Die auf der Grundlage des § 93 Abs. 3 EStG förderunschädlich ausgezahlte Kapitalabfindung einer Kleinbetragsrente ist nach § 22 Nr. 5 Satz 1 EStG in vollem Umfang einkommensteuerpflichtig.

Die Anwendung des § 22 Nr. 5 Satz 1 EStG auf Leistungen aus Altersvorsorgeverträgen setzt nicht voraus, dass der Vertrag im Zeitpunkt der Auszahlung der Leistung noch zertifiziert ist. Es genügt in diesem Zusammenhang vielmehr, wenn für den einzelnen zuvor geleisteten Beitrag die Voraussetzungen des § 10a oder des Abschn. – XI des EStG ‑zu denen auch die Zertifizierung gehört- vorgelegen haben. Die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes auf Kapitalabfindungen von Kleinbetragsrenten aus Altersvorsorgeverträgen kann in der Zeit vor dem Inkrafttreten des § 22 Nr. 5 Satz 13 EStG nicht allein mit der Begründung bejaht werden, der ursprüngliche Altersvorsorgevertrag habe eine solche Kapitalisierungsmöglichkeit nicht vorgesehen.
So hat das Finanzamt in dem hier vom Bundesfinanzhof entschiedenen Streitfall zu Recht denjenigen Teil der Kapitalabfindung, der auf Beträgen (Eigenleistungen sowie Zinsen) beruht, die durch eine Altersvorsorgezulage oder den Sonderausgabenabzug nach § 10a EStG gefördert worden sind, dem Besteuerungstatbestand des § 22 Nr. 5 Satz 1 EStG zugeordnet: Die im Jahr 1950 geborene Sparerin schloss am 27.12.2003 mit einem Anbieter einen zertifizierten Altersvorsorgevertrag, hier einen Banksparplan. Entsprechend § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 des Altersvorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetzes in der seinerzeit geltenden Fassung (AltZertG a.F.) sah der Altersvorsorgevertrag vor, dass die Auszahlung ausschließlich in Form einer lebenslangen monatlichen Leibrente oder eines Auszahlungsplans mit monatlichen Teilraten und anschließender lebenslanger Teilkapitalverrentung möglich sein sollte. Im Jahr 2014 vereinbarte die ‑zu diesem Zeitpunkt 64-jährige- Sparerin mit dem Anbieter, das vorhandene Altersvorsorgeguthaben angesichts der geringen Höhe der sich ergebenden laufenden Leistungen zu Beginn des Jahres 2015 in Form einer Einmalleistung auszuzahlen. Dies war möglich geworden, weil ‑zeitlich nach dem Vertragsschluss- durch das Alterseinkünftegesetz (AltEinkG)1 mit Wirkung zum 01.01.2005 in § 93 Abs. 3 EStG eine Regelung geschaffen worden war, wonach die Kapitalabfindung einer Kleinbetragsrente zu Beginn der Auszahlungsphase als unschädliche Verwendung anzusehen ist.
Diese Kapitalabfindung ist insoweit einkommensteuerpflichtig. Das Finanzgericht Köln hat dementsprechend in der Vorinstanz2 zwar die Einkommensteuerpflicht der Kapitalabfindung dem Grunde nach zutreffend bejaht. Da das Finanzgericht aber die Vorschrift des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG übersehen und demzufolge keine tatsächlichen Feststellungen zu deren besonderen Voraussetzungen getroffen hat, hat der Bundesfinanzhof die Sache zur Nachholung entsprechender Feststellungen und Tatsachenwürdigungen an das Finanzgericht Köln zurückverwiesen:
Bereits der Wortlaut des § 22 Nr. 5 Satz 1 EStG, nach der u.a. „Leistungen aus Altersvorsorgeverträgen“ zu den steuerpflichtigen sonstigen Einkünften gehören, ist erfüllt. Denn die Kapitalabfindung stellt eine Leistung aus dem von der Sparerin abgeschlossenen Altersvorsorgevertrag dar.
Bereits der Wortlaut dieser Regelung, nach der u.a. „Leistungen aus Altersvorsorgeverträgen“ zu den steuerpflichtigen sonstigen Einkünften gehören, ist erfüllt. Denn die Kapitalabfindung stellt eine Leistung aus dem von der Sparerin abgeschlossenen Altersvorsorgevertrag dar.
