Die unangekündigte Wohnungsbesichtigung durch einen Beamten der Steuerfahndung als sog. Flankenschutzprüfer zur Überprüfung der Angaben des Steuerpflichtigen zu einem häuslichen Arbeitszimmer im Besteuerungsverfahren ist wegen Verstoßes gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz rechtswidrig, wenn der Steuerpflichtige bei der Aufklärung des Sachverhalts mitwirkt. Dies gilt auch dann, wenn der Steuerpflichtige der Ortsbesichtigung zustimmt und deshalb kein schwerer Grundrechtseingriff in Art. 13 Abs. 1 GG vorliegt.

Eine selbständige Unternehmensberaterin machte in ihrer Einkommensteuererklärung erstmals Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer geltend. Auf Nachfrage des Finanzamts reichte sie eine Skizze der Wohnung ein, die der Sachbearbeiter des Finanzamtes aber für klärungsbedürftig hielt. Er bat den Flankenschutzprüfer um Besichtigung der Wohnung. Dieser erschien unangekündigt an der Wohnungstür der Steuerpflichtigen, wies sich als Steuerfahnder aus und betrat unter Hinweis auf die Überprüfung im Besteuerungsverfahren die Wohnung. Die Steuerpflichtige hat der Besichtigung nicht widersprochen.
Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren gegen die Besichtigung erhobene Klage auf Feststellung, dass die Besichtigung vom 11.05.2017 rechtswidrig war, wurde vom Finanzgericht Münster als unzulässig abgewiesen1. Auf die Revision der Unternehmensberaterin urteilte nun der Bundesfinanzhof, dass die Besichtigung rechtswidrig war. Zur Überprüfung der Angaben zum häuslichen Arbeitszimmers im Besteuerungsverfahren ist angesichts des in Art. 13 Abs. 1 GG verbürgten Schutzes der Unverletzlichkeit der Wohnung eine Besichtigung in der Wohnung eines mitwirkungsbereiten Steuerpflichtigen erst dann erforderlich, wenn die Unklarheiten durch weitere Auskünfte oder andere Beweismittel (z.B. Fotografien) nicht mehr sachgerecht aufgeklärt werden können. Dies gilt auch dann, wenn die Steuerpflichtige -so wie im Streitfall- der Besichtigung zugestimmt hat und deshalb ein schwerer Grundrechtseingriff nicht vorliegt. Wie der Bundesfinanzhof weiter ausführte, war die Ermittlungsmaßnahme auch deshalb rechtswidrig, weil sie von einem Steuerfahnder und nicht von einem Mitarbeiter der Veranlagungsstelle durchgeführt wurde. Denn das persönliche Ansehen des Steuerpflichtigen kann dadurch gefährdet werden, dass zufällig anwesende Dritte (z.B. Besucher oder Nachbarn) glauben, dass beim Steuerpflichtigen strafrechtlich ermittelt wird.
Das Finanzgericht hat die Klage zu Unrecht mangels Feststellungsinteresses als unzulässig abgewiesen.
Statthafte Klageart ist die Feststellungsklage gemäß § 41 Abs. 1 Alternative 1 FGO. Das Finanzgericht hat das Handeln des Finanzamtes in Form des Betretens der Wohnung der Unternehmensberaterin zur Besichtigung des Arbeitszimmers durch den Mitarbeiter des Flankenschutzes zu Recht als Realakt bzw. schlichtes Verwaltungshandeln eingeordnet2.
Die Unternehmensberaterin hat ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung, dass die Ortsbesichtigung rechtswidrig war. Das Finanzgericht Münster hat zwar rechtsfehlerfrei sowohl ein Rehabilitationsinteresse als auch ein Feststellungsinteresse aufgrund eines tiefgreifenden Grundrechtseingriffs verneint, jedoch liegt -entgegen seiner Auffassung- eine konkrete Wiederholungsgefahr hinsichtlich des Vorgehens des Finanzamtes vor. Das Finanzgericht Münster hat folglich die Klage unzutreffend als unzulässig abgewiesen. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben.
