Erstattungszinsen als Einkünfte aus Kapitalvermögen

Die rückwirkend angeordnete Besteuerung von Erstattungszinsen als Einnahmen aus Kapitalvermögen nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG verstößt nach Ansicht des Finanzgerichts Hamburg nicht gegen Verfassungsrecht.

Erstattungszinsen als Einkünfte aus Kapitalvermögen

Nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs vom 15. Juni 2010 unterliegen Zinsen im Sinne von § 233a AO, die das Finanzamt an den Steuerpflichtigen zahlt (Erstattungszinsen), beim Empfänger nicht der Besteuerung, soweit sie auf Steuern entfallen, die gem. § 12 Nr. 3 EStG nicht abziehbar sind1.

Mit dem Jahressteuergesetz 2010 (JStG 2010) vom 8. Dezember 2010 wurde § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG um den Satz 3 ergänzt, wonach Erstattungszinsen im Sinne des § 233a AO Erträge im Sinne des Satzes 1 sind.

Erstattungszinsen nach § 233a AO stellen somit gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG in der durch Artikel 1 Nr. 16 Buchstabe a Doppelbuchstabe aa) JStG 2010 vom 08.12.20102 geänderten Fassung Erträge aus Kapitalforderungen im Sinne von § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 1 EStG dar. Diese Gesetzesänderung ist gemäß § 52a Abs. 8 Satz 2 EStG (in der durch Artikel 1 Nr. 39 Buchstabe a JStG 2010 geänderten Fassung) in allen Fällen anzuwenden, in denen die Steuer noch nicht bestandskräftig festgesetzt ist . Sie ist am Tage nach der Verkündung des Jahressteuergesetzes 2010, also am 14.12.2010, in Kraft getreten (§ 32 Abs. 1 JStG 2010).

In der finanzgerichtlichen Rechtsprechung und auch im Schrifttum wird die Frage, ob zugeflossene Erstattungszinsen nach § 233a AO als Einnahmen bei den Einkünften aus Kapitalvermögen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG in der Fassung des Jahressteuergesetzes 2010 zu berücksichtigen sind, kontrovers diskutiert. Die zu dieser Problematik beim Bundesfinanzhof anhängigen Revisionsverfahren3 sind noch offen. Allerdings hat der Bundesfinanzhof in zwei Beschwerdeverfahren ernstliche Zweifel an der Erfassung von Erstattungszinsen im Sinne von § 233a AO nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG in der Fassung des Jahressteuergesetzes des Jahres 2010 bejaht4 ohne eine tiefere inhaltliche, dem Hauptsacheverfahren vorbehaltenen Auseinandersetzung. Gegen die Neufassung des Gesetzes werden sowohl einfach-rechtliche als auch verfassungsrechtliche Bedenken, insbesondere wegen eines möglichen Verstoßes gegen das Rückwirkungsverbot, erhoben5.

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Das Finanzgericht Hamburg schließt sich der Auffassung des Finanzgerichts Münster im Urteil vom 16. Dezember 20106 an, wonach der Gesetzgeber lediglich die alte Gesetzeslage wieder hergestellt hat, sodass kein Vertrauensschutz des Klägers in eine von der Rechtsprechung und der ihr folgenden Rechtspraxis abweichenden Rechtslage besteht.

Das Finanzgericht Hamburg folgt auch der Ansicht des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts7 sowie des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz8, wonach der im Jahressteuergesetz 2010 neu geschaffenen Regelung des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG ein Anwendungsvorrang vor § 12 Nr. 3 EStG eingeräumt wird. Dieser Vorrang ergibt sich bereits aus der Entstehungsgeschichte und dem erklärten Zweck des § 233a AO9. Danach sollten nach dem Willen des Gesetzgebers Erstattungszinsen im Sinne von § 233a AO bei den Einkünften aus Kapitalvermögen erfasst werden, um eine Ungleichbehandlung mit demjenigen zu vermeiden, der seine vor Beginn des Zinslaufs nach § 233a AO erhaltene Einkommensteuerrückerstattung zinsbringend bei seiner Bank anlegt. Diese bereits bei Schaffung des § 233a AO zum Ausdruck gekommene Absicht sollte nach Ergehen des Urteils des Bundesfinanzhofs vom 15. Juni 2010 klarstellend gesetzlich geregelt werden. Dieser Zweck ist jedoch nur bei Einräumung eines Vorrangs vor § 12 Abs. 3 EStG erreichbar. Da der Gesetzgeber der Ansicht war, die Steuerbarkeit der Erstattungszinsen sei auch sachlich zutreffend10, kann in der Neuregelung nur eine Ausnahmeregelung zu § 12 Nr. 3 EStG gesehen werden. Dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers kommt insoweit entscheidende Bedeutung zu11. Nach all dem sind die Erstattungszinsen als Einnahmen aus Kapitalvermögen zu erfassen.