Dies gilt ungeachtet dessen, dass der Begriff des „Altersvorsorgevertrags“ in § 82 Abs. 1 Satz 1 EStG dahingehend definiert wird, dass es sich um einen Vertrag handeln muss, der nach § 5 AltZertG zertifiziert ist, und die Sparerin die Auffassung vertritt, ihr Vertrag habe seine ursprüngliche Zertifizierung verloren, weil die im Jahr 2014 vorgenommene Vertragsänderung (erstmalige Vereinbarung einer Kapitalisierungsmöglichkeit) nicht zertifiziert worden sei.
Zum einen wird die Vertragsänderung, die zwischen dem Anbieter und der Sparerin im Jahr 2014 vereinbart worden ist, durch § 14 Abs. 1 Satz 2 AltZertG von der Notwendigkeit einer Zertifizierung ausgenommen. Nach dieser Regelung ist eine erneute Zertifizierung des Vertrags nicht erforderlich, soweit der Anbieter unter Beibehaltung der vertraglichen Ausgestaltung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 AltZertG in der bis zum 31.12.2004 geltenden Fassung mit seinen Bestandskunden die einvernehmliche Übernahme der in Art. 7 Nr. 1 Buchst. a Doppelbuchst. aa bis cc und ee AltEinkG enthaltenen Änderungen ganz oder teilweise vereinbart.
Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die vertragliche Ausgestaltung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 AltZertG a.F. (Verteilung der Abschluss- und Vertriebskosten) blieb unverändert; die Möglichkeit der Abfindung einer Kleinbetragsrente nach § 93 Abs. 3 EStG wurde durch Art. 7 Nr. 1 Buchst. a Doppelbuchst. cc AltEinkG in den Katalog der Zertifizierungsvoraussetzungen nach § 1 AltZertG eingefügt, so dass es gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 AltZertG keiner erneuten Zertifizierung einer entsprechenden Vertragsänderung bedurfte.
Zwar vertritt die Sparerin abweichend vom Wortlaut des § 14 Abs. 1 Satz 2 AltZertG die Auffassung, nach Ende der Ansparphase sei § 14 Abs. 1 Satz 2 AltZertG nicht mehr anwendbar und beruft sich dafür auf die Kommentierung von Baroch Castellví (§ 14 AltZertG, Rz 4), in der es heißt: „Weil die Anpassungsmöglichkeit unbefristet eingeräumt ist, kann daher z.B. die Abfindung einer Kleinbetragsrente im jeweiligen Einzelfall auch noch unmittelbar vor Ende der Ansparphase vereinbart werden.“ Diese Literaturauffassung trägt das Vorbringen der Sparerin aber gerade nicht, weil auch Baroch Castellví ausdrücklich davon ausgeht, dass die Anpassungsmöglichkeit „unbefristet“ eingeräumt worden ist. Die von ihm lediglich beispielhaft erwähnte Möglichkeit, die Abfindung einer Kleinbetragsrente unmittelbar vor dem Ende der Ansparphase zu vereinbaren, schließt ersichtlich nicht aus, dass eine solche Vereinbarung auch in dem Zeitraum zwischen dem ‑im Streitfall sehr frühzeitigen- Beginn des Bezugs von Altersrente und dem ‑hier wesentlich späteren- vertraglichen Beginn der Auszahlungsphase des Altersvorsorgevertrags getroffen werden kann. Weshalb in einem solchen Fall entgegen dem Wortlaut des § 14 Abs. 1 Satz 2 AltZertG eine ausdrückliche erneute Zertifizierung notwendig sein soll, deren Unterbleiben dann zu einer vollständigen Steuerfreiheit der Kapitalauszahlung führen soll, erschließt sich dem Bundesfinanzhof nicht; auch der angeführten Kommentierung lässt sich die von der Sparerin vertretene Rechtsfolge nicht entnehmen.