„Berechtigtes Interesse“ ist jedes konkrete, vernünftigerweise anzu Interesse rechtlicher, tatsächlicher oder wirtschaftlicher Art. Die begehrte Feststellung muss geeignet sein, in einem dieser Bereiche zu einer Positionsverbesserung des Unternehmensberaters zu führen3. Der BFH prüft ohne Bindung an die Auffassung des Finanzgericht, ob das berechtigte Interesse i.S. des § 41 Abs. 1 FGO als Voraussetzung für ein Sachurteil des Finanzgericht vorliegt; insbesondere kann der Bundesfinanzhof hierzu eigene Feststellungen anhand der im Revisionsverfahren vorgelegten Akten treffen4.
Danach ist ein Feststellungsinteresse aus Gründen der Rehabilitation nicht gegeben. Der BFH hat ein solches Interesse anerkannt, wenn aufgrund eines erheblichen Eingriffs in die Persönlichkeitssphäre des Steuerpflichtigen dessen Rehabilitierung durch die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Vorgehens der Behörde als geboten erscheint. Zwar kann dies insbesondere dann der Fall sein, wenn das Handeln des Finanzamtes den unberechtigten Vorwurf der Steuerhinterziehung zum Ausdruck bringt5. Für ein Rehabilitationsinteresse genügt es indes nicht, dass aufgrund der Maßnahme des Finanzamtes lediglich eine abstrakte Gefahr besteht, dass das berufliche Ansehen des Steuerpflichtigen gefährdet wird. Erforderlich ist vielmehr eine Außenwirkung gegenüber Dritten, an der es vorliegend fehlt, da weder der Arbeitgeber der Unternehmensberaterin noch sonstige Dritte bei der Besichtigung des Arbeitszimmers anwesend waren; und vom Besuch des Finanzamtes unmittelbar erfahren haben. Es besteht somit lediglich das ideelle Bedürfnis der Unternehmensberaterin nach einer Rehabilitation. Dies vermag das Feststellungsinteresse jedoch nicht zu begründen.
Es besteht auch kein Feststellungsinteresse infolge eines tiefgreifenden Grundrechtseingriffs.
Ein Feststellungsinteresse aufgrund eines tiefgreifenden Grundrechtseingriffs ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes in den Fällen gegeben, in denen die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich nach dem typischen Verlauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene eine gerichtliche Entscheidung kaum erlangen kann. Von besonderem Gewicht sind insbesondere Grundrechtseingriffe, die das Grundgesetz (GG) unter den Richtervorbehalt gestellt hat6.
Ein solcher schwerwiegender Grundrechtseingriff ist vorliegend jedoch nicht gegeben. Zwar schützt Art. 13 Abs. 1 GG die Unverletzlichkeit der Wohnung. An einem schwerwiegenden Eingriff fehlt es jedoch, wenn das Betreten der Wohnung vom Willen des Berechtigten gedeckt ist7. Dies war nach den Feststellungen des Finanzgericht vorliegend der Fall, da die Unternehmensberaterin den Steuerfahnder zur Besichtigung des häuslichen Arbeitszimmers freiwillig in die Wohnung eingelassen hatte.
Ein schwerer Grundrechtseingriff ergibt sich auch nicht daraus, dass sich die Unternehmensberaterin durch das unangekündigte Erscheinen des Finanzbeamten „überrumpelt“ fühlte8. Das Grundrecht des Art. 13 Abs. 1 GG schützt nicht die irrtumsfreie Willensbildung. Irrtümer im Willensbildungsprozess entwerten das Einverständnis erst dann, wenn es durch eine Täuschung staatlicher Organe erschlichen worden ist, die gerade auf das Verschaffen des Wohnungszutritts gerichtet ist, oder auf einer Drohung beruht9. Im vorliegenden Fall hatte der Steuerfahnder nach den Feststellungen des Finanzgericht die Unternehmensberaterin jedoch weder bedroht noch sie über seine Person und den Zweck seines Besuchs im Unklaren gelassen. Er wies sich unstreitig durch Vorlage seines Dienstausweises als Steuerfahnder aus und betrat, da die Unternehmensberaterin der Besichtigung unter Hinweis auf die Überprüfung im Besteuerungsverfahren nicht widersprach, die Wohnung. Damit war der Unternehmensberaterin der Sachverhalt bekannt und sie war nicht im Irrtum, dass sie einen Steuerfahnder zur Kontrolle des häuslichen Arbeitszimmers in ihre Wohnung ließ. Das Betreten der Wohnung erfolgte nicht gegen ihren Willen. Zudem sieht weder das GG noch § 99 AO eine Belehrungspflicht in Bezug auf das Recht, staatlichen Organen den Zutritt zur Wohnung verweigern zu können, vor10.
