Die gezielte Herbeiführung eines Verlusts durch die Veräußerung eines GmbH-Geschäftsanteils, dessen Anschaffungskosten aufgrund eines Aufgelds seinen Verkehrswert übersteigen, ist nicht ohne Weiteres rechtsmissbräuchlich i.S. von § 42 der Abgabenordnung.

Gemäß § 42 Abs. 1 Satz 1 AO kann durch den Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts das Steuergesetz nicht umgangen werden. Ist der Tatbestand der Regelung in einem Einzelsteuergesetz erfüllt, die der Verhinderung von Steuerumgehungen dient, so bestimmen sich die Rechtsfolgen nach jener Vorschrift (§ 42 Abs. 1 Satz 2 AO). Anderenfalls entsteht nach § 42 Abs. 1 Satz 3 AO der Steueranspruch beim Vorliegen eines Missbrauchs im Sinne des § 42 Abs. 2 AO so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht.
Ein Missbrauch liegt nach § 42 Abs. 2 Satz 1 AO vor, wenn eine unangemessene rechtliche Gestaltung gewählt wird, die beim Steuerpflichtigen oder einem Dritten im Vergleich zu einer angemessenen Gestaltung zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil führt. Dies gilt nicht, wenn der Steuerpflichtige für die gewählte Gestaltung außersteuerliche Gründe nachweist, die nach dem Gesamtbild der Verhältnisse beachtlich sind (§ 42 Abs. 2 Satz 2 AO).
Im Zusammenhang mit Einkünften aus § 17 EStG steht es einem Steuerpflichtigen grundsätzlich frei, ob, wann und an wen er seine Anteile veräußert. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn die Veräußerung zu einem Verlust führt. Denn die Berücksichtigung eines Veräußerungsverlusts steht nicht nur im Einklang mit § 17 EStG, sondern entspricht auch dem Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit; sie ist damit nicht von vornherein rechtsmissbräuchlich1.
Abweichendes kann gelten, wenn ein „Verlust“ nur dadurch entsteht, dass die Beteiligten einen unzutreffenden, die Wertverhältnisse des zur Veräußerung bestimmten Kapitalgesellschaftsanteils in krasser Weise verfehlenden Kaufpreis vereinbaren; denn in diesem Fall ist der „Verlust“ nicht durch eine den Kapitalgesellschaftsanteilen innewohnende Wertminderung, sondern durch einen Verkauf von Anteilen weit unter Wert zustande gekommen2.
Nach diesen rechtlichen Maßstäben hat im vorliegenden Fall das erstinstanzlich hiermit befasste Finanzgericht Düsseldorf3 jedenfalls im Ergebnis zutreffend entschieden, dass keine missbräuchliche Gestaltung durch die Gesellschafterin vorliegt:
Das Finanzgericht hat angeführt, der unter Aufgeldzahlung erfolgte Erwerb des Geschäftsanteils Nr. 25 001 sei in Anbetracht des hiermit verfolgten wirtschaftlichen Zwecks, der GmbH Finanzmittel zukommen zu lassen, nicht unangemessen. Aufgrund der Stellung der Gesellschafterin als Alleingesellschafterin sei es unerheblich, auf welche Weise sie der Gesellschaft Kapital zuführe.
Diese Ausführungen sind für sich betrachtet zutreffend. Allerdings ist auslösender Grund für den von der Gesellschafterin steuerlich beanspruchten Verlust nicht der Erwerb eines Geschäftsanteils gegen Aufgeldzahlung, sondern erst dessen Veräußerung.
Nach Maßgabe der vom Finanzgericht festgestellten und den Bundesfinanzhof nach § 118 Abs. 2 FGO bindenden Tatsachen ergibt sich ein rechtlicher Gestaltungsmissbrauch auch nicht aus der Zusammenschau des Erwerbs jenes Geschäftsanteils und dessen zeitnaher -verlustbehafteter- Veräußerung an den Erwerber.