Unabhängig davon ist der Bundesfinanzhof der Auffassung, dass es die Systematik der nachgelagerten Besteuerung gebietet, den Begriff des „Altersvorsorgevertrags“ in § 22 Nr. 5 Satz 1 EStG ‑insoweit abweichend von der Definition des § 82 Abs. 1 Satz 1 EStG- dahingehend zu verstehen, dass hierfür das Vorhandensein eines Altersvorsorgevertrags genügt, ohne zusätzlich vorauszusetzen, dass dieser auch noch im Zeitpunkt der Vornahme der Auszahlung zertifiziert sein muss. Nach der Systematik des § 22 Nr. 5 EStG kommt es nicht auf die (aktuelle) Zertifizierung des Vertrags im Ganzen an, sondern vielmehr darauf, ob für den einzelnen zuvor geleisteten Beitrag die Voraussetzungen des § 10a oder des Abschn. – XI des EStG ‑zu denen die Zertifizierung gehört- vorgelegen haben (vgl. § 22 Nr. 5 Satz 2 EStG).
Die einkommensteuerrechtliche Bedeutung der Zertifizierung beschränkt sich demgegenüber darauf, für Beiträge, die auf einen entsprechend zertifizierten Vertrag gezahlt werden, die Möglichkeit zur Gewährung der Altersvorsorgezulage (§ 82 Abs. 1 Sätze 1 und 2 EStG) sowie den Sonderausgabenabzug nach § 10a EStG (vgl. § 10a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 EStG, der auf § 82 EStG verweist) zu eröffnen.
Die gegenteilige, von der Sparerin vertretene Auslegung würde es den Steuerpflichtigen erlauben, bei einem zertifizierten Vertrag, für den sie in der Ansparphase die steuerliche Förderung in Anspruch genommen haben, kurz vor Beginn der Auszahlungsphase mit dem Anbieter eine Vertragsänderung zu vereinbaren, die sie nicht zertifizieren lassen. Der Bundesfinanzhof kann der gesetzlichen Systematik nicht entnehmen, dass allein eine solche Vertragsänderung dazu führen soll, dass sämtliche künftigen Auszahlungen aus diesem Vertrag nicht gemäß § 22 Nr. 5 EStG der Besteuerung unterworfen werden sollen. Auch den von der Sparerin angeführten Kommentarstellen3 lässt sich nicht entnehmen, dass dort eine solche Auslegung befürwortet würde; die genannten Autoren äußern sich zu der von der Sparerin aufgeworfenen Rechtsfrage vielmehr nicht.
Die Anwendung des Besteuerungstatbestands des § 22 Nr. 5 Satz 1 EStG im Streitfall entspricht auch dem Zweck dieser Norm. Sie setzt das System der „nachgelagerten Besteuerung“, das seit 2005 sowohl der einkommensteuerrechtlichen Behandlung von Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezügen der Basisversorgung (erste Schicht des sog. Drei-Schichten-Modells) als auch der steuerlich geförderten freiwilligen privaten Altersvorsorge (Teil der zweiten Schicht) zugrunde liegt, für den letztgenannten Sachbereich in positives Recht um. Bei der vorliegend in Rede stehenden Kapitalabfindung handelt es sich um die Auszahlung aus einem zweckgebundenen Altersvorsorgevermögen der Sparerin, das sie durch Beiträge aufgebaut hat, für die sie die steuerliche Förderung ‑Altersvorsorgezulage oder Sonderausgabenabzug- in Anspruch genommen hatte. Da ihre Aufwendungen mithin einkommensteuerlich entlastet waren und es aufgrund der Regelung des § 93 Abs. 3 EStG trotz der vorzeitigen Kapitalisierung der laufenden Rentenansprüche endgültig bei dieser Entlastung blieb, entspricht es der ‑klar erkennbaren- gesetzlichen Systematik, die Auszahlung des mit den Beiträgen und den gutgeschriebenen Zinsen aufgebauten Kapitals „nachgelagert“ zu besteuern.
Dem stehen auch die weiteren Einwendungen der Sparerin nicht entgegen. § 93 Abs. 1 EStG ‑mit der Folge der einkommensteuerlichen Erfassung der Kapitalabfindung nach § 22 Nr. 5 Satz 2 Buchst. c EStG statt nach § 22 Nr. 5 Satz 1 EStG- ist in den Fällen des § 93 Abs. 3 EStG weder unmittelbar noch entsprechend anzuwenden.
