Fettabsaugung als außergewöhnliche Belastung

Maßgeblicher Zeitpunkt für die wissenschaftliche Anerkennung einer Behandlungsmethode i.S. des § 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. f EStDV ist der Zeitpunkt der Behandlung.

Fettabsaugung als außergewöhnliche Belastung

Um festzustellen, ob eine wissenschaftlich anerkannte Behandlungsmethode i.S. des § 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. f EStDV vorliegt, kann sich das Finanzgericht auf allgemein zugängliche Fachgutachten oder solche Gutachten stützen, die in Verfahren vor anderen Gerichten zur Beurteilung dieser Frage herangezogen wurden. In diesem Fall muss das Finanzgericht die Beteiligten auf diese Absicht hinweisen und ihnen die entsprechenden Unterlagen zugänglich machen.

Nach § 33 EStG wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse und gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastung) erwachsen. Zwangsläufig erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen dann, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG). Ziel des § 33 EStG ist es, zwangsläufige Mehraufwendungen für den existenznotwendigen Grundbedarf zu berücksichtigen, die sich wegen ihrer Außergewöhnlichkeit einer pauschalen Erfassung in allgemeinen Freibeträgen entziehen. Aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen sind dagegen die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind1.

In ständiger Rechtsprechung geht der Bundesfinanzhof davon aus, dass Krankheitskosten -ohne Rücksicht auf die Art und die Ursache der Erkrankung- dem Steuerpflichtigen aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig erwachsen. Allerdings werden nur solche Aufwendungen als Krankheitskosten berücksichtigt, die zum Zweck der Heilung einer Krankheit (z.B. Medikamente, Operation) oder mit dem Ziel getätigt werden, die Krankheit erträglicher zu machen, beispielsweise Aufwendungen für einen Rollstuhl2.

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Aufwendungen für die eigentliche Heilbehandlung werden typisierend als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt, ohne dass es im Einzelfall der nach § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG an sich gebotenen Prüfung der Zwangsläufigkeit dem Grunde und der Höhe nach Bedarf3. Eine derart typisierende Behandlung von Krankheitskosten ist zur Vermeidung eines unzumutbaren Eindringens in die Privatsphäre geboten4. Dies gilt aber nur dann, wenn die Aufwendungen nach den Erkenntnissen und Erfahrungen der Heilkunde und nach den Grundsätzen eines gewissenhaften Arztes zur Heilung oder Linderung der Krankheit angezeigt (vertretbar) sind und vorgenommen werden5, also medizinisch indiziert sind6.

Die Zwangsläufigkeit krankheitsbedingter Aufwendungen für Arznei, Heil- und Hilfsmittel (§§ 2, 23, 31 bis 33 SGB V) hat der Steuerpflichtige durch eine Verordnung eines Arztes oder Heilpraktikers nachzuweisen (§ 64 Abs. 1 Nr. 1 EStDV). In den abschließend geregelten Katalogfällen des § 64 Abs. 1 Nr. 2 EStDV7 ist der Nachweis der Zwangsläufigkeit durch ein vor Beginn der Heilmaßnahme oder dem Erwerb des medizinischen Hilfsmittels ausgestelltes amtsärztliches Gutachten oder eine vorherige ärztliche Bescheinigung eines medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (§ 275 SGB V) zu führen (§ 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStDV).

Ein solcher qualifizierter Nachweis ist -aufgrund der in § 84 Abs. 3f EStDV angeordneten verfassungsrechtlich unbedenklichen rückwirkenden Geltung des § 64 EStDV8- auch im Streitjahr bei krankheitsbedingten Aufwendungen für wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethoden, wie z.B. Frisch- und Trockenzellenbehandlungen, Sauerstoff, Chelat- und Eigenbluttherapie (§ 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. f EStDV), erforderlich.