Es liegt aber ein Feststellungsinteresse infolge einer Wiederholungsgefahr vor.
Ein Feststellungsinteresse wird von der Rechtsprechung u.a. dann bejaht, wenn eine hinreichend konkrete Wiederholungsgefahr vorliegt11. Dabei muss ein konkreter Anlass für die Annahme bestehen, die Finanzbehörde werde die für rechtswidrig erachtete Maßnahme in absehbarer Zukunft wiederholen12.
Dies ist vorliegend der Fall. Eine Wiederholungsgefahr bestand aufgrund des Vermerks des Steuerfahnders an den Veranlagungsbezirk, dass die Unternehmensberaterin demnächst in die gegenüberliegende Wohnung ziehen werde und abzuwarten sei, welche Raumaufteilung sich dann ergebe. Aufgrund dieses Hinweises war nicht auszuschließen, dass das Finanzamt infolge des Umzugs der Unternehmensberaterin in die gegenüberliegende Wohnung erneut am tatsächlichen Vorhandensein eines Arbeitszimmers zweifelt und den Flankenschutzprüfer mit der Aufklärung des Sachverhalts in der (neuen) Wohnung der Unternehmensberaterin beauftragt.
Es sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass das Finanzamt bei erneuter Prüfung des Arbeitszimmers auf andere Weise vorgegangen wäre. Denn das Finanzamt hat die unangekündigte Ortsbesichtigung als „effektivste Methode“ bezeichnet, um Unklarheiten aufgrund der eingereichten Skizze zu klären. Da die Sach- und Rechtslage nicht vollkommen identisch sein muss und die begründete Annahme genügt, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen gleichartig gehandelt wird13, ist vorliegend eine hinreichend konkrete Wiederholungsgefahr zu bejahen.
Außerdem dürfen die Anforderungen an eine hinreichend konkrete Wiederholungsgefahr im Streitfall unter dem Gesichtspunkt der Gewährung eines effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutzes gegen Akte der öffentlichen Gewalt nicht zu hoch angesetzt werden14. Denn es war für die Unternehmensberaterin nicht erkennbar, ob das Finanzamt am tatsächlichen Vorhandensein eines Arbeitszimmers wieder „Zweifel hegen werde“ und sie sich folglich mit einer vorbeugenden Unterlassungsklage als Unterfall der allgemeinen Leistungsklage gegen eine erneute unangekündigte Ortsbesichtigung des Finanzamtes zur Wehr setzen müsste.
Das Feststellungsinteresse der Unternehmensberaterin ist nicht deshalb zu verneinen, weil zu befürchten wäre, dass sich die Unternehmensberaterin auf ein pflichtwidriges Handeln gegenüber dem Finanzamt einrichtet15. Auch wenn die Angaben der Unternehmensberaterin in der Skizze aus der Sicht des Finanzamtes nicht schlüssig gewesen sein mögen, hat die Unternehmensberaterin bei der Abgabe ihrer Steuererklärung wahrheitsgemäße Angaben gemacht. Es ist nicht ersichtlich, dass sie künftig pflichtwidrig handeln würde.
Die Revision ist auch in der Sache begründet. Der Klage wird stattgegeben (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO). Der Bundesfinanzhof kann in der Sache selbst entscheiden.
Wird vom Finanzgericht eine Klage zu Unrecht als unzulässig abgewiesen, kommt ein Durcherkennen nur ausnahmsweise dann in Betracht, wenn die Klage nach den vom Finanzgericht getroffenen Feststellungen zweifelsfrei begründet ist und vollständig ausgeschlossen ist, dass einer der Beteiligten durch einen weiteren Vortrag die Sachentscheidung noch beeinflussen könnte16.