Die Auffassung der Sparerin, in den Fällen des § 93 Abs. 3 EStG handele es sich letztlich ebenfalls um eine schädliche Verwendung, steht zu dem klaren Wortlaut dieser Regelung in Widerspruch. Denn danach gelten Auszahlungen zur Abfindung einer Kleinbetragsrente zu Beginn der Auszahlungsphase gerade nicht als schädliche Verwendung. Auch der Umstand, dass § 94 Abs. 1 Satz 5 EStG die ‑für schädliche Verwendungen geltende- Regelung des § 94 Abs. 1 Satz 1 EStG für entsprechend anwendbar erklärt, ändert daran nichts. Denn dies betrifft lediglich die Pflicht des Anbieters, die Kapitalauszahlung der zentralen Stelle anzuzeigen. Die Sätze 2 bis 4 des § 94 Abs. 1 EStG, die weitere besondere Pflichten des Anbieters und der zentralen Stelle in Fällen der schädlichen Verwendung regeln, gelten bei einer unschädlichen Kapitalauszahlung nach § 93 Abs. 3 EStG gerade nicht.
Die Sparerin bringt weiter vor, die Übertragung von gefördertem Altersvorsorgevermögen im Rahmen eines Versorgungsausgleichs werde durch § 93 Abs. 1a EStG ebenfalls als nicht schädliche Verwendung fingiert, löse aber keine einkommensteuerlichen Folgen aus. Dies müsse dann auch für die Kapitalabfindung gelten, die vom Gesetz ebenfalls als nicht schädliche Verwendung fingiert werde.
Dem kann der Bundesfinanzhof gleichfalls nicht folgen. Die Übertragung im Rahmen eines Versorgungsausgleichs lässt die Bindung des geförderten Altersvorsorgevermögens für die Altersvorsorge unberührt; es gelangt nicht in die Verfügungsmacht des Steuerpflichtigen (oder seines Ehegatten). Die Kapitalauszahlung führt hingegen zum endgültigen Wegfall der den Steueraufschub rechtfertigenden Zweckbindung. Das Kapital gelangt in die freie Verfügungsmacht des Steuerpflichtigen, so dass die Auszahlung der letztmögliche Anknüpfungspunkt für die nachgelagerte Besteuerung ist.
Ob die unschädliche Verwendung ‑in Form der durch § 93 Abs. 3 EStG zugelassenen Kapitalabfindung von Kleinbetragsrenten- im Streitfall einkommensteuerlich stärker belastet wird als eine schädliche Verwendung, steht zum einen noch nicht fest, da dies von der ‑bisher nicht entscheidungsreifen- Frage der Anwendbarkeit des § 34 Abs. 1 EStG abhängig sein dürfte.
Zum anderen ist eine solche rein wirtschaftlich orientierte Vorteilsrechnung für die Auslegung des § 22 Nr. 5 EStG auch unerheblich. Die differenzierende gesetzliche Regelung ist jedenfalls systemgerecht: Eine Kapitalabfindung nach § 93 Abs. 3 EStG stellt eine Leistung aus einem Altersvorsorgevertrag dar, die im Einklang mit den hierfür geltenden gesetzlichen Regelungen ausgezahlt wird. Die Sparerin darf daher die ihr in der Vergangenheit gewährte steuerliche Förderung behalten; im Gegenzug unterliegt die Auszahlung aus dem Altersvorsorgevertrag der nachgelagerten Besteuerung.
Gleichermaßen systemgerecht ist es, wenn das Gesetz in Fällen der schädlichen Verwendung die Rückforderung der in der Vergangenheit gewährten Zulagen und Steuervorteile vorsieht, dafür aber der verbleibende Auszahlungsbetrag nur in Höhe der Differenz zu den eingezahlten Beiträgen besteuert wird.
Ergänzend weist der Bundesfinanzhof darauf hin, dass die Kapitalabfindung ‑und damit die Zuordnung zu einem bestimmten Besteuerungsregime- im Streitfall auf einer freien Entscheidung der Sparerin beruhte. Ohne die Vertragsänderung, an der sie aktiv und freiwillig mitgewirkt hat, wäre eine solche Kapitalabfindung von vornherein nicht zulässig gewesen. Ob ‑wie die Sparerin ohne nähere Substantiierung behauptet- der finanzielle Vorteil der Bank aus den Entgelten, die die Sparerin mit der Bank vereinbart hatte, höher ist als der finanzielle Vorteil der Sparerin aus der steuerlichen Förderung, ist für die Auslegung des § 22 Nr. 5 EStG gleichfalls unerheblich. Denn es war allein die freie Entscheidung der Sparerin, ob bzw. mit welchem Anbieter sie einen Altersvorsorgevertrag abschließt.
