Nach § 62 Abs. 2 Nr. 2 EStG erhält ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer Kindergeld, wenn er eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, die zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt oder berechtigt hat, es sei denn, es liegen die einschränkenden Voraussetzungen der § 62 Abs. 2 Nr. 2 a) – c) EStG vor, die bei bestimmten Aufenthaltstiteln nach dem AufenthG eingreifen.

Tatbestandswirkung der Aufenthaltserlaubnis
§ 62 Abs. 2 Nr. 2 EStG macht die Gewährung des Kindergeldes an nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländer damit davon abhängig, dass der Betroffene die Aufenthaltserlaubnis besitzt, d.h. tatsächlich in den Händen hält1. Der bloße Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis begründet nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut noch keinen Kindergeldanspruch. Vielmehr ist hierfür das ausdrückliche Zubilligen des Aufenthaltsrechts durch Verwaltungsakt erforderlich.
Keine Verfassungswidrigkeit wie bei Vorgängerregelung
Es ist nach Auffassung des Finanzgerichts Düsseldorf auch nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten, vom Gesetzeswortlaut des § 62 Abs. 2 Nr. 2 EStG abzuweichen. Soweit die Klägerin auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verweist, vermag dies eine solche über den Gesetzeswortlaut hinausgehende Auslegung nicht zu begründen. Zwar hat der 1. Senat des Bundesverfassungsgerichts2 die Vorgängerregelung des § 1 Abs. 3 des Bundeskindergeldgesetzes 1993 als insoweit unvereinbar mit Art. 3 Abs. 1 GG angesehen, als die Gewährung von Kindergeld allein von der Art der ausländerrechtlichen Genehmigung nach dem AuslG 1990 abhing. Allerdings trifft diese Rechtsprechung nicht auf die hier entscheidungserhebliche Fassung des § 62 Abs. 2 EStG, der für Zeiträume ab 2005 gilt, zu.
Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH hat der Gesetzgeber bei der Neuregelung des § 62 Abs. 2 EStG vielmehr im Rahmen des ihm zustehenden Gestaltungsspielraums gehandelt, als er die Kindergeldberechtigung von Ausländern vom Besitz bestimmter Aufenthaltstitel nach dem AufenthG abhängig machte und bei einzelnen Titeln, die einen schwächeren aufenthaltsrechtlichen Status vermitteln, darüber hinaus von einem dreijährigen, rechtmäßigen, gestatteten oder geduldeten Aufenthalt im Bundesgebiet sowie von der Integration in den deutschen Arbeitsmarkt, § 62 Abs. 2 Nr. 2 c), Nr. 3 EStG3.
Für diese Tatbestandswirkung ausländerrechtlicher Verwaltungsakte für das Kindergeldrecht bestehen, wie jetzt das Finanzgericht Düsseldorf betonte, vernünftige Gründe. Es erscheint weder sinnvoll noch praktikabel, wenn die Familienkassen zu prüfen hätten, ob die Ausländerbehörde einen bestimmten Aufenthaltstitel früher hätte erteilen können und sollen4. Die Auffassung, wonach anstelle der tatsächlichen Erteilung der Aufenthaltserlaubnis auf die materielle ausländerrechtliche Rechtslage für die Kindergeldberechtigung abzustellen sei, führte im Ergebnis dazu, dass die Familienkassen auch zu prüfen hätten, ob die Ausländerbehörden einen bestimmten Titel möglicherweise zu Unrecht erteilt haben. Die Familienkassen besitzen jedoch weder die personelle Ausstattung noch regelmäßig die fachliche Qualifikation, um ausländerrechtliche Sachverhalte besser beurteilen zu können als die Ausländerbehörden5.
Dass eine etwaige Ungleichbehandlung zwischen Ausländern, die trotz ihrer materiell-rechtlichen Berechtigung zum unbefristeten Aufenthalt in Deutschland noch nicht im Besitz einer Aufenthaltsgenehmigung sind, und denen, die ebenfalls materiell-rechtlich berechtigt sind und darüber hinaus auch die ausländerrechtliche Aufenthaltserlaubnis rechtzeitig in Besitz haben, bereits als solche als ein mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbarer gleichheitswidriger Verstoß anzusehen ist, vermag, so das finanzgericht Düsseldorf weiter, nicht zu überzeugen. Es lassen sich unterschiedliche sachliche Gründe für eine solche Ungleichbehandlung anführen. Auch in dem jetzt vom Finanzgericht Düsseldorf entschiedenen Streitfall konnte die Ausländerbehörde der Klägerin nicht bereits ab dem Zeitpunkt der Geburt ihrer Tochter eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG gewähren, solange nicht die Vaterschaft des Kindes durch einen deutschen Staatsangehörigen festgestellt war. Soweit die Klägerin vorträgt, dass es die Ausländerbehörde bei der gegenwärtigen Gesetzeslage damit in der Hand habe, durch eine verzögerte Erteilung der Aufenthaltserlaubnis auch den Kindergeldanspruch zu verkürzen, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Liegen die Voraussetzungen einer schuldhaften Verzögerung bei der Erteilung eines Aufenthaltstitels vor (wofür es im Streitfall keine Anhaltspunkte gibt), kann der Kindergeldberechtigte einen eingetretenen Schaden in Form verloren gegangenen Kindergeldes nach den Grundsätzen des Amtshaftungsrechts geltend machen.