Dies ist vorliegend der Fall, da der Sachverhalt vom Finanzgericht lückenlos festgestellt wurde und beide Beteiligte im Revisionsverfahren ihre Argumente umfassend vorgetragen haben. Es ist für den Bundesfinanzhof nicht ersichtlich, dass bei einer Zurückverweisung an das Finanzgericht einer der Beteiligten durch einen weiteren Vortrag die Sachentscheidung noch beeinflussen könnte.
Danach ist festzustellen, dass die unangekündigte Ortsbesichtigung in der Wohnung der Unternehmensberaterin durch den Steuerfahnder am 11.05.2017 rechtswidrig war; diese verletzte den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, da gleich geeignete, mildere Mittel (weiteres schriftliches Auskunftsersuchen, Ortsbesichtigung nach vorheriger Benachrichtigung oder Inaugenscheinnahme des häuslichen Arbeitszimmers durch einen Mitarbeiter der Veranlagungsstelle) zur Verfügung gestanden hätten.
Die Finanzbehörde ermittelt den Sachverhalt nach § 88 Abs. 1 AO von Amts wegen. Sie bedient sich dabei gemäß § 92 Satz 1 AO der Beweismittel, die sie nach pflichtgemäßem Ermessen zur Ermittlung des Sachverhalts für erforderlich hält. Die Finanzbehörden dürfen grundsätzlich das nach ihrer Auffassung zweckmäßigste Mittel für die Feststellung der Besteuerungsgrundlagen auswählen, und zwar auch im Hinblick auf eine mögliche Steuerstraftat17. Bei der Ausübung des Auswahlermessens gemäß § 92 Satz 1 AO ist jedoch zu berücksichtigen, ob zu erwarten ist, dass der Steuerpflichtige den steuerlich erheblichen Sachverhalt auf Nachfrage freiwillig offenlegt18. Zudem ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten, nach dem das eingesetzte Mittel zur Ermittlung des Sachverhalts geeignet und erforderlich sein muss, um den erstrebten Zweck zu erreichen. Das Mittel ist geeignet, wenn mit seiner Hilfe der gewünschte Erfolg gefördert werden kann; es ist erforderlich, wenn nicht ein anderes, gleich wirksames, aber weniger fühlbar einschränkendes Mittel hätte gewählt werden können. Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne (Zweck-Mittel-Verhältnis) darf ein an sich geeignetes und erforderliches Mittel zur Durchsetzung von Allgemeininteressen nicht angewandt werden, wenn die davon ausgehenden Grundrechtsbeeinträchtigungen schwerer wiegen als die durchzusetzenden Interessen19.
Zwar war das Finanzamt nach § 92 Satz 2 Nr. 4 i.V.m. § 99 AO grundsätzlich berechtigt, zur Einnahme des Augenscheins die Wohnräume der Unternehmensberaterin mit deren Einverständnis zu betreten, um aufzuklären, ob das von ihr geltend gemachte Arbeitszimmer tatsächlich existierte. Die Maßnahme war auch zur Aufklärung des Sachverhalts geeignet; sie war jedoch weder erforderlich noch verhältnismäßig im engeren Sinne und daher rechtswidrig.
Die Ermittlungsmaßnahme in Form des unangekündigten Betretens der Wohnung der Unternehmensberaterin durch den Steuerfahnder zur Besichtigung des häuslichen Arbeitszimmers war grundsätzlich geeignet, den Sachverhalt in Bezug auf die geltend gemachten Betriebsausgaben weiter aufzuklären. Die Unternehmensberaterin hat in die Besichtigung ihrer Wohnung auch eingewilligt, so dass der Steuerfahnder diese -ohne eine gerichtliche Anordnung- betreten konnte.
Die Maßnahme war jedoch nicht erforderlich, da dem Finanzamt ein milderes und ebenso geeignetes Mittel zur Verfügung gestanden hätte. Angesichts des in Art. 13 Abs. 1 GG verbürgten Schutzes der Unverletzlichkeit der Wohnung als eines Teils der Privatsphäre wäre eine Ortsbesichtigung i.S. von § 99 AO erst dann erforderlich gewesen, wenn die Unklarheiten durch weitere Auskünfte der Unternehmensberaterin nicht mehr hätten sachgerecht aufgeklärt werden können20. Dies war vorliegend nicht der Fall. Das Finanzamt hätte die Unklarheiten in Bezug auf die Wohnungsskizze zunächst durch eine weitere Nachfrage bei der Unternehmensberaterin bzw. ihrem steuerlichen Berater klären können. Das Vorbringen des Finanzamtes, dass ein neuerliches Auskunftsersuchen zu weiteren Missverständnissen hätte führen können, hält der Bundesfinanzhof nicht für überzeugend, da die Unternehmensberaterin im Besteuerungsverfahren bei der Aufklärung des Sachverhalts pflichtgemäß mitgewirkt hatte und keine begründeten Zweifel an ihrer steuerlichen Zuverlässigkeit bestanden.