Auf die der Sparerin im Streitjahr 2015 zugeflossene Abfindung sind die einkommensteuerrechtlichen Vorschriften für das Streitjahr anzuwenden, nicht aber die Regelungen des im Zeitpunkt des Abschlusses des ursprünglichen Altersvorsorgevertrags (hier: 2003) geltenden EStG.
Im Jahr 2003 war eine Kapitalabfindung noch nicht in den Katalog unschädlicher Verwendungen aufgenommen, so dass das EStG seinerzeit keine besonderen Regelungen zur Besteuerung derartiger Abfindungen enthielt. Ungeachtet dessen ist die vom Finanzamt zugrunde gelegte Gesetzesfassung gemäß § 52 Abs. 1 des im Streitjahr geltenden EStG für den Veranlagungszeitraum 2015 anzuwenden. Nach dem Zuflussprinzip (§ 11 Abs. 1 EStG) gilt dies auch für die am 02.01.2015 zugeflossene Kapitalabfindung.
Dass die Anwendung der für das Jahr 2015 geltenden einkommensteuerrechtlichen Vorschriften eine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung darstellen würde, macht nicht einmal die Sparerin selbst geltend. Dies wäre auch fernliegend, da sie ihre Disposition zugunsten der nachträglichen Vereinbarung einer Kapitalisierung ihrer Ansprüche nicht etwa bereits 2003, sondern erst im Jahr 2014 getroffen hat, in dem sich die einkommensteuerrechtliche Lage insoweit nicht von der des Zuflussjahres 2015 unterschieden hat.
Ebenfalls zu Recht hat das Finanzamt die Auszahlung der nicht geförderten Zinsen nach § 22 Nr. 5 Satz 2 Buchst. c EStG besteuert.
Hinsichtlich der Frage, ob die Voraussetzungen für die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes (§ 34 Abs. 1 EStG) auf die Kapitalabfindung vorliegen, ist der Rechtsstreit nicht entscheidungsreif. § 22 Nr. 5 Satz 13 EStG ist im Streitjahr noch nicht anwendbar und hat für die früheren Zeiträume keine entscheidende Bedeutung. Auch hat das Finanzgericht zu Recht das Vorliegen der Voraussetzungen des § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG verneint. Es hat aber keine Feststellungen zu den Voraussetzungen des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG getroffen, so dass der Rechtsstreit an die Vorinstanz zurückverwiesen werden muss.
Erst mit Wirkung ab dem 01.01.2018 (vgl. Art. 17 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 9 Nr. 5 Buchst. b des Betriebsrentenstärkungsgesetzes vom 17.08.20174) ist dem § 22 Nr. 5 EStG ein Satz 13 angefügt worden, wonach für Leistungen aus Altersvorsorgeverträgen nach § 93 Abs. 3 EStG die in § 34 Abs. 1 EStG geregelte Steuersatzermäßigung entsprechend anzuwenden ist. Im Streitjahr 2015 konnte diese Rechtsfolge der Besteuerung der Kapitalabfindung nicht zugrunde gelegt werden.
Die spätere ausdrückliche gesetzliche Regelung kann für die rechtliche Beurteilung früherer Zeiträume nicht von entscheidender Bedeutung sein. Zwar heißt es in der Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Betriebsrentenstärkungsgesetz vom 22.02.20175, vor dem Inkrafttreten des § 22 Nr. 5 Satz 13 EStG sei die Gewährung des ermäßigten Steuersatzes nicht in Betracht gekommen, da eine Kapitalabfindung stets auf einer vertraglichen Vereinbarung zwischen dem Anbieter und dem Steuerpflichtigen beruhe. Auch wenn einer solchen Äußerung eines ‑späteren- Gesetzgebers mitunter eine gewisse Indizwirkung für die in früheren Jahren geltende Rechtslage beigemessen werden mag, ist durch die Auslegung der im Streitjahr 2015 geltenden gesetzlichen Regelungen zu ermitteln, ob § 34 Abs. 1 EStG seinerzeit auf Kapitalauszahlungen nach § 93 Abs. 3 EStG anwendbar war oder nicht.