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Wissenschaftlich anerkannt ist eine Behandlungsmethode, wenn Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Dies wird angenommen, wenn „die große Mehrheit der einschlägigen Fachleute (Ärzte, Wissenschaftler)“ die Behandlungsmethode befürwortet und über die Zweckmäßigkeit der Therapie Konsens besteht. Dies setzt im Regelfall voraus, dass über Qualität und Wirksamkeit der Methode zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen gemacht werden können. Der Erfolg muss sich aus wissenschaftlich einwandfrei durchgeführten Studien über die Zahl der behandelten Fälle und die Wirksamkeit der Methode ablesen lassen. Die Therapie muss in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen erfolgreich gewesen sein9. Ob eine Behandlungsmethode als wissenschaftlich anerkannt anzusehen ist, hat das Finanzgericht aufgrund der ihm obliegenden Würdigung der Umstände des Einzelfalls festzustellen.

Maßgeblicher Zeitpunkt für die wissenschaftliche Anerkennung i.S. des § 64 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 Buchst. f EStDV ist der Zeitpunkt der Vornahme der Behandlung. Denn das Nachweiserfordernis soll Aufschluss darüber geben, ob eine Behandlungsmethode im Zeitpunkt der Behandlung medizinisch indiziert und die angefallenen Aufwendungen daher zwangsläufig zum Zweck der Heilung oder Linderung einer Krankheit entstanden sind10.

Um zu beurteilen, ob eine wissenschaftlich anerkannte Behandlungsmethode vorliegt, kann sich das Finanzgericht auf allgemein zugängliche Fachgutachten oder solche Gutachten stützen, die in Verfahren vor anderen Gerichten zur Beurteilung dieser Frage herangezogen wurden. Will das Finanzgericht von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, muss es die Beteiligten auf diese Absicht hinweisen und ihnen die entsprechenden Unterlagen zugänglich machen. Bringt der Steuerpflichtige substantiierte Einwendungen vor, aus denen sich Zweifel ergeben -insbesondere, wenn der Steuerpflichtige darlegt, dass in seinem Fall aus medizinischer Sicht etwas anderes gilt und er deshalb die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt-, so kann das Finanzgericht verpflichtet sein, ein Sachverständigengutachten einzuholen.

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Im hier entschiedenen Fall billigte der Bundesfinanzhof die Einschätzung des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts11, die hier durchgeführte Liposuktion sei keine wissenschaftlich anerkannte Behandlungsmethode.

Hierbei ist das Finanzgericht von der oben angeführten Begriffsbestimmung der wissenschaftlichen Anerkennung einer Behandlungsmethode ausgegangen. Seinen Feststellungen zur Frage der wissenschaftlichen Anerkennung der Liposuktion zur Behandlung eines Lipödems hat es -wie auch das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 22.01.201312- u.a. das „Gutachten Liposuktion bei Lip- und Lymphödemen“ der Sozialmedizinischen Expertengruppe 7 des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e.V. vom 06.10.2011 zugrunde gelegt. Ausgehend hiervon ist es zu der Würdigung gelangt, die Liposuktion sei keine anerkannte Therapie zur Behandlung des Lipödems. Zwar werde durch eine Liposuktion das Fettgewebe reduziert. Es sei aber wissenschaftlich nicht hinreichend bewiesen, dass damit auch eine nachhaltige Reduktion der Lipödembeschwerden einhergehe. Auch liege bislang keine kontrollierte klinische Studie zur Liposuktion zur Behandlung von Lipödemen vor. Es bestünden lediglich Leitlinien, z.B. die Leitlinie „Lipödem der Beine“ der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie in der letzten Fassung vom 25.06.2009, in denen auf zwei Untersuchungen mit 19 Patientinnen über acht Jahre bzw. 75 Patientinnen über maximal viereinhalb Jahre Bezug genommen werde. Derartige Nachbeobachtungen oder Untersuchungen mit kleinen Fallzahlen geringen zeitlichen Umfangs seien indes nicht geeignet, eine Therapie als wissenschaftlich allgemein anerkannt gelten zu lassen.