Die unangekündigte Ortsbesichtigung in der Wohnung der Unternehmensberaterin durch den Steuerfahnder als Flankenschutzprüfer war auch deshalb rechtswidrig, weil das Finanzamt bei seiner Ermessensentscheidung sowohl in Bezug auf die Auswahl der Aufklärungsmaßnahme als auch auf deren Durchführung den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne (Zweck-Mittel-Verhältnis) verletzt hat. Das Finanzamt hat bei seiner Ermessensentscheidung die Tragweite des Grundrechtsschutzes der Unverletzlichkeit der Wohnung nach Art. 13 Abs. 1 GG verkannt, so dass die Ermittlungsmaßnahme unangemessen war.
Das Finanzamt hat nicht ausreichend beachtet, in welchem Umfang es bei seinen Ermessenserwägungen hinsichtlich der Auswahl der Maßnahme zur Ermittlung des Sachverhalts den Schutz der Wohnung nach Art. 13 Abs. 1 GG zu berücksichtigen hat. Das Eindringen staatlicher Organe in die Wohnung des Steuerpflichtigen bedeutet regelmäßig einen Eingriff in die persönliche Lebenssphäre des Betroffenen. Das Recht, „in Ruhe gelassen zu werden“, soll gerade in den Wohnräumen gesichert sein21. Dies gilt, wie das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschlussv om 06.07.201022 ausgeführt hat, auch für das häusliche Arbeitszimmer in der Wohnung des Steuerpflichtigen. Nach den Ausführungen des BVerfG ist die Überprüfung der Abzugsfähigkeit der geltend gemachten Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer wegen des engen Zusammenhangs zur Sphäre der privaten Lebensführung und des Schutzes durch Art. 13 GG „wesentlich eingeschränkt oder gar unmöglich“. Daher muss es zur Feststellung der häuslichen Verhältnisse im Allgemeinen genügen, aus dem äußeren Anschein die erforderlichen Folgerungen zu ziehen23. Diesem Zweck dient die pauschalierte Begrenzung des Aufwandsabzugs für ein häusliches Arbeitszimmer in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b des Einkommensteuergesetzes. Sie soll den Steuerpflichtigen vor der besonders belastenden Besichtigung des Arbeitszimmers in der Wohnung bewahren und die objektiv gegebene, staatlich jedoch nicht beobachtbare Möglichkeit privater Mitbenutzung des häuslichen Arbeitszimmers pauschal berücksichtigen24.
Die Finanzbehörde kann von diesem allgemeinen Grundsatz bei der Auswahl ihrer Ermittlungsmaßnahme nicht deshalb entbunden werden, weil der Betroffene -wie im vorliegenden Fall die Unternehmensberaterin- später in die rechtswidrige Durchführung der Ortsbesichtigung eingewilligt hat. Es liegt dann zwar kein schwerer Grundrechtseingriff vor. Dennoch wurde das Ermessen bei der Auswahl der Ermittlungsmaßnahme wegen Verstoßes gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz rechtswidrig ausgeübt. Dies gilt zumindest dann, wenn der Steuerpflichtige -wie im vorliegenden Fall die Unternehmensberaterin- bereit ist, an der Aufklärung des Sachverhalts durch die Vorlage von Plänen und ggf. anderer Beweismittel wie Fotografien mitzuwirken, und nicht der konkrete Verdacht einer Steuerhinterziehung besteht.