Nach § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG kommen als außerordentliche Einkünfte u.a. Entschädigungen i.S. des § 24 Nr. 1 EStG in Betracht. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift hat das Finanzgericht mit zutreffenden Erwägungen verneint. Die Kapitalisierung eines Anspruchs auf laufende Zahlungen stellt grundsätzlich keine Entschädigung dar6. Darüber hinaus setzt die Annahme einer Entschädigung in Fällen, in denen die entsprechende Zahlung auf einer einvernehmlichen Vertragsänderung beruht, voraus, dass der Steuerpflichtige dabei unter rechtlichem, wirtschaftlichem oder tatsächlichem Druck gehandelt hat7. Dafür ist vorliegend nichts ersichtlich. All dies ist zwischen den Beteiligten zu Recht nicht streitig.
Ob die Kapitalabfindung als Vergütung für mehrjährige Tätigkeiten (§ 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG) anzusehen ist, hat das Finanzgericht hingegen nicht geprüft, obwohl die Sparerin sich bereits erstinstanzlich auf diesen Tatbestand berufen hatte.
Der Bundesfinanzhof hat in einem Parallelverfahren mit Urteil vom 11.06.20198 entschieden, dass in Fällen wie dem vorliegenden zwar grundsätzlich von einer Vergütung für mehrjährige Tätigkeiten auszugehen ist, die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes aber zusätzlich die „Außerordentlichkeit“ dieser Einkünfte erfordert und dies in den Fällen, in denen es um die Begünstigung einer Einmalzahlung nach § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG geht, voraussetzt, dass eine solche Einmalzahlung ‑hier: die Kapitalisierung laufender Ansprüche auf Altersbezüge- für den betreffenden Lebens, Wirtschafts- und Regelungsbereich atypisch ist. Ob darüber hinaus in dem konkreten Vertrag die Möglichkeit einer Kapitalabfindung bereits von Anfang an vorgesehen war oder nicht, stellt sich danach als ein Indiz dar, das allenfalls gewisse Rückschlüsse darauf zulassen mag, ob eine Kapitalabfindung im betreffenden Lebens- oder Wirtschaftsbereich typisch oder atypisch ist, aber nicht von allein entscheidender Bedeutung ist.
Nach diesen Maßstäben lässt sich die Begünstigung ‑anders als die Sparerin meint- nicht allein auf den vom Finanzgericht festgestellten Umstand stützen, dass der ursprüngliche Altersvorsorgevertrag keine Kapitalisierungsmöglichkeit vorsah. Vielmehr ist entscheidend, ob die Kapitalisierung laufender Rentenansprüche im Bereich der Altersvorsorgeverträge (§§ 82 ff. EStG) als atypisch anzusehen ist. Die hierzu erforderlichen Feststellungen hat das Finanzgericht nicht getroffen; der Bundesfinanzhof ist als Revisionsgericht nicht in der Lage, sie selbst zu treffen. Für das Verfahren im zweiten Rechtsgang nimmt der Bundesfinanzhof auf die Hinweise in seinem Urteil in BFHE 265, 175, BStBl II 2019, 583, Rz 27 ff. Bezug.
Bundesfinanzhof, Urteil vom 6. November 2019 – X R 39/17
- vom 05.07.2004, BGBl I 2004, 1427[↩]
- FG Köln, Urteil vom 04.07.2017 – 5 K 3136/16[↩]
- Schmidt/Weber-Grellet, EStG, 38. Aufl., § 22 Rz 170, 171, 173; Lindberg, in Frotscher/Geurts, EStG, Freiburg 2018, § 22 Rz 195a[↩]
- BGBl I 2017, 3214[↩]
- BT-Drs. 18/11286, 63[↩]
- vgl. BFH, Urteile vom 21.09.1993 – III R 53/89, BFHE 172, 349, unter II. 1.; und vom 14.01.2004 – X R 37/02, BFHE 205, 96, BStBl II 2004, 493, unter II. 1.c[↩]
- vgl. BFH, Urteil vom 24.06.2009 – IV R 94/06, BFHE 225, 398, unter II. 2.a[↩]
- BFH, Urteil vom 11.06.2019 – X R 7/18, BFHE 265, 175, BStBl II 2019, 583, Rz 21 ff.[↩]