Fiktionsbescheinigung nicht ausreichend
Auch aus der Rechtsnatur der der Klägerin erteilten Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 3 Satz 1 AufenthG lässt sich kein anderes Ergebnis ableiten. Nach § 81 Abs. 3 AufenthG gilt der Aufenthalt eines Ausländers, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, ohne einen Aufenthaltstitel zu besitzen, bis zur Entscheidung über einen gestellten Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels als erlaubt. § 81 Abs. 3 AufenthG vermittelt damit zwar ab Antragstellung einen rechtmäßigen Aufenthalt. Der Ausländer wird aber nicht so gestellt, als besitze er eine Aufenthaltserlaubnis. Denn es soll lediglich der vor dem Antrag bestehende Zustand erhalten, nicht aber – was eine zusätzliche Besserstellung wäre – der Besitz einer Aufenthaltserlaubnis fingiert werden6.
Aus diesem Grund überzeugt auch der Hinweis auf die Regelung des § 81 Abs. 4 AufenthG nicht. Denn diese Vorschrift regelt den Fall der Verlängerung einer bereits erteilten Aufenthaltserlaubnis oder die Erteilung einer anderen Aufenthaltserlaubnis, setzt also den Besitz eines Aufenthaltstitels voraus. Eine solche Situation liegt im Streitfall nicht vor, denn die Klägerin macht einen Kindergeldanspruch gerade für einen Zeitraum geltend, in dem sie noch nicht über eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG verfügte. Solange jedoch ein Ausländer nicht erstmals im Besitz eines entsprechenden ausländerrechtlichen Aufenthaltstitels ist, kann er auch aus § 81 Abs. 3 AufenthG keinen Anspruch auf Kindergeld für sich ableiten. Insoweit entspricht die Rechtslage der Situation unter der Geltung der Vorgängerregelung von § 81 Abs. 3 AufenthG, d.h. von § 69 Abs. 3 AuslG 19907.
Finanzgericht Düsseldorf, Urteil vom 30. September 2009 – 15 K 3701/07 Kg
- sog. Tatbestandswirkung, vgl. BFH, Beschlüsse vom 18.12.1998 – VI B 221/98, BFHE 187, 562, BStBl II 1999, 140; vom 20.02.1998 – VI B 205/97, BFH/NV 1998, 963; vom 01.12.1997 – VI B 147/ 97, BFH/NV 1998, 696 und vom 14.08.1997 – VI B 43/97, BFH/NV 1998, 169[↩]
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 06.07.2004 – 1 BvL 4-6/97, BVerfGE 111, 160, BFH/NV 2005, Beilage 2, 114[↩]
- BFH, Urteile vom 15.03.2007 – III R 93/03, BFHE 217, 443, BFH/NV 2007, 1234; vom 22.11.2007 – III R 54/02, BFH/NV 2008, 457; und vom 17.04.2008 – III R 16/05, BFHE 221, 43, BFH/NV 2008, 629[↩]
- vgl. FG Düsseldorf, Urteil vom 09.11.2007 – 18 K 1580/06 Kg, EFG 2008, 388[↩]
- vgl. FG Düsseldorf, Urteil vom 09.11.2007, a.a.O.[↩]
- vgl. Renner, Ausländerrecht, 8. Aufl. 2005, § 8, Rz. 27[↩]
- vgl. hierzu: BFH, Urteil vom 17.04.2008 – III R 165/05, BFHE 221, 43, BFH/NV 2008, 629; sowie BFH Beschlüsse vom 18.12.1998 – VI B 221/98, BFHE 187, 562, BStBl II 1999, 140; vom 14.08.1997 – VI B 43/97, BFH/NV 1998, 169; und vom 01.12.1997 – VI B 147/97, BFH/NV 1998, 696[↩]