Die Ermittlungsmaßnahme war auch deshalb unverhältnismäßig, weil der Unternehmensberaterin vor der Ortsbesichtigung kein rechtliches Gehör gewährt wurde und sie nicht die Gelegenheit hatte, andere, sie weniger belastende Modalitäten der Durchführung anzubieten25. Der Gesetzgeber hat in § 99 Abs. 1 Satz 2 AO ausdrücklich geregelt, dass vor dem Betreten von Grundstücken und Räumen die betroffenen Personen angemessene Zeit vorher benachrichtigt werden sollen. Zwar kann eine Benachrichtigung ausnahmsweise unterbleiben, wenn anderenfalls der Zweck der Maßnahme gefährdet oder gar vereitelt würde, z.B. weil das Besichtigungsobjekt verändert oder weggeschafft werden könnte26. Diese Gefahr darf aber als vom Gesetz geregelte Ausnahme nicht ohne Weiteres unterstellt werden. Es darf nicht zu Ungunsten des Steuerpflichtigen pauschal angenommen werden, dass eine vorherige Benachrichtigung generell dazu benutzt wird, das häusliche Arbeitszimmer noch entsprechend herzurichten und die Spuren bisheriger Nutzung als Wohnraum zu vernichten27. Anderenfalls liefe § 99 Abs. 1 Satz 2 AO weitgehend leer. Es ist deshalb zu verlangen, dass im konkreten Einzelfall Anhaltspunkte dafür vorliegen müssen, der Kontrollzweck könnte durch die Benachrichtigung über die Besichtigung des häuslichen Arbeitszimmers gefährdet oder vereitelt werden28. Solche Anhaltspunkte hat das Finanzamt im Streitfall weder bei der Auswahl des Mittels dargelegt, noch sind sie anderweitig vorgetragen worden.
Ein weiterer Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im engeren Sinne liegt darin, dass die Ortsbesichtigung von einem Beamten der Steuerfahndung und nicht von einem Mitarbeiter der Veranlagungsstelle durchgeführt wurde. Auch wenn der Steuerfahnder bei der Ortsbesichtigung darauf hingewiesen hat, dass er nach § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO zur Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen und nicht zur Erforschung einer Steuerstraftat nach § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO tätig wurde, ist der Einsatz eines Beamten der Steuerfahndung zur Inaugenscheinnahme des häuslichen Arbeitszimmers als belastender anzusehen, als wenn die Besichtigung durch einen Beamten des Innendienstes durchgeführt worden wäre. Denn ein rechtsunkundiger Steuerpflichtiger, dem die Unterscheidung der doppelfunktionalen Aufgabenbereiche der Steuerfahndung nicht bekannt ist, wird bei dem Erscheinen eines Steuerfahnders an der Haustür in der Regel eher geneigt sein, zur Vermeidung weiterer Unannehmlichkeiten in das Betreten seiner Wohnung einzuwilligen. Zudem ist nicht auszuschließen, dass bei einer Ermittlung durch einen Steuerfahnder gegenüber (zufällig) anwesenden Dritten (z.B. Besuchern, Nachbarn) in der privaten Umgebung des Steuerpflichtigen der Eindruck vermittelt werden könnte, dass beim Steuerpflichtigen strafrechtlich ermittelt wird. Dadurch kann das persönliche Ansehen des Steuerpflichtigen gefährdet werden29.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 12. Juli 2022 – VIII R 8/19
- FG Münster, Urteil vom 11.07.2018 – 9 K 2384/17, EFG 2018, 1847[↩]
- vgl. BFH, Beschluss vom 03.05.2010 – VIII B 71/09, BFH/NV 2010, 1415, Rz 11 f.[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 04.12.2012 – VIII R 5/10, BFHE 239, 19, BStBl II 2014, 220[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 10.02.2010 – XI R 3/09, BFH/NV 2010, 1450, Rz 20, m.w.N.[↩]