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Das Finanzgericht hat sich mithin auf der Grundlage verschiedener Erkenntnisquellen, die auch das OVG Lüneburg im Rahmen seiner Entscheidungsfindung im dort zu entscheidenden Verfahren verwandt hatte, die nötige Sachkunde verschafft, um die streitentscheidenden Umstände fachkundig würdigen zu können. Dabei ist es zu dem Ergebnis gelangt, die Wirksamkeit der Liposuktion sei mangels hinreichender Daten nicht ausreichend nachgewiesen. Diese Würdigung verstößt weder gegen Erfahrungssätze noch gegen die Denkgesetze. Insbesondere sind die herangezogenen Unterlagen -z.B. das Gutachten der Sozialmedizinischen Expertengruppe 7 vom 06.10.2011- auch aussagekräftig für den im Streitfall entscheidenden Zeitpunkt der Behandlung im Jahr 2010.

Das Finanzgericht hat seine Entscheidung aufgrund des Gesamtergebnisses des Verfahrens zu treffen (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO)13. Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten (§ 96 Abs. 2 FGO; vgl. z.B. BFH, Urteil vom 29.04.2008 – VIII R 28/07, BFHE 220, 332, BStBl II 2009, 842). Hieraus folgt, dass das Gericht eine nicht von den Beteiligten vorgebrachte Entscheidungsgrundlage, auf die es sein Urteil stützen will, ins Verfahren einführen muss.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 18. Juni 2015 – VI R 68/14

  1. u.a. BFH, Urteil vom 29.09.1989 – III R 129/86, BFHE 158, 380, BStBl II 1990, 418[]
  2. BFH, Urteile vom 17.07.1981 – VI R 77/78, BFHE 133, 545, BStBl II 1981, 711; vom 13.02.1987 – III R 208/81, BFHE 149, 222, BStBl II 1987, 427; und vom 20.03.1987 – III R 150/86, BFHE 149, 539, BStBl II 1987, 596[]
  3. BFH, Urteile vom 01.02.2001 – III R 22/00, BFHE 195, 144, BStBl II 2001, 543; und vom 03.12 1998 – III R 5/98, BFHE 187, 503, BStBl II 1999, 227[]
  4. BFH, Urteil in BFHE 195, 144, BStBl II 2001, 543[]
  5. vgl. BFH, Urteil vom 18.06.1997 – III R 84/96, BFHE 183, 476, BStBl II 1997, 805[]
  6. BFH, Urteil vom 19.04.2012 – VI R 74/10, BFHE 237, 156, BStBl II 2012, 577[]
  7. vgl. BFH, Urteile vom 06.02.2014 – VI R 61/12, BFHE 244, 395, BStBl II 2014, 458; und vom 26.02.2014 – VI R 27/13, BFHE 246, 18, BStBl II 2014, 824[]
  8. BFH, Urteil in BFHE 237, 156, BStBl II 2012, 577[]
  9. gleicher Auffassung das BSG: so zu § 18 SGB V: BSG, Urteil vom 13.12 2005 – B 1 KR 21/04 R, SozR 4-2500 § 18 Nr. 5 SGB V; zu § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V: BSG, Urteil vom 19.02.2002 – B 1 KR 16/00 R, SozR 3-2500 § 92 Nr. 12 S. 71 f.; zu § 18 SGB V: BSG, Urteil vom 14.02.2001 – B 1 KR 29/00 R, SozR 3-2500 § 18 Nr. 6 S. 23; zu § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V: BSG, Urteil vom 21.03.2013 – B 3 KR 2/12 R, SozR 4-2500 § 137c Nr. 6; ebenso BFH, Urteil vom 26.06.2014 – VI R 51/13, BFHE 246, 326, BStBl II 2015, 9[]
  10. vgl. BFH, Urteile vom 12.05.2011 – VI R 37/10, BFHE 234, 25, BStBl II 2013, 783; vom 05.10.2011 – VI R 20/11, BFH/NV 2012, 38; vom 14.11.2013 – VI R 20/12, BFHE 244, 285, BStBl II 2014, 456[]
  11. Schleswig-Holsteinisches FG, Urteil vom 01.10.2014 – 2 K 272/12[]
  12. Nds. OVG, Urteil vom 22.01.2013 – 5 LB 50/11, Entscheidungen zum Krankenhausrecht 2013/159[]
  13. vgl. z.B. BFH, Beschluss vom 20.01.2003 – VI B 113/02, BFH/NV 2003, 616[]
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