Bei der gebotenen anteilsbezogenen Betrachtung von Veräußerungstatbeständen im Sinne von § 17 EStG hat die Gesellschafterin in Bezug auf den Geschäftsanteil Nr. 25 001 einen realen Verlust erlitten, der im Streitjahr ihre Leistungsfähigkeit gemindert hat. Einem dem Verkehrswert des Anteils entsprechenden -fremdüblichen- Veräußerungspreis von anteilig 20.230 € (1.000 € Nennbetrag zuzüglich 1.000/26.000-Anteil an der Kapitalrücklage [= 19.230 €]) standen nach der im hier massgeblichen Jahr 2015 noch zu beachtenden Rechtslage Anschaffungskosten der Gesellschafterin von 501.000 € gegenüber. Diese verlustgenerierende Gestaltung ist noch nicht unangemessen im Sinne von § 42 Abs. 2 Satz 1 AO.
Zum einen unterliegt es der Disposition des Steuerpflichtigen, Veräußerungsgeschäfte so zu gestalten, dass er sich steuerlich möglichst günstig steht. Dies schließt die Freiheit ein, der Gesellschaft Kapital in einer steuerlich vorteilhaften Weise zuzuführen. So war die Gesellschafterin weder verpflichtet, die GmbH von vornherein mit einem höheren Stammkapital auszustatten noch eine Zuzahlung in die Kapitalrücklage gemäß § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB zu leisten, die sich auf sämtliche Geschäftsanteile verteilt hätte.
Zum anderen ist geklärt, dass der Steuerpflichtige selbst entscheiden kann, welchen Geschäftsanteil seiner Beteiligung er veräußert4. Dies gilt unabhängig davon, ob die Veräußerung an einen fremden Dritten oder an einen nahen Angehörigen erfolgt.
Hinzu kommt, dass ein -selbst zielgerichtet geschaffener- Verlust durch die Veräußerung von zu „überhöhten“ Anschaffungskosten erworbenen Geschäftsanteilen durch spätere Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen mit niedrigen Anschaffungskosten ausgeglichen wird. Denn die durch eine Aufgeldzahlung geschaffene Kapitalrücklage erhöht ebenso wie ein hiermit durch die Gesellschaft erworbenes Wirtschaftsgut den Verkehrswert sämtlicher Geschäftsanteile.
Auch das Motiv des Gesetzgebers zur Einfügung des § 17 Abs. 2a Satz 5 EStG zwingt nicht zu dem Schluss, dass die Zahlung eines Aufgelds im Rahmen einer Kapitalerhöhungsmaßnahme mit Blick auf anstehende Veräußerungen als Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten gemäß § 42 AO anzusehen ist.
In der Begründung des Entwurfs für ein Gesetz zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften führt die Bundesregierung zwar an, die neue Vorschrift diene der „Missbrauchsbekämpfung“5. Die damit bekämpften Gestaltungen werden aber nicht im Einzelnen dargestellt. Insbesondere ist der Begründung nicht zu entnehmen, ob aus der Sicht des Gesetzgebers in jedem Fall der gezielten Herbeiführung eines Veräußerungsverlusts durch Aufgeldzahlung die Schwelle des § 42 AO überschritten sein soll. Dem Bundesfinanzhof sind auch keine dahingehenden veröffentlichten Verlautbarungen aus der Finanzverwaltung bekannt.
Der weitere Einwand des Finanzamtes, die Veräußerung von insgesamt 5 % der Geschäftsanteile der GmbH an den Erwerber habe keinen wirtschaftlich beachtlichen Grund, ist unerheblich. Die Veräußerung von Anteilen zu fremdüblichen Bedingungen bedarf keines wirtschaftlichen Grunds. Unerheblich ist zudem, ob von vornherein beabsichtigt war, den Erwerber an der GmbH zu beteiligen. Eine rechtliche Verpflichtung der Gesellschafterin, Geschäftsanteile an den Erwerber zu veräußern, wurde vom Finanzamt weder behauptet noch sind Anhaltspunkte hierfür ersichtlich.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 3. Mai 2023 – IX R 12/22
- zuletzt BFH, Urteil vom 20.09.2022 – IX R 18/21, BFHE 278, 184, BStBl II 2023, 315, Rz 31, m.w.N.[↩]
- BFH, Urteil vom 20.09.2022 – IX R 18/21, BFHE 278, 184, BStBl II 2023, 315, Rz 32, m.w.N.[↩]
- FG Düsseldorf, Urteil vom 21.06.2022 – 13 K 1149/20 E[↩]
- BFH, Urteil vom 10.10.1978 – VIII R 126/75, BFHE 126, 206, BStBl II 1979, 77, unter 2.a[↩]
- BT-Drs.19/13436, S. 111[↩]