- BFH, Urteile vom 27.01.2004 – VII R 54/02, BFH/NV 2004, 797, unter II. 2. [Rz 11]; in BFHE 239, 19, BStBl II 2014, 220[↩]
- BVerfG, Beschluss vom 18.09.2008 – 2 BvR 683/08, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 2008, 2027; BFH, Urteil vom 29.07.2003 – VII R 39, 43/02, BFHE 202, 411, BStBl II 2003, 828; BFH, Beschluss vom 06.07.2001 – III B 58/00, BFH/NV 2001, 1530[↩]
- BFH, Beschluss in BFH/NV 2010, 1415; Herdegen in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hg.), BK, Art. 13 Rz 44; Leibholz/Rinck, GG, Art. 13 Rz 12; G. Hermes in: H. Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. I, 3. Aufl.2013, Art. 13 Rz 111; G. Gornig in von Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl., Art. 13 Rz 44; Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Kommentar, 17. Aufl., Art. 13 Rz 10[↩]
- Klein/Rätke, AO, 15. Aufl., § 99 Rz 8; anderer Ansicht Seer in Tipke/Kruse, § 99 AO Rz 16; ähnlich Fischer, juris PraxisReport Steuerrecht 5/2019 Anm. 2[↩]
- Herdegen in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hg.), BK, Art. 13 Rz 45; vgl. BVerfG, Beschluss vom 25.10.2011 – 2 BvR 979/10, BVerfGK 19, 140, Rz 21[↩]
- s. hierzu Seer in Tipke/Kruse, § 99 AO Rz 16; Klein/Werth, a.a.O., § 287 Rz 6; Kottmann, Die öffentliche Verwaltung 1980, 899, die sich für eine solche Belehrungspflicht aussprechen[↩]
- z.B. BFH, Urteil vom 29.07.2015 – X R 4/14, BFHE 251, 112, BStBl II 2016, 135, Rz 27, m.w.N.[↩]
- BFH, Beschluss vom 19.04.2016 – II B 66/15, BFH/NV 2016, 1059, Rz 5[↩]
- vgl. BFH, Urteile vom 28.06.2000 – X R 24/95, BFHE 192, 32, BStBl II 2000, 514, unter II. 1.b.; vom 16.12.1971 – IV R 221/67, BFHE 103, 555, BStBl II 1972, 182; s. auch Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 100 Rz 89[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 02.05.1984 – 2 BvR 1413/83, BVerfGE 67, 43[↩]
- s. hierzu BFH, Beschluss vom 30.10.2007 – VIII B 198/06, BFH/NV 2008, 238, unter II. 2.[↩]
- vgl. BFH, Urteile vom 04.07.2007 – VIII R 77/05, BFH/NV 2008, 53, unter II. 3.b, m.w.N.; und vom 09.11.2005 – I R 10/05, BFH/NV 2006, 750, unter II. 5.[↩]
- BFH, Urteile vom 04.10.2006 – VIII R 53/04, BFHE 215, 12, BStBl II 2007, 227, unter II. 2.b, und in BFHE 251, 112, BStBl II 2016, 135, Rz 37[↩]
- s. hierzu Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler -HHSp-, § 92 AO Rz 28[↩]
- BFH, Urteil in BFHE 239, 19, BStBl II 2014, 220, m.w.N.[↩]
- vgl. FG Düsseldorf, Urteil vom 24.01.2008 – 11 K 3182/05 Gr, BG, juris; Roser in Gosch, AO § 99 Rz 2; Schuster in HHSp, § 99 AO Rz 36[↩]
- BVerfG, Beschluss vom 05.05.1987 – 1 BvR 1113/85, BVerfGE 75, 318, Rz 29[↩]
- BVerfG, Beschluss vom 06.07.2010 – 2 BvL 13/09, BVerfGE 126, 268, BStBl II 2011, 318, Rz 47[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 21.01.1966 – VI 92/64, BFHE 85, 18, BStBl III 1966, 219[↩]
- BVerfG, Beschluss in BVerfGE 126, 268, BStBl II 2011, 318, Rz 47[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss in BVerfGE 75, 318[↩]
- z.B. Seer in Tipke/Kruse, § 99 AO Rz 13; Roser in Gosch, AO § 99 Rz 28; Schuster in HHSp, § 99 AO Rz 29[↩]
- so jedoch Rößler, Betriebs-Berater 1994, 1753[↩]
- vgl. Seer in Tipke/Kruse, § 99 AO Rz 13; im Ergebnis auch Klein/Rätke, a.a.O., § 99 Rz 6[↩]
- vgl. BFH, Urteil in BFHE 239, 19, BStBl II 2014, 220; Tormöhlen in HHSp, § 208 AO Rz 152[↩]
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