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Die gesetzlichen Neuregelungen von §§ 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3, 52a Abs. 8 Satz 2 EStG verstoßen nicht gegen Verfassungsrecht, insbesondere liegt kein Verstoß gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art.20 Abs. 3 GG) folgende Rückwirkungsverbot vor.

Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts12 entfaltet eine Rechtsnorm Rückwirkung, wenn der Beginn ihres zeitlichen Anwendungsbereichs normativ auf einen Zeitpunkt festgelegt ist, der vor dem Zeitpunkt liegt, zu dem die Norm rechtlich existent, d. h. gültig geworden ist. Der zeitliche Anwendungsbereich einer Norm betrifft allein die zeitliche Zuordnung der normativ angeordneten Rechtsfolgen im Hinblick auf den Zeitpunkt der Verkündung der Norm. Entscheidend ist dabei, ob diese Rechtsfolgen für einen bestimmten, vor dem Zeitpunkt der Verkündung der Norm liegenden Zeitraum eintreten sollen (echte Rückwirkung), oder ob dies erst für einen nach oder mit Verkündung beginnenden Zeitraum geschehen soll.

Verfassungsrechtlicher Maßstab für die Zulässigkeit einer Rechtsänderung, die an Sachverhalte der Vergangenheit anknüpft und zugleich Rechtsfolgen in die Vergangenheit erstreckt, ist vorrangig das Rechtsstaatsprinzip des Artikel 20 Abs. 3 GG. Dieses zieht den Befugnissen des Gesetzgebers, den Eintritt nachteiliger Rechtsfolgen auf einen Zeitraum vor der Verkündung des Gesetzes zu erstrecken, enge Grenzen. So hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 14. Mai 198613 ausgeführt, dass aus dem in Artikel 103 Abs. 2 GG aufgestellten Rückwirkungsverbot für materielle Strafrechtsnormen nicht gefolgert werden dürfe, dass Rückwirkungen im Übrigen verfassungsrechtlich unbedenklich seien, denn die Verlässlichkeit der Rechtsordnung sei eine Grundbedingung freiheitlicher Verfassungen. Allein zwingende Gründe des gemeinen Wohls oder ein nicht – oder nicht mehr – vorhandenes schutzbedürftiges Vertrauen des Einzelnen könne eine Durchbrechung des rechtsstaatlichen Rückwirkungsverbots zugunsten der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers rechtfertigen oder gar erfordern14.

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Eine Änderung mit Rückwirkung ist darüber hinaus auch dann zulässig, wenn das geltende Recht, das durch die Norm mit Rückwirkung verändert wurde, unklar oder verworren war. Demzufolge ist es dem Gesetzgeber unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes nicht verwehrt, eine Rechtslage rückwirkend festzuschreiben, die vor einer Rechtsprechungsänderung einer gefestigten Rechtsprechung und einer einheitlichen Rechtspraxis entsprach15. Danach widerspricht es weder dem Gewaltenteilungsgrundsatz noch dem Rechtsstaatsprinzip, wenn der Gesetzgeber eine Rechtsprechungsänderung korrigiert, die auf der Grundlage der zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung bestehenden Gesetzeslage zwar mit gutem Grund erfolgt sein muss, deren Ergebnis er jedoch nicht für sachgerecht hält16.

Bei der Gesetzesänderung des § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 und § 52a Abs. 8 Satz 2 EStG im JStG 2010 handelt es sich um eine echte Rückwirkung, denn diese Änderung ist auf alle noch offenen und damit auch – wie im Fall des Klägers – auf bereits abgeschlossene Veranlagungszeiträume anwendbar. Der Senat hält diese Rückwirkung jedoch ausnahmsweise für zulässig, weil der Gesetzgeber dadurch lediglich eine Gesetzeslage geschaffen hat, die vor der Rechtsprechungsänderung des BFH im Urteil vom 15. Juni 201017 einer gefestigten Rechtsprechung und Rechtspraxis entsprochen hat.

Nach dieser geänderten Rechtsprechung stellen Erstattungszinsen nach der zu diesem Zeitpunkt gültigen Rechtslage gem. § 233a AO keine Einkünfte aus Kapitalvermögen im Sinne von § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG dar, soweit sie auf Einkommensteuererstattungen entfielen. Aus dem Abzugsverbot für die Einkommensteuer und die darauf entfallenden Nebenleistungen des § 12 Nr. 3 EStG ergebe sich eine gesetzgeberische Zuweisung zum nicht steuerbaren Bereich, die auch auf die Erstattungszinsen ausstrahle18. Mit dieser Entscheidung gab der Bundesfinanzhof seine bisherige ständige Rechtsprechung auf, nach der Erstattungszinsen nach § 233a AO Einkünfte aus Kapitalvermögen darstellten19.

