBl I 2011, 2131[]
  22. vgl. dazu BT-Drs. 17/5125, S. 37; ebenso Blümich/Hutter, § 10 EStG Rz 33[]
  23. BT-Drs. 17/5125, S. 37[]
  24. vgl. z.B. BVerfG, Beschluss in HFR 1989, 271, unter 1.b[]
  25. vgl. Entscheidungen in BFHE 186, 521, BStBl II 1999, 95; in BFHE 207, 28, BStBl II 2004, 1058; vom 08.09.2004 – XI R 28/04, BFH/NV 2005, 321; in BFH/NV 2005, 1304; in BFH/NV 2009, 568; vom 21.02.2013 – X B 110/11, BFH/NV 2013, 1060[]
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