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Die unterschiedliche Behandlung von nichtabziehbaren Nachzahlungszinsen sowie steuerpflichtigen Erstattungszinsen verstößt auch nicht gegen das aus dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG abzuleitenden Folgerichtigkeitsgebot. Erstattungs- und Nachzahlungszinsen nach § 233a AO oder § 237 AO betreffen weder die Rückabwicklung des nämlichen Zahlungsvorgangs noch wirtschaftlich vergleichbare Sachverhalte. Demgemäß besteht auch kein tragfähiger Grund dafür, aus dem Folgerichtigkeitsgrundsatz ein Gebot der symmetrischen Behandlung des Inhalts abzuleiten, dass die Nichtabziehbarkeit von Nachzahlungszinsen einem Verbot der Besteuerung von Erstattungszinsen entsprechen müsse20.

Finanzgericht Hamburg, Urteil vom 22. März 2013 – 6 K 69/11
[nicht rechtskräftig, Revision eingelegt beim Bundesfinanzhof – VIII R 30/13]

  1. BFH, Urteil vom 15.06.2010 – VIII R 33/07[]
  2. BGBl I 2010, S. 1768[]
  3. BFH – Az: VIII R 1/11, Vorinstanz FG Münster, Urteil vom 16.12.2010 – 5 K 3626/03 E, EFG 2011, 649; BFH – VIII R 36/10, Vorinstanz Baden-Württemberg, Urteil vom 29.01.2010 – 10 K 2720/09, EFG 2010, 723; BFH – VIII R 26/12, Vorinstanz FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 29.05.2012 – 3 K 1954/11, EFG 2012 1656; BFH – VIII R 28/12, Vorinstanz FG Münster, Urteil vom 10.05.2012 – 2 K 1947/00 E, EFG 2012, 1750; BFH – VIII R 29/12 Vorinstanz FG Münster Urteil vom 10.05.2012 – 2 K 1950/00 E, BB 2012, 1890[]
  4. BFH, Beschluss vom 22.12.2011 – VIII B 146/11, BFH/NV 2012, 575 und vom 09.01.2012 – VIII B 95/11, BFH/NV 2012, 575 []
  5. vgl. die Darstellung der kontroversen Meinungen im Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 29.05.2012 – 3 K 1954/11, beim BFH anhängig unter dem Az. VIII R 26/12[]
  6. FG Münster, Urteil vom 16.12.2010 – 5 K 3626/03 E, EFG 2011, 649[]
  7. Schleswig-Holsteinisches FG, Beschluss vom 01.06.2011 – 2 V 35/11, EFG 2011, 1687[]
  8. FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 19.05.2012 – 3 K 1954/11, beim BFH anhängig unter VIII R 26/12[]
  9. BT-Drs 17/3579, S. 17[]
  10. BT-Drs 17/3549, S. 17[]
  11. vgl. auch Schleswig-Holsteinisches FG, Beschluss vom 01.06.2011 – 2 V 35/11, EFG 2011, 1687[]
  12. vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.05.1986 – 2 BvL 2/83, BB 1986, 1421; und Beschluss vom 22.03.1983 – 2 BvR 475/78, BverfGE 63, 343, 353[]
  13. BVerfG, Beschluss vom 14.05.1986, a. a. O.[]
  14. BVerfGE 72, 200, 258[]
  15. BVerfGE 81, 228, Beschluss vom 23.01.1990 – 1 BvL 4, 5, 6 und 7/87; und vom 15.10.2008 – 1 BvR 1138, 06, BFH/NV 2009, 110[]
  16. BVerfG, Beschluss vom 15.10.2008 – 1 BvR 1138/06 a. a. O.[]
  17. BFH, Urteil vom 15.06.2010, a. a. O.[]
  18. so auch FG Münster, Urteil vom 10.05.2012 – 2 K 1947/00 E[]
  19. vgl. BFH, Urteile vom 08.11.2005 – VIII R 105/03, BFH/NV 2006, 527; vom 08.04.1986 – VIII R 260/82, BFHE 146, 408, BStBl II 1986, 557; vom 18.02.1975 – VIII R 104/70, BFHE 115, 216, BStBl II 1975, 568; sowie Beschluss vom 14.04.1992 – VIII R 114/91, BFH/NV 1993, 165[]
  20. vgl. BFH, Beschluss vom 15.02.2012 -I B 97/11, BFHE 236, 458, BStBl II 2012, 697[]
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Privates Veräußerungsgeschäft - aufschiebend bedingt